Das Taschenrechnerdilemma

Mehr und mehr Gymnasien setzen auf eine Bring-Your-Own-Device-Strategie. In der Regel erwarten sie dabei, das Schülerinnen und Schüler mindestens ein Tablet mit Tastatur mitbringen. Neben allen Vorzügen, die BYOD ohnehin hat, hat diese Vorgehensweise zwei weitere Vorteile:

  1. Es ist denkbar, dass mittelfristig die Kosten für die schuleigene IT-Infrastruktur senken werden – obwohl zunächst meist Investitionen anfallen (WLAN, Lademöglichkeit am Unterrichtsplatz).
  2. Eine verbindliche Einsatzform der Geräte ist zunächst nicht möglich – niemand aus dem Lehrkörper wird verärgert, weil bestimmte Unterrichtsvorstellungen nicht mit der Gerätenutzung vereinbar sind.

Doch BYOD stellt die Schulen auch vor das Taschenrechnerdilemma. Es hat nicht primär mit Taschenrechnern zu tun, kann aber daran gut gezeigt werden.

Bildschirmfoto 2014-11-16 um 21.46.27Links sehen wir einen Grafiktaschenrechner aus der TI-Familie. Kostet zwischen 170 und 250 Franken und ist mit einer »Prüfungsmodus«-Funktion ausgestattet: Der Rechner wird auf Grundeinstellungen zurückgesetzt, so dass keinerlei Hilfsmittel oder Kommunikationsfunktionen verfügbar sind.

Rechts sehen wir ein iPad. Kostet zwischen 280 (Mini-Version) und 900 Franken, gehört aber häufig zur Ausstattung von Schülerinnen und Schülern, gerade im BYOD-Kontext. Die App, mit der die TI-Funktionalität auf dem iPad verfügbar wird, kostet knapp 30 Franken.

Das Dilemma besteht darin, dass sich Schulen und ihre Mathematiklehrpersonen damit schwer tun, die Nutzung der App zuzulassen. Grund dafür sind Prüfungssituationen: Mit Tablets könnten die Schülerinnen und Schüler nicht nur aufs Netz zugreifen, sondern auch miteinander und mit externen Fachpersonen kommunizieren. Eine traditionelle Prüfung, bei der eine Schülerin oder ein Schüler gleichzeitig mit anderen dieselben Aufgaben löst und dafür bewertet wird, ist unter diesen Bedingungen nicht mehr sinnvoll durchführbar.

Gleichzeitig ist aber Lehrpersonen bewusst, dass diese herkömmliche Form von Prüfungen eine sehr künstliche ist: Sie passt weder zum Lernprozess noch entspricht sie professionellen Arbeitsformen. Selbstverständlich nutzen Mathematikerinnen und Mathematiker das Internet und Kommunikationsmöglichkeiten, wenn sie Aufgaben lösen.

Das Taschenrechnerdilemma führt also zur Entscheidung, ob etablierte Unterrichtsformen beibehalten werden können oder sollen, wenn Technologie neue Möglichkeiten anbietet. Die Entscheidung wird dann schwierig, wenn die etablierten Verfahrensweisen ohnehin nicht über alle Zweifel erhaben sind und die neuen Möglichkeiten entsprechend auch zur einer Entwicklung führen, die erstrebenswert ist.

Das heißt für das Beispiel der Mathematik – ich habe das am Beispiel der Matur-/Abitur-Prüfungen auch schon für das Fach Deutsch diskutiert – ein Wegrücken von isolierten summativen Prüfungen hin zu vernetzten formativen Bewertungsformen.

* * *

Das klingt theoretisch sicherlich überzeugend – zumindest bilde ich mir das ein. Aber wie könnte das praktisch aussehen? Meiner Meinung nach liegt die Zukunft der gymnasialen bzw. der schulischen Bewertung bei der Selbstbeurteilung im Rahmen von größeren Unterrichtseinheiten. Nur so können Kinder und Jugendlichen lernen, dass sie selbst ihre Leistungen realistisch einschätzen müssen und sich nicht vom Urteil anderer abhängig machen können. Selbstverständlich sagt das nichts über die Wichtigkeit von regelmäßigen Übungsphasen, häufigen Tests und professionellem Feedback aus – all das sind wirkungsvolle Lernfaktoren. Aber über ihren Beitrag zu Beurteilung und Bewertung kann und soll durchaus diskutiert werden.

Meine Ideale in Bezug auf Notensetzung liegen in drei Richtungen:

1.) Portfolioarbeit

2.) Arbeit mit Kompetenzrastern

3.) dialogisches Lernen.

Konkret stelle ich mir die Leistungsbewertung im Fach Mathematik wie folgt vor: Die eine Hälfte einer Note stammt aus der Arbeit mit Portfolios oder dialogisch gepflegten Lernjournalen, die andere Hälfte aus Kompetenzrastern, für die eine breite Palette an Übungen und Tests zur Verfügung stehen. Bei beiden Notenteilen erfolgt die Bewertung aufgrund einer Selbstbeurteilung der Schülerinnen und Schüler. Klassische Tests wären weder nötig, noch könnte man unter eine lernzentrierten Kompetenzperspektiven genau angeben, wozu sie hilfreich sein könnten.

 

Eine digitale Balance finden

Wenn Internetexperten wie Nico Lumma nach der Generation suchen, die Schuld an den Problemen der digitalen Kommunikation trägt, namentlich am mangelhaften Schutz der Privatsphäre, dann richtet er den Blick auf seine Generation und auf die ältere:

Wir haben in Deutschland viel zu viel Zeit damit verbracht, kollektiv abzuwarten, ob man noch mal aus dieser Digitalisierungsnummer wieder rauskommen könnte. Der Zug ist abgefahren, seit mindestens 15 Jahren bereits. Es kommt jetzt darauf an, dass die beiden Generationen zusammen den Transformationsprozess der Gesellschaft begleiten, damit wir gestärkt aus der Digitalisierung hervorgehen.

Diese Hoffnung scheint mir trügerisch. Die Generation von Lumma und die »anderen […], also die Generation der aktuell über 50-jährigen«, dann verschwindet die Generation »Social Media« aus dem Blick, die aber wohl die digitale Welt bewohnen wird, die heute gestaltet und geformt wird. Ihrer Praxis sollten wir deshalb mehr Aufmerksamkeit schenken und sie genauer beschreiben und beurteilen, weil daraus die Fähigkeit erwachsen muss, die Probleme zu lösen, welche die beiden von Lumma beobachteten Generationen hervorgerufen haben.

In der Mitte des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts sind die Gefahren, die in einer vernetzten Welt durch Geschwindigkeit, Archivierbarkeit und Transparenz der Kommunikation hervorgerufen werden, bekannt. Ein umfassender Kontrollverlust hat stattgefunden, der zusammen mit der drohenden Möglichkeit flächendeckender Überwachung zu einer enormen Verunsicherung geführt hat.

Der Weg zurück ist verbaut. Beginnen Menschen die Möglichkeiten der Technologie zu nutzen, verzichten sie freiwillig nicht mehr darauf. Gefragt ist ein Blick in die Zukunft, die Gestaltung des Lebens mit der Technologie, nicht die Verweigerung. In Bezug auf die Jugendlichen formuliert Danah Boyd die daraus erwachsenden Einsichten wie folgt:

Vernetzte Öffentlichkeiten werden erhalten bleiben. Statt sich gegen Technologie zu wehren oder sich davor zu fürchten, was passiert, wenn Jugendliche Social Media nutzen, sollten Erwachsene ihnen dabei helfen, die Kompetenzen zu erwerben, die sie benötigen, um die Komplikationen zu meistern, welche das Leben in einer vernetzten Gesellschaft mit sich bringen. In der Zusammenarbeit können Erwachsene und Jugendliche eine vernetzte Welt schaffen, in der wir alle leben wollen.

Eine lebenswerte Gesellschaft unter den Bedingungen digitaler Kommunikation zu erhalten, ist eine große Herausforderung. Sie erfordert vor allem, eine Balance zu finden. Eine Diskussion, in der Gegensätze gegeneinander ausgespielt werden, ist weder der Problemlage angemessen noch lösungsorientiert. Und doch scheinen Gegensätze eine begriffliche Sicherheit zu bieten, die vielen Menschen Halt gibt.

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Tafelbild aus den Ergebnisse einer Diskussion an einer Lehrerweiterbildung.

Spricht man vor einem Publikum über digitale Kommunikation, so fließt meist schon in der Einleitung ins Gespräch das Begriffspaar »digital natives« und »digital immigrants« ein. Seit Marc Prensky 2001 erstmals von dieser Gegenüberstellung sprach, werden dadurch Vorurteile zementiert, die sich wissenschaftlich kaum nachweisen lassen. So erwerben Jugendliche eben nicht alle autodidaktisch-spielerisch Kompetenzen im Umgang mit Neuen Medien, nur weil sie später geboren sind als ihre Eltern. Und älteren Menschen ist es nicht verwehrt, einen selbstverständlichen Umgang mit digitaler Technik zu erwerben. Entscheidend ist es, eine Mischung zu finden: Zwischen den spielerischen, automatischen Lernprozessen und dem bewussten Gestalten von Lernumgebungen, in denen dank Begleitung erfahrener Coaches Grundfertigkeiten sicher angeeignet werden können.

Eine ähnliche Perspektive ist bei vielen Debatten zu den Auswirkungen des Internets fruchtbar. Sei es die Abgrenzung von Privatsphäre und öffentlich zugänglichen Informationen, das Verhältnis von technischen Möglichkeiten und ihrer sozialen Umsetzung, zwischen dem Lebensraum von Jugendlichen und der Schule, der virtuellen Sphäre und der realen Umwelt oder einem individuellen Experimentieren und verbindlichen Standards: Jede Position, die nur einen dieser Pole als ideales Ziel anstrebt, verhärtet sich zu einer dogmatischen Lehre, die wenig dazu beiträgt, dass Probleme gelöst werden können.

Darüber nachzudenken, dass es enorm schwierig ist, wichtige Informationen vor dem Zugriff anderer zu schützen, oder dass Menschen Technik einsetzen, ohne zu wissen, wie sie das so tun, dass sie und ihre Mitmesnchen davon profitieren, ist oft enorm frustrierend. Und so bedeutet eine Balance zu finden meist, Kompromisse einzugehen, die weit von optimalen Lösungen entfernt sind. Aber sie sind besser, als Unmögliches zu fordern und damit Menschen zu überfordern.

Die Reflexion und das Gespräch über Technologie und ihre Auswirkungen sind unumgänglich. Sie sind aber nur dann ergiebig, wenn Menschen offen für andere Perspektiven und Wahrnehmungen sind. Jugendliche und ihre Lebenswelt bieten Erwachsenen Alternativen zu ihrer Sicht auf die Welt an. Das ist eine Chance, keine Provokation.

»Quizduell« als Beispiel für ein soziales Netzwerk

A social network site is a networked communication platform in which participants 1) have uniquely identifiable profiles that consist of user-supplied content, content provided by other users, and/or system-provided data; 2) can publicly articulate connections that can be viewed and traversed by others; and 3) can consume, produce, and/or interact with streams of user- generated content provided by their connections on the site. – Danah Boyd und Nicole Ellison

In einer revidierten Fassung ihrer einschlägigen Definition von sozialen Netzwerken betonen Boyd und Ellison neu den Zugang zu Inhalten über »Streams« (3), die User hervorbringen, konsumieren oder mit denen sie interagieren können.

Diptic

Ein schönes Beispiel für einen solchen Stream ist die App »Quizduell«. Die App erlaubt, mit Freunden oder Fremden ein Quiz in sechs Runden à drei Fragen zu stellen, die jeweils einer Kategorie entnommen werden, welche die Spieler abwechselnd bestimmen können.

Diese Fragen stellen einen »Stream« dar, der aufgrund unterschiedlicher Kriterien zusammengestellt wird (zufällige Wahl der Fragen/Kategorien, Wahl der Kategorien durch User). Quizduell ermöglicht es Usern auch, eigene Fragen einzustellen und so Streams herzustellen. Dadurch verändert sich das Profil: Wer fünf Fragen formuliert hat, erhält eine Krone zur Belohnung.

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Quizduell hat einen enormen Sog, weil es einerseits ermöglicht, das Spielen eines Fernsehquiz‘ in die kurze Arbeitspause reinzuquetschen, weil es andererseits zu einer spielerischen Herausforderung im Kreis der Bekannten lädt. Die Geschwindigkeit, mit der sich die App verbreitet hat, zeigt das Potential von Social Media auf: Sie schaffen individuelle Erlebnisse durch Interaktion mit anderen Menschen. Dass hier Wissen verarbeitet wird, ist nur am Rande relevant.

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Dabei nutzt Quizduell die Möglichkeiten sehr rudimentär. Es wäre eine viel genauere Steuerung der Streams möglich: User könnten in verschiedenen Formaten gegeneinander antreten, Antwortzeiten etc. einstellen. Zudem könnten Sie Fragen nach Schwierigkeit bewerten bzw. ein Algorithmus könnte das tun – und so die Wahl eines herausfordernden oder einfachen Spiels ermöglichen. Wer Fragen schreibt, könnte dafür ebenfalls an einer Art Spiel teilnehmen (wie schwierig sind die Fragen, die ich schreibe etc.) – so dass auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit dem Stream interagiert werden kann. Auch die statistische Tiefe der Auswertung könnte leicht vergrößert werden. 

Wer gegen mich spielen will, ist herzlich eingeladen: Ich heiße, wie immer, phwampfler. 

 

 

Digitale Bildung und digitaler Boulevard – eine Begriffsbestimmung

Buzzfeed, Screenshot.
Buzzfeed, Screenshot.

Dirk von Gehlen analysiert in einem lesenswerten Blogpost das Prinzip von Buzzfeed – und bestimmt dabei genau, was digitaler Boulevard sein kann. Ich zeichne seinen Argumentationsgang kurz nach und übertragen ihn dann auf das Konzept der digitalen Bildung.

von Gehlen beginnt mit einer »erfrischenden Poolmetapher«, die selbstredend auch für digitale Bildungsprozesse gilt:

Man lernt Schwimmen auch nur, wenn man nass wird, und nicht, wenn man am Beckenrand vermeintlich schlaue Dinge über das Wesen des Wassers verbreitet.

Daher müsse man sich mit Netz-Journalismus praktisch auseinandersetzen, statt schlaue Theorien darüber zu verbreiten. von Gehlen tut das im Anschluss. Digitaler Journalismus kümmere sich auch um die Verbreitung von Inhalten, nicht nur um ihre Gestaltung.

Das Internet ist keine lineare Rampe, sondern ein vernetzter Raum. Distribution gehorcht hier schon technisch anderen Regeln als bei klassischen Rampen-Medien. Das bezieht sich zum einen auf den viralen Effekt digitalisierter Inhalte (jeder wird zum Sender), es bezieht sich aber sehr journalistisch darauf, dass es eine inhaltliche Beschäftigung mit Identität und Haltung der Leserschaft voraussetzt.

Die Buzzfeed-Inhalte seien geeignet, um damit digitale Identitäten zu formen. Wer im digitalen Journalismus tätig sei, müsse sich unter anderem folgende Fragen stellen:

  1.  Wie erreicht mein Inhalt seine Leser?
  2.  Nehme ich darauf Einfluss?
  3.  Was machen meine Leser mit diesem Inhalt?
Assoziationen zu digitaler Bildung von Daniel Spielmann
Assoziationen zu digitaler Bildung von Daniel Spielmann

Wie hängt das nun mit digitaler Bildung zusammen? Michael Gieding hat kürzlich Folgendes gesagt:

Es gibt Bildung, die man sich mit Geräten aneignet, die Binärcode verarbeiten, es gibt keine digitale Bildung.

Diese grammatikalische oder semantische Spitzfindigkeit über die deutsche Verwendung von Adjektiven oder die Bedeutung von »digital« lässt sich leicht umgehen, wenn man wie das Beispielsweise Lisa Rosa oft tut, digitale Bildung als Bildung unter den Bedingungen digitaler Kommunikation versteht.

Die Überlegungen von Gehlens bedeuten nun übertragen auf Bildungsprozesse, dass es erstens keinen klar vorgegebenen Distributionsweg mehr gibt und dass zweitens die Gestaltung von Bildungsinhalten mit dem Gedanken an ihre Verbreitung gekoppelt werden müsse.

Konkret heißt das, dass das Modell der Schule, die einen lehrerzentrierten Unterricht als Mix aus frontaler Show, Gruppenarbeiten und Übungen anbietet und so Bildungsinhalte verteilt, keinen Vorrang mehr genießen kann.

Zweitens heißt das, dass digitale Bildung dann gelingen kann, wenn Teilnehmerinnen oder Teilnehmer Bildungsinhalte so nutzen können, dass sich daraus ein Profil ergibt. Badges sind eine erste, sehr rudimentäre Form dieses Prinzips. Letztlich geht es darum, dass das Prinzip des »Teilens« im Netz auch ein Lehr- und Lernprozess mit verschiedenen Rollen sein kann.

Zwei – wiederum sehr rudimentäre – Beispiele:

  1. Ich teile einen Artikel zum Mindestlohn, der aufzeigt, dass für Staaten, bei denen die niedrigsten Löhne für Dienstleistungen bezahlt werden, die unabhängig von der Exportwirtschaft sind, Mindestlöhne nicht zu höherer Arbeitslosigkeit führen. Wer den Artikel liest, kann sich mit der Frage auseinandersetzen, wie Mindesrlöhne und Arbeitslosigkeit zusammenhängen.
  2. Ich stelle eine echte Frage, also eine, die mich bewegt und die gut formuliert ist, so dass klar ist, was mögliche Antworten auszeichnet. Auf diese Frage erhalte ich von meinem Netzwerk Antwortvorschläge und weiterführende Hinweise.

Wer also in einer womöglich immer wechselnden Rolle digitale Bildung betreibt, sollte sich auch mit der Frage auseinandersetzen, wie Inhalte mit Netzwerkeffekten gekoppelt werden können. Eine kleine Seite, die ich beispielsweise zum Thema Popliteratur erstellt habe, führt dabei zu nichts: Wer das heute sieht, setzt vielleicht ein Bookmark oder liest zwei, drei Abschnitte. Anschlussfähig ist daran wenig.

Vorsatz: Wikipedia verbessern

Ich habe eben die düsteren Zukunftsprognosen zu Wikipedia im Schneeschmelze-Blog gelesen. Und einen Vorsatz gefasst:

Ich werde jeden Monat einen Wikipedia-Artikel substantiell überarbeiten und seine Qualität merklich steigern. Die bearbeiteten Artikel publiziere ich auf meiner Benutzerseite.

Gerne lade ich Interessierte ein, es mir gleichzutun. Als Hashtag schlage ich #besserewiki vor.

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Das digitale Leben einer Schulklasse

In einem Workshop lasse ich Schulklassen (10. Klasse, Gymnasium) ein Leitbild für die digitale Kommunikation erstellen. Ausgangspunkt sind folgende Anregungen, auf welche die Klasse dann reagiert und Grundsätze formuliert, die der Gruppe wichtig sind.

  1. Relevante Informationen (Ausfall von Lektionen, Verschiebungen von Prüfungen, Vorbereitungsmaterial) soll schnell für alle verfügbar sein.
  2. Alle Mitglieder der Klasse sollten sich auch zuhause austauschen können.
  3. Welche Bilder darf man (nicht) auf dem Internet veröffentlichen (auf Facebook stellen, per WhatsApp rumschicken)?
  4. In was für einem Ton kommuniziert man online mit anderen Schülerinnen/Schülern und mit Lehrpersonen? (Und in welcher Sprache?)
  5. Freundschaften und Beziehungen entstehen, wenn sich Menschen in die Augen sehen und echt miteinander reden, ohne permanente Ablenkung durch blinkende Geräte.
  6. Ständig online zu sein ist für einige Menschen stressig und verhindert, dass sie sich konzentrieren können.
  7. Niemand soll gezwungen werden, bei einem sozialen Netzwerk ein Profil anzulegen oder sich ein Smartphone zulegen zu müssen.
  8. Auf sozialen Netzwerken werden Menschen gemobbt. Was tut man, wenn etwas passiert, das wie Mobbing aussieht?
  9. Es schafft Schwierigkeiten, wenn sich eine Klasse bei verschiedenen Diensten einloggen muss (Passwörter gehen verloren, einige Informationen werden übersehen).
  10. Digitale Kommunikation senkt die Hemmungen, zu betrügen (Informationen zu kopieren, bei Prüfungen zu spicken etc.).
  11. Darf man auf dem Internet über andere Personen lästern (z.B. Mitschülerinnen und Mitschüler, Lehrpersonen)?
  12. Die Schule und das Privatleben müssen aneinander anschliessbar sein, sollen aber als Bereiche auch getrennt werden können: Schülerinnen und Schüler brauchen Freizeit ohne digital ständig in der Schule zu sein.
  13. Vielen fällt das Lernen einfacher, wenn es mit Papier, Buch und Stift erfolgt statt am Bildschirm.
  14. Wie möchten Sie an Ausflügen, in Pausen, im Abteilungslager mit Handys umgehen?
  15. Gibt es für eine Klasse auch einmal eine digitale Pause?
Auszug aus einer Infographic von onlinedegrees.com
Auszug aus einer Infographic von onlinedegrees.com

Porno-Filter: Ein Problem und eine Lösung

Die Digitalisierung der Medien und der Kommunikation bedeutet grundsätzlich, dass alle produzierten Inhalte für alle Teilnehmenden abrufbar sind. Also können auch Kinder und Jugendliche sich via Internet Bilder, Videos und Texte ansehen, vor denen sie ihre Eltern möglicherweise schützen wollen. Kurz: Es gibt heute keine Möglichkeit zu verhindern, dass Minderjährige Pornografie konsumieren.

Nun gibt es aber – ausgehend von einem Vorstoss von David Cameron in Großbritannien – Bestrebungen, das Internet zu filtern (auch in Deutschland und in der Schweiz). Konkret sieht ein Bildschirm, der den britischen Haushalten präsentiert wird, wohl so aus:

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Daran werden drei fundamentale Probleme deutlich:

  1. Es geht nicht allein um (harte) Pornografie, sondern eine Mischung von verschiedenen Inhalten und Anliegen.
  2. Die Filter, welche die Internet-Service-Provider auf der Basis eines Konzepts von Huawei entwickeln, können nicht funktionieren: Sie müssen nicht nur Pornografie blockieren, sondern auch Aufklärungsmaterial, sie werden nicht nur Seiten über Essstörungen, sondern auch solche von Ernährungsberaterinnen und -beratern blockieren und sie werden nicht nur den Zugang zu Werkzeugen blockieren, mit denen man die Filter umgehen könnte, sondern auch eine kritische Diskussion der Filter.
  3. Auch wenn die Filter Information in Bezug auf ihre Umgehung zu blockieren versuchen: Die Filter können umgangen werden. Selbst der chinesische Firewall, der umfassend blockiert, ist für Eingeweihte nicht wirkungsvoll.

Es ist keine Lösung, wenn die Regierung eines Landes starre und allgemeine Filterlisten konzipiert, die Inhalte aufgrund unklarer Kriterien blockieren – auch wenn das Anliegen von Eltern und pädagogisch Verantwortlichen, Kinder gewissen Inhalten nicht auszusetzen, verständlich ist.

Die Lösung ist aber naheliegend – wenn auch leicht komplizierter:

  1. Filterkompetenz ist eine Basiskompetenz in der heutigen Medienwelt. Kinder und Jugendliche müssen lernen und üben, wie sie ungewollte Inhalte ausblenden wollen und können.
  2. Eltern müssen das auch üben und lernen.
  3. Internet Service Provider sollen ermuntert werden, entsprechende Angebote zu machen, die individuell anpassbar sind: Fälschlicherweise blockierte Seiten müssen freischaltbar sein, feine Kategorien müssen angeboten werden.
  4. Angebote, mit denen Browser erweitert werden können, um Inhalte zu blockieren – für Chrome z.B. hier – und andere Angebote müssen bekannter werden.
  5. Über Pornografie und schädliche, unerwünschte Inhalte muss eine Diskussion laufen. Sie zu blockieren, ist für eine Gesellschaft keine Lösung.

So wichtig der Schutz von Kindern ist – er rechtfertigt nicht eine Einschränkung  der freien Meinungsäußerung. Sie ist ein Menschenrecht und gilt universell und unteilbar. Sie umfasst aber – in meiner Lesart – auch das Recht, Inhalte zu filtern. Genau so wie wir bestimmen können, welche Bücher in unseren Regalen stehen, genau so können wir bestimmen, welche Inhalte wir im Internet sehen können. Aber wir müssen lernen, wie.

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Leistungsbewertungen von Social-Media-Arbeiten

Dieser Artikel hat zwei Teile: Zunächst stelle ich Prinzipien vor, wie Arbeiten von Schülerinnen und Schülern auf Social Media bewertet werden können, dann gehe ich davon ausgehend kurz auf das Problem der schulischen Leistungsbewertung im Allgemeinen ein.

(1) Arbeiten in Social Media bewerten

Beginnen wir mit Beispielen: Dieser Blog ist im Unterricht entstanden. Und dieses Facebook-Projekt zu Werther auch. Beide sehen attraktiv aus, da stecken viele Überlegungen drin und auch viel Arbeit. Wie kann ich als Lehrer diese Projekte bewerten? Ein guter Ausgangspunkt sind die Hinweise zur Arbeit mit Portfolios (hier von der Hochschuldidaktik der Universität Zürich). Dort heißt es:

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Etwas ausführlicher:

  1. Grundsätzlich entstehen gültige und verständliche Bewertungen ausgehend von Kriterien. Ich gebe also vor Projektstart an, an welchen Maßstäben ich die Resultate messen werde. Dabei entstehen zwei Probleme: Erstens liegt der Wert von solchen Arbeiten oft darin, eigenständigen Vorstellungen nachzugehen, die sich nicht an vorgegebenen Kriterien orientieren, sondern an eigenen. Zweitens entscheidet sich die Bewertung oft bei einem Kriterium wie »Differenziertheit, Tiefgang etc.«, dessen Bedeutung zwar klar ist – werden nahe liegende Wege gewählt, einfache Antworten akzeptiert, nur die am leichtesten greifbaren Quellen beigezogen oder nicht -; aber dessen Anwendung in einem hohen Grad vom Kontext abhängig ist. (So ist z.B. nicht klar, ob eine Arbeit, die bewusst auf Arbeit mit Quellen verzichtet, differenzierter ist als eine, die Quellenmaterial hauptsächlich kuratiert oder remixt.)
  2. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die zentrale Bedeutung von Reflexionen. Vor, während und nach einem solchen Projekt braucht es Phasen, in denen die Planung, die konkrete Arbeit und das Resultat von den Beteiligten – unter Umständen im Gespräch mit der Lehrperson – überdacht, eingeordnet, hinterfragt werden. Hier können einfache Mittel zum Tragen kommen: Kurze Präsentationen, Gruppengespräche, das Verfassen von Texten.
  3. Aus diesen Reflexionen können auch eigene Kriterien und eine Selbstbewertung entstehen. Wer in Social Media aktiv ist, misst die Resultate seiner Arbeit an eigenen Vorgaben und Erwartungen. Vieles ergibt sich aus Interaktionen, Ideen entstehen in Netzwerken, oft auch kollaborativ, Ziele verschieben sich, Bedingungen auch. Kontext ist entscheidend – und den kennen die Beteiligten am besten.
  4. Bewertung erfolgt nicht nur nach Abschluss des Projektes: Auch Konzepte, laufende Pflege des Projekts und Zwischenergebnisse können und sollen bewertet und kommentiert werden. Das kann gerade mit den Mitteln von Social Media gut geschehen: Kommentare eigenen sich hervorragend dazu.
  5. Nicht alles bewerten wollen: Einzelne Aspekte oder Inhalte auswählen und dabei die Schülerinnen und Schüler mitreden lassen, was man wie bewerten soll.
  6. Dem Positiven mehr Gewicht geben als dem Negativen: Es geht darum, was Schülerinnen und Schüler lernen und können, nicht darum, was sie noch nicht können.
Quelle: berufsbildung.ch
Quelle: berufsbildung.ch

(2) Paradoxien in der schulischen Leistungsbewertung

Betrachtet man die oben stehende Grafik, so wird deutlich, welch komplexe Funktionen Leistungsbewertungen haben. Und dennoch handelt es sich nur um die Beschreibung eines Ideals: In der Schule haben sie häufig einen Selbstzweck: Lehrpersonen bewerten, weil das System das von ihnen verlangt und sie die reale oder vorgestellte Aufgabe haben, Selektion betreiben zu müssen. Diese Noten dienen dann zudem als motivierender Faktor – gelernt wird, weil das Lernen bewertet wird (und die Noten werden dann extern noch einmal mit zusätzlicher extrinsischer Motivation aufgeladen).

Nun ist das natürlich ein Problem, das längst bekannt ist: Es gibt Defizite in der schulischen Leistungsbewertung und -messung. Die werden immer stärker, weil die Kompetenzen in einer vernetzten Welt zunehmend eine individuelle Bedeutung erhalten und komplexer werden. Es gibt schulische und politische Prozesse, die sinnvollere Verfahren einführen und so den Problemen Rechnung tragen – aber auch die Gegenbewegung: Standardisierung und Qualifikation für Berufsausbildungen oder weiterführende Ausbildungsgänge werden immer stärker mit simplen, statistisch normierten Multiple-Choice-Tests gekoppelt, die teilweise auch von externen Anbietern erstellt und ausgewertet werden; nicht selten mit automatisieren Verfahren. (Martin Lindner hat auf die Tendenz aufmerksam gemacht, Testverfahren von MOOCs auch schulintern zu verwenden.)

Kurz: Je schwieriger es wird, Leistungen zu bewerten, desto eher tendiert man dazu, einfachen und untauglichen Verfahren großes Vertrauen zu schenken. Diese Paradoxien führen zu einer enormen Selbstreferenz von Testverfahren: »Lernen« bedeutet dann lediglich, die Spielregeln eines Tests zu lernen, der aber so normiert ist, dass die Beherrschung der Spielregeln anderen – die sie weniger gut beherrschen – schaden.

In der idealen Schule haben alle gute Noten, weil alle lernen und alle etwas können. In einem idealen Testverfahren entsprechen die guten Noten einer Normalverteilung – Lernprozesse sind weniger wichtig als statistische Verfahren.

Zeugnis Oberländische Schule Spiez, 1962. Quelle.

Social Media und Chancengerechtigkeit in der Bildung

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In der Schweiz und in Deutschland korreliert Bildungserfolg sehr stark mit der sozio-ökonomischen Herkunft, wie z.B. der Bildungsbericht 2010 zeigt. Das heißt, die Leistung einer Schülerin oder eines Schülers wird nicht durch die Qualität des erlebten Unterrichts oder die eigenen Fähigkeiten bestimmt, sondern durch den Status der Familie, besonders der Eltern: Wie »bildungsnah« oder »bildungsaffin« sie sind und wie groß ihr sozialer und wirtschaftlicher Status ist, bestimmt in einem hohen Maß, wie gut die Leistungen von Schülerinnen und Schülern sind.

Diese Erkenntnis ist ein Problem für das System Schule, ein Problem, das meiner Meinung nach zu wenig präsent ist in vielen Diskussionen. In der Fachliteratur werden zwei Effekte unterschieden:

Bildungsdisparitäten bezeichnen Bildungsunterschiede zwischen verschiedenen sozialen Gruppen und stellen das Ergebnis von primären und sekundären Effekten dar. Unter den primären Effektenwerden die Sozialisationsbedingungen  im Elternhaus verstanden, welche bei gegebenen institutionellen (schulischen) Bedingungen zu unterschiedlichen Schulleistungen (Performanz) führen. Die sekundären Effekte bezeichnen die Sozialisationsbedingungen, die bei gegebener Performanz (z.B. gleicher Leistung) die Wahl von Bildungswegen beeinflussen.

Bei beiden Effekten ist die Rolle der Sozialisation entscheidend. Social Media ermöglichen nun theoretisch die Erweiterung der Sozialisation um zunächst virtuelle Beziehungen: Die Digitalisierung erlaubte, diskriminierende Strukturen aufzubrechen und Kindern und Jugendlichen Zugang zu den Bedingungen zu verschaffen, die für Schulerfolg entscheidend sind.

Das ist aber bislang eine Theorie. Das Problem – so entnehme ich den von Manfred Spitzer zitierten Untersuchungen – ist, dass Kinder aus benachteiligten Haushalten in der Tendenz technische Mittel so nutzen, dass sie die Benachteiligung vergrößert, statt sie zu verringern. Die unten stehende Grafik von Spitzer halte ich für problematisch, weil die Medien auch Pfeile nach oben darstellen könnten, abhängig von den Bedingungen, unter denen sie eingesetzt werden. Gerade das zeigt aber, wo der entscheidende Punkt liegt.

Technik ist kein Ersatz für ein Schulsystem, das allen gleiche Chancen bietet, sondern verschärft das Problem. Die hier skizzierten Überlegungen zeigen, dass Medienkompetenz eine fundamentale Bedeutung genießt, weil sie Bedingung ist, unter der Benachteiligungen von Kindern abgebaut werden könnte, weil soziale Netzwerke alternative Sozialisationsmöglichkeiten bereit halten. Und dennoch darf Medienkompetenz kein Feigenblatt sein, um die Auflösung dieser diskriminierenden Strukturen weiter aufzuschieben.

Wenn Schülerinnen bloggen – ein Beispiel

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Wie ich z.B. gestern im Interview mit tagi.ch erwähnt habe, entwickeln Schülerinnen und Schüler bei Blogprojekten oft »oft Freude an der Sprache und am Schreiben«. Ein schönes Beispiel dafür habe ich gestern lesen dürfen.

Meine 10. Klasse hatte zunächst den Auftrag, Hebbels Gedicht »Sie sehn sich nicht wieder« und Brechts »Die Liebenden« zu vergleichen – die Vorlage gibts hier als pdf. In einem weiteren Schritt wurden sie gestern aufgefordert, eines der Gedicht auf der wörtlichen oder auf der übertragenen Ebene in einen Prosatext umzuschreiben: Ganz herkömmlich mit Papier und Bleistift – die Texte werden morgen dann ausgewertet.

Eine Schülerin hat auf ihrem Blog, den sie im vergangenen Semester für die Schule genutzt hatte, ihren lesenswerten Text nicht nur publiziert, sondern ihn auch mit einem Bild versehen, das sie dafür speziell bearbeitet hatte. Der Blog wird zur Schnittstelle der Schule nach außen, zur Möglichkeit, die Freude an der sprachlichen Bearbeitung zu teilen, das eigene Talent auszustellen und Medien miteinander zu verbinden, wie das in der Lektion gar nie möglich gewesen wäre.