Herausforderungen auf Facebook

Das Prinzip ist einfach: Auf Facebook fordern sich vor allem junge Menschen gegenseitig heraus, ins kalte Wasser zu springen – in Brunnen, Bäche, Seen, Badis. Tun das die Herausgeforderten, dürfen sie weitere Nominationen aussprechen, tun sie es nicht, schulden sie den Herausfordernden etwas – Bier, meistens, es kann aber auch etwas anderes sein. Ursprung der Idee ist wahrscheinlich eine Sammlung für ein krebskrankes Kind in England.

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Der Trend ist mittlerweile so vorüber, dass ihn sogar die etablierten Medien und Politikerinnen und Politiker mitmachen, wie man hier sieht. Das ich nach meiner Meinung gefragt worden bin, hier eine kurze Analyse:

  1. Das Phänomen zeigt, wie Social Media funktionieren: Durch Beziehungen, mit visuellen Inhalten und mit positiven, unterhaltsamen Geschichten, die nicht zu lang sind. Anderen zuschauen, wie sie in einen See springen und wen sie damit in Verlegenheit bringen: Solche Inhalte sind für Facebook ideal.
  2. Das Mem, das verwendet wird, also die Idee, die mediale Verbreitung findet, ist uralt: Auch die klassischen Duelle benutzen die Öffentlichkeit und den Ruf der anderen Person, um sie zu etwas zu zwingen, was sie unter Umständen nicht tun wollte. Viele Wetten unter Jugendlichen funktionieren so, dass es darum geht, das eigene Image vor den Augen eines Publikums zu verteidigen.
  3. Damit sind selbstverständlich auch negative Effekte verbunden: Mobbing benutzt dieselbe soziale Konstellation. Viele schauen wenigen zu, die etwas tun müssen, was sie nicht tun wollen. Fordert man jemanden heraus, der nicht einfach locker in einen Fluss springen will oder kann, so kann das sehr unangenehme Konsequenzen haben. Aber auch diese Art des halb-öffentlichen Übergriffs ist ein Social Media inhärentes Phänomen.

Herausforderungen sind nichts Neues, sind werden medial einfach neu verpackt. Durch die Tatsache, dass alle eine Kamera mit sich führen und wir auch in der Distanz Zeugin oder Zeuge des Sprungs ins Wasser werden können, macht alles viel einfacher.

Aber wie jeder Social-Media-Trend hat auch der eine Halbwertszeit, vor allem, weil es sich letztlich um ein Schneeballsystem handelt: Fordern alle Menschen drei andere heraus, sind sehr schnell alle einmal ins Wasser gesprungen.

 

Studie: Facebook führt zu schlechter Stimmung

Eine neue Studie von Christina Sagioglou und Tobias Greitemeyer, die im Juni publiziert wird, belegt einerseits, dass die Nutzung von Facebook zu schlechterer Stimmung führt, kann aber andererseits auch nachweisen, warum das Menschen nicht davon abhalten kann, Facebook zu nutzen.

Ich fasse die relevanten Ergebnisse und Methoden zusammen, wie immer verschicke ich gerne Privatkopien der Untersuchung an interessierte Leserinnen und Leser (Mailanfrage).

Die Forscherin und der Forscher ließen Studienteilnehmer nach einer Aufforderung entweder 20 Minuten Facebook nutzen, 20 Minuten im Web surfen oder 20 Minuten nichts dergleichen tun, um eine Vergleichsbasis zu etablieren. Direkt im Anschluss – das das Neuartige an der Studie – wurden sie online befragt.

Facebook führte zu einer leicht (aber signifikant) schlechteren Stimmung und zu einer Aktivität, die als deutlich weniger bedeutsam erlebt wurde als die anderen beiden Tätigkeiten. Allerdings ändert sich die Stimmung bei den Facebook-Usern nicht, die das soziale Netzwerk als gehaltvoll erleben. Es wäre also denkbar, dass die erlebte Bedeutungslosigkeit der Facebooknutzung auf die Stimmung schlägt.

Diese Frage wurde aber separat noch einmal untersucht. Besonders erstaunlich ist, dass die Facebooknutzung nicht minimiert wird, obwohl sie zu schlechter Stimmung führt. Allerdings gibt es vergleichbare Phänomene: Auch Rache oder die Möglichkeit, eine Entscheidung zu ändern, führen im Vergleich zu alternativen Handlungen nicht zu befriedigenden Resultaten, werden aber dennoch häufig gewählt, wenn die Möglichkeit besteht. Bei Facebook stellte sich heraus, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie die Erwartung hatten, sich nach der Facebooknutzung besser zu fühlen, das aber nicht eintrat.

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In der Diskussion ihrer Ergebnisse merkt das Autorenteam an, dass die Motivation, weshalb Menschen Facebook nutzen, genauer untersucht werden müsse – weil die bewussten Gründe oft nicht präzise sind. Hinzu kommt das Problem, dass Selbstauskünfte in Online-Befragungen einer Reihe von möglichen Verzerrungen ausgesetzt sind.

 

Der Privatsphäre geht es ganz gut

Instagram, Caroline Spring
Instagram, Caroline Spring

Nathan Jurgenson, ein amerikanischer Soziologe, den ich aufgrund seiner kritischen Arbeiten zum digitalen Dualismus sehr schätze, hat bei Wired einen dichten Essay zur Privatsphäre im Web 2.0 publiziert. Im Folgenden fasse ich seine wesentlichen Aussagen zusammen.

Weil das Leben keine Datenbank ist, ist Privatsphäre nicht etwas, was an- oder ausgeschaltet werden kann. Sie ist vielmehr ein Spiel, bei dem es um Enthüllungen und Verhüllungen geht. Nur weil viele Informationen einer Öffentlichkeit oder einer Halböffentlichkeit zugänglich sind, ändert sich das nicht: Auch wenn auf Instagram viele Momente des Tages dokumentiert werden, ergeben sich dennoch viele Zwischenräume oder Lücken:

When you post a photo on Instagram, it offers up not just answers but hints at new questions: Who were you with and why? What were you feeling? What happened between the updates, and why was it left out? Secrets, creative concealments, the spaces between posts—this is where privacy flourishes today.

Jurgenson verweist auf Danah Boyds Analyse der Privatsphäre von Jugendlichen, die Techniken einsetzen, um trotz öffentlicher Kommunikation Geheimnisse schützen zu wollen. Zentral, so Jurgenson, sei die Fähigkeit, kontrollieren zu können, was wann enthüllt wird. Richtige Privatsphäre ist Autonomie und die gibt es weiterhin. Jurgenson verweist auf Möglichkeiten, eine Fülle von Informationen zu publizieren und sie dann schrittweise wieder zu löschen.

Viele Menschen, das zeigen Untersuchungen, legen einen großen Wert darauf. Sie verzichten bewusst darauf, Momente ihres Lebens abzubilden und mitzuteilen. War es in den Zeiten der analogen Fotografie ein Zeichen für die Bedeutung eines Ereignisses, dass es fotografiert wurde, ist das heute umgekehrt: Was nicht fotografiert wird, ist Menschen wirklich nahe.

Jurgensons Fazit: Öffentlichkeit nimmt der Privatsphäre nicht den nötigen Raum, sondern ermöglicht sie. Was privat und was öffentlich ist, hängt von einander ab.

Die Netzwerkgesellschaft und ihre Verunsicherung

Cartoon aus Lickliders Aufsatz.
Cartoon aus Lickliders Aufsatz.

Die beiden Informatiker und Psychologe J.C.R. Licklider schrieb 1968 zusammen mit Robert W. Taylor einen bemerkenswerten Aufsatz mit dem Titel The Computer as a Communication Device (ab S. 21/26). Die beiden Theoretiker skizzieren ein Modell zur computerunterstützten Kommunikation und kommen in ihrem Fazit zu folgender Prognose, die aus heutiger Sicht hoch idealistisch klingt:

When people do their informational work “at the console” and “through the network,” telecommunication will be as natural an extension of individual work as face-to-face communication is now. The impact of that fact, and of the marked facilitation of the communicative process, will be very great—both on the individual and on society.

First, life will be happier for the on-line individual because the people with whom one interacts most strongly will be selected more by commonality of interests and goals than by accidents of proximity. Second, communication will be more effective and productive, and therefore more enjoyable. […] And, fourth, there will be plenty of opportunity for everyone (who can afford a console) to find his calling, for the whole world of information, with all its fields and disciplines, will be open to him—with programs ready to guide him or to help him explore.

For the society, the impact will be good or bad, depending mainly on the question: Will “to be on line” be a privilege or a right?

Cartoon aus Lickliders Aufsatz.
Cartoon aus Lickliders Aufsatz.

Trotz dem hohen Grad an Optimismus, den die beiden verströmen, haben sie einige Schlüsselaspekte dessen benannt, was Lee Rainie und Barry Wellman in ihrem Buch Networked 2012 das neue gesellschaftliche Betriebssystem genannt haben. Die dreifache Revolution (»triple revolution«) durch Netzwerke, Internet und mobile Kommunikation hat ihrer Analyse zufolge – Rainie und Wellman haben in diesem Bereich eine ganze Reihe von Studien durchgeführt – folgende Hauptauswirkungen:

  1. Die sozialen Netzwerke werden loser. Diese Tendenz bestand schon vor dem Internet, hat sich aber verstärkt. Die Furcht vieler Menschen besteht darin, dass »wir  in einer sozial eingeschränkten Welt leben, in der Vertrauen abnimmt, sozialer Zusammenhalt reduziert und Einsamkeit verbreitet ist und in der die Fähigkeit von Menschen, anderen zu helfen, bedroht ist.« (Seite 8, Kindle Position 372) Nüchtern analysiert wandeln sich die Möglichkeiten, wie Menschen wirtschaftliche, soziale und emotionale Bedürfnisse befriedigen von engen Gruppen zu unverbindlichen Netzwerken.
  2. In diesen Netzwerken haben Menschen Teilmitgliedschaften. Sie zeichnen sich nicht durch Gruppenzugehörigkeit aus, sondern können in einer ganzen Anzahl von Netzwerken spezifische Interessen adressieren.
  3. Dadurch werden Identitäten vielschichtiger und komplexer, weil sich Individuen aus den Zwängen von Gruppen lösen können.
  4. Die Neuen Medien geben Menschen mehr Möglichkeiten, Probleme zu lösen und Initiativen zu übernehmen; generell schenken sie ihnen größere Freiheiten.
  5. Gleichzeitig erfordern sie aber auch viel mehr Aufwand und neue Strategien, um soziale Probleme zu lösen und Verbindungen aufrecht zu erhalten.
  6. Die Grenzen zwischen Information, Kommunikation und Aktion verschmelzen, die drei Aspekte lassen sich teilweise kaum trennen.
  7. Neue Medien erfordern neue Vorstellungen von Transparenz, Verfügbarkeit, Freizeit und Privatsphäre.
  8. Neue Medien sind von einer großen Verunsicherung begleitet: Es wird zunehmen schwer einzuschätzen, wem Informationen anvertraut oder mitgeteilt werden können und sollen und welche Informationsquellen zuverlässig sind.

Mediale Netzwerke ersetzen als eine Form der Nachbarschaft zunehmen das Modell der Dorfgemeinschaft, welche für soziale Strukturen in der vorhergegangenen Zeit vornehmlich verantwortlich war: »The new media is the new neighborhood«, schreiben Rainie und Wellman (S. 13, KP 483).

Ist das für die Gesellschaft gut oder schlecht? »Both and more«, antworten die Autoren (S. 18, KP 586). Die einfache Gelingensbedingung, die Licklider und Taylor formuliert haben – alle müssen ein Recht auf »online«-Aktivitäten haben -, gestaltet sich komplizierter als gedacht. Gerade im Zeitalter der Überwachung und der hohen Abhängigkeit von Unternehmen ist unklar, ob sich der große Aufwand, den Neue Medien erfordern, letztlich durch bessere Möglichkeiten gesellschaftlich auszahlt.

In seinem lesenswerten Essay Don’t be a Stranger weist Adrian Chen darauf hin, dass die Verunsicherung durch gesteigerte Möglichkeiten, Netzwerke zu bilden, ursprünglich die Vorstellung vom gefährlichen Fremden gewesen sei, der unter falscher Flagge unsere Freundschaft im Netz suche um uns zu schaden. Die MTV-Show Catfish und der gleichnamige Film zeigen die Facetten dieser Bedrohung, indem sie Menschen aufzeigen, mit wem sie eigentlich eine Beziehung eingegangen sind.

Der gefährliche Fremde war die Kehrseite einer offenen weil anonymen Kommunikation, die eben auch erlaubt habe, neue Menschen kennen zu lernen und Freundschaften zu schließen. Heute werde die Gesellschaft zunehmend nach den Vorstellungen der Betreiber von Online-Plattformen wie Facebook modelliert. Chens Kritik trifft vor allem das Konzept des Social Graph, den Facebook einsetzt:

The social graph is human relationships modeled according to computer logic. There can be no unknowns on the social graph.

Bei Facebook gebe es weder interessante Fremde noch bösartige Unbekannte, weil alle so erscheinen müssen, wie sie wirklich sind. »The most popular social media such as Facebook have offered limited ability – so far – to deal with the subtleties of how people really function in different segments of their networks«, schreiben Rainie und Wellman und schließen sich so Chens Schluss an.

Die Chance, die Licklider und Taylor in ihrer Vision in den Möglichkeiten computergestützter Kommunikation gesehen habe, ist real. Sie haben das Potential Neuer Medien korrekt beschreiben, aber den Einfluss von Politik und Marktwirtschaft unterschätzt. Die effiziente Gestaltung und Aushandlung von sozialen Gemeinschaften wirft keinen finanziellen Mehrwert ab und kann nicht mit totaler Überwachung vereinbart werden.

 

»Social Media machen doch nicht einsam« – Artikel in der Aargauer Zeitung

 

Am letzten Samstag ist ein Artikel in der Aargauer Zeitung erschienen (hier online), den ich über eine neuere Arbeit von Zeynep Tufekci geschrieben habe. Er basiert auf einem Blogpost – »Das soziale Internet«.

Hier der Schluss des Artikels:

«Kommunikationstechnologie wirkt weder entmenschlichend noch isolierend, wenn sie für soziale Verbindungen verwendet wird. Das Internet ist nicht eine Welt voller körperloser und oberflächlicher Beziehungen, es ist eine Technologie, die soziale Verbindungen zwischen echten Menschen medialisiert und strukturiert», lautet Tufekcis Fazit.

Einsamkeit - AZ

Digitale Bildung und digitaler Boulevard – eine Begriffsbestimmung

Buzzfeed, Screenshot.
Buzzfeed, Screenshot.

Dirk von Gehlen analysiert in einem lesenswerten Blogpost das Prinzip von Buzzfeed – und bestimmt dabei genau, was digitaler Boulevard sein kann. Ich zeichne seinen Argumentationsgang kurz nach und übertragen ihn dann auf das Konzept der digitalen Bildung.

von Gehlen beginnt mit einer »erfrischenden Poolmetapher«, die selbstredend auch für digitale Bildungsprozesse gilt:

Man lernt Schwimmen auch nur, wenn man nass wird, und nicht, wenn man am Beckenrand vermeintlich schlaue Dinge über das Wesen des Wassers verbreitet.

Daher müsse man sich mit Netz-Journalismus praktisch auseinandersetzen, statt schlaue Theorien darüber zu verbreiten. von Gehlen tut das im Anschluss. Digitaler Journalismus kümmere sich auch um die Verbreitung von Inhalten, nicht nur um ihre Gestaltung.

Das Internet ist keine lineare Rampe, sondern ein vernetzter Raum. Distribution gehorcht hier schon technisch anderen Regeln als bei klassischen Rampen-Medien. Das bezieht sich zum einen auf den viralen Effekt digitalisierter Inhalte (jeder wird zum Sender), es bezieht sich aber sehr journalistisch darauf, dass es eine inhaltliche Beschäftigung mit Identität und Haltung der Leserschaft voraussetzt.

Die Buzzfeed-Inhalte seien geeignet, um damit digitale Identitäten zu formen. Wer im digitalen Journalismus tätig sei, müsse sich unter anderem folgende Fragen stellen:

  1.  Wie erreicht mein Inhalt seine Leser?
  2.  Nehme ich darauf Einfluss?
  3.  Was machen meine Leser mit diesem Inhalt?
Assoziationen zu digitaler Bildung von Daniel Spielmann
Assoziationen zu digitaler Bildung von Daniel Spielmann

Wie hängt das nun mit digitaler Bildung zusammen? Michael Gieding hat kürzlich Folgendes gesagt:

Es gibt Bildung, die man sich mit Geräten aneignet, die Binärcode verarbeiten, es gibt keine digitale Bildung.

Diese grammatikalische oder semantische Spitzfindigkeit über die deutsche Verwendung von Adjektiven oder die Bedeutung von »digital« lässt sich leicht umgehen, wenn man wie das Beispielsweise Lisa Rosa oft tut, digitale Bildung als Bildung unter den Bedingungen digitaler Kommunikation versteht.

Die Überlegungen von Gehlens bedeuten nun übertragen auf Bildungsprozesse, dass es erstens keinen klar vorgegebenen Distributionsweg mehr gibt und dass zweitens die Gestaltung von Bildungsinhalten mit dem Gedanken an ihre Verbreitung gekoppelt werden müsse.

Konkret heißt das, dass das Modell der Schule, die einen lehrerzentrierten Unterricht als Mix aus frontaler Show, Gruppenarbeiten und Übungen anbietet und so Bildungsinhalte verteilt, keinen Vorrang mehr genießen kann.

Zweitens heißt das, dass digitale Bildung dann gelingen kann, wenn Teilnehmerinnen oder Teilnehmer Bildungsinhalte so nutzen können, dass sich daraus ein Profil ergibt. Badges sind eine erste, sehr rudimentäre Form dieses Prinzips. Letztlich geht es darum, dass das Prinzip des »Teilens« im Netz auch ein Lehr- und Lernprozess mit verschiedenen Rollen sein kann.

Zwei – wiederum sehr rudimentäre – Beispiele:

  1. Ich teile einen Artikel zum Mindestlohn, der aufzeigt, dass für Staaten, bei denen die niedrigsten Löhne für Dienstleistungen bezahlt werden, die unabhängig von der Exportwirtschaft sind, Mindestlöhne nicht zu höherer Arbeitslosigkeit führen. Wer den Artikel liest, kann sich mit der Frage auseinandersetzen, wie Mindesrlöhne und Arbeitslosigkeit zusammenhängen.
  2. Ich stelle eine echte Frage, also eine, die mich bewegt und die gut formuliert ist, so dass klar ist, was mögliche Antworten auszeichnet. Auf diese Frage erhalte ich von meinem Netzwerk Antwortvorschläge und weiterführende Hinweise.

Wer also in einer womöglich immer wechselnden Rolle digitale Bildung betreibt, sollte sich auch mit der Frage auseinandersetzen, wie Inhalte mit Netzwerkeffekten gekoppelt werden können. Eine kleine Seite, die ich beispielsweise zum Thema Popliteratur erstellt habe, führt dabei zu nichts: Wer das heute sieht, setzt vielleicht ein Bookmark oder liest zwei, drei Abschnitte. Anschlussfähig ist daran wenig.

Selfies at Funerals – Narzissmus und Trauer in Social Media

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Das Portrait dieser jungen Frau hat sie selbst aufgenommen »Love my hair today. Hate why I’m dressed up #funeral« ist ihr Kommentar dazu – also: Sie möge ihre Frisur, aber sei unglücklich darüber, weshalb sie sich aufgebrezelt habe: Für eine Bestattung nämlich.

Die Reaktion Erwachsener auf die Praxis Jugendlicher, sich auf Trauerfeier selbst zu inszenieren, scheint absehbar: Das Verhalten wird als zutiefst narzisstisch und pietätlos eingeschätzt. Doch stimmt das?

Zunächst könnte man einfach festhalten, dass wir alle einen individuellen Zugang zum Trauern haben. Es gibt zwar gesellschaftliche Normen, und doch wissen wir, dass wir in Trauerphasen uns selten an Normen orientieren. Und wenn, dann sind diese Normen ebenso fragwürdig wie das digitale Selbstportrait: Warum ziehen wir uns schön an, wenn es doch um die Toten gehen soll? Warum schlagen wir uns den Bauch voll und trinken mittags Alkohol, wenn es doch darum geht, von jemandem in Würde Abschied zu nehmen? Man könnte gut einen Tumblr mit »drunk adults at funerals« oder »people eating sandwiches at funerals« füllen.

Selfies sind, so kann man annehmen, knappe Tagebucheinträge, die sich an ein limitiertes Publikum richten. Die junge Frau könnte uns sagen: Schaut mal her, mir ist was Trauriges passiert, ich muss zu einer Trauerfeier. So sehe ich aus. Damit dokumentiert sie ihren Tag, sie kann später darauf zurückgreifen, sieht sich selbst ins Gesicht und kann Erinnerungen abrufen. Wir würden niemandem einen Vorwurf machen, der oder die einen Tagebucheintrag über ein Begräbnis schreibt. Und wir würden ihn auch nicht lesen, wenn wäre er nicht an uns gerichtet. Und nicht auf Blogs – wie diesem – ausstellen…

So sieht man, dass die Jugendlichen mit ihren Aufgaben, eine eigene Identität zu finden und ein Beziehungsnetz zu knüpfen, oft alleine gelassen werden. Wird zu sichtbar, welcher Methoden sie sich bedienen, müssen sie mit Spott und Ablehnung von Erwachsenen rechnen, die oft nicht einmal zu verstehen versuchen, was hier abläuft.

Social Media ist im Moment ein Sammelsurium von medialen Handlungen, für die es kaum einen Kodex oder eine klare Norm gibt. So entwickeln sich Verhaltensweisen, die auf den ersten Blick sonderbar erscheinen, letztlich aber eine bestimmte Funktion haben. Diese Funktion zu erkennen, scheint mir wichtiger als »selfies at funerals« abzulehnen.

Ein Twitter-Experiment

Eine Woche lang, so habe ich mir vorgenommen, würde ich Meldung auf Twitter nur weiterleiten (retweeten = RT) oder auf andere Meldungen antworten, aber keine selber schreiben.

Was wäre der Sinn dieses Vorgehens? Wie David Bauer schon mehrfach bemerkt hat – kürzlich auf medium.com – verstehen sich zu viele Menschen in sozialen Netzwerken als Urhebende von Informationen, die sie eigentlich lediglich weiterleiten. Aufsehenserregende Nachrichten stammen selten von den Menschen, die darüber schreiben, sondern werden von ihnen lediglich zitiert oder paraphrasiert. Bauers Fazit:

Don’t add to the noise, amplify the signal. The interwebs thank you.

Ich wollte also versuchen, hier etwas disziplinierten zu agieren. Es ist mir gelungen: Abgesehen von Hinweisen auf meine Blogposts, die von WordPress automatisch generiert werden, habe ich eine Woche keine Tweets verschickt, die nicht Antworten waren oder Retweets.

Das fiel mir oft nicht ganz einfach. Die Parallele zwischen dem Gripen und dem iPhone, die beides unnötige teure Spielzeuge sind, die trotz besseren Wissens gekauft werden, hätte einen guten Tweets abgegeben. Zudem wollte ich fragen, welches Swisscom-Infinity-Abo denn jemand wie ich wählen sollte (das habe ich dann auf Facebook gemacht, aber nur eine Antwort erhalten); ich wollte Diskussionen zu den Fingerabdrücken auf dem iPhone starten (habe ich dann per Reply gemacht) oder mich über vieles ärgern, was diese Woche so vorgefallen ist. Zudem wollte ich oft auf interessante Texte verweisen und sie mit einem spezifischen Kommentar versehen, statt einen Tweet weiterzuleiten, der in meinen Augen ungenau war.

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Solche Experimente zeigen immer wieder Aspekte der eigenen Mediennutzung auf, die man ohne sie nicht bemerken würde (z.B. meinen Drang, zu allem meine Meinung kundzutun; oder: die Bedeutung der Möglichkeit, auf Twitter Fragen stellen zu können und hilfreiche Antworten zu erhalten). Aber sie beschränken die Möglichkeiten, ein eigenes, aussagekräftiges Profil aufzubauen.

Technologie muss das Leben einfacher machen

Gestern hatte ich früher als sonst eine Sitzung und im Eifer vergessen, mein Portemonnaie von der Wochenend- in die Wochentagstasche zu tansferieren. In der S-Bahn gab es eine Fahrausweiskontrolle. Ich besitze eine Jahreskarte (GA) und musste nun einen Zettel ausfüllen, den ein netter Herr in ein Gerät eingegeben hat, mit dem er dann zwei Zettel ausgedruckt hat, die ich beide unterschreiben musste. Mit einem muss ich nun an einen Bahnschalter, dort fünf Franken bezahlen und das Problem ist gelöst. 02.07.13 - 1

Ich mag die SBB, die in der Schweiz einen großen Teil des öffentlichen Verkehrs organisiert. Ihre Leistungen sind preiswert und zuverlässig, das Personal ist gut geschult und freundlich und das Unternehmen reagiert bei Problemen meist sehr kulant. Nun kommt das Aber: Die Technologie wird in diesem Beispiel nicht genutzt, um das Leben einfacher zu machen. Die Gebühr von fünf Franken deckt den Aufwand der SBB, den ich verursacht habe, bei weitem nicht. Der Kontrolleur und ich haben beide Smartphones, die mit Datenbanken bei der SBB verbunden sind (ich habe ein Konto, mit dem ich Tickets mobil kaufen kann). Ich konnte mich weder mit dem Smartphone identifizieren noch die Gebühr bezahlen; der Herr konnte nicht abrufen, ob ich ein Abo besitze (oder er darf das nur tun, wenn ich mich ausweisen kann – einen Ausweis hatte ich nicht dabei).

Um vom Anekdotischen zum Allgemeinen zu kommen: Digitale Hilfsmittel und Social Media müssen uns das Leben einfacher machen. Wir sollten – zumindest im Geiste – Projekttagebücher führen, die uns Auskunft darüber geben, ob das Erlernen von Kompetenzen und das Einarbeiten in Funktionsweisen von Software letztlich zu einer Vereinfachung führen. Ein Beispiel: Analoge Fotos mussten entwickelt werden, wurden aber viel spärlicher geknipst. Die Abzüge lagen dann aber physisch vor, wurden vielleicht in den Umschlägen beschriftet oder dann in Alben eingeklebt. Die digitale Verfahrensweisen führt zu Dateien auf unzähligen Speichermedien, Geräten, Harddisks, die in wenigen Haushalten sauber geordnet und abrufbar sind. Obwohl Gesichter automatisch erkannt werden können, Geotags hinzugefügt werden und Archive nach verschiedenen Kriterien geordnet werden können, brauchen wir mehr Arbeit im Umgang mit digitalen Bildern und erzielen damit schlechtere Resultate (den Besuch ein knappes Fotoalbum oder ein paar Abzüge durchblättern lassen ist oft kommunikativ wesentlich sinnvoller als eine Präsentation von unzähligen Bildern an einem Projektor).

Die Frage: »Was wird einfacher, wenn wir das so machen?« ist ein Lackmustest für jede technologische Änderung. Er kann nicht umgangen werden durch eine Beschreibung zusätzlicher Funktionalitäten – die sind allenfalls ein Bonus, wenn bisherige Verfahren neu mit weniger Aufwand möglich sind.

Zurück zur SBB: Im Großraum Zürich gibt es neue Tickets, die mit Zonen funktionieren. Um beispielsweise von Wettingen nach Lenzburg zu fahren, kann man kein Ticket »Wettingen-Lenzburg« kaufen, sondern nur eine Reihe von Zonen, die Kundinnen und Kunden eigentlich auswendig können müssen. Sie sind nicht mehr in der Lage, Verbindungen für Hin- und Rückweg flexibel zu wählen, sondern müssen sich an entsprechende Zonen halten, für die ihr Fahrschein gültig ist. Wer nicht in der Schweiz wohnt und ein Ticket lösen will, kann an den Automaten nicht mehr herausfinden, welches Ticket das richtige ist.

Ticket_ZPassNatürlich sind Zonenpläne ein Kompromiss zwischen verschiedenen politischen Akteuren und letztlich kein technologisches Problem: Aber technische Lösungen müssten hier das Problem so vereinfachen, dass die Kundinnen und Kunden nur noch eine einfache Oberfläche sehen, im Hintergrund die nötigen Details ablegen (z.B. mit QR-Codes, die auf Tickets gedruckt werden).

Als Lehrperson von Jugendlichen lernen

Gestern hatte ich doppelt Gelegenheit, Jugendlichen zuzuhören: Im Rahmen einer Weiterbildungsveranstaltung an der Berufsschule für Gestaltung in Zürich berichteten Lernende (1. Lehrjahr, Grafik) über ihren Umgang mit digitalen Medien und als Abschluss eines Ergänzungsfachkurses mit Abiturienten (Philosophie) führte ich ein ausführliches Feedback durch. Meine Erfahrung dabei: Jugendliche nehmen ihre Bedürfnisse, ihr Lernen und ihren Umgang mit Medien enorm differenziert wahr und können sich darüber präzise äußern. So zum Beispiel über die Gefahr von Ablenkung, über die Wirkung von Unterricht, über Sinn und Unsinn von Bewertungskriterien und -anlässen; über den Auftritt von Lehrpersonen und ihren Umgang mit Medien; generell über ihre Erwartungen und die Erwartungen, die an sie gestellt werden.

DialogFür das Gelingen von Rückmeldungen und Gesprächen mit lernenden Jugendlichen gibt es einige Voraussetzungen:

  1. Die Jugendlichen müssen als gleichwertige Partnerinnen und Partner betrachtet werden, deren Äußerungen ernst genommen werden und denen mit Interesse begegnet wird.
  2. Vorwissen und Vorurteile müssen zur Sprache kommen, aber Gegenstand einer offenen Diskussion sein.
  3. Die Äußerungen von Lernenden müssen klar außerhalb eines schulischen Bewertungskontextes stehen. Es darf nicht der Hauch eines Verdachtes aufkommen, Kritik könnte zu negativen Beurteilungen führen.
  4. Quantitative Methoden sollten nicht im Hintergrund stehen: Kreuze auf Umfragen sind immer interpretationsbedürftig. Aus meiner Sicht ist ein offenes Gespräch, auf das sich die Schülerinnen und Schüler auch vorbereiten können, die sinnvollste Form.
  5. Rückfragen sind wichtig und sinnvoll, sollen aber die Privatsphäre der Jugendlichen berücksichtigen.

Dialog scheint mir insbesondere auch in Bezug auf die Nutzung von Neuen Medien bedeutsam zu sein. Jugendliche reflektieren ihren Umgang mit Kommunikationsmitteln stärker, als man gemeinhin annimmt: Sie erfahren negative Auswirkungen und unternehmen einige Bestrebungen, um sie zu vermeiden.