Rezension: Byung-Chul Han – Transparenzgesellschaft

Der Philosoph und Medientheoretiker Byung-Chul Han hat dieses Jahr ein schmales Bändchen zur „Transparenzgesellschaft“ geschrieben. Es enthält einen Essay, in dem die Forderung nach Transparenz einer ausführlichen Kritik unterzogen wird, indem gezeigt wird, was diese Forderung für verschiedene soziale Systeme bedeutet.

Transparenz ist ein systemischer Zwang, der alle gesellschaftlichen Vorgänge erfasst und sie einer tiefgreifenden Veränderung unterwirft.

Transparenz versteht Han als eine umfassende Angleichung: Alles andere und Fremde bedrohe Transparenz und müsse deshalb eliminiert werden.

Han formuliert einige konkrete Einwände gegen das Gebot der Transparenz, das ein Ersatz für das fehlende moralische Fundament der Gesellschaft geworden sei:

  • Die transparente Sprache ist eine maschinelle, die menschliche eine, in der niemand genau weiß, was der andere meint.
  • Transparentes Denken ist Rechnen – Denken braucht das Ungedachte, Undenkbare, Unbewusste und lässt weg, ohne transparent zu machen.
  • Der Mensch ist sich nicht einmal selbst transparent – wie sollte er dieser Forderung andern gegenüber genügen sollen?
  • Mehr Informationen führen nicht zu besseren Entscheidungen.
  • Transparenz verunmöglicht Bereiche, in denen Menschen nicht den Blicken anderen ausgesetzt sind.
  • Negative Gefühle und der Umgang mit Schmerz und Leiden erhalten in der transparenten Gesellschaft keinen Raum.

Für Han ist die Transparenzgesellschaft eine „Positivgesellschaft“: Negatives (in jedem Sinn des Begriffs) kann und darf es nicht geben, weil es nicht transparent gemacht werden kann.

Hans kritische Lektüre der Post-Privacy- und Piratenbewegung enthält auch eine Auseinandersetzung mit sozialen Netzwerken:

Das allgemeine Verdikt der Positivgesellschaft heisst ‚Gefällt mir‘. Es ist bezeichnend, dass Facebook sich konsequent weigerte, einen Dislike-Button einzuführen. Die Positivgesellschaft meidet jede Spielart der Negativität, denn diese bringt die Kommunikation ins Stocken. […] Auf ‚Like‘ folgt schneller Anschlusskommunikation als auf ‚Dislike‘. Die Negativität der Ablehnung lässt sich vor allem ökonomisch nicht verwerten.

Damit sind wir bei der Basis von Hans Kritik:

Erstens ist die Transparenzgesellschaft die ultimative Leistungsgesellschaft, weil alle Widerstände ausgeräumt sind und die Kontrollmechanismen so subtil, dass sich alle selbst disziplinieren, weil alle anderen sofort sähen, wenn keine Leistung erbracht wird.

Zweitens gibt es in der Transparenzgesellschaft kein Nicht-Wissen mehr und damit auch kein Vertrauen. Wenn man alles weiß, ist Vertrauen unnötig. Es gibt auch keine Wahrheit und keinen Schein mehr, alles ist wie es ist.

Und drittens ist die Transparenzgesellschaft pornographisch: Ihre Bilder zeigen alles, ihre Liebesverhältnisse kommen ohne Spiele, Geheimnisse und Negativität aus.

* * *

Hans Schrift ist lesenswert: Er zitiert interessante Nietzsche-, Benjamin- und Heideggerpassagen, fasst Gedankengänge von Platon bis Agamben knapp zusammen und schreibt unterhaltsam. Seine Kritik ist fundiert – auch wenn sie die Transparenzgesellschaft als eine Folie konstruiert, die es so nicht gibt. (Matthes & Seitz, 10 Euro).