Überwachung als pädagogische Versuchung

eLearning nutzte ich zum ersten Mal intensiv mit BSCW. Eigentlich handelt es sich dabei um ein öffentliches Verzeichnis von Dateien, die man schon auch kommentieren kann, aber eigentlich legt man nur Dateien ab oder lädt sie runter. Schnell machte ich mich mit einem netten Feature vertraut: Ich hatte die Rechte, um ansehen zu können, wer eine Datei wann geöffnet hatte.

Also überprüfte ich bei Aufträgen an Schülerinnen und Schüler vor einer Lektion, wer denn ein bestimmtes Dokument geöffnet und also den Auftrag erfüllt hatte und wer nicht. Ich machte das auch transparent, setzte es als Druckmittel ein: »Ich überprüfe, wer die Hausaufgaben macht.«

Die Technologie gab mir ein Mittel in die Hände, das es vorher nicht gab. Solche Überwachungsvorgänge wiederholten sich: Wenn Aufgaben per Mail abgegeben werden mussten, merkte ich, wer die Aufgaben früh und wer spät abgab, dasselbe funktioniert bei Google Forms, oft kann ich mir sogar an der IP-Adresse ablesen, ob Schülerinnen und Schüler in der Schule arbeiten oder zuhause.

I want to believe. Lupo Manaro, society6.
I want to believe. Lupo Manaro, society6.

Lernende zu überwachen ist eine pädagogische Versuchung. Die Illusion, der Mehrwert der Überwachung könnte pädagogisch genutzt werden, ist verführerisch. Warum handelt es sich um eine Illusion? Kontrolle schafft Druck und falsche Anreize. Wer ohne Kontrolle nicht lernt, lernt mit Kontrolle selten besser. Zudem verschaffen Daten oft einen falschen Eindruck: Wer die Hausaufgaben um 23.55 abschickt, erweckt den Eindruck, sie in letzter Minute erledigt zu haben, obwohl sie vielleicht längst gemacht waren, aber erst dann verschickt wurden.

Wie widersteht man der Versuchung?

Mein Vorschlag wäre folgender:

  1. Wenn immer es geht, Lernende online mit Pseudonymen arbeiten lassen. 
  2. So wenig Daten wie möglich erfassen.
  3. Die Möglichkeiten der Überwachung nicht nutzen.
  4. Transparent machen, welche Daten man einsehen kann und wie man mit ihnen umgeht – Lernende nicht überraschen und sie nicht versteckt überwachen.

Gerne würde ich diesen Gedankengang diskutieren.

Ratgeber »Medienkompetenz« der ZHAW

An dieser Stelle eine Empfehlung: Der eben erschienene Ratgeber »Medienkompetenz« der ZHAW, der sich an Eltern, Erziehende und Lehrpersonen von bis zu 13-jährigen Kindern richtet, ist eine hervorragende und aktuelle Informationsquelle zu den wichtigsten Bereichen der Medienkompetenz.

Bildschirmfoto 2013-02-01 um 11.09.37 Auf der Homepage der ZHAW heißt es dazu:

Kinder und Jugendliche wachsen in einer reichhaltigen Medienwelt auf. Eltern und Lehrpersonen fühlen sich oft unsicher oder überfordert und fragen sich: Wie viel Medienzeit und welche Medieninhalte sind gut für die Kinder? Was tun bei Cybermobbing oder Onlinesucht?

Im vorliegenden Leitfaden „Medienkompetenz“ (PDF, 3.4 MB) beantwortet das medienpsychologische Forschungsteam häufig gestellte Fragen rund um das Thema Jugend und digitale Medien auf einer wissenschaftlichen Basis. Der Ratgeber bietet Orientierung und möchte insbesondere Eltern und Lehrpersonen ermutigen, Kinder und Jugendliche im Umgang mit digitalen Medien aktiv zu begleiten.

Die oben abgebildeten »Goldenen Regeln« stammen aus einem separaten Flyer (pdf).

Kontrollverlust und Filtersouveränität

Wie jede technische Innovation wurden auch die Möglichkeiten sozialer Vernetzung im Internet von Anfang an als Gefahr wahrgenommen. Fast zehn Jahre bevor Facebook erstmals im Netz auftauchte, lief in den Kinos ein Thriller mit Sandra Bullock in der Hauptrolle. The Net  (Irwin Winkler, 1995) zeigt eine Computerspezialistin, die ihre Beziehungen und geschäftlichen Kontakte praktisch komplett übers Internet abwickelt. Dies führt im Lauf des Films dazu, dass sie die Kontrolle über ihren Besitz, ihr Leben, ihre Beziehungen und ihre Identität verliert: Ihre Kreditkarten sind ungültig, ihre Sozialversicherungsnummer einer vorbestraften Frau zugeteilt, ihr Haus wird verkauft. Das Internet wird von der effizienten Technologie zur lebensbedrohlichen Waffe, die sich gegen die Benutzerin selbst wendet.

Diese düsteren Hollywood-Vision beschreiben keine Realität – aber sie zeigen, wie stark die Ängste sind, die mit der Gestaltung einer Online-Identität und der Pflege eines digitalen Beziehungsnetzes zusammenhängen. Wenn es sich letztlich nur um Daten handelt, die abbilden, wer ein Mensch ist und mit wem er in Kontakt steht, dann scheint es naheliegend, dass diese Daten missbraucht werden.

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Michael Seemann, ein deutscher Kulturwissenschaftler, der in seinen Arbeiten die gesellschaftlichen Veränderungen durch digitale Technologie nachzeichnet, fasst diese Zusammenhänge wie folgt zusammen:

Die These vom Kontrollverlust besagt, dass wir zunehmend die Kontrolle über Daten und Inhalte im Internet verlieren. Betroffen ist jede Form der Informationskontrolle: Staatsgeheimnisse, Datenschutz, Urheberrecht, Public Relations, sowie die Komplexitätsreduktion durch Institutionen.

Die Vorstellung von »informationeller Selbstbestimmung«, die viele Menschen haben und die auch rechtlich dokumentiert ist, ist angesichts der Möglichkeiten der Datensammlung, der Datenspeicherung und insbesondere der Datenverknüpfung nicht mehr länger haltbar. »Ein Kontrollverlust entsteht, wenn die Komplexität der Interaktion von Informationen die Vorstellungsfähigkeiten eines Subjektes übersteigt«, schreibt Seemann (pdf, S. 74). Er gibt dafür zwei Gründe an: Erstens bilden mobile und stationäre Aufzeichnungsgeräte die Welt heute digital ab; es gibt keine Handlung, die nicht zu einem Datensatz führen könnte. Zweitens ist es im Internet praktisch kostenlos möglich, Informationen weiterzugeben. Die Konstruktion des Internets ist dem Schutz von Daten entgegengesetzt, weil sie die Zirkulation von Daten erfordert.

Regierungen versuchen dem Kontrollverlust durch immer restriktivere Gesetzgebung in Bezug auf Internetkommunikation beizukommen. Nach dem Vorbild von China gibt es mittlerweile eine Reihe von Ländern, die Inhalte im Internet blocken und den freien Austausch von Informationen behindern. Die Organisation Reporters Without Borders zählt neben China elf weitere Ländern zu den »Feinden des Internets«, 14 weitere Ländern stehen unter Beobachtung, darunter auch Frankreich, Australien und die Türkei (Reporters Without Borders, S. 2) Bezeichnend ist, dass es in diesen Ländern für Expertinnen und Experten immer noch möglich ist, die Sperren zu umgehen und Informationen zu verbreiten, die Bemühungen zur Kontrolle also auch scheitern, wenn sie von Regierungen mit enormen Aufwand unternommen werden. Das heißt nicht, dass die Zensurbestrebungen nicht verheerende Folgen für die Grundrechte der Menschen in diesen Ländern hätten; aber es zeigt, dass der Kontrollverlust in der Internetkommunikation eine Tatsache ist, die nicht rückgängig zu machen ist.

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Diese Einsicht führt Seemann dazu, den Kontrollverlust zu akzeptieren und mit einem ethischen Konzept der Filtersouveränität zu koppeln:

Die Freiheit des Anderen, zu lesen oder nicht zu lesen, was er will, ist die Freiheit des Senders, zu sein, wie er will. «Filtersouveränität», so habe ich diese neue Informationsethik genannt, ist eine radikale Umkehr in unserem Verhältnis zu Daten.

Praktisch bedeutet das, dass Informationen so mitgeteilt werden sollen, dass andere in der Lage sind, Filter einzusetzen. Zu denken sind Beispielsweise an Werbefilter: Moderne Browser ermöglichen die Installation von Zusatzprogrammen, die Werbung im Internet komplett ausblenden (z.B. AdBlock). Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Instragram zwingen User immer stärker dazu, sich auch Werbung anzusehen, indem sie direkt in die Funktionalität der Werkzeuge eingebunden wird. Wer die Dienste nutzen will, muss sich Werbung ansehen. Filtersouveränität wird verhindert.

Würde man Seemanns Überlegungen auf die Schule beziehen, so müsste man Schülerinnen und Schülern basierend auf der Einsicht, dass Lehrpersonen nicht kontrollieren können, was mit ihren Inhalten und Inputs passiert, die Freiheit gewähren, aus dem Informationsausgebot auszuwählen.

Filter allgemein verstanden ermöglichen die Suche nach erwünschten und das Ausblenden von unerwünschten Inhalten. Sie sind deshalb wichtig, weil die Speicherkapazitäten digitaler Medien heute die menschliche Fähigkeit, Daten zu verarbeiten, bei weitem übersteigern. Das zeigt das Potential dieser Entwicklung: Von Lehrerseite her kann jede Redundanz vermieden werden. Lehrvorträge müssten einmal gehalten werden und wären dann immer abrufbar, auffindbar. Dadurch könnten viel mehr interessante Referate zu verschiedenen Themen entstehen, eine Beschränkung auf ausgewählte Themen um Schülerinnen und Schüler nicht zu überfordern, wäre nicht nötig – da sie ja ihre eigenen Filter einsetzen und mit denen Überforderung verhindern. Die Fähigkeit, Filter einzusetzen, stellt eine wesentliche Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien dar.

Guideline: Fotos von Kindern/Jugendlichen veröffentlichen

In den Kommentaren zu meinem Blogpost über Kinderfotos im Internet wurde die Frage gestellt, wie denn Sportvereine, Schulen etc. mit Fotos von Kindern und Jugendlichen umgehen sollen. Auf der Homepage der Schule, an der ich unterrichte, werden Anlässe immer mit Fotos dokumentiert. Diese Guideline sind Überlegungen, die auch im Gespräch mit den dafür Verantwortlichen entstanden sind.

Der amerikanische Botschafter in der Schweiz, Donald S. Beyer Jr. zu Besuch an der Kantonsschule Wettingen.
  1. Einverständnis einholen.
    Sowohl die Kinder/Jugendlichen als auch die Eltern müssen damit einverstanden sein, dass Fotos publiziert werden. Um das Einverständnis einzuholen, muss der Modus der Aufnahmen und der Veröffentlichung klar geregelt sein.
  2. Recht am Bild reflektieren.
    An der Schule muss Verantwortlichen bewusst sein, was Recht am eigenen Bild bedeutet. Gute Lektüre dazu: Educa Guide Schulen am Netz. Rechte und Pflichten, S. 18f. (pdf)
  3. Sehr sorgfältig auswählen. 
    Alle Bilder, die unangenehme, zu emotionale, möglicherweise peinliche etc. Momente von Kindern oder Jugendlichen zeigen, müssen gelöscht werden – auch wenn man sie sehr lustig findet.
  4. Löschmöglichkeit klar angeben. 
    Wer will, dass ein Bild von ihr oder ihm (bzw. seiner/ihrer Kinder) gelöscht wird, muss das problemlos verlangen können und über diese Möglichkeit informiert sein.
  5. Namen und Bilder nicht verbinden. 
    Bildlegenden, welche die Personen auf Bildern identifizierbar machen, sollen nur in Ausnahmefällen vorgenommen werden (z.B. Preisverleihung etc.). Ansonsten ist allen Betroffenen klar, wer auf dem Bild zu sehen ist. (Namensangaben helfen Gesichtserkennungsdienste, Personen zu identifizieren.)
  6. Temporäre Galerien anlegen. 
    Es reicht, Fotos von Anlässen während zwei oder drei Monaten publiziert zu lassen. Danach sollen sie gelöscht werden.
  7. Galerien eingeschränkt zugänglich machen. 
    Alle professionellen Anbieter von Fotogalerien erlauben es, Einladungen zum Betrachten zu verschicken. Diese Einladungen können widerrufen werden und verhindern, dass die Bilder über Suchmaschinen etc. gefunden werden können. Meist gibt es keinen Grund, die Bilder über die Schulgemeinschaft hinaus verfügbar zu machen – interne Lösungen (Intranet) würden genügen.
  8. Für permanente Bilder zusätzlich Einverständnis einholen. 
    Werden Bilder für Broschüren, eine Homepage etc. permanent verwendet, muss dazu gesondert noch einmal das Einverständnis eingeholt werden.
  9. Generell: Zurückhaltung. 
    Es ist einfach, digitale Bilder zu machen. Und es scheint, als würde heute nur noch stattfinden, was im Bild dokumentiert ist. Dennoch ist Zurückhaltung hier eine Tugend. Wenige, gute Bilder publizieren. Auch mal eine Fotowand im Schulhaus ausstellen oder auf eine Galerie auf einem Schulpanel laufen lassen, anstatt die Bilder ins Netz zu stellen.
  10. Generell: Differenzieren. 
    Jüngere Kinder eher stärker schützen, ältere mehr in den Prozess einbinden. Analog auch für auffällige, normferne, scheue oder besonders offene Kinder.

Meinungsfreiheit in Social Media

Auf der Trollcon hat Klaus Kusanowsky einige Einsichten zur Meinungsfreiheit vermittelt – ich zitiere meine Twitter-Zusammenfassungen:

Seine historische Analyse zeigte die ursprünglich enge Koppelung des Rechts auf Meinungsäußerung mit dem Recht, angehört zu werden. Meinungsfreiheit entkoppelt von diesem Recht führt zur Frage, was denn Meinungen noch bedeuten, wenn jede und jeder eine haben kann und die meisten nicht beachtet werden.

Das ist in Christoph Kappes‚ Analyse das »Gift der Moderne«. In seinem brillanten Rant (oder ist das ein Essay? ein Gedicht? ein Fragment?) schreibt er:

Die Aufmerksamen merken auf bis zur Unmerklichkeit. Auf Twitter heute lesen und sich heute empören, sich morgen über die Empörer empören, dann Schweigen, gelangweilt sein, Witzchen machen. Und alles wieder von vorn, bis Kommunikation zum Würfelspiel wird, weil man sich aussuchen kann, auf welchen Input man antwortet und dann selbst zur Black Box wird und mit den Schenkeln zuckt.

* * *

In Bezug auf soziale Netzwerke haben sich in den letzten Tagen zwei Diskussionen zum Thema Meinungsfreiheit geöffnet, die einen etwas anderen Fokus haben. Grundsätzlich geht es um die Frage, ob die Betreiber solcher Netzwerke, insbesondere Twitter und Reddit, freie Meinungsäußerung beschränken sollen. Ein beliebtes Missverständnis ist, das Recht auf freie Meinungsäußerung als positives Recht zu verstehen: Es gibt kein Recht darauf, seine Meinung äußern zu dürfen. Vielmehr gibt es ein (negatives) Recht darauf, vom Staat daran nicht gehindert zu werden. Konkret heißt das: Wenn Twitter oder Reddit gewisse Meinungen nicht tolerieren will, dann haben diese Firmen das Recht dazu. Genau so, wie eine Zeitung bestimmen kann, ob sie eine Kolumne oder einen Leserbrief abdrucken will.

Flickr cutiemoo. CC BY-ND 2.0

Konkret geht es um einen Twitteraccount, den Twitter in Deutschland gesperrt hat – aus anderen Ländern ist er weiterhin verfügbar. Der Pirat Stefan Urbach hat daraufhin gefordert, Twitter müsse konsequent gegen Nazis vorgehen. Sein Argument grenzt jedoch an willkür – entsprechend kontrovers wurde es diskutiert.

Menschenverachtung ist keine Meinung, sondern eine geäußerte Einstellung. Nach meinem moralischem Kompass muss man die zugrunde liegende Ideologie bekämpfen. So lange wir das nicht geschafft haben, dürfen wir den Menschenverachtern niemals ein Podium bieten. Das hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, sondern mit einer aufgeklärten Geisteshaltung.

Im Falle von Reddit geht es um Foren, in denen geschmacklose, menschenverachtende Bilder gepostet werden – deren Publikation in den USA aber legal ist. Dazu hat sich der CEO von Reddit, Yishan Wong, wie folgt geäußert:

We stand for free speech. This means we are not going to ban distasteful subreddits. We will not ban legal content even if we find it odious or if we personally condemn it. Not because that’s the law in the United States – because as many people have pointed out, privately-owned forums are under no obligation to uphold it – but because we believe in that ideal independently.

John Scalzi analysiert die Praxis von Reddit pragmatisch: Die User solcher Foren sind häufige Besucher auf der Seite. Entsprechend viele (Werbe-)einnahmen generieren sie. Die Politik von Reddit, alle Meinungen zuzulassen, ist nicht eine Haltung, sondern eine Strategie um möglichst viel Geld zu verdienen.

Wir können nicht erwarten, dass Unternehmen sich anderen Standards verpflichen als juristischen und ökonomischen. Es würde aber Medienunternehmen – wie das Twitter und Reddit sind – gut anstehen, transparente Regeln im Umgang mit Meinungsäußerungen zu haben und dieser verständlich zu kommunizieren.

* * *

Ein dritter Aspekt ist die Meinungsfreiheit auf Social Media und das Arbeitsrecht. Dazu möchte ich den Artikel von Patrik Tschudin empfehlen.

Vorstellung: Me & My Shadow – Welche Spuren hinterlassen wir im Internet?

Die ästhetisch sehr ansprechende Website »Me & My Shadow« vermittelt sehr anschaulich Informationen über digitale Spuren, die wir im Internet hinterlassen. Die Seite gibt es leider nur auf Englisch, eine Lektüre der Texte und ein Durchlauf durch die interaktiven Angebote ist aber sehr lohnend.

 

 

Das Feature »Trace my Shadow« erlaubt es zu erfahren, welche Spuren man überhaupt im Internet hinterlässt – basierend auf einigen Nutzungsangaben. Danach ist es möglich, zu jeder Spur genauere Angaben zu erhalten.

Die Seite bietet auch die Möglichkeit, interaktiv zu erfahren, was die wesentlichen Punkte der EULA (»End User Licence Agreements« oder Allgemeine Geschäftsbestimmungen) von Online-Diensten sind, welche versteckten Datensammlungen damit legitimiert werden – siehe »Lost in Small Print«.

Die Betreiber der Seite beschreiben den Zweck ihres Angebots wie folgt:

Me and my shadow is a new initiative by Tactical Tech that will examine different aspects of the digital traces we leave behind us online. The project has developed out of a growing concern for the way that privacy issues are impacting social networking users and owners of online and mobile devices. These are important issues for everyone, but they have a particularly serious impact on rights and transparency advocates, independent journalists, and activists who can be targets of surveillance, censorship and control.
[Übersetzung phw:] »Me and my shadow« ist eine neue Initiative von Tactical Tech. Sie überprüft verschiedene Aspekte von digitalen Spuren, die wir online hinterlassen. Das Projekt ist aus der wachsenden Besorgnis entstanden, dass Privatsphärenprobleme Nutzer von Social Media und mobilen Geräten immer stärker beeinflussen. Dabei handelt es sich um wichtige Themen für jedermann, aber besonders für AktivistInnen im Bereich der Privatsphäre, unabhängige JournalistInnen und andere AktivistInnen, die das Ziel von Überwachung, Zensur und Kontrolle werden könnten. 

Social Media, ein Algorithmus oder ein redaktioneller Beitrag? – Zum Fall Bettina Wulff.

Bettina Wulff hat Google verklagt, weil die Suchmaschine mit seiner Autocomplete-Funktion im Zusammenhang mit ihrem Namen die Suchanfragen »Bettina Wulff Prostitutierte« und »Bettina Wulf Escort« vorschlägt.

 

Zur Klage gibt es zwei unterschiedliche juristische Einschätzungen, wie Wolfgang Michal auf Carta schreibt: Rechtsanwalt Thomas Stadler ist der Meinung, die Klage dürfte und dürfe keinen Erfolg haben, weil das Resultat eine Zugangserschwerung zu Suchdiensten und Informationen sei. Die vorgeschlagenen Suchanfragen würden zu Texten aus seriösen Medien führen, die nichts anderes besagte, als dass Frau Wulff verleumdet worden sei.

Die andere Seite wird vom Juristen Ernst Müller vertreten, der von Google verlangt, die redaktionelle Verantwortung für die Autocomplete-Funktion zu übernehmen – oder sie ganz auszuschalten. Ein zentrales Argument: Vielen Nutzern wird selbst bei der Eingabe »be« der »verleumderischen Ergänzungsvorschlag«angezeigt, ohne dass ein Interesse des Users an diesem Thema erkennbar wäre.

Wie auch immer diese Frage rechtlich zu beantworten ist: Für Suchmaschinenbenutzer ist unklar geworden, ob die Autocomplete-Funktion:

  1. die häufigsten Suchbegriffe anzeigt, die mit den eingegebenen Buchstaben beginnen
  2. Vorschläge einer Redaktion präsentiert, die eventuell auch gegen Bezahlung gewisse Begriffe häufiger einblendet oder andere ausblendet
  3. Resultate eines Alogrithmus darstellt, der bestimmte Prinzipien berücksichtigt, die nicht dokumentiert sind.

Diese Vermischung verschiedener Möglichkeiten begegnet uns im sozialen Netz häufiger: Wir wissen nicht, ob wir Texte oder Daten lesen, die Menschen generiert haben oder Maschinen – oder beliebige Mischformen.

Leistungsschutzrecht kurz erklärt

Am 29. August hat die Bundesregierung Deutschlands einen Gesetzesentwurf für ein so genanntes Leistungsschutzrecht für Presseverleger (pdf) beschlossen. Im Folgenden eine kurze Erklärung, was damit gemeint ist – gefolgt von einem Aufriss der dadurch entstandenen Kritik am vorgeschlagenen Gesetz.

Was bedeutet Leistungsschutzrecht?

Leistungsschutzrechte sind Teil des Urheberrechts – sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz. Die auch »verwandte Schutzrechte« genannten Rechte schützen nicht die Urheber von Rechten, sondern künstlerische, wissenschaftliche oder gewerbliche Leistungen, die nicht die nötige Originalität aufweisen, um urheberrechtlichen Schutz zu erhalten. Konkret sind damit zum Beispiel folgende Leistungen gemeint:

  • Künstler treten mit Werken auf, die sie nicht selber geschaffen haben (z.B. Cover)
  • ein Buch wird in einer wissenschaftlichen Ausgabe aufbereitet und kommentiert
  • ein Film oder ein Tondokument wird durch die Veröffentlichung zugänglich gemacht.

Presseverlage machen – so die Idee des Leistungsschutzrechtes – journalistische Texte einer Öffentlichkeit zugänglich. Deshalb müssen sie für diese Leistung geschützt werden. Schutz hießt konkret: Wer ihre Leistung kommerziell nutzt, muss dafür eine Lizenz erwerben und bezahlen.

Gemeint sind damit Suchmaschinen und ähnliche Dienste. Betrachtet man ein Google-Suchergebnis, dann sieht man, dass Google sowohl auf die Texte von Online-Portalen verweist, als auch daraus zitiert (so genannte Snippets publiziert).

Damit nutzt Google die Leistung von Presseverlagen kommerziell, so die Idee des Leistungsschutzrechtes für Presseverleger. Google verdient sein Geld nämlich mit Werbung. Fährt Google nach der Einführung des Gesetzes fort, Suchergebnisse von Webseiten von Presseverlagen in dieser Art und Weise aufzubereiten, muss das Unternehmen die Verlage dafür entschädigen.

Ein Leistungsschutzrecht ist deshalb nötig, weil Google nicht gegen das Urheberrecht verstößt, zumal nur wenige Wörter zitiert werden, was das Urheberrecht zulässt.

Kritik am Leistungsschutzrecht

Obwohl der Gesetzesentwurf »andere Nutzer, wie z. B. Blogger, Unternehmen der sonstigen gewerblichen Wirtschaft, Verbände, Rechtsanwaltskanzleien oder private bzw. ehrenamtliche Nutzer« explizit ausschließt und sich nur auf Suchmaschinen und ähnliche Leistungen (gemeint ist z.B. das online Kulturmagazin Perlentaucher, das schon einen Nachruf mit dem Titel »Das Internet war eine Episode der Freiheit« publiziert hat) bezieht, stößt er auf heftige Kritik. Die fünf wichtigsten Aspekte in der Übersicht:

  1. Wer nicht bei Google erscheinen will, erscheint nicht bei Google.
    Verlage, die sich daran stören, dass Google ihre Texte abruft, können mit wenigen Klicks Google daran hindern, das zu tun. Die Verlage nutzen die Leistungen von Google freiwillig, niemand zwingt sie dazu, im Google-Index zu erscheinen.
  2. Die Verlage profitieren mehr von Google als Google von den Verlagen.
    Die Suchergebnisse von Presseverlagen machen etwas 10% der Google-Suchergebnisse in Deutschland aus. Bei den Presseportalen machen die über Google vermittelten Zugriffe aber 30-60% aller Zugriffe aus. D.h. ohne die Presseportale funktionierte Google weiterhin problemlos – die Presseportale verlören hingegen einen Großteil ihrer von Google vermittelten Zugriffe.
  3. Google erbringt eine andere Leistung als die Presseverleger.
    Zu sagen, Google nutze die Leistung der Presseverleger unentgeltlich, impliziert, Google sei auch eine Art Verlag. Google ist aber eine Suchmaschine. Die Werbeeinnahmen erhält Google nicht wegen seiner verlegerischen Leistung, sondern weil es hilft, relevante Links zu finden.
  4. Die Verlage werden durch das Leistungsschutzrecht nichts einnehmen.
    Das wahrscheinlichste Vorgehen der Suchmaschinenanbieter ist, die Presseverlage nicht mehr in ihre Suchergebnisse einzubinden. Dadurch verdienen die Verlage nicht nur nicht, sondern sie verlieren auch massiv Werbeeinnahmen durch fehlende Zugriffe. Sie schneiden sich ins eigene Fleisch, könnte man denken.
  5. Das Gesetz verhindert den freien Fluss der Information.
    Das Internet funktioniert mit Links, mit denen auf andere Informationen verwiesen wird. Darf man – egal in welchem Kontext – nicht verlinken, ohne dafür zu bezahlen, so hindert man Menschen daran, Informationen zu erhalten, die frei verfügbar wären. Das ist grundsätzlich unethisch.

Auch in der Schweiz wurde die Idee eines Leistungsschutzrechtes schon debattiert, am prominentesten wird es durch den Schaffhauser Verleger Norbert Neininger vertreten (NZZ August 2010, NZZ Juni 2012).

Ich verlinke nicht auf sämtlichen relevante Texte, eine lesenswerte Übersicht über die Reaktionen bietet aber irights.info.

Auch Sascha Lobos Analyse der politischen Hintergründe ist sehr lesenswert, zudem zeigt er, dass der Gesetzesentwurf andere, konstruktivere Massnahmen im Umgang mit der problematischen Monopolstellung von Google verhindert oder erschwert.

Mit Smartphones bei Prüfungen betrügen

Heute ist in der NZZ ein Artikel mit dem Titel »Schöner spicken mit dem Smartphone« erschienen. Matthias Böhni diskutiert Möglichkeiten, wie Schülerinnen und Schüler mit dem Smartphone bei Prüfungen betrügen können, befragt diese Schülerinnen und Schüler und zitiert abschließend auch mich:

Und was meint ein Lehrer zu diesem Treiben? Philippe Wampfler ist Mathematik- und Deutschlehrer an der Kantonsschule Wettingen. «Wie oft Schüler mit dem Smartphone spicken, hängt stark von der Prüfungsart, der Lehrperson, der Infrastruktur wie dem WLAN-Netz und der Klasse ab», so Wampfler. «Wenn klassisches Spicken oft vorkommt, würde ich bei Smartphones von wenig sprechen – es ist riskanter und teilweise aufwendiger.» Der 34-Jährige bestätigt zudem, dass es unter den Lehrern viele digitale Analphabeten gebe, die das sogar noch zelebrierten. «Sie haben keine Ahnung, was technisch möglich ist. Eine Katastrophe, dass sie sich das im Jahr 2012 immer noch leisten können. Oft ist nur schon das Bedienen eines Beamers ein unüberwindbares Hindernis», so Wampfler […]. «Von den 20- bis 40-jährigen Lehrern wissen etwa die Hälfte, was die Schüler mit Smartphones anstellen. Je älter, umso weniger haben die Lehrer eine Ahnung.» Von Verboten hält er nicht viel. «Man sollte die Prüfungen so formulieren, dass das Smartphone nicht viel nützen kann, also keine reinen Wissensfragen stellen.»

Hier ein paar ausführlichere Kommentare von mir:

  1. Es ist nicht möglich, Prüfungen zu schreiben, bei denen der Einsatz eines Smartphones unter keinen Umständen einen Vorteil verschaffen könnte. Und oft ist es auch wichtig, Wissensfragen zu stellen.
  2. Es sollte immer möglich sein, dass Lehrpersonen vor Prüfungen Smartphones einziehen oder abschalten lassen.
  3. Auch der geschickte Einsatz von Smartphones demonstriert eine Kompetenz – wer unentdeckt betrügen kann, hat gewissermassen auch etwas gelernt. Selbstverständlich ist das keine Entschuldigung und auch keine Rechtfertigung, aber es hilft vielleicht zu einer gewissen Gelassenheit (auch mit Grafiktaschenrechnern oder anderen Geräten kann man betrügen).
  4. Gute Prüfungen stellen meiner Meinung nach neue Fragen und finden in einem möglichst realistischen Lernumfeld statt: Man darf Hilfsmittel benutzen. Schulen, die mit iPads ausgerüstet sind, sollten die auch bei Prüfungen einsetzen – genau so wie Duden bei Deutschprüfungen eingesetzt werden kann, weil niemand einen Text schreibt, ohne den Duden zu konsultieren. (Das einzige Problem ist, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler gleichermassen mit Smartphones ausgerüstet sind.)
  5. Das Profil der Lehrperson hat sich verändert: Das traditionelle Bild erforderte keine speziellen technischen Kenntnisse, sondern Fach- und Sozialkompetenz. Heute erweitert sich – wie in vielen Berufen – der Anforderungskatalog: Es ist kaum möglich, die perfekte Lehrperson zu finden – weil die halt neben vielen Sachkenntnissen psychologische und kommunikative Fähigkeiten mitbringen soll, motiviert sein muss in einem aufreibenden Job und gleichzeitig auch noch die neuesten technologischen Entwicklungen überblicken und beherrschen soll. Dennoch sollte darauf in Ausbildung und Weiterbildung mehr Gewicht gelegt werden.
  6. Ein generelles Verbot von Smartphones halte ich für problematisch, wie ich hier ausgeführt habe.

Der Fotograf der NZZ, Christoph Ruckstuhl, hat noch weitere Bilder gemacht, eines davon verwende ich hier. Alle Rechte liegen bei ihm bzw. bei der NZZ.

 

Zusatz 21. August 2012: Auch der Blog der Swisscom, Hallo Zukunft, verwendet ein Zitat von mir.

Zur Öffentlichkeit von Inhalten auf Social Media

Zu einem Fall, den die Schweiz letzte Woche beschäftigt hat, schreibt die NZZ:

Am Samstagabend gegen 21 Uhr versandte X., der die Kreispartei Zürich 7 und 8 der SVP seit dem vergangenen Jahr in der Schulpflege Y. vertritt, eine Meldung auf der Online-Plattform Twitter. Später löschte er den Eintrag, einen sogenannten Tweet, wieder. […] Hingegen kursierte in der Twitter-Community ein sogenannter Screenshot, eine Fotografie des ursprünglichen Tweets. «Vielleicht brauchen wir wieder eine Kristallnacht . . . diesmal für Moscheen» steht unter dem Absender «D.», dem Pseudonym des 37-jährigen X. […] Aufgrund der vorliegenden Informationen bereits die Reissleine gezogen hat hingegen X.s Arbeitgeber, ein weltweit tätiges Unternehmen der Finanzbranche. Ein Mitglied der Geschäftsleitung bestätigte am Montag auf Anfrage, X. sei nicht mehr angestellt. Zu den näheren Umständen der Entlassung wollte sich das Kadermitglied nicht äussern.

Im Anschluss an diese Nachricht, die in allen relevanten Medien der Schweiz und auch im Ausland erschienen ist, stellte sich die Frage, ob X. mit Namen genannt werden dürfe (was die NZZ getan hat, ich habe alle identifizierenden Angaben aus dem Zitat entfernt). Also:

  1. Gelten Äußerungen auf Social Media als öffentliche Äußerungen?
  2. Dürfen Informationen und Bilder aus Social Media in öffentlichen Medien genutzt und oder zitiert werden?
  3. Dürfen Personen, die auf Social Media unter dem eigenen Klarnamen auftreten, mit diesem Namen in Medien genannt werden?

Naiv könnte man diese Fragen wie folgt beantworten: Alles, was öffentlich einsehbar ist – z.B. in einem nicht-privaten Twitter-Account steht -, darf auch verbreitet werden. Alles, was sich an einen eingeschränkten Personenkreis wendet, z.B. nur für Facebook-Freunde einsehbar ist, nicht.

Die Rechtslage sieht aber etwas komplexer aus. Ich möchte zwei einschlägige Grundlagendtexte kurz zitieren und dann meine Einschätzung abgeben – mit der Warnung, dass ich ein juristischer Laie bin.

Die Netzwoche hat zu diesem Thema mit der Spezialistin und Anwältin Lilian Snaidero Kriesi gesprochen. Sie erläutert zunächst zwei Fragen:

  1. Sind Tweets (oder allgemein: Inhalte in Social Media) urheberrechtlich geschützt?
  2. Dürfen Tweets zitiert werden?

Diese beiden Fragen sind rechtlich klar geregelt – obwohl eine gerichtliche Beurteilung der Frage fehlt, ob Tweets ein »Werk« im urheberrechtlichen Sinne sind. Fazit der beiden Fragen:

Unzulässig ist ein Zitat dann, wenn es dem reinen Selbstzweck oder überwiegend der schmückenden Illustration dient. Erforderlich ist somit immer ein inhaltlicher Bezug zwischen zitiertem Werk(teil) und der eigenen Darstellung.

Heißt: Tweets dürfen zitiert werden, wenn es in einem Artikel um eine inhaltliche Fragestellung geht, mit der der Tweet in Zusammenhang steht, aber nicht als »Tweet der Woche«, der in keinem Kontext zu journalistischen Arbeiten steht.

Bildquelle: blickamabend.tumblr.com

Zur Frage der Öffentlichkeit äußert sich Snaidero präziser – immer noch im Kontext der Frage, ob Tweets zitiert oder abgebildet werden dürfen:

Öffentlichkeit darf grundsätzlich nicht mit Carte Blanche gleichgesetzt werden. Damit meine ich, dass öffentlich zugängliche Informationen, Bilder etc. nicht ohne weiteres und bedenkenlos weiterverbreitet werden dürfen. […] Ich bin deshalb der Ansicht, dass es grundsätzlich der vorgängigen Einwilligung des Autors bedarf.

Diese Frage steht auch im Mittelpunkt eines Presseratsurteil, für das die Spezialisten Manuel Bianchi della Porta (Anwalt) und Sami Coll (Soziologe) angehört hat. Der Presserat bilanziert (nur auf französisch verfügbar, meine Übersetzung unten):

Les informations et les documents mis en ligne sur les réseaux sociaux, les sites personnels et les blogs, qui sont accessibles librement à chacun, relèvent de l’espace public. Néanmoins, une information reprise de l’Internet peut garder sa nature privée suivant son contenu. Dès lors, une telle information ne doit pas être considérée a priori comme pouvant être publiée dans un autre média. […]
Pour cette pesée des intérêts le contexte dans lequel les informations sont mises en ligne est déterminant. Par contexte il faut entendre: la nature du site (réseau social comme Facebook, blog personnel, forum, site institutionnel, etc.), l’identité de l’auteur (individu lambda, personnalité publique, journaliste, etc.) et son intention dans la mesure où elle est évidente (communication large ou s’adressant à un milieu restreint). Le seul fait qu’une information ou une photo se trouve sur internet ne permet pas de présumer que son auteur autorise une diffusion dans un autre média.

[Übersetzung phw:] Die Informationen und Dokumente, die online in Sozialen Netzwerken, auf Internetseiten oder Blogs allen zugänglich sind, fallen unter den öffentlichen Raum. Dennoch kann eine Information aus dem Internet abhängig von ihrem Inhalt privater Natur sein. Infolgedessen darf man eine solche Information nicht behandeln, als sei sie in einem anderen Medium publiziert worden […]
Aus dieser Abwägung der Interessen ist der Kontext entscheidend, in dem die Information online gestellt worden ist. Unter Kontext ist Folgendes zu verstehen: Die Funktionsweise der Internet-Seite (soziales Netzwerk wie Facebook, persönlicher Blog, Forum, Seite einer Institution etc.), die Identität des Autors (Durchschnittsbürger, öffentliche Persönlichkeit, Journalist etc.) und seine Absicht, insofern sie offensichtlich ist (breite Kommunikation oder Adressierung eines eingeschränkten Personenkreises). Nur weil eine Information im Internet abrufbar ist, darf nicht angenommen werden, der Autor autorisiere eine Verbreitung in anderen Medien.

Dieses Urteil enthält eigentlich eine Checkliste, die ich im Folgenden noch einmal aufliste. Ich schlage vor, in jeder Kategorie drei Punkte zu vergeben, analog zum Umgang mit dem Recht am eigenen Bild:

  1. Wo wurde eine Information publiziert?
    1: soziales Netzwerk – 2: persönlicher Blog – 3: Seite einer Organisation oder Institutiton
  2. Wer hat die Information publiziert?
    1: Privatperson – 2: Person der Zeitgeschichte – 3: Amtsperson
  3. An wen ist sie gerichtet?
    1: eingeschränkter Kreis von Adressaten – 2: Adressaten, aber öffentlich einsehbar – 3: an die Öffentlichkeit (Wunsch maximaler Verbreitung)

Sechs Punkte wären meiner Meinung nach die Grenze – was klar mehr Punkte bekommt, darf ohne Rückfrage in Medien publiziert werden (unter Angabe der Quelle), was weniger erhält, nicht.

Als Exkurs kurz die Rechnung im eingangs zitierten Fall des SVP-Twitterers:

  1. 1 Punkt, Twitter
  2. 2 Punkte, als Schulpfleger handelt es sich wohl um eine Amtsperson, fraglich ist, ob er als Privatperson diese Twittermeldung geäußert hat.
  3. 2 Punkte, öffentlich einsehbarer Twitter-Account (allerdings wurde Nachricht gelöscht und war direkt nicht abrufbar, die Intention ist klar, dass die Information nicht verbreitet werden soll).

Auch mit dieser eher großzügigen Punktgebung kann davon ausgegangen werden, dass die Information und der Name des Autors unter den Schutz der Privatsphäre fallen sollte. Das hat selbstverständlich keinen Einfluss auf strafrechtliche Belange oder Entscheide eines Arbeitgebers – sondern betrifft lediglich den Umgang der Medien. Sie sollten im Zweifelsfall um eine Abdruckgenehmigung bitten.

Als Fazit eine breitere Empfehlung: Es handelt sich hier um eine rechtliche Grauzone. Relevante Gerichtsentscheide fehlen. Man kann davon ausgehen, dass alle in Social Media abrufbaren Information bei Bedarf in Medien Verbreitung finden (wenn man also z.B. durch einen historischen Lottogewinn bekannt geworden ist, muss man damit rechnen, FB-Bilder von sich selbst in der Zeitung vorzufinden).