Migration mit Facebook verstehen: Eine interaktive Karte

Auf facebookstories.com hat Mia Newman eine interaktive Karte publiziert, mit denen Beziehungen zwischen einzelnen Ländern veranschaulicht werden können. Dabei werden ungewöhnliche Beziehungen kurz thematisiert, wie man auf folgendem Ausschnitt sehen kann:

Newman hat in Internationalen Beziehungen doktoriert und Beziehungen zwischen Nationen untersucht. Der Einbezug von Facebook hat drei Aspekte hervorgehoben, von welchen die Nähe der Beziehungen auf FB abhängt

  •  Migration
  • wirtschaftliche Beziehungen
  • ehemalige Kolonien zu den Nationen, die sie einst beherrscht haben.

Die interaktive Karte eignet sich gut, um Schülerinnen und Schülern kleine Forschungsaufträge zu gebe, z.B. wenn ein Land oder ein Kontinent zum Unterrichtsthema wird.

Social Media und die Suche nach Wahrheit

Noch einmal ein kurzer Post – es sind ja noch Ferien. Ich möchte eigentlich nur auf den exzellenten Nieman Report zum Thema »Truth in the Age of Social Media« hinweisen. Der Report ist als englisches pdf frei verfügbar und kann hier runtergeladen werden.

Das Nieman Lab ist ein Fachbereich für Journalismus an der Harvard University. Das Thema wird deshalb aus einer rein journalistischen Perspektive beleuchtet, was einige Aspekte sehr fachspezifisch macht für schulische Zwecke. Dennoch gibt es sehr brauchbare Artikel (z.B. Santiago Lyons Ausführungen darüber, wie man heute die Echtheit von Photographien untersuchen kann oder Mark Littles Beschreibung, wie Journalisten abklären, ob ein Bild oder ein Video echt sein könnte oder nicht).

Interessant scheinen mir auch die einleitenden Bemerkungen von Craig Silverman, der zwei gegenläufige Tendenzen beobachtet:

  1. Es war noch nie so einfach, Fakten zu überprüfen wie heute. Wenn Menschen öffentlich lügen oder Fakten verdrehen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass man ihnen auf die Spur kommt – auch bei Details.
  2. Lügen und Falschinformationen konnten noch nie so schnell und überzeugend verbreitet werden. Weil unsere Haltungen bestimmen, wie wir neue Informationen wahrnehmen, tendieren wir oft dazu, den Darstellungen glauben zu schenken, die unseren Vorstellung am nächsten kommen – und nicht denen, die am meisten Wahrheit enthalten.

Der Einfluss von Social Media auf die Sprache der Jugendlichen

Die Klagen über den Sprachzerfall sind alt. Jugendsprache ist sehr dynamisch und zeichnet sich durch eine Innovationskraft aus, die ihr auch die Möglichkeit gibt, Sprachwandelprozesse zu initiieren – gerade weil es auch darum geht, sich von der Sprache der Erwachsenen und der etablierten Kultur zu distanzieren.

Behält man das im Hinterkopf, so stellt sich die Frage, welchen Gehalt die Sprachkritik hat, die den Einfluss von Social Media beklagt. Prominent wurde diese Kritik letzte  Woche von Marie Clair von der Plain English Initiative vorgebracht. In der Daily Mail sagte sie:

Young people’s language in general is becoming more direct in comparison to their parents and the business community because of the communication channels they’re more familiar with.
Those fast communication channels of Facebook, email and Twitter [that] they’ve grown up with mean they haven’t got as much time to deliberate and choose their words.

Die Kritik geht also von der Feststellung aus, die Kommunikation mit Eltern und Geschäftsleuten werde direkter, weil soziale Medien schnell sind und es nicht erlauben, sich gewählt auszudrücken.

Sie führt weiter aus:

If you’re sending text messages all the time, you’re having conversations that are like shorthand. To any outsider, there aren’t those pleasantries that there were when you wrote a letter to someone.

Der Versand von SMS oder kurzen Botschaften sei mit dem Fehlen von Floskeln verbunden, die Freundlichkeit in Textsorten wie Briefen markieren.

Interessant an dieser Diskussion sind die Interpretationen der Fakten: Zunächst können die Mechanismen von Social Media beschrieben werden – Kommentare werden schnell verfasst, die Dialogizität ist sehr intensiv und wichtig. Zudem sind diese Mitteilungen oft sehr kurz.

Dazu kommt aber nun eine Interpretation: Geschwindigkeit und Kürze führten zu einer stärkeren »Aggressivität« – vor allem bei Frauen. Diese Wertung ist einerseits mit einem Rollenbild verbunden, andererseits mit der Verbindung von direkten und kurzen Botschaften mit aggressivem Verhalten, wie ein Kommentar auf TechCrunch deutlich macht.

Die Interpretation dürfte zudem falsch sein. Der Tages Anzeiger hat auf die Kritik von Clair mit einem Hintergrundartikel reagiert, in dem Martin Luginbühl von der Universität Zürich wie folgt zitiert wird:

Facebook und Co hätten, soweit bekannt, nicht zu einem Sprachzerfall geführt. Man habe in einer breit angelegten Studie Hunderte von Schüleraufsätzen untersucht. Das Resultat: Es gibt keinen Grund zur Sorge. «Neue Medien haben praktisch keinen Einfluss auf den Schreibstil», sagt Luginbühl. Die Jugendlichen haben ein grosses Repertoire an Schreibstilen und können diese entsprechend der Schreibsituation richtig anwenden. Das gelte auch in der sogenannten Face-to-Face-Kommunikation, also im direkten Gespräch.
Einzig sei ein Trend zum Informellen zu beobachten. Allerdings reicht dieser bis in die 70er-Jahre zurück. Damals wurde es Mode, erstmals Wörter wie «cool» zu gebrauchen, was in den 60er-Jahren undenkbar gewesen sei. Dass Teenager vermehrt eine informelle Art der Kommunikation pflegten, sei nicht erst durch soziale Medien aufgekommen. Luginbühl will aber nicht ausschliessen, dass Facebook und Twitter diesen Trend verstärkten.

Fazit: Was Jugendliche auf Social Media tun, reflektiert ihren Sprachgebrauch im Alltag. Social Media bilden eine informelle Jugendkommunikationskultur ab, welche eigene Spielregeln hat und die Möglichkeit nicht ausschließt, in entsprechenden Situationen andere Register zu verwenden.

Rezension: Byung-Chul Han – Transparenzgesellschaft

Der Philosoph und Medientheoretiker Byung-Chul Han hat dieses Jahr ein schmales Bändchen zur „Transparenzgesellschaft“ geschrieben. Es enthält einen Essay, in dem die Forderung nach Transparenz einer ausführlichen Kritik unterzogen wird, indem gezeigt wird, was diese Forderung für verschiedene soziale Systeme bedeutet.

Transparenz ist ein systemischer Zwang, der alle gesellschaftlichen Vorgänge erfasst und sie einer tiefgreifenden Veränderung unterwirft.

Transparenz versteht Han als eine umfassende Angleichung: Alles andere und Fremde bedrohe Transparenz und müsse deshalb eliminiert werden.

Han formuliert einige konkrete Einwände gegen das Gebot der Transparenz, das ein Ersatz für das fehlende moralische Fundament der Gesellschaft geworden sei:

  • Die transparente Sprache ist eine maschinelle, die menschliche eine, in der niemand genau weiß, was der andere meint.
  • Transparentes Denken ist Rechnen – Denken braucht das Ungedachte, Undenkbare, Unbewusste und lässt weg, ohne transparent zu machen.
  • Der Mensch ist sich nicht einmal selbst transparent – wie sollte er dieser Forderung andern gegenüber genügen sollen?
  • Mehr Informationen führen nicht zu besseren Entscheidungen.
  • Transparenz verunmöglicht Bereiche, in denen Menschen nicht den Blicken anderen ausgesetzt sind.
  • Negative Gefühle und der Umgang mit Schmerz und Leiden erhalten in der transparenten Gesellschaft keinen Raum.

Für Han ist die Transparenzgesellschaft eine „Positivgesellschaft“: Negatives (in jedem Sinn des Begriffs) kann und darf es nicht geben, weil es nicht transparent gemacht werden kann.

Hans kritische Lektüre der Post-Privacy- und Piratenbewegung enthält auch eine Auseinandersetzung mit sozialen Netzwerken:

Das allgemeine Verdikt der Positivgesellschaft heisst ‚Gefällt mir‘. Es ist bezeichnend, dass Facebook sich konsequent weigerte, einen Dislike-Button einzuführen. Die Positivgesellschaft meidet jede Spielart der Negativität, denn diese bringt die Kommunikation ins Stocken. […] Auf ‚Like‘ folgt schneller Anschlusskommunikation als auf ‚Dislike‘. Die Negativität der Ablehnung lässt sich vor allem ökonomisch nicht verwerten.

Damit sind wir bei der Basis von Hans Kritik:

Erstens ist die Transparenzgesellschaft die ultimative Leistungsgesellschaft, weil alle Widerstände ausgeräumt sind und die Kontrollmechanismen so subtil, dass sich alle selbst disziplinieren, weil alle anderen sofort sähen, wenn keine Leistung erbracht wird.

Zweitens gibt es in der Transparenzgesellschaft kein Nicht-Wissen mehr und damit auch kein Vertrauen. Wenn man alles weiß, ist Vertrauen unnötig. Es gibt auch keine Wahrheit und keinen Schein mehr, alles ist wie es ist.

Und drittens ist die Transparenzgesellschaft pornographisch: Ihre Bilder zeigen alles, ihre Liebesverhältnisse kommen ohne Spiele, Geheimnisse und Negativität aus.

* * *

Hans Schrift ist lesenswert: Er zitiert interessante Nietzsche-, Benjamin- und Heideggerpassagen, fasst Gedankengänge von Platon bis Agamben knapp zusammen und schreibt unterhaltsam. Seine Kritik ist fundiert – auch wenn sie die Transparenzgesellschaft als eine Folie konstruiert, die es so nicht gibt. (Matthes & Seitz, 10 Euro).

 

Trolle in sozialen Netzwerken und in der Schule

Im Folgenden möchte ich das Thema »Trolle« in vier Schritten diskutieren: Zunächst kurz festhalten, was Trolle sind; danach über Trolle und Unterrichtssituationen sprechen und diese Diskussion dann spezifischer auf den Einsatz von Social Media im Unterricht zuspitzen; abschließend eine andere Perspektive auf Trolle als Künstler aufzeigen.

(1) Was sind Trolle

In einer Untersuchung von Online-Charakteren entwickelt Jonathan Bishop eine ethnographische Typologie von Verhaltensweisen in sozialen Netzwerken. Einer der Typen ist der Troll. Er ist dadurch charakterisiert, dass er chaotisch handelt und mit seinen Beiträgen vornehmlich versucht, Reaktionen zu provozieren. So hält der Wikipedia-Artikel fest:

Der Begriff Troll wird in der Netzkultur für eine Person verwendet, die mit ihren Beiträgen in Diskussionen oder Foren unter Umständen stark provoziert. Mutmaßliches Ziel des Trolls ist das Stören der ursprünglich an einem Sachthema orientierten Kommunikation und das Erlangen von Aufmerksamkeit.

In einem einflussreichen Essay bezeichnet Judith Donath das Trollen als ein »Spiel mit der Identität, das ohne die Einwilligung der meisten Spieler gespielt wird« und zitiert einen Forumseintrag, in dem ein Troll mit einem Fischer verglichen wird:

Trollen ist, wenn man eine Fischerrute ins Wasser hält und sie langsam hin- und herbewegt, um den Fischen den Köder vor die Nase zu halten. Trollen im Netzt funktioniert gleich – der Troll wirft einen Köder aus und wartet darauf, dass jemand zubeisst, um die anschließende Auseinandersetzung zu genießen. [Übersetzung phw]

Trolle werden gemeinhin als schädlich wahrgenommen, aus mehreren Gründen:

  • Trolle stören Diskussionen nachhaltig.
  • Trolle geben schlechte Ratschläge.
  • Trolle verdrehen Fakten oder fälschen sie.
  • Trolle verhindern den Aufbau von Vertrauen.
  • Trolle erhöhen die Schwelle, die Fragende und Unwissende überschreiten müssen, um an Diskussionen teilnehmen zu können.
  • Die Präsenz von Trollen birgt die Gefahr, dass jeder User als Troll wahrgenommen werden könnte.

Die gemeinhin vorgeschlagene Reaktion auf Trolle ist das Ignorieren: »Don’t feed a troll« ist eine klassische Regel in Foren – um in Donaths Bild zu bleiben: Nicht anbeissen, wenn man den Köder eines Trolls vor sich schwimmen sieht. Darüber hinaus ist es in vielen online Konversationsräumen möglich, Trolle auszublenden, so dass ihre Einwürfe nicht mehr sichtbar sind.

(2) Trolle im Unterricht

Wenn wir uns Unterricht vereinfacht als ein lehrergesteuertes Unterrichtsgespräch mit einer Klasse vorstellen, dann gibt es auch hier eine Reihe von Möglichkeiten, wie Trolle eine sachbezogene Diskussion stören können. Trolle wären bestimmte Schülerinnen und Schüler, die mit Wortmeldungen, Zwischenbemerkungen oder ihrem Verhalten »Köder« auswerfen.

Das ist kein neues Phänomen, insofern gibt es auch jede Menge didaktische Lösungen dafür, die hier nicht repetiert werden sollen und müssen. Generell liegt aber im Unterricht deswegen kein Trolling vor, weil die Identitäten klar sind. Allen Beteiligten ist klar, wer potentielle Trolle sind und wer nicht – deshalb ist die Bedrohung, die von Störefrieden ausgehen, viel kleiner. Niemand muss befürchten, als Troll wahrgenommen zu werden, wenn er oder sie sich nicht entsprechend verhalten hat; auch das Vertrauen kann nicht nachhaltig gestört werden, wenn einige Schülerinnen oder Schüler versuchen, den Unterrichtsverlauf zu beeinflussen und eine sachliche Diskussion zu verunmöglichen.

(3) Trolle beim schulischen Einsatz von Social Media

Daran anschließend kann man schnell zum Schluss kommen, das Problem könnte am einfachsten gelöst werden, wenn es keinen Freiraum für Identitäten gibt. Man müsste also, wenn Social Media-Tools für schulische Zwecke eingesetzt werden, darauf bestehen, dass Klarnamen verwendet werden, die eine Zuordnung zu einer »realen« Identität ermöglichen und so die Situation im Klassenraum in virtuelle Räume übertragen – zumindest in Bezug auf das Identitätsmanagement.

Damit ist aber auch eine gewisse Gefahr verbunden, wie ein Essay der Electronic Frontier Foundation zur Diskussion um die Klarnamenpflicht bei Google Plus zeigt:

Just as using „real“ names can have real consequences, mandating the use of „real“ names can too, excluding from the conversation anyone who fears retribution for sharing their views. While one added value of requiring real names might be increased „civility“ of the conversation, it is most certainly to the detriment of diversity.
[Übersetzung phw:] Genau wie »reale« Namen auch wirkliche Konsequenzen nach sich ziehen, kann der Zwang, »reale« Namen angeben zu müssen, Menschen ausschließen, die Angst haben, ihre Meinungen zu äußern. Während man als Nutzen eines Klarnamenszwangs den verbesserten Umgang angeben könnte, verhindert er sicherlich Diversität.

Auf den schulischen Kontext bezogen heißt das, dass abenteuerliche Meinungen, Kritik, Originalität eingeschränkt werden, wenn man gezwungen ist, seinen richtigen Namen anzugeben – während die Kontrolle der Lehrperson und der Umgangston generell besser ist.

(4) Der künstlerische Troll

In einem Essay von Astrid Herbold in der Zeit werden Trolle aus einer wohlwollenden Perspektive betrachtet:

Diese Schnelllebigkeit bewirke, dass beliebte Einträge immer wieder gepostet und variiert werden, stellte eine Untersuchung des Massachusetts Institut of Technology kürzlich fest. Das und die Anonymität förderten „das Experimentieren mit Ideen“ – weil das Scheitern für den Einzelnen folgenlos bleibt. Zündet eine schräge Pointe nicht, versucht man es eben mit der nächsten.

Stefan Krappitz [geht es eher] eher um die grundsätzliche Haltung. „Trolle wollen Spielregeln brechen und Erwartungen unterwandern. Deshalb kann man das Trollen durchaus als ein Mittel des künstlerischen Ausdrucks verstehen.“ […] Sein Definitionsvorschlag für kreatives Trollen: „Ein guter Troll belustigt nicht nur sich selbst, sondern viele Menschen.“

 Diese positiven Eigenschaften, das Experimentieren mit Ideen, das lustvolle und belustigende Kommentieren, keine Angst vor dem Scheitern zu haben – das alles sind Elemente, die gutes Lernen begleiten. Und doch sind es gleichzeitig auch die chaotischen, destruktiven Kräfte, die in Cybermobbing münden können, wenn sich nämlich diese Energie gegen andere Menschen richtet.

Das Fazit wäre also Folgendes: In der Schule sollte es den Freiraum geben, sich von der eigenen Identität lösen zu können und das als etwas Lustvolles und Befreiendes zu erleben – aber innerhalb eines klar definierten Rahmens und Kontextes. Im generellen Einsatz von Social Media führt nichts an einer Klarnamenpflicht vorbei. Oder um es mit Postel’s Law zu sagen, das auf den Computerwissenschaftler Jon Postel zurückgeht: »Be conservative in what you do; be liberal in what you accept from others.« (Das Gesetz wird in diesem ausgezeichneten Troll-Artikel von Mattathias Schwartz im Magazin der New York Times zitiert.)

Regeln für den Umgang mit Smartphones

Pause. In vielen Schulzimmern dasselbe Bild: Lehrpersonen wie Schülerinnen und Schüler holen ihre Smartphones hervor, checken neue Benachrichtigungen, tippen Mitteilungen, Statusupdates, Kommentare. Die Blicke versinken in den Geräten, die Nachbarin und die Freunde werden nicht mehr wahrgenommen, es gibt keine Räume mehr für Gespräche, für Streit, fürs Weiterdenken des Unterrichtsinhalt. Alle kapseln sich ab, in ihre eigene Welt, die doch eigentlich keine ist, sondern nur aus Daten besteht. 

Eine solche Beschreibung der Realität hört man in vielen Lehrerzimmern. Ist die Kritik gerechtfertigt? Brauchen Schulen eine Art Code of Conduct im Umgang mit Technologie? Oder sollen sie sogar Schulregeln erlassen, die Smartphones ganz oder teilweise verbieten?

Die New York Times berichtete kürzlich über eine Waldorfschule in Kalifornien, die auf Technologie verzichtet. Keine Computer in den Schulräumen, dafür viel physische Aktivität, Basteln, Tanzen, Kreativität. Drei Viertel der Eltern der Schülerinnen und Schüler diese Privatschule arbeiten in einem Beruf, der direkt mit moderner Technologie zu tun hat – und wollen ihre Kinder vor den schädlichen Einflüssen der Technologie schützen (vgl. dazu auch die Aussagen von Expertinnen und Experten in dieser Studie des PewResearch Centers).

Waldorf-Schulen (oder in der Schweiz: Rudolf Steiner-Schulen) gibt es schon 100 Jahre neben staatlichen Schulen. Sie sind Räume, wo Alternativen erprobt werden können – wo aber auch extreme Haltungen zum Ausdruck kommen, z.B. auch im Umgang mit moderner Medizin. Die Frage wäre: Ist diese Haltung die richtige?

Für die Schule der Zukunft gäbe es demnach zwei Leitvorstellungen:

  • Der digitalisierte »Schulraum«, der kein Raum mehr zu sein braucht, weil sich immer wieder lose Gemeinschaften bilden, die miteinander lernen, verbunden durch Netzwerke, in denen alles Lernen kooperativ ist, Wissen und Gemeinschaften flüssig, privates Lernen mit schulischem verschmilzt, eine Einheit bildet.
  • Der Schulraum als Schonraum, wo die Gefahren des Berufslebens, also der Stress, die Technik, der soziale Druck ferngehalten werden und eine ruhige Entwicklung möglich ist, Reflexionsprozesse, Bildung von sozialen Gefügen, die Selbstfindung.

Bei der Frage um die Rolle der Smartphones entscheidet sich, auf welche Schule der Zukunft eine Schule heute hinsteuert. Wer Smartphones als Medien des Lernens, als eine Erweiterung des Unterrichts und eine Möglichkeit, soziale Bindungen zu pflegen versteht, wird liberaler damit umgehen. Dann dürfen auch während des Unterrichts Smartphones benutzt werden – die Gefahr, dass sie eine Quelle für Ablenkung bieten, muss reflektiert werden. Im Artikel der New York Times sagt eine Lehrerin stolz, sie habe die Aufmerksamkeit der SchülerInnen, wenn sie Bruchrechnen mit einem selbst gebackenen Kuchen erkläre. Auch in der digitalisierten Schule kann Mathematik mit Backwaren erklärt werden, muss der Fokus auf etwas ausserhalb der digitalen Welt gelegt werden. Aber nicht nur.

Flickr, Whowired, CC-NC-BY

Alternativ trennt man die Welt der Schule von der technisierten Welt um sie herum ab. Auch so können Lernprozesse stattfinden. Ideal wäre meines Erachtens dann aber nicht ein starres Regelwerk, sondern eine Art Learner Profile – die ideale Schülerin, der ideale Schüler geht so mit seinem Gerät um. Regeln schaffen einen Graben zwischen denen, die sie etablieren und durchsetzen und denen, die sie befolgen müssen. Wäre man konsequent, so dürften auch Lehrpersonen keine Computer und Handys mehr verwenden, müssten ihren Unterricht wie vor 40 Jahren vorbereiten, mit Büchern, Tafelbildern und Ähnlichem.

Diese Entscheidung kommt auf alle Schulen zu.

Zum Schluss seien Gerald Raunig und Felix Stalder zitiert, zwei Professoren der Zürcher Hochschule der Künste, die in einem Aufsatz in der Zeit deutlich machen, dass die Vorstellung, Social Media und Gadgets seien Teil einer Scheinwelt, nicht mehr zeitgemäss ist – dass sich ganz andere Fragen stellen:

[A]uch das Problem der Abspaltung des Realen vom Medialen [stellt sich] nicht mehr in derselben Weise. Im kognitiven Kapitalismus geht es weniger denn je um eine Trennung zwischen »virtueller« Medialität und »realer« Sozialität. Mit den Social Media und den neuesten Gadgets der Bewusstseinsindustrie hat diese maschinische Sozialität längst ein Stadium erreicht, das Mensch-Maschine-Verhältnisse nicht mehr als Beziehung der Unterordnung beschreibbar macht. Real ist gerade das Anhängen an den Maschinen, das Begehren nach ihnen, schließlich auch die Abhängigkeit von ihnen. Nur vor dem Hintergrund dieses heute unhintergehbar gewordenen wechselseitigen Verhältnisses zwischen Mensch und Maschine lassen sich Wege finden, nicht vollständig dienstbar zu werden. Da gibt es keine Realität hinter dem »Schein« der Gadgets, kein »zweites Leben in der analogen und leibhaftigen Wirklichkeit«, genauso wie es keine Flucht gibt in das second life der virtuellen Netze.

Den Austausch in den Zwischenräumen neuer Medien und Maschinen zu verhindern und zu kriminalisieren ist weder erfolgversprechend noch eine adäquate Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen. Verstellt wird dadurch lediglich der Blick auf die eigentlichen Fragen: Wenn es stimmt, dass Wissen in der Kooperation entsteht, was sind die heutigen Bedingungen der Kooperation? […] Wie können wir die existenzielle Absicherung von Wissens- und Kulturarbeit auf weitere Kreise ausdehnen? Wie können wir eine horizontale Kommunikation forcieren, in der nicht mehr ein Urheber am Anfang steht, sondern in der Mitte und durch die Mitte Serien der Autorschaft, Verdichtungen, Wendungen und neue Kombinationen entstehen? Wie können wir einen transversalen Intellekt erfinden, in dem die Zahl und die Vielfalt der »Geistigen« und ihrer Austauschprozesse immer weiter vervielfältigt werden?

Social Media und das jugendliche Gehirn

Der große amerikanische Autor David Foster Wallace sprach 2005 zu den Absolventinnen und Absolventen des Kenyon Colleges. Er sagte unter anderem (Video gibts hier, Übersetzung im unteren Teil):

It is extremely difficult to stay alert and attentive, instead of getting hypnotized by the constant monologue inside your own head (may be happening right now). Twenty years after my own graduation, I have come gradually to understand that the liberal arts cliché about teaching you how to think is actually shorthand for a much deeper, more serious idea: learning how to think really means learning how to exercise some control over how and what you think. It means being conscious and aware enough to choose what you pay attention to and to choose how you construct meaning from experience. Because if you cannot exercise this kind of choice in adult life, you will be totally hosed. Think of the old cliché about “the mind being an excellent servant but a terrible master.”
[Übersetzung phw: ] Es ist enorm schwierig, wach und aufmerksam zu bleiben, während in unserem Kopf ein ständiger Monolog uns zu hypnotisieren versucht (wie das jetzt vielleicht gerade passiert). Zwanzig Jahre nach meinem eigenen Abschluss habe ich langsam verstanden, dass das Klischee der Geisteswissenschaft, dass sie vermitteln, wie man denkt, für eine viel größere und ernsthaftere Vorstellung steht: Zu lernen, wie man denkt, bedeutet eigentlich zu lernen, wie man kontrollieren kann, wie und was man denkt. Es bedeutet, bewusst und aufmerksam genug zu sein, um wählen zu können, worauf man sich konzentrieren will und wie man aus Erfahrungen bedeutsame Erkenntnisse gewinnt. Wer als Erwachsener eine solche Wahl nicht treffen kann, wird völlig im Regen stehen. Man denke an das alte Klischee, dass der Geist ein ausgezeichneter Sklave, aber ein schlechter Herr sei.

Wallace führt weiter aus, dass sich Selbstmörder nicht selten in den Kopf schössen, wohl um das Denken auszuschalten – was er selbst später auch getan hat.

Hier soll es aber nicht um Wallace gehen, sondern um die Frage, wie man sich heute konzentrieren kann. In unseren Köpfen ist ständig mehr, als wir verarbeiten können. Eine naheliegende These ist es, dass die schnelle, mehrschichtige Kommunikationskultur der Social Media die Gefahr, abgelenkt zu sein, verstärken.

Diese These soll anhand einer Infographik zunächst vorgestellt und dann geprüft werden. Die Infographik stammt von AssistedLivingToday, sie trägt den reisserischen Titel »Social Media is Ruining our Minds«. Ich kommentiere im Folgenden Auszüge daraus:


(1) Schlechteres Konzentrationsvermögen

Die Grafik behauptet, man habe sich vor 10 Jahren 12 Minuten auf etwas konzentrieren können, heute noch 5 Sekunden. Diese Behauptung ist zunächst einmal falsch, die Quelle der Grafik, ein Zeitungsartikel, spricht von einer Reduktion von 12 Minuten auf 5 Minuten, nicht Sekunden.

Tatsächlich zeigt eine Umfrage des PewResearchCenters (pdf, Feburar 2012), dass führende Experten und Analysten davon ausgehen, dass die Aufmerksamkeitsspanne sinken wird und es für Menschen schwierig wird, komplexe Probleme mit dauerhafter Konzentration zu bearbeiten. Zudem ist offensichtlich, dass die Ablenkungen durch Social Media für soziale Zusammenleben eine Herausforderung darstellen (vgl. diesen Kommentar aus Forbes). Gleichzeitig sind gewisse Konzentrationsleistungen auch nicht mehr nötig, weil Computer als Hilfsmittel viele Aufgaben für uns erledigen (z.B. das Addieren von langen Zahlenreihen, Rechtschreibprüfung, das Auswendiglernen von langen Listen etc.)


(2) Verändert sich das Hirn? 

Der nächste Teil der Grafik scheint zu zeigen, dass sich unser Hirn negativ verändert. Das ist eine Aussage, die vor allem in England von Susan Greenfield regelmässig wiederholt wird (z.B. hier im Guardian). Die Baronin ist zwar Neurowissenschaftlerin, kann ihre Behauptungen aber nicht wissenschaftlich belegen.

Die Aussage, dass der Umgang mit Technologie einen Einfluss auf die Entwicklung unsere Hirns hat, ist sicherlich nicht falsch – muss aber genauer und seriöser untersucht werden. Heute kann man dazu kaum genaue Aussagen machen. Martin Robbins schreibt im Guardian etwas bösartig:

In short – as far as I can understand it – Greenfield’s hypothesis is that an unquantified level of exposure to an unspecified subset of modern technologies may be affecting an indeterminate number of people’s brains in an undefined way, with a number of results.
[Übersetzung phw:] Kurz gesagt: So weit ich es verstehe, behauptet Greenfield, dass eine unbestimmte Art von Umgang mit einem unbestimmten Teil moderner Technologie eine unbestimmte Anzahl menschlicher Hirne auf eine unbestimmte Art beeinflussen kann, so dass unbestimmte Effekte eintreten.


(3) Und die Hormone

Hierzu muss nicht viel gesagt werden: Dass Menschen Hormonlevel habe, die sich bei Aktivitäten (auch auf Social Media) verändern, ist selbstverständlich. Auf Twitter und auf FB finden stressige und soziale Interaktionen statt – unerwartet wäre, dass Menschen sich hormonell dadurch nicht beeinflussen lassen.

(4) Fazit

So verlockend sich die Grafik präsentiert, so manipulativ ist sie: Unser Hirn verändert sich vielleicht, wenn wir Social Media benutzen. Genaueres wissen wir darüber nicht – uns bleibt die Erkenntnis, dass wir einen bewussten Umgang mit Social Media wählen müssen und uns nicht treiben lassen dürfen. Aber das wussten wir wohl schon.

Projektidee: Kony 2012

Auf FB hat heute Klaus Meschede, dem ich viele Inputs für das Thema dieses Blogs verdanke, folgenden Vorschlag gepostet:

Idee für ein Projekt zum Schuljahresende:
„Kony 2012“
Vorgeschichte, Kampagne, Wirkung, Auswirkung(?), etc.
Basis: hohe Betroffenheit, Empathie bei Jugendlichen, intensive Kommunikation
Bezug: Moralentwicklung bei Jugendlichen, Empathie vs. Abstraktion/ Universalismus (Habermas als Ergänzung zu Kohlberg), Identitätsbildung
möglichst fächerübergreifend, wenigstens mit Referenten aus SoWi-LK [gemeint: Sozialwissenschaften-Leistungskurs], D-LK [Deutsch-Leistungskurs] (Medien und Kommunikation), evtl. Filmgruppen

Ich möchte diese Idee im Folgenden nun etwas ausführen – und insbesondere aufzeigen, welche Rolle die Reflexion und der Einsatz von Social Media in Bezug auf dieses Thema spielen könnte.

Am Anfang soll eine Liste mit Aspekten stehen, die für das Thema eine Rolle spielen:

  • Worum geht es ganz grundsätzlich? Was hat sich in Uganda in den letzten fünf Jahren ereignet? Was ist die Rolle der Lord’s Resistance Army? Wie ist die aktuelle Situation zu beurteilen?
  • Woher wissen wir etwas über ein Land wie Uganda? Welchen Quellen vertrauen wir, wie nähren wir uns einem solchen Thema?
  • Inwiefern gibt es in Westeuropa ein differenziertes Afrikabild? Welchen Aussagen / Fakten / Vorurteilen schenken wir in Bezug auf afrikanische Länder eher Glauben – und warum?
  • Wie können Menschen auf ein wichtiges Anliegen aufmerksam gemacht werden? Welche Rolle spielen dabei traditionelle Medien, welche Neue Medien bzw. Social Media?
  • Welchen Einfluss haben Prominente auf die Bedeutung von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Problemen?
  • Was beschleunigt bzw. verlangsamt soziale Kommunikation auf Netzwerken wie Facebook und Twitter? Welche Inhalte werden schnell und oft geteilt, welche weniger?
  • Warum berührt uns das Kony Video (stärker als andere Videos)?
  • Wie unterscheidet sich die Verarbeitung von News durch junge Menschen von der älterer?
  • Ist es möglich, dass virale Kampagnen bzw. Virals eine Auswirkung außerhalb des Internets (d.h. in der Welt der Dinge und Menschen) haben?
  • Dürfen Organisationen, die wohltätig bzw. in der Entwicklungshilfe tätig sind, Marketing betreiben? Wie aufwändig darf dieses sein? Ist es besser, wenn eine solche Organisation hohe Einnahmen und hohe Kosten hat, als wenn sie tiefe Einnahmen und tiefe Kosten hat?
  • Kann virales Marketing auf Social Media Kanälen langfristig für wohltätige Organisationen bedeutsam sein?
  • Können wir in einer globalisierten Welt ein »fremdes« Problem lösen?
  • Die persönlichen Geschichten hinter Kony: Jason Russell (Regisseur des Filmes, evangelikaler Hintergrund, sein Sohn); Joseph Kony.

Diese verschiedenen Zugänge bieten sich für einen interdisziplinären Ansatz an. Es stellen sich ganz konkrete politische, wirtschaftliche, historische und soziale Fragen. Es werden kommunikative und mediale Themen verhandelt. Ethische Fragen spielen eine große Rolle, ebenso erkenntnistheoretische.

Infografik: Huffington Post.

Wenn man sich die Bandbreite der Themen anschaut, so ist dieses Projekt klar gymnasial ausgerichtet, wohl sogar eher für Klassen nahe beim Abitur/bei der Matur. Viel Material wird erst dann verfügbar, wenn Schülerinnen und Schüler genügend gut englisch sprechen.

Ich stelle mir einen möglichen Projektablauf wie folgt vor:

  1. Input für alle Projektteilnehmenden:
    Visionierung des Kony-VideosDiskussion.
  2. Entscheid für einen Themenbereich, sehr grob skizziert – Bildung von Gruppen.
    Danach weiteres Inputmaterial,
    z.B.

  3. Projektartige Verarbeitung des Materials und der Überlegungen der Gruppe.
    a) Projektziele und -verlauf definieren.
    b) Recherchieren, kuratieren und verarbeiten von Hintergrundmaterial.
    c) Verarbeitung idealerweise Arbeit mit Social Media, z.B. Wiki oder Blog. (Idee: Es entsteht ein Gesamtprodukt, in das die einzelnen Gruppenbeiträge eingefügt und auf einander bezogen werden können.)
  4. Präsentation und Feedbackprozess.
    Die Gruppen präsentieren ihre Ergebnisse dem Plenum und erhalten von anderen Gruppen Feedback.
    Wiederholung dieser Schlaufe mit einer Art Öffentlichkeit, über Social Media sehr einfach möglich.
  5. Individuelle Reflexion. 
    Die Lehrpersonen, die das Projekt begleitet haben, können hier einige allgemeine Fragen stellen (Umgang mit Social Media; Manipulierbarkeit; Möglichkeiten, in einer globalen Welt etwas zu verändern; Afrikabild in Europa und Nordamerika…)
    In diesem Prozess kann vor allem auch die persönliche Haltung und Veränderung dieser Haltung ins Spiel gebracht werden, sinnvoll ist hier wohl eine ganz traditionelle Arbeit mit einem persönlichen Text, aber auch Social Media (z.B. als Kommentar etc.) wäre denkbar, wenn für Schülerinnen und Schüler in Ordnung.
Visiualisierung der Twitter-Aktivitäten zu Kony 2012, SocialFlow.

Ein solches Projekt würde dem entsprechen, was Wolfgang Neuhaus in einem Aufsatzentwurf zu »didaktisches Design« einleitend formuliert:

Lernen ist eine auf Zukunft gerichtete Aktivität. Ich lerne aus Neugier, aus Interesse, aus Spass oder wegen extern an mich herangetragenenen Notwendigkeiten und ich verspreche mir davon, bestimmte Aufgaben oder Herausforderungen in der Zukunft bewältigen zu können.

Neuhaus zitiert dabei Bruno Latour und sein Konzept des Komponierens, das auf solche Aktivitäten sehr schön anwendbar ist:

Der Bruch mit der Vergangenheit wird nicht ausreichen. Kritik wird auch nicht helfen. Es ist Zeit zu komponieren – in allen Bedeutungen des Wortes, einschließlich mit etwas komponieren, also Kompromisse einzugehen, sich zu kümmern, sich langsam zu bewegen, vorsichtig und mit Vorsorge.

Konsequenzen der digitalen Revolution – zwei Artikel von Mindshift

Im letzten Blogpost habe ich auf den Mindshift-Blog verwiesen, wo die Journalistin Tina Barseghian die (technologische) Zukunft der Lernens erforscht. Im folgenden werde ich die Aussagen von zwei lesenswerten Artikeln zusammenfassen und knapp kommentieren:

  1. Is Peer Input as Important as Content for Online Learning? (Nathan Maton)
    Ist im Online-Lernen der Input von Peers gleich wichtig wie der Lerninhalt?
  2. Amidst a Mobile Revolution in Schools, Will Old Teaching Tactics Work? (Tina Barseghian)
    Werden sich alte Lehrstrategien trotz der mobilen Revolution erhalten?
Screenshot Mindshift.

Die Grundvoraussetzungen sind klar: Inhalte im Internet können auf mobilen Geräten überall und jederzeit angesehen werden. Dieser Fluss von Informationen bedeutet grundsätzlich, dass die Schule nicht mehr die primäre Aufgabe hat, diese Informationen zur Verfügung zu stellen – z.B. als Wissen von Lehrpersonen oder in Form von Unterrichtsmaterialien.

Digitales Lernen findet, wie auch traditionelle Lernformen, auf fünf Standbeinen statt:

  • Lerninhalte
  • Lernmethoden
  • Lerngemeinschaft
  • Institutionalisierung und Anerkennung von Lernerfolgen
  • Technologien und Medien des Lernens

Die »Revolution« betrifft diesen fünften Punkt. Werden die Medien digital, so ist es viel einfacher als bisher, Kopien anzufertigen. Anders gesagt: Lerninhalte kosten nichts mehr – z.B. OER.

Daran schließen sich grundsätzlich vier Fragen an:

  1. Mit welchen pädagogischen Mitteln sollen und können die Vorteile des digitalen Lernens genutzt werden?
  2. Wie organisiert man Gemeinschaften, in denen diese Inhalte erlernt werden können?
  3. Wie erfolgt die Anerkennung von Lernerfolgen im digitalen Lernen?
  4. Mit welchen Technologien sollen digitale Inhalte abgerufen und bearbeitet werden?

Wie wichtig Punkt ii. ist, zeigt ein Zitat von Philipp Schmidt, der die Gratis-Online-Universität P2PU gegründet hat:

The things I care most about is collaborative skills, are you a good communicator, can you get stuff done? I think that’s the number one thing that isn’t being assessed anywhere that is super important. That’s what you ask when someone wants a job from you: do they get stuff done.
[Übersetzung phw] Ich interessiere mich am meisten für Kompetenzen im Bereich der Zusammenarbeit: Kannst du kommunizieren? Kannst du Aufgaben erledigen? Das ist die wichtigste Fähigkeit, die von allen verlangt wird. Wenn jemand angestellt werden soll, geht es genau darum: Kann die Person Aufgaben erledigen?

Punkt i. hingegen ist der Gegenstand von Barseghians Post. Ihre Forderung ist klar und wurde auf diesem Blog schon mehrfach wiederholt: Technologie verfügbar zu haben ist nur dann hilfreich, wenn es auch effiziente Methoden gibt, sie für pädagogische Zwecke einzusetzen. Zudem müssen digitale Geräte so zugänglich gemacht werden, dass sich privates und schulisches Lernen vermischt. Barseghians und ihre Gewährsleute skizzieren eine Learning-By-Doing-Mentalität, die durch Hilfsmittel wie Smartphones und iPads gefördert werden kann.

Abschließend ein Zitat von Shelley Pasnik, der Leiterin des Center For Childern & Technology:

That’s where the pedagogical practice comes to play, a thoughtful use of tool sets. Having the apps sitting on your phone on your desk in and of itself isn’t going to make you smarter, and it won’t make the classroom more anything. It’s what you do with it, and how it’s supported, how teachers and students know to learn, to use those tools. It’s part of a complex nature of learning.
[Übersetzung phw]: Das ist der Punkt, wo die pädagogische Praxis relevant wird: Ein durchdachter Einsatz von Werkzeugen. Nur Apps auf seinem Telefon zu haben macht niemanden schlauer und es verbessert auch die Erfahrung im Klassenzimmer in keiner Hinsicht. Es kommt darauf an, was man mit den Geräten und den Apps macht und wie dieses Handeln unterstützt wird, wie Lehrpersonen und SchülerInnen ihr Lernen und ihren Einsatz von Hilfsmitteln verstehen. Es ist ein Teil der komplexen Natur des Lernens.

Lehrpersonen müssen dazulernen – wie sich Bildung wandelt

Konrad Fischer und Max Haerder haben für die Wirtschaftswoche einen längeren Artikel über die Herausforderungen der Digitalisierung der Bildungslandschaft verfasst. Er kann auf karriere.de online abgerufen werden.

Der entscheidende Punkt: Die Digitalisierung der Schule ist nicht mit Sicherheit der Unterrichtsqualität dienlich. Empfehlenswert sind Modelle, bei denen Schülerinnen und Schüler Tablet-Computer wie iPads als persönliche Geräte ausgehändigt bekommen, die sie auch privat uneingeschränkt nutzen können.

Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • In Deutschland (und auch in der Schweiz) hat bisher auf technologische Innovationen im Sinne des Schweinezyklus‚ reagiert: Man hat eine Innovation so lange ignoriert, bis man sie nicht mehr ignorieren konnte – sie damit aber auch verpasst.
  • Der Einsatz digitaler Medien in der Schule scheitert oft an Kleinigkeiten: Z.B. am Aufwand, der die Reservation der Laptops, die Wartung der Geräte und der Umgang mit ungeplanten Störungen mit sich bringt.
  • Das Problem liegt auch in einem Paradox der Didaktik: »Anstatt die Schüler auf ihre eigene Zukunft vorzubereiten, bekommen sie die Vergangenheit ihrer Lehrer vermittelt.«
  • Unterricht über Neue Medien fokussiert zu stark auf Gefahren von neuen Medien, nimmt Chancen zu wenig in den Blick.
  • Es besteht die realistische Möglichkeit, dass Tablets (z.B. iPads) und digitale Schulbücher einen umfassenden Medienwandel in der Schule auslösen.
  • Der Einsatz von digitalen Lehrmitteln könnte große Kosteneinsparungen bringen und auch innovativen Kleinprojekten eine Chance auf Unterrichtseinsatz bieten.
  • Der didaktische Nutzen des Einsatzes von Tablets – hier ein Blog mit Beispielen – ist umstritten:
    Als Vorteile werden stärker kollaboratives Arbeiten sowie höhere Effizienz genannt; diese Vorteile können jedoch (noch?) nicht nachgewiesen werden.
  • Vorgeschlagen wird ein Modell, bei dem die Schülerinnen und Schüler die Geräte auch privat nutzen können. Sie geben dann mehr acht auf die Geräte und verbinden privates und schulisches Lernen.
  • Auch die Bilanz von Whiteboards ist durchzogen: »Wer es gut einsetzt, kann damit guten Unterricht ein Stück besser machen, schlechter Unterricht wird schlecht bleiben«, sagt Medienpädagoge Stefan Aufenanger.
  • Die technische Aufrüstung birgt die Gefahr des Abbaus von Stellen und damit einer Senkung der Unterrichtsqualität, wie sich in den USA zeigt.
  • Technische Neuerungen werden immer auch von Lobbys und Interessenverbänden der Industrie gefordert, die ein Interesse daran haben, Geräte zu verkaufen.
  • Der Schluss des Artikels: »Lehrer protestieren gegen weitere Investitionen in Technik, neulich hat die „New York Times“ eine Waldorf-Schule im Silicon Valley aufgetan, die besonders bei Kindern von IT-Angestellten beliebt ist. Der Grund: Es herrscht absolutes Bildschirmverbot.«