Mit Google Gedichte machen

Die Idee ist alt: Suchmaschinen eigenen sich dafür, Gedichte zu machen. Sie verbinden parallele Strukturen mit zufälligen Funden – und schaffen so Formen und Inhalte; zu der doch die Benutzerin oder der Benutzer der Suchmaschine den wesentlichen Input gibt.

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Neu ist, dass Google uns direkt Gedichte präsentiert, wenn wir Suchanfragen eingeben. Die Autovervollständigung zeigt uns automatisch Gedichte an, wenn wir einige Wörter eintippen. Wie diese Gedichte entstehen, ist dabei unklar: Sind es die häufigsten Suchanfragen, also die Sätze von anderen Menschen? Oder sind es redaktionelle Inhalte? Sind es Computersätze?

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Wenn wir mit Google dichten, so stellen wir Maschinengedichte her, Zufallsgedichte, aber wir arbeiten auch mit ganz vielen anderen Menschen zusammen.

Diese Idee eigenet sich deshalb ausgezeichnet für den Sprachunterricht. Der Auftrag, Google-Gedichte zu verfassen, führt zu vier Lernzielen:

  1. Erfahrung der eigenen Kreativität im Umgang mit dem sozialen Internet
  2. Reflexion über den künstlerischen Status maschineller Produkte
  3. Problematisierung des Begriffs Gedicht
  4. Verständnis der Funktionsweise von Googles Autocomplete-Funktion (evtl. auch am Fall »Bettina Wulff«).

Eine Sammlung von Google-Gedichten in verschiedenen Sprachen findet sich auf diesem Blog.

Social Media, ein Algorithmus oder ein redaktioneller Beitrag? – Zum Fall Bettina Wulff.

Bettina Wulff hat Google verklagt, weil die Suchmaschine mit seiner Autocomplete-Funktion im Zusammenhang mit ihrem Namen die Suchanfragen »Bettina Wulff Prostitutierte« und »Bettina Wulf Escort« vorschlägt.

 

Zur Klage gibt es zwei unterschiedliche juristische Einschätzungen, wie Wolfgang Michal auf Carta schreibt: Rechtsanwalt Thomas Stadler ist der Meinung, die Klage dürfte und dürfe keinen Erfolg haben, weil das Resultat eine Zugangserschwerung zu Suchdiensten und Informationen sei. Die vorgeschlagenen Suchanfragen würden zu Texten aus seriösen Medien führen, die nichts anderes besagte, als dass Frau Wulff verleumdet worden sei.

Die andere Seite wird vom Juristen Ernst Müller vertreten, der von Google verlangt, die redaktionelle Verantwortung für die Autocomplete-Funktion zu übernehmen – oder sie ganz auszuschalten. Ein zentrales Argument: Vielen Nutzern wird selbst bei der Eingabe »be« der »verleumderischen Ergänzungsvorschlag«angezeigt, ohne dass ein Interesse des Users an diesem Thema erkennbar wäre.

Wie auch immer diese Frage rechtlich zu beantworten ist: Für Suchmaschinenbenutzer ist unklar geworden, ob die Autocomplete-Funktion:

  1. die häufigsten Suchbegriffe anzeigt, die mit den eingegebenen Buchstaben beginnen
  2. Vorschläge einer Redaktion präsentiert, die eventuell auch gegen Bezahlung gewisse Begriffe häufiger einblendet oder andere ausblendet
  3. Resultate eines Alogrithmus darstellt, der bestimmte Prinzipien berücksichtigt, die nicht dokumentiert sind.

Diese Vermischung verschiedener Möglichkeiten begegnet uns im sozialen Netz häufiger: Wir wissen nicht, ob wir Texte oder Daten lesen, die Menschen generiert haben oder Maschinen – oder beliebige Mischformen.