Warum die Schule Trolle braucht – mein Vortrag auf der Trollcon

Am letzten Sonntag habe ich auf der ersten Trollcon in Mannheim meine Thesen präsentiert, weshalb es in der Schule schon immer Trolle gab – und es Trolle weiterhin geben sollte. Ich möchte hier nun die wichtigsten Erkenntnisse zusammenfassen – den ganzen Vortrag (mit Slides) kann man hier nachlesen und ganz unten gibt es auch ein Video. (Update: Mittlerweile habe ich den Vortrag auch als Essay publiziert.)
Meine allgemeinen Eindrücke zur Konferenz habe ich bereits auf der Heimfahrt festgehalten, die Dokumentationsseite enthält viele Links auf andere Artikel. Die Bilder stammen von cheatha (Flickr, CC BY 2.0).


1. Was sind Trolle?

Trolle kommunizieren im Internet, indem sie ihre Absichten und ihre Identität verfremden. Ihre Absicht ist es, lulz zu erzeugen: Ein hämisches, schadefrohes Lachen über die Verwirrung oder das Leid von anderen. Sie tun das, indem sie Kommunikationsabläufe stören. Dabei brauchen sie eine Kommunikationssituation und Akteure, die eine Art geregelte Kommunikation betreiben. Im Anschluss an ihre Störversuche werden sie meist aus der Kommunikation ausgeschlossen, sie selber verbreiten die lulz möglichst breit und versuchen andere ebenfalls zum Trollen aufzufordern.

Spricht man über Trolle, so sollte man immer angeben, welche Verhaltensweise man als »trollig« bezeichnet und ihren Kontext berücksichtigen.

2. Trolle in der Schule?

Von Trollen in der Schule würde ich dann sprechen, wenn das Unterrichtsgespräch so gestört wird, dass Verunsicherung entsteht – bei der Lehrperson, bei der Klasse. Diese Verunsicherung sollte vom Troll absichtlich herbeigeführt werden, aber ohne dass diese Absicht für die anderen erkennbar ist.

Solche Störungen kennt man aus der eigenen Schulzeit – man kann sie aber auch in literarischen Werken identifizieren, in meinem Vortrag habe ich Robert Musils Törless und Juli Zehs Spieltrieb dahingehend interpretiert.

Trolliges Verhalten in der Schule kann wie folgt systematisiert werden:

Gemeint ist, dass soziale Beziehungen, die Selbstreflexion der Lehrperson oder der Unterrichtsinhalte, die Sache, Ausgangspunkt für eine Störung sind. Diese Typologie ist angelehnt an Störungen des Unterrichtsgesprächs, wie sie in einschlägigen Lehrmitteln dokumentiert sind (Bittner und Wagner, 2006).

3. Wie sind Trolle in der Schule zu bewerten?

Wenn Trolle Verunsicherung schaffen, ist das in den meisten Fällen problematisch. Es gibt in der Schule jedoch auch positive Aspekte:

  1. Trolle zeigen unsichtbare Machstrukturen, Rollenvorgaben und Hierarchien auf, die Lernen verhindern oder behindern können.
  2. Trolle zeigen den fundamentalen Widerspruch der Schule auf, Jugendlichen bei der Selbstfindung zu helfen (das zu werden, was sie werden wollen), aber gleichzeitig Vorgaben zu erfüllen (der Arbeitswelt, standardisierte Aufgaben zu erledigen).
  3. Trollen zeigen, dass die Schule eigentlich keinen Widerstand mehr zulässt, weil sie als biopolitische Disziplin (Foucault) immer verstanden werden muss als etwas, was allen Beteiligten nützt.
  4. Trolle zeigen versteckte Privilegien von Lehrpersonen auf, z.B., kein echtes Interesse haben zu dürfen (was sie bei SchülerInnen nicht verstehen).
  5. Trolle ermöglichen echte Kreativität – sie können scheitern, sie probieren aus, sie ändern ihre Identität. Gerade im Schonraum Schule ist das für Jugendliche enorm wichtig.

Das heißt aber nicht, dass die Schule Trolle dann unterstützen muss, wenn sie Schaden anrichten und ihr Verhalten eher als Bullying oder Mobbing zu werten ist. Wo da die Grenzen liegen, ist schwierig zu bestimmen.

4. Digitales Lernen und Trolle

Sobald Unterrichtsgespräche durch Social Media ergänzt oder ersetzt werden, geraten zwei wesentliche Bedingungen für Trollverhalten – und damit für kreatives Lernen – in Gefahr: Die Neukonzeption einer Identität sowie die fehlende Permanenz von Daten. Unterrichtsgespräche leben deshalb, weil Schülerinnen und Schüler Haltungen erproben können – und Gesagtes nicht gespeichert wird. Wenn dies nun geschieht, so dürfte man befürchten, dass sich alle viel angepasster, konservativer verhalten – und nur noch Erwartungen erfüllen. Social Media in der Schüler müsste die Möglichkeit einräumen, Identitäten zu modifizieren, damit zu spielen – und die Löschung von Geschriebenem/Gesagtem als Standard einsetzen.

5. Lehrerinnen und Lehrer als Trolle

Postel’s Law lautet:

Be conservative in what you do; be liberal in what you accept from others.

Es bezeichnet ein Ratschlag an Ingenieure, ist aber auch eine gute Beschreibung des Verhaltens vieler Lehrpersonen: Sie verwenden bewährte Methoden und Inhalte. Damit funktionieren sie genau umgekehrt wie Trolle, wie die folgende Matrix zeigt:

Moderne Didaktik fordert Lehrpersonen, die ihr eigenes Lernen parallel zu dem der Schülerinnen und Schüler ausstellen und reflektieren. Sollen sie nun auch trollen? Man stellt sich so eine Alternative zum Postel-Lehrer-Ingenieur vor: Der Lehrer-Troll. Er variiert Methoden und Inhalte, versucht Irritation zu schaffen, Sicherheiten zu erschüttern – und so Lernprozesse auszulösen. Das ist soweit nur einmal ein Gedanke, ein Ideal, ein Fluchtpunkt. Was eine Troll-Didaktik bedeuten würde, das gälte es genauer auszuarbeiten.

Fazit

Trolle sagen immer etwas aus über die Institutionen oder Kontexte, in denen sie funktionieren. Sie können nie isoliert analysiert werden, sondern immer in Bezug auf die Bedingungen, die ihr Trollen möglich machen.

(Quellen für den Vortrag können dem Manuskript bzw. dem Google-Docs Ordner entnommen werden. Die Aufzeichnung wird eingefügt, sobald sie verfügbar ist.)

Trolle in sozialen Netzwerken und in der Schule

Im Folgenden möchte ich das Thema »Trolle« in vier Schritten diskutieren: Zunächst kurz festhalten, was Trolle sind; danach über Trolle und Unterrichtssituationen sprechen und diese Diskussion dann spezifischer auf den Einsatz von Social Media im Unterricht zuspitzen; abschließend eine andere Perspektive auf Trolle als Künstler aufzeigen.

(1) Was sind Trolle

In einer Untersuchung von Online-Charakteren entwickelt Jonathan Bishop eine ethnographische Typologie von Verhaltensweisen in sozialen Netzwerken. Einer der Typen ist der Troll. Er ist dadurch charakterisiert, dass er chaotisch handelt und mit seinen Beiträgen vornehmlich versucht, Reaktionen zu provozieren. So hält der Wikipedia-Artikel fest:

Der Begriff Troll wird in der Netzkultur für eine Person verwendet, die mit ihren Beiträgen in Diskussionen oder Foren unter Umständen stark provoziert. Mutmaßliches Ziel des Trolls ist das Stören der ursprünglich an einem Sachthema orientierten Kommunikation und das Erlangen von Aufmerksamkeit.

In einem einflussreichen Essay bezeichnet Judith Donath das Trollen als ein »Spiel mit der Identität, das ohne die Einwilligung der meisten Spieler gespielt wird« und zitiert einen Forumseintrag, in dem ein Troll mit einem Fischer verglichen wird:

Trollen ist, wenn man eine Fischerrute ins Wasser hält und sie langsam hin- und herbewegt, um den Fischen den Köder vor die Nase zu halten. Trollen im Netzt funktioniert gleich – der Troll wirft einen Köder aus und wartet darauf, dass jemand zubeisst, um die anschließende Auseinandersetzung zu genießen. [Übersetzung phw]

Trolle werden gemeinhin als schädlich wahrgenommen, aus mehreren Gründen:

  • Trolle stören Diskussionen nachhaltig.
  • Trolle geben schlechte Ratschläge.
  • Trolle verdrehen Fakten oder fälschen sie.
  • Trolle verhindern den Aufbau von Vertrauen.
  • Trolle erhöhen die Schwelle, die Fragende und Unwissende überschreiten müssen, um an Diskussionen teilnehmen zu können.
  • Die Präsenz von Trollen birgt die Gefahr, dass jeder User als Troll wahrgenommen werden könnte.

Die gemeinhin vorgeschlagene Reaktion auf Trolle ist das Ignorieren: »Don’t feed a troll« ist eine klassische Regel in Foren – um in Donaths Bild zu bleiben: Nicht anbeissen, wenn man den Köder eines Trolls vor sich schwimmen sieht. Darüber hinaus ist es in vielen online Konversationsräumen möglich, Trolle auszublenden, so dass ihre Einwürfe nicht mehr sichtbar sind.

(2) Trolle im Unterricht

Wenn wir uns Unterricht vereinfacht als ein lehrergesteuertes Unterrichtsgespräch mit einer Klasse vorstellen, dann gibt es auch hier eine Reihe von Möglichkeiten, wie Trolle eine sachbezogene Diskussion stören können. Trolle wären bestimmte Schülerinnen und Schüler, die mit Wortmeldungen, Zwischenbemerkungen oder ihrem Verhalten »Köder« auswerfen.

Das ist kein neues Phänomen, insofern gibt es auch jede Menge didaktische Lösungen dafür, die hier nicht repetiert werden sollen und müssen. Generell liegt aber im Unterricht deswegen kein Trolling vor, weil die Identitäten klar sind. Allen Beteiligten ist klar, wer potentielle Trolle sind und wer nicht – deshalb ist die Bedrohung, die von Störefrieden ausgehen, viel kleiner. Niemand muss befürchten, als Troll wahrgenommen zu werden, wenn er oder sie sich nicht entsprechend verhalten hat; auch das Vertrauen kann nicht nachhaltig gestört werden, wenn einige Schülerinnen oder Schüler versuchen, den Unterrichtsverlauf zu beeinflussen und eine sachliche Diskussion zu verunmöglichen.

(3) Trolle beim schulischen Einsatz von Social Media

Daran anschließend kann man schnell zum Schluss kommen, das Problem könnte am einfachsten gelöst werden, wenn es keinen Freiraum für Identitäten gibt. Man müsste also, wenn Social Media-Tools für schulische Zwecke eingesetzt werden, darauf bestehen, dass Klarnamen verwendet werden, die eine Zuordnung zu einer »realen« Identität ermöglichen und so die Situation im Klassenraum in virtuelle Räume übertragen – zumindest in Bezug auf das Identitätsmanagement.

Damit ist aber auch eine gewisse Gefahr verbunden, wie ein Essay der Electronic Frontier Foundation zur Diskussion um die Klarnamenpflicht bei Google Plus zeigt:

Just as using „real“ names can have real consequences, mandating the use of „real“ names can too, excluding from the conversation anyone who fears retribution for sharing their views. While one added value of requiring real names might be increased „civility“ of the conversation, it is most certainly to the detriment of diversity.
[Übersetzung phw:] Genau wie »reale« Namen auch wirkliche Konsequenzen nach sich ziehen, kann der Zwang, »reale« Namen angeben zu müssen, Menschen ausschließen, die Angst haben, ihre Meinungen zu äußern. Während man als Nutzen eines Klarnamenszwangs den verbesserten Umgang angeben könnte, verhindert er sicherlich Diversität.

Auf den schulischen Kontext bezogen heißt das, dass abenteuerliche Meinungen, Kritik, Originalität eingeschränkt werden, wenn man gezwungen ist, seinen richtigen Namen anzugeben – während die Kontrolle der Lehrperson und der Umgangston generell besser ist.

(4) Der künstlerische Troll

In einem Essay von Astrid Herbold in der Zeit werden Trolle aus einer wohlwollenden Perspektive betrachtet:

Diese Schnelllebigkeit bewirke, dass beliebte Einträge immer wieder gepostet und variiert werden, stellte eine Untersuchung des Massachusetts Institut of Technology kürzlich fest. Das und die Anonymität förderten „das Experimentieren mit Ideen“ – weil das Scheitern für den Einzelnen folgenlos bleibt. Zündet eine schräge Pointe nicht, versucht man es eben mit der nächsten.

Stefan Krappitz [geht es eher] eher um die grundsätzliche Haltung. „Trolle wollen Spielregeln brechen und Erwartungen unterwandern. Deshalb kann man das Trollen durchaus als ein Mittel des künstlerischen Ausdrucks verstehen.“ […] Sein Definitionsvorschlag für kreatives Trollen: „Ein guter Troll belustigt nicht nur sich selbst, sondern viele Menschen.“

 Diese positiven Eigenschaften, das Experimentieren mit Ideen, das lustvolle und belustigende Kommentieren, keine Angst vor dem Scheitern zu haben – das alles sind Elemente, die gutes Lernen begleiten. Und doch sind es gleichzeitig auch die chaotischen, destruktiven Kräfte, die in Cybermobbing münden können, wenn sich nämlich diese Energie gegen andere Menschen richtet.

Das Fazit wäre also Folgendes: In der Schule sollte es den Freiraum geben, sich von der eigenen Identität lösen zu können und das als etwas Lustvolles und Befreiendes zu erleben – aber innerhalb eines klar definierten Rahmens und Kontextes. Im generellen Einsatz von Social Media führt nichts an einer Klarnamenpflicht vorbei. Oder um es mit Postel’s Law zu sagen, das auf den Computerwissenschaftler Jon Postel zurückgeht: »Be conservative in what you do; be liberal in what you accept from others.« (Das Gesetz wird in diesem ausgezeichneten Troll-Artikel von Mattathias Schwartz im Magazin der New York Times zitiert.)