Zwischen Facebook-Zwang und -Verbot: Social Media in der Schule

Letzte Woche ist eine Handreichung des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg erschienen, die intensiv diskutiert worden ist. Meine Kritik daran habe ich schon formuliert.

Im Anschluss an den Erlass stellt sich die Frage, welche alternativen Vorschläge für einen Umgang mit Social Media an der Schule sich denn als sinnvoll erweisen könnten. Die Handreichung in Baden-Württemberg wurde von einigen Apologetinnen und Apologeten mit der Begründung verteidigt, dass sie die einzige Möglichkeit darstelle, geltendes Recht zu berücksichtigen und Schülerinnen und Schüler davor zu schützen, zum Betreiben eines Facebook-Accounts gezwungen zu werden.

Till Westermayer fragt in einem Kommentar auf seinem Blog beispielsweise zurecht:

Was wäre für  – mit geltendem Datenschutzrecht im Hintergrund – eine sinnvolle Formulierung einer solchen Handreichung zur Nutzung von sozialen Netzwerken/Clouds für dienstliche Zwecke? Unter welchen Umständen würdest du sie erlauben, unter welchen nicht?

Im Folgenden stelle ich meine Vorstellung zum Einsatz von Social Media in der Schule dar. Einige Vorbemerkungen:

  • Die rechtliche Forderung – dass personenbezogene Daten im Internet geschützt werden – kann meiner Meinung nach heute nur von wenigen IT-Profis sicher umgesetzt werden. Für Lehrpersonen und Mitarbeitende einer Schule ist es undenkbar, das Internet zu nutzen und dabei personenbezogene Daten zu schützen. Es ist dafür nicht einmal relevant, ob die Daten in Cloud-Servern gespeichert werden oder via soziale Netzwerke kommuniziert werden: Alleine die Nutzung bestimmter Geräte und Betriebssysteme reicht aus, dass die Daten ungenügend geschützt sind und von außerhalb eines Landes abgefragt bzw. verändert werden können.
  • Soziale Netzwerke sind nicht per se unsicherer als E-Mail.
  • Rechtliche Vorgaben und Geschäftsbestimmungen von Betreibern von Plattformen sind nicht dasselbe. Es ist durchaus möglich, gegen Geschäftsbestimmungen zu verstossen, ohne ein Gesetz zu brechen.
  • Sicherheit, Gesetze, ethische Fragen, (medien-)pädagogische und organisatorische Vorgaben sind an einer Schule in ein Verhältnis zu setzen. Es gibt keine Lösung, die auf keiner dieser Ebenen Abstriche macht und zu Problemen führt.

Auf dieser Grundlage halte ich folgende Prinzipien für sinnvoll:

  1. Für die Schule relevante Arbeiten sollen Lernende im Internet mit Profilen erstellen, die nicht an ihre Person gebunden sind (also mit Pseudonymen) – es sei denn, sie entscheidend sich zusammen mit ihren Eltern dafür, ihren Klarnamen zu verwenden.
  2. Sensible Daten wie Noten, Adresslisten, Telefonnummern etc. gehören nur auf Schulserver, für deren Sicherheit Profis zuständig sind. Lehrpersonen und Lernende müssen instruiert werden, wie mit diesen Daten umgegangen werden soll.
  3. Die mediale Realität von Jugendlichen ist weniger stark zu gewichten als pädagogische Überlegungen, d.h. die Tatsache, dass Jugendliche Facebook nutzen, ist kein Grund, es in der Schule einzusetzen.
  4. Plattformen, die mit dem Content ihrer User Geld verdienen, sollten in der Schule generell gemieden werden – es sei denn, pädagogische Erwägungen sprechen stark dafür.
  5. Es ist in der Regel sinnvoll, für schulische Arbeiten speziell darauf zugeschnittene Tools zu verwenden.
  6. Die Kommunikation zwischen Lehrpersonen und Lehrpersonen und Eltern bzw. Schülerinnen und Schülern braucht einen privaten Kanal. Privat heißt nicht abhörsicher, sondern lediglich nicht-öffentlich. So lange Punkt ii. eingehalten wird, können soziale Netzwerke, E-Mail, mobile Nachrichten oder Telefongespräche sinnvolle Medien dafür sein.
  7. Für die professionelle Vernetzung und den Aufbau eines persönlichen Lernnetzwerkes sollten Lernenden wie Lehrenden möglichst wenig Vorschriften gemacht werden.
Samir Karrhat, Society6.
Samir Karrhat, Society6.

Social-Media-Verbot für Lehrpersonen in Baden-Württemberg

[J]egliche dienstliche Kommunikation auf oder mittels Sozialen Netzwerken sowohl zwischen Lehrkräften und Schülern als auch der Lehrkräfte untereinander [ist] unzulässig. Darunter fällt die Mailkommunikation innerhalb von Sozialen Netzwerken ebenso wie Chats, aber auch der dienstliche Austausch personenbezogener Daten wie das Mitteilen von Noten, ferner das Einrichten von Arbeits- und Lerngruppen zum Austausch von verschiedensten Materialien, die Vereinbarung schulischer Termine und Informationen zu Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen. Für alle diese Zwecke gibt es bereits Kommunikationswege, wie beispielsweise der konventionelle Schriftverkehr oder die Nutzung von verschlüsselten E-Mails einschlägiger Anbieter.

Diese Konkretisierung einer Anordnung des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg bedeutet de facto ein Social-Media-Verbot für den schulischen Einsatz im Bundesland, wie das auch in anderen Bundesländern (Bayern, z.B.) bereits diskutiert wurde.

Die Begründung ist einleuchtend:

Generell ist die Verarbeitung von personenbezogenen Daten im Rahmen der schulischen Arbeit auf Sozialen Netzwerken von Anbietern unzulässig, soweit deren Server außerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes betrieben werden, es sich um US-Amerikanische Unternehmen handelt oder ein Zugriff von außerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes möglich ist. Der Grund dafür ist, dass die dortigen Datenschutzstandards nicht mit deutschen und europäischen Datenschutzstandards in Einklang stehen.

Allerdings gibt es eine Ausnahme: Wenn es darum geht, »Funktionsweise, Vorteile, Nachteile, Risiken usw. pädagogisch aufzuarbeiten«, dann dürfen soziale Netzwerke genutzt werden – sofern Lernende schon bestehende Konten nutzen und keine neuen anlegen. Für alle Arten von Kommunikation und Datensicherung »gibt es bereits Kommunikationswege, wie beispielsweise der konventionelle Schriftverkehr oder die Nutzung von verschlüsselten E-Mails einschlägiger Anbieter«.

Die Argumentation ist überzeugend: Es gibt ein Datenschutzgesetz und eingesetzte Tools müssen damit vereinbar sein.

Allerdings tauchen dann einige Schwierigkeiten oder Inkonsistenzen auf:

  1. Kommunikation per EMail müsste verschlüsselt werden – empfohlen wird TrueCrypt für Anhänge bzw. diese Anleitung. Wie viele Lehrpersonen, Eltern und SchülerInnen kriegen das hin, per verschlüsselten EMails zu kommunizieren?
  2. Gibt es bei EMail ein Einverständnis der Eltern, dass personenbezogene Daten unverschlüsselt übermittelt werden dürfen, oder handelt es sich um eine »allgemeine Anfrage oder z. B. um eine bloße Terminabsprache, bei der die Antwort keine personenbezogenen oder sonstigen schützenswerten Daten enthält«, dürfen unverschlüsselte EMails genutzt werden. Warum aber keine Social-Media-Kanäle?
  3. Was unterscheidet schon angelegte Konten – die offenbar nicht geschützt werden können – von neu angelegten? Warum ist der Zeitpunkt oder die Motivation für die Anlage eines Kontos entscheidend?
  4. Wenn die »pädagogische Aufarbeitung« Vorteile von sozialen Netzwerken aufweist – wie begründet eine Lehrperson dann, dass die Schule diese Vorteile nicht nutzen kann?
  5. Wenn die »pädagogische Aufarbeitung« es erlaubt, Datenschutzbedenken weniger zu gewichten – warum dann nicht der Einsatz in der Schule?
  6. Es ist heute unklar, ob es überhaupt taugliche Wege gibt, Daten zu schützen, ohne dass »ein Zugriff von außerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes möglich ist«. De facto bedeutet der Entscheid, dass keine internetfähigen Geräte für die schulische Arbeit genutzt werden dürfen.

Fazit: So nachvollziehbar der Entscheid erscheint und so vorsichtig Lehrpersonen im Umgang mit sensiblen Daten im Internet sein sollen, so einseitig reflektiert die konkrete Umsetzung eine irrationale Aversion gegen Social Media. In Baden Württemberg werden weiterhin unsichere EMail-Systeme genutzt werden, um im pädagogischen Kontext zu kommunizieren. Das Verbot von Social Media scheint weder praktikabel noch verhältnismäßig.

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Zur Struktur von (Lern-)Netzwerken

Social Media ermöglichen uns die Teilnahme an vielfältigen Netzwerken. Das eigentlich Neuartige, so meine These, ist nicht der digitale Aspekt, sondern die Tatsache, dass sich die Eigenschaften eines Netzwerkes fast beliebig bestimmen lassen. Die daran anschließende Frage wäre, wie ein Netzwerk denn zu beschreiben wäre.

Ich bin sicher, es gibt zu dieser Frage eine umfassende Theorie – die folgenden Gedanken können nicht mehr sein als der Versuch eines Dilettanten, gewisse Merkmale festzuhalten; die ich dann auf schulischen Unterricht anwenden werde.

(1) Kontingenz

[Niklas Luhmann] stand in der Post, und vor ihm am Schalter erklärte der Schalterbeamte einer Frau mit hartem östlichen Akzent wieder und wieder das Ausfüllen eines Formulars. Luhmann hatte das längst verstanden und bot der Frau an, ihr zu helfen. Sie gingen zu einem kleinen Tisch, wo er sich setzte, um das Formular auszufüllen. Er wollte das Formular nehmen, doch die Frau riss es an sich und rannte aus der Post.

Diese Episode erzählt Detlef Horster bei der Beantwortung der Frage »Warum moralisch sein?« (2009). Er zeigt damit die doppelte Kontingenz in menschlichen Interaktionen auf: Weder weiß ich, was mein Gegenüber als Nächstes tun wird, noch weiß mein Gegenüber, was ich tun werde.

Netzwerke können mehr oder weniger Kontingenz zulassen, indem sie die Meldungen von Menschen mit Filtern versehen. Videos in Vine sind nie länger als 6 Sekunden, Bilder in Instagram stets quadratisch, Tweets nie länger als 140 Zeichen etc. Stärkere Reduktion von Kontingenz erfolgt mit einer Moderation (wie z.B. bei Kommentaren in Blogs). Chatroulette ist ein Beispiel für ein Netzwerk mit sehr hoher Kontingenz: Ich bekomme einen Partner oder eine Partnerin oder eine Gruppe von Menschen im Video-Chat zugeteilt, die spontant mit mir interagieren.

Kontingenz ist mehr als die Art der Beziehungen, sie hängt auch von den kommunikativen Handlungen ab. Was kann ich von anderen erwarten?

Kontingenz im Unterricht.
Kontingenz im Unterricht.

(2)  Bekanntheit der Teilnehmenden am Netzwerk

Während auf einer Bestattung meist ausschließlich Menschen anwesend sind, welche die oder den Tote(n) persönlich gekannt haben, gibt es für ein Popkonzert keine ähnliche Voraussetzung. Die »Ties«, also die Verbindungen zwischen den Menschen, können enorm schwach sein. Netzwerke können auf starken Verbindungen basieren und schwache konsequent ausschließen oder sogar unbekannte Menschen miteinander verbinden. Das hat natürlich auch mit Kontingenz zu tun.

(3) Anbindung an Raum und Zeit

Eine Wohnung zu haben ist mit der Teilnahme an einem sozialen Netzwerk verbunden: Die Wohnung bzw. die Klingel und die Haustür sind ein Profil, mit dem Menschen interagieren können: Allerdings nur, wenn sie sich an einem bestimmten Ort befinden (allenfalls zu einer bestimmten Zeit dort sind). Netzwerke können örtliche und zeitliche Zusammenhänge stärker oder weniger stark in ihre Struktur einbeziehen. Ein Chat funktioniert komplett ortsunabhängig, aber meist synchron; während Foursquare-Checkins zeitunabhängige Kommunikation ermöglichen, die aber an einen Ort gebunden ist.

(4) Medium und Format der Kommunikation

Früher waren Telefongespräche und Telegramme sehr teuer. Das führte zu einer künstlichen Knappheit der Zeit, die bestimmte Kommunikationsstile herausgebildet hat. Ähnlich zeichnen sich auch heute soziale Netzwerke durch die darin vertretenen Medien und Informationsformate aus. Einerseits explizit (ich kann bestimmte Dateien auf Facebook posten, andere nicht), andererseits implizit: Online werden viele Texte nur zwei Bildschirmlängen lang gelesen, Video werden nur einige Minuten lang angeschaut etc.

(5) Öffentlichkeit 

Wenn die Beschilderung meines Briefkastens ein Profil auf einem sozialen Netzwerk ist, so ist sie per default öffentlich. Die Briefträgerin wie auch die Einbrecherin haben im Normalfall Zugang. Anders ist es mit meinem Telefonanschluss: Ich nehme an, dass niemand meine Gespräche abhört.

(6) Permanenz bzw. Archiv

Daran kann man anknüpfen: Schilder an einem Briefkasten werden meist in Metall gestanzt und in der Absicht montiert, dass sie Jahre überdauern. Telefongespräche vergehen sofort, sie werden kaum aufgezeichnet. Gewisse Netzwerke archivieren die gesamte Kommunikation, andere keine.

* * *

Traditioneller Schulunterricht ist in vielen der Eigenschaften von (1)-(6) determiniert: Die Kontingenz ist gering. Gearbeitet wird in Klassen, deren Mitglieder sich und ihre Lehrpersonen kennen und ihnen zeitlich und räumlich begegnen. Benutzt wird ein Standardrepertoire an Medien und Kommunikationsformaten, das halb-öffentlich inszeniert wird: Zwar wären Besuche durch Referendarinnen, Mitglieder der Schulleitung oder Eltern denkbar, sie sind aber eher die Ausnahme. Schriftliche Materialien werden ab und zu archiviert, mündliche Aussagen kaum.

Social Media in der Schule bedeutet nun, dass diese Eigenschaften veränderbar werden. Didaktisch-pädagogisch sind nicht alle von ihnen optimal für lernen und lehren. Z.B. kann es lehrreich sein, sich hoher Kontingenz auszusetzen oder es kann förderlich sein, unabhängig von Raum und Zeit lernen zu können.

 

 

Papierloses Lernen

Papierlos

Mein Studium wäre ohne Papier kaum denkbar, da der ‹Faust› oder der ‹Mann ohne Eigenschaften› auf dem Bildschirm nicht das Gleiche sind wie zwischen Buchdeckeln.

Dieses Zitat findet sich unten am oben abgebildeten Artikel über Krystina Schaub – ein Klick vergrößert ihn so, dass er lesbar wird, hier die Online-Version. Schaub benutzt für ihr geisteswissenschaftliches Publikum nur ein Tablet. Sie nutzt es produktiv, rezeptiv und zur Kommunikation – und kann so, wie auch die Illustration zeigt, gänzlich auf Papier verzichten. (Studien belegen, dass man heute auf Tablets gleich gut Texte lesen kann wie auf Papier.)

Wie eine Umfrage von Per Bergamin zeigt, nutzen Studierende heute Tablets vor allem für rezeptive Tätigkeiten: Sie lesen Texte und betrachten Videos oder Präsentationen darauf, hingegen schreiben oder arbeiten sie wenig damit. Das mag damit zu tun haben, dass Tastaturen eine schnellere Texteingabe ermöglichen oder Papiernotizen weniger Ablenkungsgefahr bieten.

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Die Lernrealität vieler Lernenden umfasst heute so eine Reihe von Medienwechseln: Vom Buch zum Smartphone zum Computer zum Tablet, vom Online-Portal zur Facebook-Seite zum eBook zum Youtube-Video. Jeder dieser Medienwechsel ist mit Verlusten verbunden, wie Bergamin ausführt:

Die Sprünge zwischen dem Lehrbuch auf Papier und den Notizen aus dem Unterricht und dem Diskussionsforum im Web bringen Lernverluste. Bis man jeweils von einem auf den anderen Datenträger umgestiegen ist, hat man viel vergessen.

Die Vision, papierlos zu arbeiten, würde auch für die Schule solche Verluste vermeiden. Es müsste dann energischer nach sauberen Lösungen gesucht werden, die sowohl für Lernende als auch für Lehrende die Organisation und Verteilung von Daten erleichtern. Ein Beispiel aus meinem Unterrichtsalltag: Ich lese viele Bücher auf meinem Kindle (in der App oder auf dem Gerät). Dort markiere ich Stellen und halte Notizen fest. Diese Arbeit muss ich dann wieder auf ein Arbeitsblatt übertragen oder auf eine Präsentation, mit der ich die Schülerinnen und Schüler arbeiten lasse. Gleichzeitig notiere ich aber die Links, mit denen sie diese Dateien wieder aus der Cloud abrufen können. Sie lesen die Texte aber in einem Buch; stelten verweise ich sie auf Online-Ausgaben längerer Bücher.

Das Problem, so scheint mir, ist nicht das Papier. Ich werfe Papiere immer fort und benütze sie allenfalls kurzfristig. Ich archiviere Daten nur digital. Und doch besteht das Problem der Verzettelung. Krystina Schaub nutzt Evernote zur Organisation von Notizen, Bildern, Links und anderen Dokumenten; Evernote ist eine Art komplettes Archiv. Ich speichere alle meine Daten auf meinem Google-Drive-Profil und kann sie so einfach verteilen, verlinken und von jedem Endgerät aus bearbeiten.

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Evernote auf OS X.

Letztlich reicht aber eine individuelle Lösung für guten Unterricht nicht. Die Lösungen der Lernenden müssen mindestens an die Lösungen der Schule und der Lehrpersonen anschließbar sein. Natürlich können sie jedes Handout schnell mit dem Tablet oder Smartphone scannen und so ablegen. Aber oft werden schuleigene Intranet gebraucht, die nicht offen sind, oft werden Dokumente über zu viele verschiedene Kanäle zugänglich gemacht etc.

Kommuniziere so, dass andere deine Daten ohne Aufwand in ihren Archiven ablegen können, könnte die Maxime für die Zukunft lauten. Klar müsste dabei aber sein, ob Papier oder Daten das primäre, komplette Archiv darstellen. Sinnvoll wäre ein kompletter Datensatz, der auszugsweise ausgedruckt wird.

(Disclaimer: Ich kenne Krystina Schaub persönlich.) 

Schulgespräche mit Expertinnen und Experten via Twitter

Der direkte Kontakt mit Wissenschaftlerinnen, Künstlern, Politikerinnen und anderen Persönlichkeiten ist für Schülerinnen und Schüler von großem Wert. Sie sind Perspektiven ausgesetzt, die nicht primär mit dem Unterrichtskontext zu tun haben und erhalten direkten Zugang zu wichtigen Themen.

Oft erlebe ich es so, dass Klassen etwas überfordert sind mit solchen Begegnungen. Sie freuen sich darauf, sie hören dann aufmerksam zu – trauen sich aber kaum, ein echte Gespräch zu eröffnen. Nach wenigen zögerlichen Fragen zeigt sich dann in der Nachbesprechung, wie interessiert sie waren und wie viel sie zu einer interessanten Diskussion hätten beitragen können, nicht nur durch Fragen, sondern durch eigene Meinungen, Erlebnisse etc.

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Die Durchführung eines solchen Gespräches via Social Media bzw. Twitter hat viele Vorteile. Ich beziehe mich auf die Beschreibung eines Kommunikationskurses der Rutger University, wo ein Live-Gespräch mit Nathan Jurgenson, einem der interessantesten Theoretiker von Social Media (vgl. seine Gedanken zu digitalem Dualismus), durchgeführt wurde. Die verantwortliche Dozentin, Mary Chayko, beschreibt wichtige Aspekte, die bei einer solche Online-Begegnung beachtet werden müssen, damit sie erfolgreich durchgeführt werden kann:

  1. Die Klasse muss mit den technischen Mitteln und ihrem Einsatz so vertraut sein, dass keine Hindernisse entstehen. Idealerweise verwendet man eine Plattform, die Schülerinnen und Schüler kennen und nutzen. 
  2. Die Begegnung muss vorbereitet werden. Neben intensiver Lektüre relevanter Texte hat Chayko alle Lernenden gebeten, eine Frage zu formulieren und ihnen dazu ein Feedback gegeben. So kommt sicher eine Konversation in Gang.
  3. Die Person, mit der man spricht, muss ein solches Gespräch führen können, unter Umständen mit wenig Moderation durch die Lehrperson.
  4. Das Gespräch muss im Unterricht nachbearbeitet und ausgewertet werden.
  5. Der Einsatz von solchen Gesprächen muss sehr dosiert erfolgen (z.B. ein Mal pro Semester), er ist sehr aufwändig.

Nathan Jurgenson zog eine statistische Bilanz, wie oft er gefragt wurde und wie viele Antworten er gab:

http://twitter.com/#!/nathanjurgenson/status/258350385834643456

Chayko bewertet das Ergebnis als positiv – trotz des großen Aufwands. Das schönste Ergebnis war, dass sich ein face-to-face Backchannel ergeben hat. Das muss kurz erklärt werden: Oft wird Social Media als Backchannel bezeichnet: Bei Konferenzen, Sitzungen oder im Unterricht ergibt sich heute oft eine zweite Gesprächsschicht auf Social Media, wo andere Fragen gestellt und andere Themen diskutiert werden. Diese Backchannels können durch »Twitterwalls« sichtbar gemacht werden. Im Falle der Klasse von Chayko war der Backchannel aber im Unterricht: Die Studierenden haben gelacht und miteinander geredet, während sie mit Jurgenson diskutiert haben:

But my favorite outcome was the way the face-to-face “backchannel,” and the class as a community, began, during this event, to coalesce.

Zum Schluss noch ein technischer Hinweis: Mit Google+ ist es auch möglich, mehrdimensionale Begegnungen durchzuführen. Wie der Screenshot von Roland Gesthuizen zeigt, kombiniert es Videotelefonie mit Chats und gemeinsamer Bearbeitung von Dokumenten. Das kann für Gruppenarbeiten sinnvoll sein, würde bei Begegnungen aber auch ermöglichen, dass der Gast einen Vortrag halten könnte in einer Klasse und dann per Chat oder per Video befragt werden könnte.

ACCELN hangout  activity Screen Shot 2012-10-29 at 10.07.55 PM

Das perfekte Social Network

Bei Netzwertig hält Martin Weigert 12 Anforderungen fest, die an ein perfektes Social Network zu stellen sind. Ich paraphrasiere sie sehr knapp und leicht modifiziert, wo mir das nötig scheint:

  1. Alle Freunde sind dabei.
  2. Offen.
  3. Vertrauen in die Entwickler.
  4. Problemloser Datenschutz.
  5. Neue Funktionen als Option, nicht als Zwang.
  6. Funktioniert besser als Konkurrenz.
  7. Sieht gut aus, fühlt sich gut an.
  8. Kann auf jedem Gerät und jeder Plattform genutzt werden.
  9. Absolut sicher.
  10. Rentabel.
  11. Ethisch korrekt.
  12. Dezentrale Serverstruktur.

Denkt man an den Einsatz von Social Networks in einem Bildungskontext, dann sind viele Punkte bei einer sauberen Auswahl leicht zu erfüllen: Man kann beispielsweise i. alle relevanten Personen einladen, ii. Offenheit selber wählen und muss sich über x. und xi. keine Gedanken machen.

Das heißt aber in der Konsequenz, dass bestehende, große Social Networks für den schulischen Kontext nicht oder nur sehr bedingt geeignet sind – gerade weil viele Faktoren nicht beeinflusst werden können.

Weigerts Fazit:

Dass eine solche Anwendung für immer ein Wunschtraum bleiben wird, ist offensichtlich – schon weil sich einige Punkte widersprechen […]

Social Media als Ergänzung zu mündlicher Beteiligung

Letzte Woche habe ich ein Projekt vorgestellt, bei dem Twitter als eine spielerische Erweiterung des Literaturunterrichts genutzt wird. Plattformen wie Twitter können aber auch als Ergänzung zu einem Klassengespräch genutzt werden. Kernidee: Wer sich nicht beteiligen kann oder will, nutzt Social Media als Ersatz.

Auf Konferenzen mit Social Media-Bezug ist es üblich, neben oder statt Slides einen Twitter-Wall einzublenden, wie man ihn auf dem Bild sieht:

Dort können die Zuhörerinnen und Zuhörer direkt Feedback geben, untereinander kommentieren und das Referat mit Links und Kommentaren sozusagen erweitern.

Diese Idee könnte man auch auf den Unterricht anwenden: Stille Schülerinnen und Schüler können sich per Social Media an einer Diskussion beteiligen, die von der Lehrperson dann wieder ins Klassengespräch integriert werden kann. Das tut Erin Olson, eine Englischlehrerin aus den USA, die in einem Beitrag der New York Times vorgestellt worden ist.

Das Klassengespräch erhält so einen so genannten Backchannel: Eine zweite Kommunikationsebene, auf der Fragen gestellt werden können, Meinungen geäußert und Kommentare abgegeben können. Die Idee besticht aus drei Gründen:

  • Es ergeben sich Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Schülerinnen und Schülern, z.B. kann, wenn jemand einen Begriff nicht versteht, die Klasse selbst eine Erklärung abgeben.
  • Es ergibt sich eine Aktivierung sonst passiver Schülerinnen und Schüler.
  • Wenn die Möglichkeit gegeben wird, themenzentriertes abzuschweifen, verhindert das nicht-thematisches Abschweifen.

Zwei Schülerstatements aus dem Artikel sind beeindruckend:

“Everybody is heard in our class,” said Leah Postman, 17.
Janae Smith, also 17, said, “It’s made me see my peers as more intelligent, seeing their thought process and begin to understand them on a deeper level.”

Die Einwände sind vorhersehbar – und selbstverständlich auch berechtigt: Laptops oder Tablets im Schulzimmer bieten die Gefahr einer Ablenkung, einer Verzettlung, eines Mangels an Vertiefung.

* * *

Technische Möglichkeiten

Twitter selbst ist nicht für einen Bildungskontext ausgelegt. Ich schlage zwei andere Tools für den Einsatz im Schulzimmer vor und werde das im kommenden Schuljahr auch ausprobieren:

  1. Google Moderator, wo Fragen gestellt und beantwortet werden können
  2. TodaysMeet, eine Art provisorisches Twitter, das für jede Veranstaltung installiert werden kann und automatisch gelöscht wird, aber auch die Möglichkeit zum Download der Gespräche bzw. Fragen bietet.

* * *

Zusatz 16. Juli 2012: Jürgen Bucher unterrichtet Medienwissenschaft an der Universität Trier und ersetzt Wortmeldungen teilweise durch die Möglichkeit, per Twitter Fragen zu stellen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.

Facebook für Lehrpersonen – die Möglichkeiten im Überblick

Dieser Artikel soll aufzeigen, wie Facebook von Lehrpersonen sinnvoll und gefahrenfrei genutzt werden kann. Entscheidend dabei ist: Man muss nicht mit Schülerinnen und Schülern befreundet sein! (Ich habe mich hier zur Missbrauchsgefahr geäußert – ein Problem, das ich eher auf der Ebene Schule als auf der Ebene der einzelnen Lehrperson sehe.)

Eine Infografik zeigt basierend auf einer Studie des Babson College/Pearson von 2011, dass viele Lehrpersonen – hier bezogen auf Colleges – Facebook-Konten haben, sie aber eher selten für die Kommunikation mit anderen Lehrpersonen oder Schülerinnen und Schülern einsetzen:

Die folgenden Möglichkeiten sollen zeigen, wie dieses Kommunikationspotential genutzt werden kann. Facebook selber finanziert einen Educators Guide (Direkter Link zum Paper als pdf), in dem technischen Grundlagen und Einsatzgebiete aufgezeigt werden. Konkret sind dies:

  1. Konstruktiv bei Schulregeln für Social Media mitarbeiten.
  2. Schülerinnen und Schüler über Richtlinien für sicheres Verhalten auf Social Media zu informieren.
  3. In Bezug auf Sicherheit und Privatsphäre auf FB up-to-date sein.
  4. Verhaltensregeln für digitale Kontexte reflektieren und vermitteln.
  5. Mit FB-Pages und -Gruppen mit Eltern und Schülerinnen und Schülern im Kontakt bleiben.
  6. Digitale, soziale und mobile Lernmöglichkeiten von Schülerinnen und Schülern des 21. Jahrhunderts verstehen.
  7. Facebook zum persönlichen Wissensmanagement und zur professionellen Vernetzung nutzen.

An diesen Einsatzmöglichkeiten ist besonders interessant, dass für die Vernetzung mit Schülerinnen, Schülern und Eltern nicht ein persönliches oder professionelles Profil, sondern eine Seite oder eine Gruppe genannt wird. Im Folgenden soll es also darum gehen, wie Lehrpersonen mit Facebook kommunizieren können – mit Schülerinnen und Schülern, Eltern und anderen Bildungsprofis.

(1) Das persönliche Profil

Die Frage, wie und ob das persönliche Profil eingesetzt werden soll, um berufliche Kommunikation zu betreiben, ist umstritten. Zumindest in Bezug auf Schülerinnen und Schüler gibt es klare Vorbehalte dagegen, ein persönliches Profil zu nutzen (vergleiche auch die Empfehlungen zu Social Media-Aktivitäten für Lehrpersonen). Dabei ist dies aber davon abhängig, wie privat dieses Profil wirklich ist – ein Profil muss nicht zwingend private Informationen beinhalten.

Zudem ist es möglich, eine Liste zu einzurichten und zu verwalten, so dass die Schülerinnen und Schüler auf dieser Liste keine persönlichen Informationen zu Gesicht bekommen – wie zeigt Ronnie Burt auf seinem Blog. (Eine Bemerkung allgemeiner Natur: Ich poste hier nie technische Anleitungen, weil diese so schnell nicht mehr aktuell sind, gebe aber gerne darüber Auskunft bei Beratungen und Schulungen).

(2) Das »Herr Huber«/»Frau Schmid«-Profil

Es ist ohne weiteres möglich, in der Rolle als Lehrperson auf Facebook aktiv zu sein. Es ist aber meistens recht umständlich, mehrere Konten zu pflegen, das führt zu Verwechslungen und ist nicht der Sinn von Facebook.

(3) Die Fan-Page

Eine Fan-Seite ist gegenüber (1) und (2) zu bevorzugen. Schülerinnen und Schüler erhalten Updates, ohne mit einem Profil befreundet zu sein müssen. Was sich auf dieser Seite abspielt, ist für alle Interessierten einsehbar, es gibt keine persönliche/private Zwischenebene.

Das sieht dann beispielsweise so aus (hier die Seite auf Facebook):

Auch hier gibt es beim EduBlog konkrete Anleitungen, wie man eine Fan-Seite errichtet.

(4) Gruppen

Gruppen sind eine Alternative zu Seiten, die aber ähnliche Vorzüge haben: Auch hier ist eine direkte Freundschaft unnötig. In Gruppen können aber alle Mitglieder Inhalte posten, zudem ist es dort möglich, auch Dokumente hochzuladen, was auf einer Seite nicht möglich ist. Zudem können Gruppen privat geführt werden, ohne dass Nicht-Mitglieder einen Einblick erhalten – das kann ein Vor- oder ein Nachteil sein. Gruppen ermöglichen zudem die Kommunikation zwischen den Mitgliedern ohne Bezug zur Lehrperson.

* * *

Fazit: Es gibt viele Möglichkeiten, wie Facebook sinnvoll genutzt werden kann – auch im Bildungsbereich. Die Frage, ob Facebook überhaupt als Tool eingesetzt werden soll, stellt sich für Behörden, Schulen und Lehrpersonen gleichermassen. Die Schülerinnen und Schüler sind schon auf FB – und können dort motiviert abgeholt werden. Andererseits übergibt man Informationen an ein gewinnorientiertes Unternehmen, das keine Garantien darüber abgibt, was es damit anstellt.

Twitter im Literaturunterricht

Auf der Higher Education-Plattform der Guardian-Webseite berichtet Rosie Miles (@MsEmentor), wie sie Twitter im Literaturunterricht einsetzt. Sie unterrichtet an der University of Wolverhampton in England und beschreibt die Erfahrungen im Umgang mit Social Media als sehr positiv: Die Studierenden beteiligen sich rege und mit Begeisterung.

Zu den Bedingungen, in denen Virtual Learning Environments (VLE) sinnvoll eingesetzt werden können, macht sie zwei aufschlussreiche Bemerkungen:

  • Jedes Lernumfeld (auch das Klassenzimmer) ist zunächst neutral: Erst die darin stattfindende Aktivität lässt einen beurteilen, ob das Umfeld nachhaltiges Lernen ermöglicht oder nicht.
  • Wenn man VLEs einsetzt, muss man sich fragen, ob sie etwas ermöglichen, was im Klassenzimmer nicht möglich wäre.

Was hat nun Miles konkret getan?

Sie hat das Unterrichtsthema – Literatur des Fin de Siècle – spielerisch und kreativ erweitert: Alle Studierenden übernahmen in einem Twitterkonto die Persönlichkeit einer literarischen Figur, mit deren Stimme sie diskutiert haben. So konnte man sich in eine Figur versetzen, ihr Denken, ihr Sprechen nachahmen und gleichzeitig das Werk gemeinsam diskutieren – etwas, was – so Miles – einen eher peinlichen Theater-Workshop ergeben hätte, auf Twitter aber großen Spass macht.

Miles hat nicht direkt Twitter eingesetzt, sondern ein Forum, bei dem die Beiträge ebenfalls auf 140 Zeichen beschränkt waren. Sie fragt, wie man auf Twitter einen Walled Garden einrichten könne für Unterrichtszwecke – etwas, was ich für schwierig halte. Entsprechend merkt sie an, dass Twitter nicht für den Unterricht gemacht worden sei und deshalb erprobt werden müsse, ob das Tool innerhalb eines didaktischen Konzepts sinnvoll einsetzbar sei:

However, Twitter wasn’t per se designed with teaching in mind. So it’s the job of those of us who do use online learning spaces and tools and social media to work out how – if at all – it’s possible to teach with them in our different disciplines and contexts.

[Vorstellung] Coursekit

Coursekit ist eine einfach einsetzbare Unterrichtsplattform, die sich jeweils auf ein Modul bzw. eine Klasse bezieht. Die Oberfläche sieht ähnlich aus wie die von Facebook und Google+ – auch die Funktionalität ist vergleichbar: Instruktoren/Lehrpersonen und Lernende können Mitteilungen, Medien, Dateien, Links etc. in einen »Stream« posten, der dann von allen wiederum gelesen und kommentiert werden kann.

Zudem ist es möglich, einen Kalender zu führen, zentral Lernmaterialien anzubieten und auch Aufgaben zu erstellen, welche zu erfüllen sind (natürlich verlinkt mit dem Kalender etc.). Lehrpersonen können auch Noten über Coursekit verwalten.

Meine Einschätzung: Die Verwaltung von Coursekit ist intuitiv, ästhetisch sehr ansprechend, funktional und kann ohne lange Instruktion sinnvoll verwendet werden. Coursekit ist gratis und wird das auch immer bleiben. Es ist von der Funktionalität her mit dem kostenpflichtigen System ManageBac vergleichbar, das für IB-Kurse angeboten wird.

Momentan wird es aber nur auf Englisch angeboten und scheint stark auf einen amerikanischen Kontext bezogen zu sein. Das ist sicherlich ein Nachteil – zudem müssten alle Studierenden erst eingeladen werden: Es besteht also gegenüber schulinternen Plattformen eine kleine Hürde.

Ich werde die Plattform intensiv testen und diesen Post dann aktualisieren.