In diesem Gastbeitrag möchte ich Interessierten einen Einblick in die Funktionsweise eines Gamificationprojektes im gymnasialen Deutschunterricht geben, welches ich seit nunmehr fünf Jahren mit verschiedenen Klassenzügen erfolgreich durchgeführt und dabei stetig optimiert habe. Um den pädagogischen Witz einer gamifizierten Lernumgebung erfassen zu können, reicht leider der blosse Blick auf die Oberfläche nicht aus, vielmehr ist es erforderlich, die Spielmechanik und mithin die ihr zugrunde liegenden Überlegungen auszuführen, um das Gewinnbringende ihrer Nuancen zu begreifen. Das soll schlussendlich der Erkenntnis dienen, dass Gamification mehr ist eine modische Worthülse, mehr als blosses Trophäen- und Badgesammeln.
Vorweg, es werden hier keine Videospiele oder Ähnliches im Unterricht verwendet. Gamification meint einfach das Übertragen gewisser Spielmechaniken auf andere Anwendungsbereiche. Und ich glaube, hier ein anschauliches Beispiel einer relativ schlanken, aber trotzdem effektiven Variante einer solchen geben zu können, die sich auf zahlreiche andere Formen selbstorganiserten Lernens übertragen lässt.„Über Gamification im Deutschunterricht und die Quantifizierbarkeit von Lektüreerlebnissen“ weiterlesen
Ich nenne es das App-Problem: Geht es darum, mobile Geräte in der Schule zu verwenden, dann fragen Lehrpersonen schnell nach Apps. Im »Idealfall« können die das vermitteln, was die Lehrpersonen ohnehin vermitteln wollten. Dann ersetzen Tablets oder Smartphones die Lehrperson, sie beüben Schülerinnen und Schüler genau so, wie das vorher ihr Buch gemacht hat. Nur eben effizienter, individueller und scheinbar motivierender.
Das Problem dabei ist, dass die Lernenden die Geräte gar nicht als das benutzen, was sie eigentlich sind: Werkzeuge. Sie verharren in Oberflächen, die nur einen Bruchteil der Möglichkeiten überhaupt einbeziehen.
Ein sinnvoller Einstieg zur Nutzung der Geräte ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt. »Wer bin ich? Wer sind meine Mitmenschen? Wie sieht die Welt um mich herum aus?«, sind als Fragen auf allen Schulstufen aktuell. Die Aufgabe ist naheliegend: Einen Tag, eine Woche, einen Monat mit mobilen Geräten zu dokumentieren. Automatisch geht es um die multimedialen Möglichkeiten: Wie können Töne aufgenommen und geschnitten werden? Was bewirken Zeitlupenvideos? Welche Wirkung haben Fotofilter? Was kann ich automatisieren?
In einem zweiten Schritt um ihre Präsentation: Wie kann ich das, was sich in meinem Gerät befindet, anderen zeigen? Kann man daraus ein Poster machen? Oder eine Homepage? Einen Vortrag? Oder gar einfach am Handy zeigen, wie das so ist, das eigene Leben?
Die daran anschließende Reflexion dürfte einige Einsichten über die mediale Repräsentation der Umwelt bereit halten. Hier sollten individuelle wie kooperative Wege gesucht werden (Text verfassen, Gruppengespräche führen).
Je nach Schulstufe kann die Aufgabe schwieriger oder einfacher gehalten werden. Sie gehört – leicht modifiziert – in jedes Fach, weil sie leicht auf eine Perspektive eingeengt werden kann. Die Schülerinnen und Schüler brauchen weder dieselben Geräte noch müssen sie in ihrer Nutzung geschult werden – sie müssen nur angeregt werden, die Werkzeuge auch tatsächlich einzusetzen.
Ein typisches Bild für Schweizer Gymnasien seit Mitte Mai: Die Abschlussklassen schreiben Maturprüfungen. Rund fünf Mal setzen sie sich vier Stunden in ein Schulzimmer, geben alle Hilfsmittel ab und brüten über Aufgaben in Mathematik, Deutsch, Fremdsprachen sowie Vertiefungsfächern.
Die Prüfungen sind im doppelten Sinne isoliert: Sie gehören nicht zu einer Lernumgebung (geprüft wird »alles«) und sie werden von einzelnen Menschen geschrieben. Die Frage muss erlaubt sein: Ist das sinnvoll? Einerseits: Sind die Resultate der Prüfung aussagekräftig in Bezug auf das zukünftige Lernverhalten von Schülerinnen und Schüler? Oder können sie etwas über die Leistungen am Gymnasium aussagen? Geben sie den Lernenden Rückmeldungen über ihre Stärken und Schwächen?
Zunächst: Die Prüfungen haben aufgrund ihrer Tradition einen hohen symbolischen Wert. Auch Einstein hat eine Maturprüfung geschrieben und an der Maturfeier sagen schlaue Schriftsteller, gewiefte Wirtschaftsführer und ab und zu auch eine Frau salbungsvolle Worte zu den Maturandinnen und Maturanden, die sich in den Bänken langweilen und darauf warten, endlich ans Mittelmeer fliegen zu können. War schon immer so, soll daher auch immer so bleiben.
Die Symbolik überlagert auch den realen Effekt der Prüfungen: für 90 bis 95% der Schülerinnen und Schüler ist vor den Prüfungen klar, dass sie sie bestehen werden. Der Modus ist so ausgelegt, dass nur die Schwächsten wirklich geprüft werden, die meisten anderen können weder was gewinnen noch etwas verlieren. Im Zeugnis, das später noch eingesehen werden kann, sind die Prüfungen unsichtbar. Die Geprüften wissen oft nicht, welche Note sie in welcher Prüfung erhalten haben, weil diese verrechnet und gerundet werden.
Zurück zu den Prüfungen selbst und ihrer technischen Durchführung: Seit ein paar Jahren arbeiten ganzen Klassen mit Laptops oder Tablets. Diese dürfen dann zuweilen auch an Prüfungen eingesetzt werden – allerdings nur, wenn sicher gestellt werden darf, dass eine Vernetzung oder ein Zugriff aus Internet verhindert werden kann. Schulen geben so vor, den aktuellen Stand der Technik zuzulassen, allerdings völlig aus dem sozialen Kontext gelöst. Sie machen aus Laptops und Tablets das, was PCs in den 80er-Jahren waren. Der aktuelle Stand der Technik ist also letztlich der vor von 25 Jahren.
Kommt hinzu: Schon vor dem Internet sind projektbezogene Arbeiten in Teams in der Arbeitswelt das vorherrschende Paradigma geworden. An Schulen hat diese Arbeitsform auch Einzug gehalten: Aber in den wenigsten Fällen so, dass das die Vorstellung einer isolierten Prüfung auch nur ansatzweise bedroht worden wäre.
So haben wir, wie im unten stehenden Beispiel, an Prüfungen oft nette Aufgaben, clever und sorgfältig ausgedacht, durchaus unterhaltsam für die Prüfenden – aber ohne jeden Bezug zu einer Aufgabe, die in der Arbeitswelt relevant sein könnte. Wer schreibt heute professionell Texte, ohne sie zu überarbeiten, gegenlesen zu lassen, zu recherchieren oder Input von anderen einzuholen?
Maturprüfung 2011, Deutsch Kantonsschule Wettingen, Aufgabe 3 von 4.
Was schlage ich also vor? Meine Lösung wäre ganz einfach. Während der vier oder mehr Jahre am Gymnasium arbeiten die Schülerinnen und Schüler mit Portfolios in jedem der Hauptfächer (vgl. diese Anleitung der Universität Zürich). Diese Arbeit wird sorgfältig eingeführt und immer wieder überprüft. Die Abschlussprüfung besteht in einem Gespräch über das Portfolio, bewertet wird zudem ein schriftlicher Kommentar zum Portfolio, in dem auch gewisse Portfolioarbeiten vorgestellt werden müssen, die dann ebenfalls in die Prüfungsresultate einfließen.
Aber – so wird man einwenden – dann kann es sein, das ein Maturand oder eine Maturandin kein Integral lösen kann, nie einen Caesar-Text selbst übersetzt hat und sich auch die Deutschbücher von jemand anderem lesen lässt?
Ja. Es kann auch heute schon so sein. Wer über ein gebildetes Umfeld und genügend Geld verfügt, erhält heute eine Matur. Ohne wenn und aber.
Auch Ingenieure müssen heute keine Integrale mehr lösen. Es ist nicht selbstverständlich, dass Menschen Kompetenzen selbst haben müssen – und schon gar nicht, welche.
Die Maturprüfung gibt vor, es sei klar, was man wissen muss und wie man es wissen muss. Diese Klarheit hat sich längst aufgelöst. Das sieht man schon allein daran, wie unterschiedlich diese Prüfungen um deutschen Sprachraum sind, obwohl die Arbeiten, welche die so ausgebildeten und geprüften Menschen dann erledigen, ganz ähnlich sind.
Ich werde vom Montagmorgen bis Freitagabend:
a) mein Smartphone im Büro meiner Wohnung lassen
b) kompletter Verzicht auf soziale Netzwerke, insbesondere Twitter, Facebook, Google+, Instagram und Tumblr.
c) meine Mails täglich nur ein einziges Mal abrufen und bearbeiten.
Gelungen ist mir b). Ich habe mich kein einziges Mal eingeloggt, keine Nachricht gelesen. Schon am Montagmorgen musste ich die Push-Benachrichtigungen abschalten, weil mich die Twitter-Mentions dennoch erreicht haben.
Bei a) und c) bin ich schon am Montag brutal gescheitert. Eine kurzfristige familiäre Planänderung erforderte, dass ich unterwegs telefonieren oder Nachrichten verschicken musste. Dann erreichten mich andere dringende Anfragen, so dass ich zwar deutlich weniger oft SMS und Emails gelesen habe, aber doch alle drei, vier Stunden.
Was waren meine Erfahrungen? Mein Leben ändert sich geringfügig. Einiges fällt mir leichter: Ich hatte mehr Einfälle, arbeitete zielorientierter, wurde ruhiger und geduldiger. Vieles wurde mühsamer: Die Investitionen in meine Netzwerke führen dazu, dass ich wichtige Informationen sehr gezielt aufnehmen kann und regelmäßig direktes Feedback erhalte. Beides fehlte mir, ebenso wie Notizen zu synchronisieren und andere Hilfsmittel für meine Produktivität.
Die größten Veränderungen bemerkte ich bei Kleinigkeiten: Ohne genaue Zeitangabe durch den Tag zu gehen führt zu Gelassenheit, weil immer ein paar Minuten übrig sind. Eine Woche keine Musik zu hören zu bewussterer Wahrnehmung. Meine Handschrift ist untauglich, ich kann weder übersichtliche Notizen anlegen noch leserlich schreiben und werde das wohl auch nicht mehr lernen.
Im Allgemeinen führen Stress und Müdigkeit bei mir dazu, dass ich mich auf Twitter oder Facebook in Diskussionen verstricke, die selten zu produktiven Resultaten führen. Dagegen habe ich schon mehrfach anzukämpfen versucht, vergeblich. Ich bin weit davon entfernt, mich hier defätistisch in ein scheinbares Schicksal zu fügen, aber auch nicht bereit, mir eine Social-Media-Askese aufzuerlegen, die alle wertvollen Aspekte gleichermaßen verunmöglicht. Gleichzeitig ist für mich auch eine gewisse Erholung und Me-Time damit verbunden, in der Timeline nachzulesen, was andere schreiben oder eine Partie Threes zu spielen.
Digitale Kommunikation ist für mich wie essen. Ich esse gerne. Manchmal zu viel, manchmal zu schnell, manchmal zu wenig bewusst. Unter Druck esse ich oft Ungesundes. Daran arbeite ich immer wieder. Aufhören zu essen ist aber keine Option.
Die Aufklärungsarbeit von Pro Juventute ist wichtig und richtig. In Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten wird die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit mit der kostspieligen Kampagne auf ein medienpädagogisches Thema gelegt, das tatsächlich Aufmerksamkeit verdient.
Die fachlichen Informationen, die Pro Juventute z.B. in den Merkblättern zur Verfügung stellt, sind hochwertig und empfehlenswert. Sie sind kompakt, praxisnah und korrekt.
Sexting ist – wie auch Cybermobbing – keines der großen Themen von Pro Juventute. Sexting betrifft eines von 450 Gesprächen, die Pro Juventute mit Jugendlichen täglich führt.
Der Vorwurf, die Kampagne würde dafür benutzt, Spendengelder einzutreiben, der beispielsweise bei der Cybermobbing-Kampagne in der NZZ erhoben wurde, mag einen wahren Kern haben, verkennt aber, wie sich Organisationen wie Pro Juventute finanzieren müssen. Marketing ist wichtig und es ist keineswegs verwerflich, das Marketing mit einer Aufklärungskampagne zu verbinden.
Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack, dass ein Bild der Jugend gezeichnet wird, das der Realität nicht ganz gerecht wird. Jugendliche betreiben Sexting, aber die Praxis ist nicht Alltag und betrifft nicht alle Jugendlichen. Ein Schulleiter einer Zürcher Oberstufe hat kürzlich von drei Fällen im letzten halben Jahr gesprochen, mit denen er sich beschäftigen musste. Sicher kein vernachlässigbares Problem, aber beispielsweise nicht auf eine Stufe mit familiären Problemen zu stellen.
Die Präsenz in den sozialen Netzwerken könnte professioneller ausfallen. Die Beratung im Chat sollte zumindest an kompetente Fachleute weiterverweisen, wenn sie selbst keine kompetente Auskunft geben kann.
Das betrifft auch den Cyber-Risiko-Check. Er ist auf Facebook beschränkt – eine Plattform, die gefährdete Jugendliche (also die jüngsten) neben WhatsApp und Instagram immer weniger nutzen. Dazu kommuniziert er medienpädagogisch paradox: Er verlangt Zugriff zum eigenen Facebook-Profil und möchte sogar im eigenen Namen publizieren können – will aber gleichzeitig vermitteln, dass der Zugriff zum Profil möglichst vorsichtig gehandhabt werden sollte. Die Kriterien, nach denen die Empfehlungen erfolgen, sind zudem wenig transparent und die Tipps an der Oberfläche. Echte Präventionsarbeit muss sich stärker auf Kontexte beziehen und funktioniert auf einer so allgemeinen Ebene nicht.
Fazit: Während die Kampagne sinnvoll ist, dürfte sie in der konkreten Ausgestaltung sorgfältiger sein. Lieber etwas genauere Information, dafür weniger Möglichkeiten, als allgemeine Hinweise, die im konkreten Fall wenig nützen.
Im Rahmen einer Blogparade habe ich vor 10 Tagen dazu eingeladen, Texte darüber zu schreiben, wie man sich eine spezifische Kompetenz angeeignet hat. Sinn davon ist, dass die Texte so besser sichtbar werden, die Bloggerinnen und Blogger sich so vernetzen und letztlich eine Sammlung von Texten entsteht, die ich dann in einem Schlusspost zusammenfasse und kommentiere. Der Titel der Blogposts wäre »Wie ich etwas gelernt habe«, wobei »etwas« dann ersetzt würde durch die Kompetenz. Eine mögliche Struktur der Beiträge wäre:
Beschreibung der Kompetenz (was bedeutet es, das zu können?)
Phasen des Lernprozesses
Wie habe ich gelernt?
Was lässt sich daraus übers Lernen ableiten?
Es ist Usus, einen Zeitraum vorzugeben: Ich schlage also mal vor, die Texte bis Ende April zu schreiben und würde mich freuen, wenn sie hier mit Kommentar verlinkt würden oder ich eine Mail mit einem Link erhielte.
* * *
Hier der Beitrag von Penelope, sie hat ihn auf Englisch geschrieben:
I was 23 and had been devoting myself to fine arts, dance, literature and languages since the age of 16. I hated maths, science, geography and anything I was expected to learn without being told why. At 16, it had been my opinion that life was hard enough without the need to solve abstract problems that did not serve to make me any happier.
Needless to say, after 7 years away from numbers and logic, my grasp of anything more complicated than basic arithmetic was poor.
Having arrived in London as a tourist, determined to get a job and stay there, I managed to be hired by an agency as an office “temp” (temporary worker) even though I couldn’t even type. At the first company I was sent to, one of my duties involved updating a spreadsheet in Lotus 1-2-3, the precursor of Excel.
When I first realized that the numbers I could see in the cells of the spreadsheet were the result of hidden formulas, my tiny brain was suddenly set on fire! I was both horrified and intrigued. I thought that such trickery was an outrage! – but also utterly fascinating. I knew I had to figure out how this craziness worked! After several weeks of struggling to understand some of the formulas, I managed to get myself on a Beginners’ Course in Lotus 1-2-3. (In the meantime, the company I was sent to as a “temp” had hired me as a permanent employee.)
At the Beginners’ Course, I was even more shocked to discover that I really knew nothing about how the world worked. I didn’t even know that to work out a Profit, you had to subtract the Purchase Price from the Sales Price. How could I know such a thing? I had never worked in a shop, and had never given this matter any thought at all. But this was actually less important to me than learning the magic of those formulas, which caused correctly computed numbers to appear.
As a result of learning the power of spreadsheets, I later became a computer programmer (aka software developer). If I hadn’t had that experience, I would perhaps have gone through life without ever finding out how fascinating the field of numbers and logic is.
I still love to read, draw and dance, but numbers, logic and science in general is where I find a never-ending source of interesting problems that need solving.
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Comment: This is not really „how“ in terms of the steps I took, but „how“ the subject grabbed me and enabled me to learn difficult concepts (to me they were difficult) because I was so fascinated.
Ein Blogprojekt, das ich regelmäßig durchführe, habe ich hier schon einmal vorgestellt. Es geht kurz darum, dass sich Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, die in der 10. Klasse neu eine Klasse bilden, sich selber vorstellen – und zwar ihren Lehrerinnen und Lehrern und einander. Ein Vorstellungsaufsatz hatte Tradition an der Schule, das Blogprojekt löst ihn bei den Klassen, die im Fach Deutsch unterrichte, ab.
Der Auftrag ist, kurz gefasst: 20 Posts schreiben, 40 Kommentare hinterlassen. Thematische Vorgaben gibt es keine – man kann die eigene Person, Erlebnisse, Gedanken, Interessen vorstellen. Entsprechend groß ist die Bandbreite.
Die Blogs werden bewertet, wobei ich folgende Grundsätze berücksichtige:
Es gibt eine Zwischenbewertung als Feedback.
Die Schülerinnen und Schüler können einzelne Posts auswählen, die für die Bewertung im Mittelpunkt stehen sollen – und auch solche ausschließen, die nicht berücksichtigt werden sollen.
Sie bewerten sich selber; meine Bewertung ist eine Reaktion auf ihre Selbsteinschätzung.
Im Folgenden einige Aussagen der Schülerinnen und Schüler, ihre Blogs sind verlinkt (einige davon könnten privat sein, dafür entschuldige ich mich). Ich versuchte, die Auswahl auf interessante Aspekte zu fokussieren, wählte also weder besonders positive, noch besonders negative Kommentare aus. Darunter fasse ich wesentliche Punkte zusammen:
Am Anfang war ich ziemlich skeptisch eingestellt gegenüber diesem Projekt. Zumal ich vorher noch nicht einmal den Hauch einer Ahung hatte, was ein Blog überhaupt ist. Irgendein Onlinetagebuch, in dem man der ganzen Welt seine Sorgen und Probleme mitteilt und alles berichtet, was man so erlebt. Geht’s noch?! Ich möchte doch nicht mein Leben vor irgendwelchen Leuten, die vielleicht per Zufall auf meinen Blog stossen, ausbreiten! Musste ich dann aber doch nicht. Es verlief nämlich alles viel besser, als erwartet und ich hatte sogar Spass beim Schreiben meiner Artikel. – galivinci
Eine Tatsache, der ich leider ins Auge schauen muss: Mein Blog ist nur eine winzige Insel im grossen Meer des WorldWideWeb. Vielleicht stösst jemand beim Surfen auf diese Seite und kann in meinen Beiträgen schmökern. Ich bezweifle aber, dass sich allzu viele Leute in diese Gewässer verirren. Doch manchmal, ich war selbst überrascht, ziehe ich einen der vielfältigen Kommentare und Feedbacks an Land. Diese wurden zwar nie als Strandgut(„Spam“)abgestempelt und wieder zurück ins Meer geworfen, nein, sie waren immer ermunternd und konstruktiv. Um es zuzugeben, ich war, bis vor einigen Monaten, noch nie richtig mit dem Thema „Blog“ in Berührung gekommen. – sunset007
Sehr hilfreich bzw. störend beim schreiben von Blog Posts fand ich die eigene Einstellung. Je nach dem wie ich mich fühlte, sieht man in den Blog Posts. Gefühle wie Wut & Hass gaben zwar viele Ideen zum schreiben, doch meine Gedanken einfach so aufschreiben & ins Internet posten ist nicht gerade klug. Positive Gedanken & gute Stimmung brachten mich dazu, einfach mal los zu schreiben. Das Einfach-Los-Schreiben ist eine „Fähigkeit“, die sich während dieser Blogging-Phase bei mir etwas entwickelt & etabliert hat. – bagobi
Die Vorgabe mit den Kommentaren (Wir mussten mind. 40 Kommentare auf den Blogs unserer Mitschüler hinterlassen.) bereitete mir etwas Mühe. Ehrlich gesagt bin ich kein Fan von „Oh, schön geschrieben.“ oder „Ich bin der gleichen Meinung.“. Ich kommentiere im Internet generell nur Dinge, die mich wirklich faszinieren und begeistern und nicht, weil ich einen gewissen Umfang an Kommentaren hinterlassen muss. – Fiorella
Es war nicht immer leicht zu entscheiden, was nun in meinen Blog gehört und was nicht. Meiner Meinung nach geben manche Leute zu viel von sich im Internet preis; nicht unbedingt in ihren Blogs, sondern auch auf Facebook, Twitter und Co. Ich schreckte schon davor zurück, meinen richtigen Namen als Benutzernamen zu verwenden, wie es einige meiner Klassenkameraden getan haben. Irgendwie habe ich einfach dieses fest verankerte Gefühl, dass mein Leben nicht in ein weltweites Netzwerk gehört, auf das alle Zugriff haben (das mag angesichts der Tatsache, dass ich auf Facebook zu finden bin, sehr seltsam klingen, aber auch dort stelle ich nicht gerne Fotos und dergleichen rein). Das Problem am Internet ist einfach: Was einmal hochgeladen ist, bekommt man so schnell nicht wieder aus dem Web. Deshalb sollte man sich immer zweimal überlegen, was man postet. – teenagetage
Die Rückmeldungen die ich bis jetzt zu meinem Blog bekommen habe, waren überwiegend positiv und das freut mich unglaublich. Ich hätte nie gedacht dass es Menschen gibt, die sich freiwillig mein Gelaber anhören. Beziehungsweise durchlesen. Ist ja auch egal, auf jeden Fall habe ich viele nette Worte bekommen und bin dafür sehr dankbar. Man fühlt sich schon so ein bisschen…wie soll ich sagen…komisch dadurch? Immerhin bekomme ich Lob dafür, dass ich mit dem Laptop in meinem Bett sitze, mich im Internet ein bisschen auskotze und nebenbei einen sehr leckeren Energydrink trinke, dessen Name ich hier nicht nennen werde. Aber er ist echt monströs.- Lego
Denn, abgesehen von diesem Blog, bin ich eher ein passiver Internetnutzer: ich höre mir Lieder oder sehe mir Videos auf YouTube an, recherchiere auf Wikipedia und anderen Seiten. Dieser Blog ist also für mich eine ganz neue Seite des Internets: Das erst Mal schreibe ich aktiv im Internet und theoretisch kann es auch jeder ansehen, lesen und dabei mitdiskutieren! Genau das ist ja auch der Unterschied zu einem herkömmlichen Schulaufsatz: Jeder, sogar Aussenstehende, können den Blog lesen und ihren Kommentar hinterlassen. Das Bloggen ist also regelrecht eine neue Kommunikationsform und beinhaltet als solche auch viele Vorteile, denn jegliche zeitliche und örtliche Grenzen werden aufgehoben. – awinkler12
Und ganz wichtig: Ich habe durch das Projekt etwas über meine Mitschüler gelernt, was auf jeden Fall das wertvollste am Projekt ist. Um von einem Hobby oder Vorlieben für Reisen, Musik, Filme, usw. zu erfahren, ist ein Blog eine ziemlich gute Methode, doch aus meiner Sicht nicht für den alltäglichen Austausch mit Freunden geeignet, dafür ist er mir persönlich zu formal. – pauliimpro
Dieser Kuchen ist eine meiner Lieblingsentdeckungen, die ich in der mir nun bereits viel vertrauteren Blogwelt gemacht habe. Er soll auch Euch, an Tagen wenns an Schreibmotivation mangelt einen literarischen Regenbogen herzaubern! – Nadine
Regenbogentorte aus dem Blog von Nadine.
Für mich entscheidend an diesen Äußerungen sind einige recht banale Punkte:
Social Media ist oft einfach viel Schreibarbeit. Auch für Schülerinnen und Schüler.
Ein Schulprojekt ist ein Schulprojekt: Es wird im Hinblick auf Noten und Bewertungen durchgeführt.
Diversität ist wichtig: Die Aktivitäten sollten noch mehr wie die Regenbogentorte sein und alle Farben des Spektrums umfassen. Dazu brauchen die Lernenden mehr Freiheiten, als Lehrender muss ich mich trauen, ihnen zu vertrauen. Abweichungen zuzulassen, wohl auch Verweigerung.
Das Internet ist mit vielen Ängsten verbunden.
Blogs sind weit gehend ein unbekanntes Land für Jugendliche.
Aktivitäten mit Neuen Medien brauchen glaubwürdige Begleitung.
Praxis, Reflexion und Dialog sind die entscheidenden Momente, die am meisten auslösen können.
Ich habe Stephan Porombkas »Schreiben unter Strom« schon vorgestellt. In Anlehnung an seine Vorschläge habe ich nun eine Unterrichtseinheit zu Werter konzipiert, die sich auf diesem Arbeitsblatt findet (pdf). Dazu gehört auch die Aufforderung an die Lernenden, ihr Projekt sinnvoll zu dokumentieren und eigene Bewertungskriterien in der Zusammenarbeit mit mir zu erstellen. Entsprechende Materialien dazu werde ich nachliefern.
Um das Arbeitsblatt sinnvoll weiterverwenden zu können – wie alle Texte auf dem Blog CC-BY-lizenziert – hier der Text mit Links:
Werther: Kreative Bearbeitung
Vorschläge für eine Gruppenarbeit
Parallel zur Einführung in die Epoche des Sturm und Drangs und zur Lektüre von Goethes »Die Leiden des jungen Werthers« erarbeiten Sie in Gruppen ein kreatives Projekt, in dem Sie die Lektüreerfahrung verarbeiten und ein neues Kunstwerk gestalten.
(1) Regiekonzept zu einem Stück
Sie arbeiten den Text zu einem Stück um. Im Regiekonzept handeln Sie folgende Themen ab:
Auswahl und Gewichtung des Textes (welche Passagen heben Sie hervor, wiederholen Sie, welche streichen Sie?) Originalfassung oder Umschreibung (z.B. auf Dialekt etc.)?
Wie gestalten Sie die Figuren? Welche wählen Sie aus (und warum)? Kostüme? Sprechweise?
Gestaltung der Bühne, Requisiten etc.
Dramaturgie: Wie ist das Stück aufgebaut und warum?
Wirkung auf die heutigen Zuschauerinnen und Zuschauer: Was wollen Sie ihnen zeigen?
Weitere Eigenschaften des Stücks: Licht, Musik …
Ein Beispiel für den Hintergrund einer Inszenierung eines Theaterschaffenden finden Sie unter: phwa.ch/wertherinszenierung
(2) Vom Briefroman zum Email/Twitter/WhatsApp-Roman
Wählen Sie einen geeigneten Ausschnitt aus dem Briefroman und stellen Sie sich vor, Werther würde per Email kommunizieren. Schreiben Sie dann den Ausschnitt neu als eine Folge von Email-Wechseln (zwischen 20 und 30 teilweise kurzen Mails).
Sie können das Medium beliebig wählen: Es ist auch möglich, verschiedene Twitter-User zu erfinden und die interagieren zu lassen, oder dasselbe auf Facebook etc. zu tun.
Ebenfalls frei sind Sie darin, ob Sie die Originalgeschichte in einem neuen Medium erzählen wollen oder ob sie die Handlung gleichzeitig modernisieren wollen und Werther zu einem tragisch Verliebten im 21. Jahrhundert wird.
Diese Idee ist nicht neu. Sie können sich hier inspieren lassen: phwa.ch/wertheremail
(3) Eine eigene Idee
Der Text inspiriert Sie vielleicht zu etwas ganz anderem. Dann sollen Sie das tun. Wichtig ist, dass Sie das Projekt vorgängig skizzieren können, es hauptsächlich um eine Arbeit mit dem Text geht und Ihr Projekt mit dem Fach Deutsch zu tun hat (aktive und passive Verwendung der deutschen Sprache).
Einige Idee haben ich von Stephan Porombka: Schreiben unter Strom. Duden Verlag, 2012.
Der direkte Kontakt mit Wissenschaftlerinnen, Künstlern, Politikerinnen und anderen Persönlichkeiten ist für Schülerinnen und Schüler von großem Wert. Sie sind Perspektiven ausgesetzt, die nicht primär mit dem Unterrichtskontext zu tun haben und erhalten direkten Zugang zu wichtigen Themen.
Oft erlebe ich es so, dass Klassen etwas überfordert sind mit solchen Begegnungen. Sie freuen sich darauf, sie hören dann aufmerksam zu – trauen sich aber kaum, ein echte Gespräch zu eröffnen. Nach wenigen zögerlichen Fragen zeigt sich dann in der Nachbesprechung, wie interessiert sie waren und wie viel sie zu einer interessanten Diskussion hätten beitragen können, nicht nur durch Fragen, sondern durch eigene Meinungen, Erlebnisse etc.
Die Klasse muss mit den technischen Mitteln und ihrem Einsatz so vertraut sein, dass keine Hindernisse entstehen. Idealerweise verwendet man eine Plattform, die Schülerinnen und Schüler kennen und nutzen.
Die Begegnung muss vorbereitet werden. Neben intensiver Lektüre relevanter Texte hat Chayko alle Lernenden gebeten, eine Frage zu formulieren und ihnen dazu ein Feedback gegeben. So kommt sicher eine Konversation in Gang.
Die Person, mit der man spricht, muss ein solches Gespräch führen können, unter Umständen mit wenig Moderation durch die Lehrperson.
Das Gespräch muss im Unterricht nachbearbeitet und ausgewertet werden.
Der Einsatz von solchen Gesprächen muss sehr dosiert erfolgen (z.B. ein Mal pro Semester), er ist sehr aufwändig.
Nathan Jurgenson zog eine statistische Bilanz, wie oft er gefragt wurde und wie viele Antworten er gab:
Chayko bewertet das Ergebnis als positiv – trotz des großen Aufwands. Das schönste Ergebnis war, dass sich ein face-to-face Backchannel ergeben hat. Das muss kurz erklärt werden: Oft wird Social Media als Backchannel bezeichnet: Bei Konferenzen, Sitzungen oder im Unterricht ergibt sich heute oft eine zweite Gesprächsschicht auf Social Media, wo andere Fragen gestellt und andere Themen diskutiert werden. Diese Backchannels können durch »Twitterwalls« sichtbar gemacht werden. Im Falle der Klasse von Chayko war der Backchannel aber im Unterricht: Die Studierenden haben gelacht und miteinander geredet, während sie mit Jurgenson diskutiert haben:
But my favorite outcome was the way the face-to-face “backchannel,” and the class as a community, began, during this event, to coalesce.
Zum Schluss noch ein technischer Hinweis: Mit Google+ ist es auch möglich, mehrdimensionale Begegnungen durchzuführen. Wie der Screenshot von Roland Gesthuizen zeigt, kombiniert es Videotelefonie mit Chats und gemeinsamer Bearbeitung von Dokumenten. Das kann für Gruppenarbeiten sinnvoll sein, würde bei Begegnungen aber auch ermöglichen, dass der Gast einen Vortrag halten könnte in einer Klasse und dann per Chat oder per Video befragt werden könnte.
Pro Juventute will mit einer neuen Kampagne zu Cybermobbing Jugendliche und ihr Umfeld für das Thema sensibilisieren, wie die Organisation in einer Medienmitteilung schreibt. Die Kampagne erfolgt multimedial: Neben einem Clip (ganz unten) gibt es Plakate und eine Facebook-App (Klick aufs Bild).
Folgende Gründe für die Kampagne werden genannt:
Das Beratungsangebot 147.ch wird vermehrt wegen Cybermobbing in Anspruch genommen.
Die JAMES-Studie von 2010 zeige, dass »jeder fünfte Teenager schon erlebt habe, dass ihn jemand im Internet fertig machen« wolle.
Cyber-Mobbing ist nicht ortsgebunden.
Die Täter könnten anonym agieren.
Cyber-Mobbing ist der Hälfte der Jugendlichen als Begriff nicht bekannt, rund zwei Drittel wissen nicht, wo Hilfe suchen.
»Cyber-Mobbing kann von Schlafschwierigkeiten über Depressionen bis zum Jugendsuizid führen.«
Stephan Oetiker, Direktor von Pro Juventute, weist auf eine Überforderung von Lehrpersonen, Jugendlichen und Eltern hin:
Unsere Kampagne zeigt auf, dass: Cyber-Mobbing ein ernstes Problem ist. Wir wollen Jugendliche, Eltern und Lehrer sensibilisieren und Hilfsangebote wie die Notrufnummer 147 aufzeigen. Die Fachleute von Pro Juventute sind in ihrer täglichen Arbeit damit konfrontiert, dass sowohl Jugendliche wie Eltern und Lehrerpersonen überfordert sind mit dem Thema und sich dringend Unterstützung wünschen.
Die Anlage der Kampagne finde ich sinnvoll: Systematischer Aufbau Medienkompetenz ist der Schlüssel im Umgang mit solchen Phänomene – ich berate Eltern und Schulen auch in solchen Fragen.
Die Kampagne selbst ist mir aber zu weit von der Online-Realität weg. Wir sehen ein männliches Model, dominierend ist das Blut, das fließt. Das wirkt drastisch: Es zeigt aber nicht psychische Bedrängnis, in die junge Menschen geraten, der Mix aus sozialen Anforderungen und Überforderungen, die Social Media mit sich bringen können.
Mir scheint es auch wichtig, dass man das Phänomen genauer fasst. »Fertig machen« im Internet ist nicht Cyber-Mobbing. Anonymität ist nicht der Grundmodus von sozialen Netzwerken. Und Medienkompetenz ist mehr als rechtliche Information und Reflexion.
In der NZZ kritisiert Ronny Nicolussi die Kampagne als Methode um an Spendengelder zu gelangen. Die angegeben Zahlen zur Häufigkeit von Cybermobbing seien stark übertrieben, zudem sei Cybermobbing fast immer ein Folgephänomen von bestehendem Mobbing – das Problem liege beim Mobbing, nicht bei der Internetkommunikation.