Zu einem Fall, den die Schweiz letzte Woche beschäftigt hat, schreibt die NZZ:
Am Samstagabend gegen 21 Uhr versandte X., der die Kreispartei Zürich 7 und 8 der SVP seit dem vergangenen Jahr in der Schulpflege Y. vertritt, eine Meldung auf der Online-Plattform Twitter. Später löschte er den Eintrag, einen sogenannten Tweet, wieder. […] Hingegen kursierte in der Twitter-Community ein sogenannter Screenshot, eine Fotografie des ursprünglichen Tweets. «Vielleicht brauchen wir wieder eine Kristallnacht . . . diesmal für Moscheen» steht unter dem Absender «D.», dem Pseudonym des 37-jährigen X. […] Aufgrund der vorliegenden Informationen bereits die Reissleine gezogen hat hingegen X.s Arbeitgeber, ein weltweit tätiges Unternehmen der Finanzbranche. Ein Mitglied der Geschäftsleitung bestätigte am Montag auf Anfrage, X. sei nicht mehr angestellt. Zu den näheren Umständen der Entlassung wollte sich das Kadermitglied nicht äussern.
Im Anschluss an diese Nachricht, die in allen relevanten Medien der Schweiz und auch im Ausland erschienen ist, stellte sich die Frage, ob X. mit Namen genannt werden dürfe (was die NZZ getan hat, ich habe alle identifizierenden Angaben aus dem Zitat entfernt). Also:
- Gelten Äußerungen auf Social Media als öffentliche Äußerungen?
- Dürfen Informationen und Bilder aus Social Media in öffentlichen Medien genutzt und oder zitiert werden?
- Dürfen Personen, die auf Social Media unter dem eigenen Klarnamen auftreten, mit diesem Namen in Medien genannt werden?
Naiv könnte man diese Fragen wie folgt beantworten: Alles, was öffentlich einsehbar ist – z.B. in einem nicht-privaten Twitter-Account steht -, darf auch verbreitet werden. Alles, was sich an einen eingeschränkten Personenkreis wendet, z.B. nur für Facebook-Freunde einsehbar ist, nicht.
Die Rechtslage sieht aber etwas komplexer aus. Ich möchte zwei einschlägige Grundlagendtexte kurz zitieren und dann meine Einschätzung abgeben – mit der Warnung, dass ich ein juristischer Laie bin.
Die Netzwoche hat zu diesem Thema mit der Spezialistin und Anwältin Lilian Snaidero Kriesi gesprochen. Sie erläutert zunächst zwei Fragen:
- Sind Tweets (oder allgemein: Inhalte in Social Media) urheberrechtlich geschützt?
- Dürfen Tweets zitiert werden?
Diese beiden Fragen sind rechtlich klar geregelt – obwohl eine gerichtliche Beurteilung der Frage fehlt, ob Tweets ein »Werk« im urheberrechtlichen Sinne sind. Fazit der beiden Fragen:
Unzulässig ist ein Zitat dann, wenn es dem reinen Selbstzweck oder überwiegend der schmückenden Illustration dient. Erforderlich ist somit immer ein inhaltlicher Bezug zwischen zitiertem Werk(teil) und der eigenen Darstellung.
Heißt: Tweets dürfen zitiert werden, wenn es in einem Artikel um eine inhaltliche Fragestellung geht, mit der der Tweet in Zusammenhang steht, aber nicht als »Tweet der Woche«, der in keinem Kontext zu journalistischen Arbeiten steht.

Zur Frage der Öffentlichkeit äußert sich Snaidero präziser – immer noch im Kontext der Frage, ob Tweets zitiert oder abgebildet werden dürfen:
Öffentlichkeit darf grundsätzlich nicht mit Carte Blanche gleichgesetzt werden. Damit meine ich, dass öffentlich zugängliche Informationen, Bilder etc. nicht ohne weiteres und bedenkenlos weiterverbreitet werden dürfen. […] Ich bin deshalb der Ansicht, dass es grundsätzlich der vorgängigen Einwilligung des Autors bedarf.
Diese Frage steht auch im Mittelpunkt eines Presseratsurteil, für das die Spezialisten Manuel Bianchi della Porta (Anwalt) und Sami Coll (Soziologe) angehört hat. Der Presserat bilanziert (nur auf französisch verfügbar, meine Übersetzung unten):
Les informations et les documents mis en ligne sur les réseaux sociaux, les sites personnels et les blogs, qui sont accessibles librement à chacun, relèvent de l’espace public. Néanmoins, une information reprise de l’Internet peut garder sa nature privée suivant son contenu. Dès lors, une telle information ne doit pas être considérée a priori comme pouvant être publiée dans un autre média. […]
Pour cette pesée des intérêts le contexte dans lequel les informations sont mises en ligne est déterminant. Par contexte il faut entendre: la nature du site (réseau social comme Facebook, blog personnel, forum, site institutionnel, etc.), l’identité de l’auteur (individu lambda, personnalité publique, journaliste, etc.) et son intention dans la mesure où elle est évidente (communication large ou s’adressant à un milieu restreint). Le seul fait qu’une information ou une photo se trouve sur internet ne permet pas de présumer que son auteur autorise une diffusion dans un autre média.[Übersetzung phw:] Die Informationen und Dokumente, die online in Sozialen Netzwerken, auf Internetseiten oder Blogs allen zugänglich sind, fallen unter den öffentlichen Raum. Dennoch kann eine Information aus dem Internet abhängig von ihrem Inhalt privater Natur sein. Infolgedessen darf man eine solche Information nicht behandeln, als sei sie in einem anderen Medium publiziert worden […]
Aus dieser Abwägung der Interessen ist der Kontext entscheidend, in dem die Information online gestellt worden ist. Unter Kontext ist Folgendes zu verstehen: Die Funktionsweise der Internet-Seite (soziales Netzwerk wie Facebook, persönlicher Blog, Forum, Seite einer Institution etc.), die Identität des Autors (Durchschnittsbürger, öffentliche Persönlichkeit, Journalist etc.) und seine Absicht, insofern sie offensichtlich ist (breite Kommunikation oder Adressierung eines eingeschränkten Personenkreises). Nur weil eine Information im Internet abrufbar ist, darf nicht angenommen werden, der Autor autorisiere eine Verbreitung in anderen Medien.
Dieses Urteil enthält eigentlich eine Checkliste, die ich im Folgenden noch einmal aufliste. Ich schlage vor, in jeder Kategorie drei Punkte zu vergeben, analog zum Umgang mit dem Recht am eigenen Bild:
- Wo wurde eine Information publiziert?
1: soziales Netzwerk – 2: persönlicher Blog – 3: Seite einer Organisation oder Institutiton - Wer hat die Information publiziert?
1: Privatperson – 2: Person der Zeitgeschichte – 3: Amtsperson - An wen ist sie gerichtet?
1: eingeschränkter Kreis von Adressaten – 2: Adressaten, aber öffentlich einsehbar – 3: an die Öffentlichkeit (Wunsch maximaler Verbreitung)
Sechs Punkte wären meiner Meinung nach die Grenze – was klar mehr Punkte bekommt, darf ohne Rückfrage in Medien publiziert werden (unter Angabe der Quelle), was weniger erhält, nicht.
Als Exkurs kurz die Rechnung im eingangs zitierten Fall des SVP-Twitterers:
- 1 Punkt, Twitter
- 2 Punkte, als Schulpfleger handelt es sich wohl um eine Amtsperson, fraglich ist, ob er als Privatperson diese Twittermeldung geäußert hat.
- 2 Punkte, öffentlich einsehbarer Twitter-Account (allerdings wurde Nachricht gelöscht und war direkt nicht abrufbar, die Intention ist klar, dass die Information nicht verbreitet werden soll).
Auch mit dieser eher großzügigen Punktgebung kann davon ausgegangen werden, dass die Information und der Name des Autors unter den Schutz der Privatsphäre fallen sollte. Das hat selbstverständlich keinen Einfluss auf strafrechtliche Belange oder Entscheide eines Arbeitgebers – sondern betrifft lediglich den Umgang der Medien. Sie sollten im Zweifelsfall um eine Abdruckgenehmigung bitten.
Als Fazit eine breitere Empfehlung: Es handelt sich hier um eine rechtliche Grauzone. Relevante Gerichtsentscheide fehlen. Man kann davon ausgehen, dass alle in Social Media abrufbaren Information bei Bedarf in Medien Verbreitung finden (wenn man also z.B. durch einen historischen Lottogewinn bekannt geworden ist, muss man damit rechnen, FB-Bilder von sich selbst in der Zeitung vorzufinden).