Sicherheit im Netz – Gedanken zur Arbeit mit Jugendlichen

Diese Woche habe ich mit mehreren Klassen (9./10. Schuljahr) einen »Internet Safety«-Workshop durchgeführt (Slides gibt es hier). Statt mich vorzustellen, habe ich damit begonnen, die Schülerinnen und Schüler herausfinden zu lassen, welche Informationen sie über mich im Netz finden. Dazu habe ich Ihnen ein Selfie gezeigt (damit wussten sie, dass ich ein Instagram-Profil habe) und eine Liste mit möglichen Informationen an die Wandtafel geschrieben: Alter, Adresse, Arbeitgeber, Einkommen, Handynummer, Email-Adresse, Hobbies, politische Haltung… 

Bildschirmfoto 2014-10-02 um 09.07.12Nachdem sie jeweils vieles davon ermitteln konnte (häufigste Klage war, dass man im Nachteil sein, wenn man keinen FB-Account habe, was in dieser Altersstufe bei rund der Hälfte der Jugendlichen der Fall ist), haben wir diskutiert, warum es für mich gefährlich sein könnte, dass diese Informationen im Netz stehen. Folgende Gefahren sahen alle Klassen (auch meist in dieser Reihenfolge):

  1. Stalking
  2. Verbreiten von falschen oder schädlichen Informationen über mich
  3. Verkauf oder Missbrauch meiner Daten
  4. Hacken meiner digitalen Konten
  5. personalisierte Werbung.

Mit der Übung versuchte ich sie darauf hinzuweisen, dass ich – aus beruflichen und psychologischen Gründen – bereit bin, einen Teil meiner Sicherheit preiszugeben. Während Stalking für Jugendliche durchaus eine reale Gefahr darstellen kann, bin ich kaum gefährdet. Sicherheit und Verzicht darauf bedeuten nicht für alle Menschen dasselbe.

Diese Einsicht habe ich mit ein paar Sicherheitsfragen vertieft: Dabei mussten sich die Schülerinnen und Schüler in fiktiven Situationen zwischen einer sicheren und einer unsicheren Variante entscheiden: Fahrradhelm oder schöne Frisur; im Urlaub mit einem unbekannten Date an den dunklen Strand oder mit den Eltern essen gehen; mit Freundinnen ein Unternehmen gründen oder den langweiligen Bürojob absitzen?

Die Erkenntnis: Der Verzicht auf Sicherheit hat einen Wert – »Spass« nannten die Jugendlichen ihn meist zuerst, dann aber auch Erfahrungen, Kick, Freiheit.

Sicherheit im Netz ist deshalb ein wichtiges Thema, weil es zeigt, dass wir als Individuen, als Gruppen und als Gesellschaft mitentscheiden können, wo auf der Skala zwischen zwei Alpträumen (totaler Sicherheit und totaler Unsicherheit) wir leben möchten. Auch wenn es darum geht, die Schwächsten im Netz sicherer zu machen, schränken die Maßnahmen sie selbst und andere ein. Krassestes Beispiel: In der Schweiz werden Unter-16-Jährige, die Nackfotos von sich selbst verschicken und anschließend damit gemobbt werden, für das Verbreiten von Kinderpornografie zur Rechenschaft gezogen. Das Gesetz, dass ihre Sicherheit schützt, schränkt auch ihren Handlungsspielraum ein.

Die Einsicht ist trivial, aber folgenreich: Nur ein sicheres Leben führt zu hoher Lebensqualität, aber nur ein freies ist lebenswert. Die richtige Balance zu finden – für sich selbst und für alle anderen – ist enorm schwierig. Zu wissen, dass  ausländische Geheimdienste die Telekommunikation in der Schweiz überwachen, ist beängstigend – zumal klar ist, dass sie wohl auch Zugriff auf die Mikrofone und Kameras unserer Smartphones haben. Gleichzeitig haben sie so bewirkt, dass drei mutmassliche Terroristen verhaftet werden konnten. War es das wert?

Letztlich droht die Gefahr, dass der Fokus auf das Risiko und mögliche Schäden uns immer wieder dazu bringen, ein Stück Freiheit gegen ein Stück Sicherheit einzutauschen – weil das in jedem einzelnen Fall vernünftig scheint.

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Was tun bei digitalen Notfällen von Jugendlichen?

Es ist Wochenende. Im Internet ist etwas Schlimmes passiert, allenfalls Cybermobbing. Wohin sollen sich Eltern, Jugendliche und andere Beteiligte in der Schweiz wenden, um das Problem zu lösen und Beratung zu erhalten?

Hier eine kleine Liste mit den besten Angeboten – aktualisiert am 4. Juni 2013.

  1. Telefon 147 oder 147.ch: Das Beratungsangebot der Pro Juventute verweist an Fachstellen und berät im Telefongespräch oder per anonymem Chat. Zudem gibt es auf der Webseite umfangreiche Informationen und Listen mit Beratungsangeboten.
  2. Kantonspolizei: Sobald es um illegale Aktivitäten geht, ist die Polizei die erste Anlaufstellen, die auch am meisten Möglichkeiten hat, konkret etwas zu bewirken. Die Polizei ist auch im Internet zuständig.
  3. Aktuelle Angebotsdatenbank von Jugend und Medien: Die Datenbank vermittelt Beratungsangebote abgestimmt auf Alter, Wohnort und Thema.
  4. tschau.ch: E-Beratung für Jugendliche, die zudem viele schon beantwortete Fragen zu verschiedenen Themen zur Verfügung stellt.

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Cybermobbing

Durch die aktuelle Pro Juventute-Kampagne sowie die Club-Sendung vom 30. Oktober ist das Thema Cybermobbing momentan sehr präsent. Im Folgenden ein Grundsatzartikel zum Thema, der sich auf die wesentlichen Aspekte konzentriert. Ich biete zu diesem Thema auch Beratung an. Am Schluss gibt es Verweise auf bestehende Merkblätter, die empfehlenswert sind.

1. Was ist Cybermobbing? 

Mobbing bedeutet kontinuierliche und geplante kommunikative Aktionen durch Einzelpersonen oder Gruppen gegenüber einem Individuum. Es findet in einem bestimmten sozialen oder institutionellen Kontext statt, meist am Arbeitsplatz oder in der Schule und zeichnet sich dadurch aus, dass feindselige Handlungen langfristig und systematisch erfolgen. Betroffene von Mobbing erleben sich als unterlegen und werden in ihrer Menschenwürde angegriffen.

Cybermobbing ist Mobbing mit digitalen Mitteln: Es erfolgt also über Internetkommunikation und mobile Kommunikation.

Verwandte Begriffe sind Cyberbullying und Cyberstalking:

  • Bullying kann als Synonym zu Mobbing gesehen werden, es bedeutet tyrannisieren, einschüchtern oder schikanieren – im Gegensatz zu Mobbing durchaus auch mit physischer Gewalt.
  • Stalking meint das Verfolgen einer Person, meist durch eine andere Einzelperson. Stalking kann ein Mittel sein, das für Mobbing eingesetzt wird.

Allgemeiner kann man von Cybergewalt sprechen, um all diese Phänomene zu bezeichnen.

2. Cybermobbing konkret

Wie muss man sich Cybermobbing vorstellen?

  1. Auf einer ersten Ebene wird die Kommunikation einfach ins Internet oder auf mobile Geräte verlagert: Verbale Gewalt erfolgt per SMS, Chat-Nachricht oder Email. Oft sind die Täter dann auch anonym unterwegs oder erstellen gefälschte Profile.
  2. Auf einer zweiten Ebene werden spezifisch digitale Techniken genutzt: Gewalt wird nicht nur verbal, sondern multi-medial ausgeübt. Wie im berühmten Fall von Amanda Todd (siehe Video unten) werden Videos, Tondokumente oder Bilder verwendet, um Opfer unter Druck zu setzen, zu erpressen und zu bedrohen. Diese Daten können auch manipuliert sein – wie im Fall von »Jamileh«.
  3. Auf einer dritten Ebene werden spezifische Mechanismen von Social Media genutzt, um Effekte von Social Media oder sozialen Netzwerke gewaltsam zu nutzen. Einige Beispiele:
    (a) Private Nachrichten, Bilder oder Videos werden öffentlich gemacht und damit eine Dynamik auszulösen. (»X hat über Y Z gesagt…«)
    (b) Es wird negative Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Profil gelenkt, mit dem Ziel, dass ein ganzer Schwarm von Internet-Mobbenden mitspielt. Das kann dann – wie in diesem Beispiel – durchaus auch in der nicht-digitalen Welt Auswirkungen haben.
    (c) Verbreitet ist auch, dass man verhindert, dass eine Person im Netz ein positives Image aufbauen kann, indem z.B. Bilder immer wieder negativ kommentiert werden, Profile mit hässlichen Aussagen verunstaltet werden etc.
  4. Auf einer vierten Ebene werden dann im Internet gewonnene Informationen für Gewalttaten in der physischen Welt genutzt. So beschreibt z.B. dieser Reddit-User, wie er vom Cyberstalker zum Stalker geworden ist.


3. Eigenschaften von Cybermobbing

Cybermobbing hat Eigenschaften, die es durchaus von Mobbing unterscheiden – obwohl die zugrundeliegenden Strukturen oft dieselben sind (siehe unten):

  • Digitale Kommunikation ist enorm effizient: Nachrichten können sehr schnell und ohne Aufwand verschickt werden, Gruppen organisiert und mobilisiert und Informationen beschafft. Das führt dazu, dass Täter viel mehr Möglichkeiten haben.
  • Digitale Kommunikation kann mit versteckten oder falschen Identitäten erfolgen: Oft wissen Betroffene von Cybergewalt nicht, wer hinter Attacken stecken. Auch wenn sie Vermutungen haben, können sie nur mit großer digitaler Kompetenz echte Beweise sicher stellen, oft bleibt es bei diesen Vermutungen.
  • Cybermobbing ist ort- und zeitunabhängig. Ich wurde in meiner Jugend auf dem Weg zum Handballtraining regelmäßig zum Opfer physischer und verbaler Gewalt. Diese Gewalt war auf einen Ort und eine Zeit beschränkt – Cybermobbing kann uns jederzeit auf dem Mobiltelefon und an jedem Ort erreichen. Das führt zu einem diffusen Gefühl von Bedrohung; im Club formuliert das eine Betroffene von Cyber-Stalking so: Sie fühle sich im vierten Stock, als würde ihre Stalkering jederzeit zum Fenster reinschauen.
  • Internetkommunikation ist direkter und oft unfreundlicher: Die Schwellen, jemanden zu belästigen, zu bedrohen, verbal Gewalt auszuüben sind viel kleiner.
  • Social Media hat die Absicht, »Schwärme« zu erzeugen: Intelligente Schwärme. Aber, so hat es Sascha Lobo formuliert, Schwarmlobbying und Schwarmmobbing liegen dicht beieinander«. Es ist für Schwarmmitglieder oft nicht einmal zu erkennen, ob sie nun Mittäter bei Cybermobbing werden, weil sie einfach den Regeln der Schwarmorganisation folgen.
  • Die digitale Welt wird immer enger mit unserem beruflichen, schulischen und sozialen Leben verzahnt. Damit wird auch Cybermobbing direkt eingebunden: Es wirkt sich sehr schnell auf unser soziales und berufliches Wohlbefinden aus, es findet selten in einem isolierten virtuellen Bereich statt, der ausblendbar wäre.

4. Gibt es Cybermobbing ohne Mobbing? 

Diese Frage untersuchen Prof. Sonja Perren vom Jacobscenter der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit Prof. Françoise Alsaker von der Universität Bern in noch laufenden Projekten. Im Zwischenergebnis einer Studie von 2011 hält Perren fest:

[T]raditionelle Gewalt [kommt] unter Jugendlichen (physische, verbale, soziale Gewalt) im Vergleich zu Cybergewalt deutlich häufiger vor. Unter Jugendlichen, die in Gewalttaten involviert sind, können Täter, Opfer und solche[,] die beides sind, unterschieden werden. Die Studie zeigt, dass die Jugendlichen[,] die mit Cybergewalt zu tun haben (als Opfer und/oder Täter), oft auch in traditionelle Gewalt verwickelt sind (meist in der gleichen Rolle wie bei Cybergewalt).

In der NZZ lässt sich Perren noch pointierter zitieren:

Der Kreis der Betroffenen ist sehr klein. […]
Das Problem beim Cybermobbing ist daher nicht im Cyber zu suchen, sondern beim Mobbing.

Genaue Zahlen zu Cybermobbing sind für die Schweiz nicht verfügbar, die besten Daten sind veraltet, sie stammen aus der JAMES-Studie von 2010. Wie die Daten zeigen, wird nicht erhoben, ob Cybermobbing (»fertig machen« ist eventuell keine geeignete Beschreibung) tatsächlich von Mobbing getrennt existiert.

JAMES-Studie 2010, ZHAW.

5. Was sollen Betroffene tun? 

Die Antwort auf diese Frage lässt sich aus Leitlinien für Mobbing direkt ableiten. Ganz wichtig ist bei Cybermobbing: Durch Zurückschlagen auf dem Netz kann das Problem nicht gelöst werden, wie dieser lesenswerte Artikel zeigt.

Hier die wichtigsten Punkte, adaptiert (nicht alle Punkte sind in jedem Fall anwendbar):

  1. Andere Menschen informieren – auch wenn man selber nicht betroffen ist: Eltern, Freunde, Lehrpersonen, Kolleginnen und Kollegen. Cybermobbing nie für sich behalten. Scham ist sehr verständlich, sollte aber nicht dazu führen, dass man das Problem anderen verschweigt.
  2. Hilfe holen bei Telefon 147 oder bei 147.ch.
  3. Darauf bestehen, dass Mobbing aufhört. Es unter keinen Umständen akzeptieren oder Betroffene selbst (oder ihr Verhalten im Internet) dafür verantwortlich machen.
  4. Vorfälle protokollieren, eine Art Mobbing-Tagebuch anlegen. Die Dokumentation kann verwendet werden, um eine Lösung zu finden – aber auch, um Vorfälle verarbeiten zu können.
  5. Sich von Expertinnen und Experten beraten lassen.
  6. Einträge löschen lassen und löschen, Täter sperren lassen und sperren; Profile melden.
  7. Anzeige erstatten bei der Polizei. Die Vorfälle auch Betreibern von Sozialen Netzwerken etc. melden, die dann auch Massnahmen unternehmen.
  8. Cybermobbing in der Schule und am Arbeitsplatz zum Thema machen und Fachpersonen (Schulsozialarbeit, PsychologInnen etc.) beiziehen.
  9. Präventionsarbeit an Schulen und Arbeitsplätzen leisten. Es gibt keine einfachen Rezepte für Mobbing-Prävention: Wichtig ist ein gutes Klima und Kommunikation.

6. Ressourcen

  1. Bericht des Bundesrates zu Cyberbullying mit rechtlicher Einschätzung.
  2. Merkblatt der Volksschulbildung Luzern.
  3. Broschüre »Datenschutz und Cybermobbing« der Stiftung Schweizer Jugendkarte.
  4. Präventionsmaterial für Schulen und Lehrpersonen der Fachhochschule Nordwestschweiz.
  5. Tipps von 147.ch.

Cyber-Mobbing: Die Pro Juventute-Kampagne

Pro Juventute will mit einer neuen Kampagne zu Cybermobbing Jugendliche und ihr Umfeld für das Thema sensibilisieren, wie die Organisation in einer Medienmitteilung schreibt. Die Kampagne erfolgt multimedial: Neben einem Clip (ganz unten) gibt es Plakate und eine Facebook-App (Klick aufs Bild).

Folgende Gründe für die Kampagne werden genannt:

  • Das Beratungsangebot 147.ch wird vermehrt wegen Cybermobbing in Anspruch genommen.
  • Die JAMES-Studie von 2010 zeige, dass »jeder fünfte Teenager schon erlebt habe, dass ihn jemand im Internet fertig machen« wolle.
  • Cyber-Mobbing ist nicht ortsgebunden.
  • Die Täter könnten anonym agieren.
  • Cyber-Mobbing ist der Hälfte der Jugendlichen als Begriff nicht bekannt, rund zwei Drittel wissen nicht, wo Hilfe suchen.
  • »Cyber-Mobbing kann von Schlafschwierigkeiten über Depressionen bis zum Jugendsuizid führen.«

Stephan Oetiker, Direktor von Pro Juventute, weist auf eine Überforderung von Lehrpersonen, Jugendlichen und Eltern hin:

Unsere Kampagne zeigt auf, dass: Cyber-Mobbing ein ernstes Problem ist. Wir wollen Jugendliche, Eltern und Lehrer sensibilisieren und Hilfsangebote wie die Notrufnummer 147 aufzeigen. Die Fachleute von Pro Juventute sind in ihrer täglichen Arbeit damit konfrontiert, dass sowohl Jugendliche wie Eltern und Lehrerpersonen überfordert sind mit dem Thema und sich dringend Unterstützung wünschen.

Pro Juventute setzt vor allem auf Prävention und Aufbau von Medienkompetenz. Die Organisation bietet so genannte »Medienprofis-Workshops« an.

* * *

Die Anlage der Kampagne finde ich sinnvoll: Systematischer Aufbau Medienkompetenz ist der Schlüssel im Umgang mit solchen Phänomene – ich berate Eltern und Schulen auch in solchen Fragen.

Die Kampagne selbst ist mir aber zu weit von der Online-Realität weg. Wir sehen ein männliches Model, dominierend ist das Blut, das fließt. Das wirkt drastisch: Es zeigt aber nicht psychische Bedrängnis, in die junge Menschen geraten, der Mix aus sozialen Anforderungen und Überforderungen, die Social Media mit sich bringen können.

Mir scheint es auch wichtig, dass man das Phänomen genauer fasst. »Fertig machen« im Internet ist nicht Cyber-Mobbing. Anonymität ist nicht der Grundmodus von sozialen Netzwerken. Und Medienkompetenz ist mehr als rechtliche Information und Reflexion.

In der NZZ kritisiert Ronny Nicolussi die Kampagne als Methode um an Spendengelder zu gelangen. Die angegeben Zahlen zur Häufigkeit von Cybermobbing seien stark übertrieben, zudem sei Cybermobbing fast immer ein Folgephänomen von bestehendem Mobbing – das Problem liege beim Mobbing, nicht bei der Internetkommunikation.

Moral und Social Media – eine Geschichte aus den USA

Karen Klein ist 68-jährig und arbeitet als Aufsichtsperson in einem Bus, der Schülerinnen und Schüler in eine Middle School bringt (5.-8. Schuljahr). Während mehrere Schüler Frau Klein belästigt haben, haben sie davon ein Video gemacht und es auf Facebook geladen.

Als Reaktion wurde dieses Video mit den Namen der beteiligten Schüler sowie der Buslinie und dem Schulort auf Youtube geladen (Link oben), wo es bis heute fast vier Millionen Menschen angesehen haben.

Zudem wurde auf Indiegogo ein Spendenaufruf installiert, mit dem man über Spenden der Frau Ferien ermöglichen wollte. Dafür hoffte man $ 5000 zu sammeln. Bis heute wurden aber schon über $ 450’000 gesammelt – genug, damit die Frau sich pensionieren lassen kann.

Die Geschichte zeigt die Kraft von Social Media und von einer globalen Verbreitung von Inhalten: Aus einem klassischen Mobbing-Fall, verbunden mit gemeinem Cyberbullying, der nur die Frau selbst und die Schüler im Bus betrifft, wurde ein Medienspektakel, an dem beliebig viele Menschen teilnehmen können. Sie können sich an verbaler und psychischer Gewalt belustigen – aber auch moralisch darauf reagieren. Social Media befähigt Menschen nicht nur, Inhalte zu konsumieren, sondern auch selber einzugreifen, zu handeln. Das ist das Schöne an der Geschichte. Social Media führt zu einer Lösung.

Allerdings, und das muss auch gesagt sein: Wir haben keine Möglichkeit den Wahrheitsgehalt auch nur eines Bestandteils zu prüfen. Auf der Sammelseite werden viele Links angegeben – ohne dass die uns aber definitiv darüber Aufschluss geben können, ob es sich hier um die Wahrheit handelt.

Das Verbot von Smartphones in Schulen

Eine Lehrperson, die auf Facebook gemobbt worden ist, forderte als Reaktion ein Verbot von Smartphones:

Intelligente Handys sollten in der Schule verboten werden. «Wer glaubt, dass Smartphones nur zum Schreiben von SMS genutzt werden, ist naiv.»

Mit anderen Worten: Das Vorhandensein von technologischen Mitteln schafft die Möglichkeit zu ethisch verwerflichen Handlungen, die an einer Schule nicht geduldet werden sollen und müssen.

Ein solches Verbot gibt es an der Theodor-Storm-Schule in Husum (Deutschland). Die Schulordnung hält fest:

Die Nutzung elektronischer Medien jeglicher Art ist grundsätzlich für Schülerinnen und Schüler auf dem gesamten Schulgelände untersagt. Damit ist auch das Anfertigen von Bild- und Tonaufnahmen nicht gestattet.
Erlaubt ist hingegen die unterrichtliche Nutzung elektronischer Medien in Abstimmung mit der unterrichtenden Lehrkraft.

In einem ausführlichen Blogpost beleuchtet nun ein Schüler der Schule die Geschichte des Verbots und präsentiert die Argumente der Schülerschaft und die der Eltern bzw. der Lehrerschaft. Etwas zugespitzt hält er fest:

In den vergangenen Diskussionen ist es oft so verlaufen, dass wir viele Argumente brachten, es wurde einfach nicht zugehört. Die Eltern und Lehrer brachten uns immer wieder mit der Mobbingkeule zum Schweigen.

Die Argumente der Schülerschaft sind zusammengefasst vier:

  1. Cybermobbing kann nicht mit Verboten bekämpft werden – wer genug kriminelle Energie für Mobbing aufbringen kann, kann auch Verbote umgehen.
  2. Elektronische Medien sind für das Kerngeschäft der Schule, das Lernen, bedeutsam.
  3. Elektronische Medien haben eine wichtige Funktion im Berufsleben, auf das die Schule vorbereitet.
  4. Die Schule kann sich nicht gesellschaftlichen Entwicklungen verschließen.

Ein Medienverbot macht das Schulgelände zu einem Ort, der in puncto Mediennutzung nicht mehr der Lebenswirklichkeit entspricht. Das hilft dem Schüler herzlich wenig. Mit dem Verlassen des Schulgeländes ist er dann drin in der großen medialen Welt und hat am Ort des Lernens – nämlich in der Schule – nur begrenzte Erfahrungen für den sinnvollen Medieneinsatz gesammelt.

Diese Aussage kann man nun durchaus anders sehen: Die Schule kann sehr wohl ein Schonraum sein. Sie entspricht in vielen Hinsichten nicht der Lebenswirklichkeit: Schülerinnen und Schüler sind gehalten, Standardsprache zu sprechen, sich in eingeteilten Klassengruppen zu organisieren, sie werden geprüft und bewertet usw.

Was heißt das in Bezug auf ein Verbot von elektronischen Medien (gemeint sind wohl Mobiltelefone, Laptops und Tablets)?

  • Ein Verbot ist eine Kapitulation. Es zeigt, dass die Verantwortlichen den Schülerinnen und Schülern einen vernünftigen Umgang mit diesen Medien nicht zutrauen.
  • Ein Verbot könnte auch anders formuliert werden – als Profilierung der Schule. Im Blogbeitrag heißt es: »Es ist ja auch nicht so, dass die TSS eine “Bastel- Mal- und Singschule” ist.« Nun könnte die Schule gerade zu so etwas werden: Zu einem Raum, in dem das persönliche Gespräch wichtig ist, die Ruhe, die Reflexion etc. – also zu einem Raum, in dem elektronische Kommunikation ein Störfaktor wäre.
  • Mobbing oder Cybermobbing kann ein Verbot sicher nicht verhindern. Schülerinnen und Schüler werden auch ohne schulische Nutzung von digitalen Medien im Internet präsent sein, sich exponieren und Missbrauch erleben. Das heißt nicht, dass man die Augen verschließen sollte – aber gerade ein Verbot befördert eine Kultur, in der Lehrpersonen die Existenz der virtuellen Welt leugnen und ignorieren können.
  • Geräte zur Nutzung elektronischer Medien sind Instrumente. Sie machen gewisse Handlungen ganz leicht – Cybermobbing braucht keinen Mut und keinen Aufwand. Aber dennoch sind sie nicht der Grund für Mobbing.

Mein Fazit (hier weitere Überlegungen zum Umgang mit Smartphones): Schulen sollen sich die Frage nach einem Verbot explizit stellen – aber niemals den Begriff Verbot verwenden, sondern positiv von der Schulkultur, die angestrebt wird. Es darf nicht so aussehen, als verkünde man eine »Ich stelle mich gegen das Internet«-Parole, wie das der bloggende Schüler formuliert – und es darf auch nicht so sein. Persönlich halte ich aber einen verantwortungsvollen Umgang mit Technologie generell für besser als eine Verweigerung und ein Verbot.

Update 25. Juni 2012:

Die FAZ berichtet über den Umgang mit Handy in Schulen und lässt Kirstin Koch, die Jugendschutzverantwortliche der Stadt Frankfurt zu Wort kommen:

Handys und Internet gehörten nun einmal zum Leben dieser Generation und ließen sich nicht verbannen. „De facto läuft es trotz Verbots doch so: Die Schüler stellen ihr Handy lautlos, stecken es in die Tasche und holen es nach Ende der Stunde auf dem Gang, auf dem Pausenhof oder in der Toilette wieder heraus.“ Sie empfiehlt, das Medium Smartphone „positiv in den Schulalltag einzubringen“, also eine sinnvolle Nutzung aufzuzeigen. Die Schüler könnten per Handy Formeln suchen oder mit der eingebauten Kamera Tafelbilder abfotografieren, sagt Koch.

Der Cyber-Mobbing-Fall »Clementi«

In den USA hat sich ein 19-jähriger Student das Leben genommen, nachdem er auf Twitter von einem Mitbewohner blossgestellt worden ist. Tyler Clementi wurde zusammen mit einem Liebhaber in seinem Zimmer gefilmt, die Filme wurden auf Twitter verbreitet. Der Täter war sein Mitbewohner im College.

Die NZZ schreibt zur Bedeutung des Falls:

War es nur ein Dummejungenstreich? Oder ein böswilliger und im Endeffekt tödlicher Akt im Zeitalter von Cyber-Mobbing? Das Urteil, das die zwölfköpfige Jury letzte Woche im Fall des angeklagten Studenten Dharun Ravi fällte, ist dazu angetan, die Rechtsprechung zu verändern. Ravi, der seinen neuen Mitbewohner Tyler beim Rendez-vous mit einem Liebhaber mit der Webcam ausspioniert und den intimen Moment via Twitter öffentlich gemacht hatte, war unter anderem der Invasion der Privatsphäre und – was im Strafmass besonders schwer wiegt – der Diskriminierung aufgrund der homosexuellen Orientierung, sprich eines sogenannten hate crime angeklagt. Er wurde in allen Punkten der Anklage schuldig gesprochen. Ravi könnte bis zu zehn Jahren Haft erhalten.

Die Frage, ob ein Selbstmord »verursacht« worden ist, scheint mir juristisch diffizil zu sein. Es bleiben aber folgende Erkenntnisse über Mobbing im Kontext von Social Media:

  1. Alles was sich an einer Schule (und in einem sozialen Rahmen) abspielt, kann öffentlich gemacht werden.
  2. Mobbing kann auch mit der Drohung des Veröffentlichung von Privatem stattfinden.