Mehr und mehr Gymnasien setzen auf eine Bring-Your-Own-Device-Strategie. In der Regel erwarten sie dabei, das Schülerinnen und Schüler mindestens ein Tablet mit Tastatur mitbringen. Neben allen Vorzügen, die BYOD ohnehin hat, hat diese Vorgehensweise zwei weitere Vorteile:
- Es ist denkbar, dass mittelfristig die Kosten für die schuleigene IT-Infrastruktur senken werden – obwohl zunächst meist Investitionen anfallen (WLAN, Lademöglichkeit am Unterrichtsplatz).
- Eine verbindliche Einsatzform der Geräte ist zunächst nicht möglich – niemand aus dem Lehrkörper wird verärgert, weil bestimmte Unterrichtsvorstellungen nicht mit der Gerätenutzung vereinbar sind.
Doch BYOD stellt die Schulen auch vor das Taschenrechnerdilemma. Es hat nicht primär mit Taschenrechnern zu tun, kann aber daran gut gezeigt werden.
Links sehen wir einen Grafiktaschenrechner aus der TI-Familie. Kostet zwischen 170 und 250 Franken und ist mit einer »Prüfungsmodus«-Funktion ausgestattet: Der Rechner wird auf Grundeinstellungen zurückgesetzt, so dass keinerlei Hilfsmittel oder Kommunikationsfunktionen verfügbar sind.
Rechts sehen wir ein iPad. Kostet zwischen 280 (Mini-Version) und 900 Franken, gehört aber häufig zur Ausstattung von Schülerinnen und Schülern, gerade im BYOD-Kontext. Die App, mit der die TI-Funktionalität auf dem iPad verfügbar wird, kostet knapp 30 Franken.
Das Dilemma besteht darin, dass sich Schulen und ihre Mathematiklehrpersonen damit schwer tun, die Nutzung der App zuzulassen. Grund dafür sind Prüfungssituationen: Mit Tablets könnten die Schülerinnen und Schüler nicht nur aufs Netz zugreifen, sondern auch miteinander und mit externen Fachpersonen kommunizieren. Eine traditionelle Prüfung, bei der eine Schülerin oder ein Schüler gleichzeitig mit anderen dieselben Aufgaben löst und dafür bewertet wird, ist unter diesen Bedingungen nicht mehr sinnvoll durchführbar.
Gleichzeitig ist aber Lehrpersonen bewusst, dass diese herkömmliche Form von Prüfungen eine sehr künstliche ist: Sie passt weder zum Lernprozess noch entspricht sie professionellen Arbeitsformen. Selbstverständlich nutzen Mathematikerinnen und Mathematiker das Internet und Kommunikationsmöglichkeiten, wenn sie Aufgaben lösen.
Das Taschenrechnerdilemma führt also zur Entscheidung, ob etablierte Unterrichtsformen beibehalten werden können oder sollen, wenn Technologie neue Möglichkeiten anbietet. Die Entscheidung wird dann schwierig, wenn die etablierten Verfahrensweisen ohnehin nicht über alle Zweifel erhaben sind und die neuen Möglichkeiten entsprechend auch zur einer Entwicklung führen, die erstrebenswert ist.
Das heißt für das Beispiel der Mathematik – ich habe das am Beispiel der Matur-/Abitur-Prüfungen auch schon für das Fach Deutsch diskutiert – ein Wegrücken von isolierten summativen Prüfungen hin zu vernetzten formativen Bewertungsformen.
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Das klingt theoretisch sicherlich überzeugend – zumindest bilde ich mir das ein. Aber wie könnte das praktisch aussehen? Meiner Meinung nach liegt die Zukunft der gymnasialen bzw. der schulischen Bewertung bei der Selbstbeurteilung im Rahmen von größeren Unterrichtseinheiten. Nur so können Kinder und Jugendlichen lernen, dass sie selbst ihre Leistungen realistisch einschätzen müssen und sich nicht vom Urteil anderer abhängig machen können. Selbstverständlich sagt das nichts über die Wichtigkeit von regelmäßigen Übungsphasen, häufigen Tests und professionellem Feedback aus – all das sind wirkungsvolle Lernfaktoren. Aber über ihren Beitrag zu Beurteilung und Bewertung kann und soll durchaus diskutiert werden.
Meine Ideale in Bezug auf Notensetzung liegen in drei Richtungen:
1.) Portfolioarbeit
2.) Arbeit mit Kompetenzrastern
3.) dialogisches Lernen.
Konkret stelle ich mir die Leistungsbewertung im Fach Mathematik wie folgt vor: Die eine Hälfte einer Note stammt aus der Arbeit mit Portfolios oder dialogisch gepflegten Lernjournalen, die andere Hälfte aus Kompetenzrastern, für die eine breite Palette an Übungen und Tests zur Verfügung stehen. Bei beiden Notenteilen erfolgt die Bewertung aufgrund einer Selbstbeurteilung der Schülerinnen und Schüler. Klassische Tests wären weder nötig, noch könnte man unter eine lernzentrierten Kompetenzperspektiven genau angeben, wozu sie hilfreich sein könnten.