Im Dezember hat Ryan Broderick drei Vergleiche vorgeschlagen, mit denen sich die Auswirkungen von KI-Tools im Umgang mit Texten reflektieren lassen:
- Photoshop
Permanente Verunsicherung und Verdächtigungen; Versuch, Zugang zu erschweren oder verhindern. Eher teuer und nur für Menschen sinnvoll nutzbar, die darin geschult sind. - Napster/Spotify
Urheberrechtsprozesse werden bei den großen/seriösen Anbietern zu Transparenz führen. Viele werden von User*innen Erlaubnis einholen, Daten verwenden zu dürfen. Am Schluss entsteht ein Spotify für KI, das Urheber*innen minimal entschädigt. - Smartphones
Erst breiter Zugang ermöglicht sinnvolle Nutzung, führt aber zu einer Moral Panic und breiter Moralisierung (primär in Bezug auf die Nutzung von Frauen und Kindern).
Alle diese Sichtweisen sind erhellend, wenn es um das Verständnis von Technologien geht, die Texte mit KI generieren. Sie beleuchten Aspekte, die alle relevant sind. Wie die Technologie sich aber gesellschaftlich auswirken wird, erfassen sie nicht.
Ich möchte dafür ein anderes Bild anbieten: KI-Sprachtechnologie funktioniert wie Autofocus bei Fotokameras. Diese Technologie hat dazu geführt, dass Bilder auf Knopfdruck scharf waren. Bevor es sie gab, waren auf entwickelten Filme viele Bilder verschwommen, weil Fotograf*innen manuell nicht richtig scharf gestellt haben.
Mit dem Vergleich meine ich zwei Merkmale:
- Die Technologie ist in andere Technologie verbaut.
Textverarbeitungsprogramme, Chat-Software, Bedienungsanleitungen, Suchmaschinen etc. werden in naher Zukunft alle KI enthalten, die Texte erzeugt. Wir werden nicht explizit ChatGPT oder Bing aufrufen, um Text-KI zu nutzen, sondern unser Smartphone und unser Laptop werden automatisch solche Dienste einsetzen, ohne dass wir sie bewusst wahrnehmen. - Sicherung eines neuen Minimums.
Handyfotos können aus ganz verschiedenen Gründen schlecht sein – unscharf sind sie aber kaum noch. Entsprechend wird es weiterhin schlechte Texte geben: Diese werden aber ein gewisses Niveau nicht mehr unterschreiten. KI wird dazu führen, dass Texte fast alle orthografisch korrekt sind, dass sie eine gewisse Kohärenz und Einheitlichkeit aufweisen und bestimmte Textsortenmerkmale einhalten. Das wird zu einer gewissen Künstlichkeit führen, was bei Autofocus auch der Fall war.
Daraus leite ich ab, dass KI die Gesellschaft nicht radikal verändern wird. Ja, wir leben heute in einer Gesellschaft, in der alle von allem Bilder machen können, die erkennen lassen, was eine Person um sich herum wahrnimmt. Genauso werden wir in einer Gesellschaft leben, wo alle Menschen Texte verfassen lassen können und auch Maschinen Texte generieren. Das wird aber weder die Schule noch andere gesellschaftliche Systeme neu formatieren, sondern einfach unseren Umgang mit Texten leicht verschieben.
