Pause. In vielen Schulzimmern dasselbe Bild: Lehrpersonen wie Schülerinnen und Schüler holen ihre Smartphones hervor, checken neue Benachrichtigungen, tippen Mitteilungen, Statusupdates, Kommentare. Die Blicke versinken in den Geräten, die Nachbarin und die Freunde werden nicht mehr wahrgenommen, es gibt keine Räume mehr für Gespräche, für Streit, fürs Weiterdenken des Unterrichtsinhalt. Alle kapseln sich ab, in ihre eigene Welt, die doch eigentlich keine ist, sondern nur aus Daten besteht.
Eine solche Beschreibung der Realität hört man in vielen Lehrerzimmern. Ist die Kritik gerechtfertigt? Brauchen Schulen eine Art Code of Conduct im Umgang mit Technologie? Oder sollen sie sogar Schulregeln erlassen, die Smartphones ganz oder teilweise verbieten?
Die New York Times berichtete kürzlich über eine Waldorfschule in Kalifornien, die auf Technologie verzichtet. Keine Computer in den Schulräumen, dafür viel physische Aktivität, Basteln, Tanzen, Kreativität. Drei Viertel der Eltern der Schülerinnen und Schüler diese Privatschule arbeiten in einem Beruf, der direkt mit moderner Technologie zu tun hat – und wollen ihre Kinder vor den schädlichen Einflüssen der Technologie schützen (vgl. dazu auch die Aussagen von Expertinnen und Experten in dieser Studie des PewResearch Centers).
Waldorf-Schulen (oder in der Schweiz: Rudolf Steiner-Schulen) gibt es schon 100 Jahre neben staatlichen Schulen. Sie sind Räume, wo Alternativen erprobt werden können – wo aber auch extreme Haltungen zum Ausdruck kommen, z.B. auch im Umgang mit moderner Medizin. Die Frage wäre: Ist diese Haltung die richtige?
Für die Schule der Zukunft gäbe es demnach zwei Leitvorstellungen:
- Der digitalisierte »Schulraum«, der kein Raum mehr zu sein braucht, weil sich immer wieder lose Gemeinschaften bilden, die miteinander lernen, verbunden durch Netzwerke, in denen alles Lernen kooperativ ist, Wissen und Gemeinschaften flüssig, privates Lernen mit schulischem verschmilzt, eine Einheit bildet.
- Der Schulraum als Schonraum, wo die Gefahren des Berufslebens, also der Stress, die Technik, der soziale Druck ferngehalten werden und eine ruhige Entwicklung möglich ist, Reflexionsprozesse, Bildung von sozialen Gefügen, die Selbstfindung.
Bei der Frage um die Rolle der Smartphones entscheidet sich, auf welche Schule der Zukunft eine Schule heute hinsteuert. Wer Smartphones als Medien des Lernens, als eine Erweiterung des Unterrichts und eine Möglichkeit, soziale Bindungen zu pflegen versteht, wird liberaler damit umgehen. Dann dürfen auch während des Unterrichts Smartphones benutzt werden – die Gefahr, dass sie eine Quelle für Ablenkung bieten, muss reflektiert werden. Im Artikel der New York Times sagt eine Lehrerin stolz, sie habe die Aufmerksamkeit der SchülerInnen, wenn sie Bruchrechnen mit einem selbst gebackenen Kuchen erkläre. Auch in der digitalisierten Schule kann Mathematik mit Backwaren erklärt werden, muss der Fokus auf etwas ausserhalb der digitalen Welt gelegt werden. Aber nicht nur.

Alternativ trennt man die Welt der Schule von der technisierten Welt um sie herum ab. Auch so können Lernprozesse stattfinden. Ideal wäre meines Erachtens dann aber nicht ein starres Regelwerk, sondern eine Art Learner Profile – die ideale Schülerin, der ideale Schüler geht so mit seinem Gerät um. Regeln schaffen einen Graben zwischen denen, die sie etablieren und durchsetzen und denen, die sie befolgen müssen. Wäre man konsequent, so dürften auch Lehrpersonen keine Computer und Handys mehr verwenden, müssten ihren Unterricht wie vor 40 Jahren vorbereiten, mit Büchern, Tafelbildern und Ähnlichem.
Diese Entscheidung kommt auf alle Schulen zu.
Zum Schluss seien Gerald Raunig und Felix Stalder zitiert, zwei Professoren der Zürcher Hochschule der Künste, die in einem Aufsatz in der Zeit deutlich machen, dass die Vorstellung, Social Media und Gadgets seien Teil einer Scheinwelt, nicht mehr zeitgemäss ist – dass sich ganz andere Fragen stellen:
[A]uch das Problem der Abspaltung des Realen vom Medialen [stellt sich] nicht mehr in derselben Weise. Im kognitiven Kapitalismus geht es weniger denn je um eine Trennung zwischen »virtueller« Medialität und »realer« Sozialität. Mit den Social Media und den neuesten Gadgets der Bewusstseinsindustrie hat diese maschinische Sozialität längst ein Stadium erreicht, das Mensch-Maschine-Verhältnisse nicht mehr als Beziehung der Unterordnung beschreibbar macht. Real ist gerade das Anhängen an den Maschinen, das Begehren nach ihnen, schließlich auch die Abhängigkeit von ihnen. Nur vor dem Hintergrund dieses heute unhintergehbar gewordenen wechselseitigen Verhältnisses zwischen Mensch und Maschine lassen sich Wege finden, nicht vollständig dienstbar zu werden. Da gibt es keine Realität hinter dem »Schein« der Gadgets, kein »zweites Leben in der analogen und leibhaftigen Wirklichkeit«, genauso wie es keine Flucht gibt in das second life der virtuellen Netze.
Den Austausch in den Zwischenräumen neuer Medien und Maschinen zu verhindern und zu kriminalisieren ist weder erfolgversprechend noch eine adäquate Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen. Verstellt wird dadurch lediglich der Blick auf die eigentlichen Fragen: Wenn es stimmt, dass Wissen in der Kooperation entsteht, was sind die heutigen Bedingungen der Kooperation? […] Wie können wir die existenzielle Absicherung von Wissens- und Kulturarbeit auf weitere Kreise ausdehnen? Wie können wir eine horizontale Kommunikation forcieren, in der nicht mehr ein Urheber am Anfang steht, sondern in der Mitte und durch die Mitte Serien der Autorschaft, Verdichtungen, Wendungen und neue Kombinationen entstehen? Wie können wir einen transversalen Intellekt erfinden, in dem die Zahl und die Vielfalt der »Geistigen« und ihrer Austauschprozesse immer weiter vervielfältigt werden?