Technologie muss das Leben einfacher machen

Gestern hatte ich früher als sonst eine Sitzung und im Eifer vergessen, mein Portemonnaie von der Wochenend- in die Wochentagstasche zu tansferieren. In der S-Bahn gab es eine Fahrausweiskontrolle. Ich besitze eine Jahreskarte (GA) und musste nun einen Zettel ausfüllen, den ein netter Herr in ein Gerät eingegeben hat, mit dem er dann zwei Zettel ausgedruckt hat, die ich beide unterschreiben musste. Mit einem muss ich nun an einen Bahnschalter, dort fünf Franken bezahlen und das Problem ist gelöst. 02.07.13 - 1

Ich mag die SBB, die in der Schweiz einen großen Teil des öffentlichen Verkehrs organisiert. Ihre Leistungen sind preiswert und zuverlässig, das Personal ist gut geschult und freundlich und das Unternehmen reagiert bei Problemen meist sehr kulant. Nun kommt das Aber: Die Technologie wird in diesem Beispiel nicht genutzt, um das Leben einfacher zu machen. Die Gebühr von fünf Franken deckt den Aufwand der SBB, den ich verursacht habe, bei weitem nicht. Der Kontrolleur und ich haben beide Smartphones, die mit Datenbanken bei der SBB verbunden sind (ich habe ein Konto, mit dem ich Tickets mobil kaufen kann). Ich konnte mich weder mit dem Smartphone identifizieren noch die Gebühr bezahlen; der Herr konnte nicht abrufen, ob ich ein Abo besitze (oder er darf das nur tun, wenn ich mich ausweisen kann – einen Ausweis hatte ich nicht dabei).

Um vom Anekdotischen zum Allgemeinen zu kommen: Digitale Hilfsmittel und Social Media müssen uns das Leben einfacher machen. Wir sollten – zumindest im Geiste – Projekttagebücher führen, die uns Auskunft darüber geben, ob das Erlernen von Kompetenzen und das Einarbeiten in Funktionsweisen von Software letztlich zu einer Vereinfachung führen. Ein Beispiel: Analoge Fotos mussten entwickelt werden, wurden aber viel spärlicher geknipst. Die Abzüge lagen dann aber physisch vor, wurden vielleicht in den Umschlägen beschriftet oder dann in Alben eingeklebt. Die digitale Verfahrensweisen führt zu Dateien auf unzähligen Speichermedien, Geräten, Harddisks, die in wenigen Haushalten sauber geordnet und abrufbar sind. Obwohl Gesichter automatisch erkannt werden können, Geotags hinzugefügt werden und Archive nach verschiedenen Kriterien geordnet werden können, brauchen wir mehr Arbeit im Umgang mit digitalen Bildern und erzielen damit schlechtere Resultate (den Besuch ein knappes Fotoalbum oder ein paar Abzüge durchblättern lassen ist oft kommunikativ wesentlich sinnvoller als eine Präsentation von unzähligen Bildern an einem Projektor).

Die Frage: »Was wird einfacher, wenn wir das so machen?« ist ein Lackmustest für jede technologische Änderung. Er kann nicht umgangen werden durch eine Beschreibung zusätzlicher Funktionalitäten – die sind allenfalls ein Bonus, wenn bisherige Verfahren neu mit weniger Aufwand möglich sind.

Zurück zur SBB: Im Großraum Zürich gibt es neue Tickets, die mit Zonen funktionieren. Um beispielsweise von Wettingen nach Lenzburg zu fahren, kann man kein Ticket »Wettingen-Lenzburg« kaufen, sondern nur eine Reihe von Zonen, die Kundinnen und Kunden eigentlich auswendig können müssen. Sie sind nicht mehr in der Lage, Verbindungen für Hin- und Rückweg flexibel zu wählen, sondern müssen sich an entsprechende Zonen halten, für die ihr Fahrschein gültig ist. Wer nicht in der Schweiz wohnt und ein Ticket lösen will, kann an den Automaten nicht mehr herausfinden, welches Ticket das richtige ist.

Ticket_ZPassNatürlich sind Zonenpläne ein Kompromiss zwischen verschiedenen politischen Akteuren und letztlich kein technologisches Problem: Aber technische Lösungen müssten hier das Problem so vereinfachen, dass die Kundinnen und Kunden nur noch eine einfache Oberfläche sehen, im Hintergrund die nötigen Details ablegen (z.B. mit QR-Codes, die auf Tickets gedruckt werden).

ICT im Lehrplan 21

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Vorgestern wurde der Lehrplan 21 zur Konsultation freigegeben. Zu reden gab insbesondere das »Fächerübergreifende Thema« ICT und Medien. Der Kompetenzaufbau und die entsprechenden Beschreibungen können hier als pdf eingesehen werden.

Die Konzeption überzeugt: Es werden sinnvolle Kompetenzen definiert und ihre Einbettung in den Fachunterricht leuchtet ein. Dennoch gibt es zwei große Probleme:

  1. Die Verbindung von drei Fächern: Informatik, Medienbildung und Anwendung und Reflexion von digitalen und technischen Hilfsmitteln sind drei unterschiedliche Kompetenzbereiche, die zwar oft als Einheit gesehen werden, aber keine Einheit ergeben.
  2. Die Definition von Kompetenzen und ihr Anschluss an den Fachunterricht stellt nicht sicher, dass die damit verbundenen Fähigkeiten gelehrt werden, Lehrmittel entwickelt werden, dass genügend Zeit dafür zur Verfügung steht und dass die Lehrpersonen entsprechend ausgebildet werden.

Kurz zu beiden Problemen:

Es gibt viele Fächer, die unterschiedliche Kompetenzbereiche verbinden: Der Unterricht in der Erstsprache ist beispielsweise Sprachunterricht für Fremdsprachige, Unterricht in Schriftsprache, vermittelt Kompetenzen in Lesen, Schreiben, Sprechen und Zuhören, lehrt einen kreativen Umgang mit Sprache, baut Kenntnisse in kulturwissenschaftlicher Geschichte und kulturwissenschaftlichen Verfahren auf und hilft beim Erwerb von kritischem Denken und eigener Urteilsfähigkeit (das war jetzt nur eine Auswahl). Diese Überlegung könnte man für jedes Fach anstellen: Ein Fachbereich wie »Natur, Mensch und Gesellschaft« verbindet beispielsweise unzählige Kompetenzbereiche.

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Informatik an der Volksschule: Z.B. mit dem Lego-Mindstorm-Roboter

Sinnvoll wäre meiner Meinung nach, die Anwendung von Informatikmitteln in den Fachunterricht zu integrieren sowie die Medienbildung an den Erstsprachenunterricht anzuschließen: Aber mit verbindlichen Kompetenzen und Lernzielen, als obligatorischen Bestandteil, der auch in der fachdidaktischen Ausbildung entsprechenden Platz einnimmt.

Informatik in einem sehr weiten Sinn verstanden müsste dann ein eigenes Fach werden. Beat Döbeli hat hierzu das Wesentliche festgehalten:

Wenn bereits jetzt gefragt wird, wer denn das unterrichten soll, dann ist dies ein weiteres Argument für die Forderung nach einem Fach für das Thema. Damit ist Verbindlichkeit gegeben, damit ist ein Zeitgefäss und eine Lehrperson definiert. Ansonsten droht das Thema einfach unterzugehen, indem es nicht gelehrt wird, obwohl es verpflichtend wäre. Dass dem so ist, kann man anhand der heutigen ICT-Lehrpläne sehen, die meist verpflichtend sind, aber in der Schulrealität oft nicht umgesetzt werden.

Döbelis Argumente verfangen deshalb, weil der Lehrplan zwar Kompetenzen festlegt, damit aber noch nicht gesagt wird, wie diese Kompetenzen getestet werden. Die immer stärker zunehmende Standardisierung und Konzentration auf basale Fertigkeiten legt nahe, dass gerade die »fächerübergreifenden Themen« nicht getestet werden, ergo an Bedeutung einbüssen dürften.

Natürlich gibt es eine Reihe von Kompetenzen, die in der Volksschule sehr wichtig sind, und zu denen ein Fach Informatik in Konkurrenz zu treten droht: Zunächst  Grundfertigkeiten: Sich angemessen ausdrücken können, Zusammenhänge verstehen, sich ein Urteil bilden können – in verschiedensten Kontexten.  Dann psychologische Probleme wie sich motivieren können (lebenslang), glücklich werden, sich mit schwierigen Situationen abfinden, ohne Krankheiten zu entwickeln; ökonomische Fähigkeiten (mit Geld umgehen können); Gesundheitskompetenz (Wissen über richtige Ernährung, Bedeutung von Bewegung, Reflexion etc.); Urteilsfähigkeit in wichtigen aktuellen Themenbereichen (Politik im weitesten Sinne, Klimawandel etc.).

Ist nun Informatik so wichtig, dass es viele Ressourcen binden kann und soll? Darüber kann man sich ein eigenes Urteil bilden. Selbstverständlich könnten die entsprechenden Kompetenzen auch dem Fachbereich Mathematik zugeordnet werden.

Entscheidend ist aber, dass Medien- und Informatikkompetenz systematisch, verbindlich und mit geklärter Verantwortung aufgebaut werden. Diese Forderung betrifft die Volksschule genau so wie die pädagogischen Hochschulen. Und hier weist der Lehrplan 21 eine Schwäche auf: Es fehlt an Verbindlichkeit und Festlegung von Verantwortlichkeiten.

Menschen in Social Media misstrauen

VerkehrIn Vorträgen und Interviews vergleiche ich das Internet immer wieder mit dem Straßenverkehr: Wir wissen, dass er gefährlich ist und Unfälle Kindern gravierenden Schaden zufügen. Und trotzdem haben wir Wege und Mittel gefunden, dass wir darauf vertrauen, dass Kinder den Schulweg alleine bewältigen können. Dasselbe sollte in Bezug aufs Internet das Ziel sein: Kinder und Jugendliche befähigen, das Internet alleine nutzen zu können.

Diese Woche haben zwei perfide Geschichten die Runde gemacht: Einerseits ein Pädophiler, der seine Übergriffe auf Facebook eingeleitet hat, indem er vorgegeben hat, eine junge Frau zu sein. So gelangte er an Nacktbilder von Kindern, die er dann als Druckmittel verwendet hat, um sie zu sexuellen Handlungen zu nötigen. Andererseits berichtet eine Frau auf ihrem Blog, wie sie sich in einem Mann verliebt hat, der ihr während Monaten vorgegaukelt hat, jemand zu sein, der er nicht war. Sie war nicht alleine: Der Betrüger hat mehrere Frauen mit der gleichen Masche missbraucht.

Der Gedanke, ein anderer Mensch könnte nicht der oder die sein, als der oder die er erscheint, ist uns nicht vertraut, er ist unheimlich und führt, wäre er ständig präsent, zu einer enormen Distanz zur Wirklichkeit und zu Schwierigkeiten, mit anderen Menschen Beziehungen eingehen zu können. Und während wir anderen Menschen im Alltag in die Augen schauen, schauen wir ihnen auf Social Media in die Augen von Profilbildern. Und diese Augen könnten die von jemand anderem sein.

Es ist nicht die Regel, dass Menschen auf Social Media vorgeben, jemand anderes zu sein und mit elaborierten Plänen andere Menschen missbrauchen oder nötigen. Es passiert wahrscheinlich ungefähr so häufig, wie Autofahrende bei Zebrastreifen auf ihr Handy schauen und ohne zu bremsen weiterfahren. Mit anderen Worten: Es ist eine Gefahr, auf die man Kinder und Jugendliche aufmerksam machen muss. Nicht die Regel, sondern die Ausnahme – aber eine, die man kennen sollte. Und mit Menschen auf Social Media interagieren, auch mit Unbekannten – aber anderen davon erzählen, sich nicht abschotten, ihnen nicht Informationen oder Bilder zukommen lassen, die man nicht auch mit Unbekannten auf der Strasse teilen würde.

(Zusatz: Kusanowsky hat hier weitere Beispiele gesammelt.)

Blogeinträge statt Aufsätze schreiben

Am 19. Juni haben einige meiner Schülerinnen und Schüler auf einem SRG-Podiumsgespräch über Medienkonsum im Zeitalter von Internet und Gratiszeitungen mit etablierten Persönlichkeiten diskutiert (Radiobericht hier). Im Vorfeld wurde ich vom Regionaljournal Aargau Solothurn interviewt.

Bildschirmfoto 2013-06-18 um 22.57.04Eine lange Version des Interviews findet sich hier, für die geschnittene unten klicken.

Social Media im Deutschunterricht

Titelblatt, Klick aufs Bild führt zum Dokument (pdf)
Titelblatt, Klick aufs Bild führt zum Dokument (pdf)

Für eine Fortbildung habe ich ein Papier geschrieben, in dem ich Vorschläge mache, wie Social Media in den Deutschunterricht einfließen könnte.

Das Papier kann hier runtergeladen werden (pdf, Version 2.1, 17. Juni 2013), über Rückmeldungen, Kritik und Anregungen freue ich mich wie immer!

Hier der Inhalt mit Links auf die relevanten Blogposts, in denen einzelne Ideen ausführlicher formuliert werden:

  1. Einführung: Lurken – wie man Social Media lernt
  2. Bloggorrhoe oder Präzision beim Schreiben in Social Media
  3. Mit Google dichten
  4. Bloggen als Schreibtraining
  5. Wikipedia-Artikel verfassen
  6. Twitter für Rollenspiele und Literaturunterricht verwenden
  7. Werther neu geschrieben
  8. Kontakt mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern auf Social Media
  9.  Lesen 2.0

Wie ich zu 2000 Twitter-Followern gekommen bin

Bildschirmfoto 2013-06-05 um 11.53.27Meine Tweets, also die kurzen Nachrichten, die täglich versende, werden von 2’430 Profilen aus verfolgt – so viele andere Userinnen und User »folgen« meinem Profil nämlich; d.h. meine Nachrichten werden ihnen angezeigt, wenn sie sich ins soziale Netzerk Twitter einloggen.

Ich selber folge über 1000 anderen Profilen. Das Folgen ist unilateral: Die Konten, denen ich folge, müssen mir nicht folgen – und umgekehrt.

Heute wurde ich gefragt, was meinen »Follower-Erfolg begründet«. Ehrlich gesagt: Ich kann es gar nicht wissen. Viele der Profile, die mir folgen, werden von Programmen betrieben, die bestimmte Stichworte zum Anlass nehmen, Profilen zu folgen. Einige mögen mir folgen, weil sie sich über meine Meinungen aufregen wollen, andere finden die Texte, die ich verlinke, meistens spannend. Und weitere haben vielleicht längst aufgehört, Twitter zu benutzen.

Dennoch versuche ich hier mal meine Prinzipien im Umgang mit Twitter zu beschreiben, die zu dieser Menge an Nachrichten und Kontakten geführt haben könnten.

  1. Geduld. 
    Ich bin seit sechs Jahren auf Twitter (zunächst mit dem Account @kohlenklau). Seit vier Jahren bin ich wohl sehr aktiv, das heißt ich schreibe rund 20 Tweets pro Tag. So kommen immer wieder ein paar Follower dazu – aber nie viele.
  2. Auf Spam verzichten. 
    Ich verschicke – so weit ich das vermeiden kann – nie automatisierte Nachrichten, Werbebotschaften oder inhaltslose Botschaften. Wiederholte Hinweise auf meine Inhalte limitiere ich streng: Ich verweise auf Blogposts meist zwei Mal (auch nicht immer).
  3. Freundliche Umgangsformen. 
    Ich antworte auf alle seriösen Fragen und Kommentare, bleibe auch bei hitzigen Diskussionen sachlich und anständig und behandle andere in der Regel so, wie ich auch behandelt werden möchte.
  4. Content First. 
    Mein Ziel ist es, Informationen zu verbreiten oder sachliche Diskussionen zu führen. Der Inhalt steht dabei im Vordergrund und ich erachte es als meine Pflicht, ihn auf seine Qualität zu prüfen. Ich verlinke interessante Artikel nur dann, wenn sie nicht schon starke Verbreitung gefunden haben, ich vermeide das Wiedergeben von bekannten News und versehe meine Links mit Kommentaren und Hinweisen.
  5. Andere User einbeziehen. 
    Wenn ich Informationen von jemandem übernehme, gebe ich das in der Regel an. Ich antworte anderen Menschen auf ihre Nachrichten und fordere sie zu Diskussionen heraus. Ich erwähne andere Leute zudem direkt und verzichte auf Non-Mentions.
  6. Themen besetzen und Profil gestalten. 
    Ich bin an vielen Themen interessiert und besetze einige davon auf Twitter – d.h. ich äußere mich regelmäßig dazu und bin informiert, was gerade läuft. Allerdings ist mein Profil nicht besonders geschärft: Ich diskutiere über Sport, Gender, Schweizer Politik, Medien, Philosophie, Bildung und Social Media. Damit überschneiden sich einige Themenfelder.
  7. Leuten zurückfolgen. 
    Für mich stellt es keine Pflicht dar, den Profilen zu folgen, die mir folgen. Aber anderen Menschen, die sich für dasselbe interessieren und mit mir interagieren, folge ich im Normalfall.

Die Ausnahmen zu meinen Prinzipien möchte ich nicht auflisten – es wären zu viele und zu verschiedene; mal entsteht eine persönliche Abneigung, manchmal mache ich im Affekt Fehler. Vielmehr möchte ich noch einige Rückmeldungen auflisten, die ich im Sinne von Kritik an meinem Profil schon erhalten habe (und an denen ich arbeite, wenn ich es nicht vergesse):

  • Ich verstricke mich in zu lange Diskussionen, die dann die ganze Timeline anderer User besetzen.
  • Ich zeige zu wenig von mir persönlich und wirke durch meine sachliche Argumentation oft sehr hart und humorlos.
  • Ich beanspruche in unzähligen Gebieten Kompetenz und äußere zu allem meine Meinung.
  • Mein Twitter-Rhythmus ist generell zu hoch: Es ist kaum möglich, alles zu lesen, was ich verbreite (diese Kritik gibt es auch an meine Blogposts).

Wahrscheinlich habe ich sowohl Prinzipien als auch Kritik an meinen Aktivitäten vergessen – und freue mich deshalb über Ergänzungen.

Auf FB-Fotos markiert werden – wie man dabei Probleme vermeidet

Bildschirmfoto 2013-05-15 um 12.53.09Auf Facebook können beliebige Fotos »markiert« werden – es kann angegeben werden, wer auf den Fotos zu sehen ist. FB kann zudem automatische Markierungsvorschläge machen, wenn das Gesicht einer Person erkannt wurde.

Interessant ist dabei der entstehende Kontrollverlust: Ob ich auf FB markiert wurde oder nicht, kann ich nur erkennen, wenn ich ein FB-Profil habe und die Markierung dort erscheint. Die Kontrolle darüber, auf welchen Fotos ich wie markiert werde, habe ich zu keinem Zeitpunkt.

Das führt im Fall von Prominenten oder gut vernetzten Personen – es ist mir auch schon zwei Mal passiert – dazu, dass man ungewollt für Werbung eingespannt wird: Sobald man eine bestimmte Person als Kontakt akzeptiert (meist attraktive Bilder von jungen Frauen auf dem Profil), werden Werbefotos gepostet, die mit dem eigenen Namen markiert werden, damit diese Bilder dann im FB-Stream von vielen anderen Menschen auftauchen. Hier gibt es einen Zeitungsartikel zum Problem.

Was ist die Lösung?

  1. Im restriktiven Fall nur echte Freunde oder Bekannte als Kontakte hinzufügen.
  2. Bei Missbrauch entsprechende Profile sofort aus den Kontakten entfernen.
  3. Kontrollieren, ob Markierungen mit meinem FB-Konto verbunden werden und sie allenfalls entfernen. Dafür gibt es eine hilfreiche Einstellung, die sich oben rechts im Zahnrad-Menu > Privatsphäreneinstellungen > Chronik und Markierungen befindet und zuerst aktiviert werden muss, damit man Markierungen zuerst überprüfen kann, bevor sie auf FB erscheinen:

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Mythen der digitalen Kluft

Die digitale Kluft (»digital divide«) bezeichnet das Phänomen, dass gewisse Menschen oder soziale Gruppen die Möglichkeiten digitaler Kommunikation und der Datenverarbeitung intensiv nutzen (können), andere nicht – weil ihnen der Zugang zur Infrastruktur, die notwenigen Geräten oder Kompetenzen fehlen. Diese Kluft vergrößert schon bestehende Unterschiede. So wandelt sich die Arbeitswelt in Europa und in den USA – Arbeit ohne Datenverarbeitung ist nicht mehr denkbar; was wiederum die Hürde für Menschen aus Schwellenländern, gut bezahlte Arbeiten zu erledigen, erhöht.

Jen Schradie erforscht die digitale Kluft und hat bei Cyborgology sieben Mythen widerlegt, die ich hier fünf übersetzen möchte. Die Mythen beziehen sich klar auf einen amerikanischen Kontext, enthalten aber gleichwohl entscheidende Gedanken.

  1. Die digitale Kluft ist vorbei. 
    Stimmt nicht, sagt Schradie.  Entscheidend ist ihrer Meinung nach vor allem die Zugehörigkeit zur sozialen Schicht: Wer sozial benachteiligt ist, ist auch digital benachteiligt.
  2. Die digitale Kluft ist eine Kluft. 
    Es geht nicht darum, ob Menschen Internetzugang haben oder nicht. Wichtig sind verschiedene Faktoren, so z.B. mit wie vielen Geräten eine Familie aufs Internet zugreifen kann oder ob Menschen sich im Internet mitteilen oder nur fremde Inhalte konsumieren. Hierbei handelt es sich um graduelle Unterschiede.
  3. Die digitale Kluft findet anderswo statt. 
    Es ist entscheidend, lokale Probleme wahrzunehmen. Welche Menschen sind auf Bibliothek- oder Schulinternetzugang angewiesen? Welche müssen ganz auf Zugänge verzichten, weil sie nicht einmal wissen, dass es kostenlose Möglichkeiten gibt? Solche Menschen gibt es überall – auch wenn es in Europa weniger sind als in anderen Ländern, heißt das nicht, dass das Problem nicht bestünde.
  4. Digitale Divide betrifft alte Menschen. 
    Der Mythos besagt, dass die Jungen von heute keine Kluft mehr kennen, nur alte Menschen, die nicht Digital Natives sind. Schradies Untersuchungen zeigen, dass das nicht stimmt. So hat sie z.B. erforscht, wie wahrscheinlich es ist, dass High-School-Absolventinnen und -absolventen bloggen und das mit College-Ausgebildeten verglichen:
    Predicted-Probability-of-Blogging-Among-American-Adults-small
  5. Aber gerade Benachteiligte können doch heute mit Mobiltelefonen online gehen…
    Wichtig sei intensive und vielfältige Nutzung des Internets. Wer mit dem Smartphone surft, kann keine zehnseitigen Paper schreiben und sie kollaborativ bearbeiten.

Gerade weil digitale Werkzeuge immer selbstverständlicher scheinen, ist es wichtig zu sehen, dass sie nicht allen Menschen zur Verfügung stehen. Vergleiche dazu auch meinen Vortrag und meinen Essay zu dieser Frage.

Digitale Kompetenzen für alle

Für das Programm Re:Publica 13 hatte ich einen Workshop vorgeschlagen, der sich mit der Frage befasste, wie mehr Menschen digitale Werkzeuge nutzen könnten. Der Workshop fand keine Aufnahme ins Programm. Deshalb habe ich in sechs Blogposts über die Fragestellung nachgedacht:

  1. Digitale Meinungsbildung
  2. 16 Gründe gegen digitale Kommunikation
  3. Vorurteile und das Internet
  4. Das Internet wird überschätzt
  5. Ein positives Leitbild für Netzpolitik
  6. »Crap detect yourself« – Howard Rheingold über Netzwerke

Daraus ist nun ein Essay und ein kurzes Video entstanden. Beides gibt es hier zum Download, Lizenz CC-BY 3.0.

  1. Essay als pdf: Digitale Kompetenzen für alle
  2. Essay als eBook (.epub und .mobi) (Umweg via Dropbox)

Das ist auch ein Beitrag an der Blogparade von ChiliconCharme sowie bei der ununi.tv #rp4u-Gruppe.

* * * 

Der vollständige Text des Essays auch hier noch:

Digitale Kompetenzen für alle
Wie digitale Werkzeuge dabei helfen können, leistungsfähige Netzwerke zu bilden

Philippe Wampfler, April 2013

Ich kenne Leute, die jahrelang alles verweigert haben, was online war. Aber kaum haben sie sich in jemanden verliebt, der in einer anderen Stadt wohnt, bumm – schon hatte die Online-Kommunikation plötzlich einen SINN, sie war sogar auf einen Schlag UNVERZICHTBAR! Und das Verständnis wandelte sich mühelos mit der veränderten Praxis. – Lisa Rosa

Für die Re:Publica 2013 hatte ich in einen Workshop eingereicht, in dem ich zusammen mit anderen an der Frage Interessierten darüber nachdenken wollte, wie die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation mehr Menschen zugänglich gemacht werden könnten. Dass es eine digitale Kluft gibt, war dafür die Annahme, gefragt werden sollte nach Ursachen und konkreten Möglichkeiten, die Hindernisse aufzuheben, welche die Demokratisierung der Internetkommunikation verhindern. Medienkompetenz wird immer stärker zur Bedingung, an gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen zu können und eigene Vorstellungen in die Gestaltung des sozialen Miteinanders einfließen lassen zu können. Deshalb scheint es mir an diesem Punkt der technologischen Entwicklung bedeutsam, zu beobachten, welche Ausschlussmechanismen spielen und wie sie auszuhebeln sein könnten.

Den Workshop fand keinen Platz im Re:Publica-Programm. Weil ich nicht wüsste, wie man dieses Thema in einer stündigen Diskussion schlau angehen kann, war ich einerseits erleichtert, mochte das Thema aber nicht ganz fallen lassen. Ich habe es in sechs Blogposts abgehandelt, die ich im Folgenden zu einem Essay verbinde. Aus dem Essay wird auch ein kurzes Video entstehen, in dem die einzelnen Aspekte leicht anders gewichtet sind.

1     Meinungsbildung im Internet

Meinungsbildungsprozesse in sozialen Netzwerken unterscheiden sich von nicht-digitalen. Im Internet ist das Spektrum größer, weil auch nicht Stimm- und Wahlberechtigte sich bei bestimmten Fragen einbringen können, besonders deshalb, weil der Altersdurchschnitt der Diskutierenden generell tiefer liegt als bei der Bildung der öffentlichen Meinung. Der Breite des Publikums muss aber eine enorm hohe Selektivität entgegengehalten werden: Je nach Ereignis oder Thema geben ganz andere Menschen ihre Meinung im Internet kund. Zudem sind es generell wenige, Untersuchungen legen die Annahme nahe, dass sich weniger als fünf Prozent aller Erwachsenen im Internet an Diskussionen beteiligt – aktiv oder passiv.

Die Struktur sozialer Netzwerke beeinflusst auch, welche Diskussionen stärker wahrgenommen werden und welche nicht. Die Nutzerinnen und Nutzer von Social Media sind meist individualistisch eingestellt und argumentieren daher in der Tendenz liberaler als die öffentliche Meinung. Sie verbreiten in ihren Netzwerken lieber positive als negative Botschaften. Eine Ausnahme sind dabei Empörung oder Kritik, weil sie ein Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen können.

Entscheidend ist dabei: Social Media sind ein Teil der Meinungsbildung; sie stehen nicht außerhalb des gesellschaftlichen Diskurses. Gleichzeitig vermögen sie aber nicht alle Meinungen und Positionen abzubilden oder richtig zu gewichten: Individualistische, technikaffine und eher jüngere Menschen schaffen ein kalifornisches Klima, in dem den Möglichkeiten von unternehmerischer Eigeninitiative und dem Vertrauen in die von der Technik angeboteten Lösungen eine große Bedeutung beigemessen wird.

Wer im Internet kommunikativ präsent ist, ist privilegiert: Kompetenzen, Zeit und die nötigen Geräte und Zugänge sind vorhanden. Mehr Partizipation im Internet würde nicht nur bedingen, dass diese Privilegien allgemein verfügbar würden – z.B. durch ein stärkeres staatliches Engagement in der Medienpädagogik und in der Verbreitung der Infrastruktur -, sondern auch, dass alternative Haltungen Gewicht bekommen und Stimmen gehört werden, die heute in vielen Diskussionen Gegenstand von Gespött und Verachtung sind.

In Bezug auf die Meinungsbildung muss Internetkommunikation für mehr Menschen einen erkennbaren Sinn haben. Das ist deshalb wichtig, weil der Medienwandel in vielen Bereichen qualitativ hochwertige Informationen aus offline zugänglichen Massenmedien ins Internet verlagert hat. Das klassische Beispiel ist die Auslandsberichterstattung: Wer verstehen will, was sich in bestimmten Ländern abspielt, kann sich heute weder auf Radio noch auf Zeitungen oder Fernsehen verlassen, sondern braucht direkte Informationen, die so nur digital zugänglich sind.

Einen Sinn erhält Kommunikation aber nur dann, wenn die eigene Meinung gehört wird, wenn der Stammtisch, dessen Eigenschaften in einigen Bereichen des Internets heute vorhanden sind, einem das Wort erteilt und eine Art Gemeinschaft aufbaut. Natürlich wäre es denkbar, dass alle Menschen eine solche Nische fänden, weil ja auch in sozialen Netzwerken der Platz unbeschränkt ist und alle Meinungen Platz finden könnten. Aber ein Gespräch entsteht, wenn gefragt und geantwortet wird, wenn Gesagtes Resonanz findet. Das Power Law of Participation (Bildquelle) zeigt, wie im Internet einzelne kommunikative Handlungen schrittweise verbunden sind und Teilnahme auch aus minimaler Interaktion entstehen kann. Das ist die positive Seite. Weil aber einige ideologische Haltungen Debatten im Internet dominieren, sind nicht alle Perspektiven verfügbar, was wiederum eine ausgewogene Meinungsbildung verhindert. Daraus resultiert auch, dass Partizipation nicht allen Menschen gleichermaßen möglich ist.

power law

2     Vorurteile verzerren das öffentliche Bild vom Internet

Verhindert wird das auch durch eine Reihe von Vorurteilen – die man in zwei Kategorien aufteilen kann: Einerseits wird über Internetkommunikation notorisch negativ gesprochen. Wer sich oft digital mit anderen Menschen austauscht wird schnell pathologisiert, weil sich, so die Annahme, das richtige Leben analog abspiele. Andererseits gibt es eine Reihe von Versprechen, mit welchen sehr aktive Nutzerinnen und Nutzer ihre Beschreibungen der Möglichkeiten von sozialen Netzwerken verzieren. Diese Versprechungen sind Übertreibungen, Beschreibungen eines Idealfalls, der allenfalls den Status einer Vision hat, aber keine realistische Prognose darstellt. Im Folgenden sollen zunächst die negativen Vorurteile gesammelt werden, dann die positiven beschrieben werden, um zu zeigen, dass die Mischung aus sich selbst erfüllenden Prognosen und enttäuschten Versprechen viele Menschen daran zweifeln lässt, dass es sinnvoll ist, im Internet zu kommunizieren.

Am Computerbildschirm passieren Dinge, die zunächst wie Wunder erscheinen. Ich erinnere mich, wie mein Großvater, der gelernt hat, Bücher mit Lettern zu setzen, reagiert hat, als ich ihm zum ersten Mal Textverarbeitung vorgeführt habe. Die Neuartigkeit von Erfahrungen verhindert, dass wir sie präzise beschrieben konnten. Eine Reihe von Metaphern muss verwendet werden, um darüber zu sprechen. Im Internet »surfen« wir auf »Seiten«, »folgen« Menschen oder gar »Freunden«, wir »chatten« in einer »virtuellen« Welt, währen wir uns im »real life« ganz anders verhalten.

Die Überforderung angesichts der Möglichkeiten von Internetkommunikation und das beschränkte Vokabular zu ihrer Beschreibung haben starken Anteil an einer Reihe von Urteilen über diese Form von Interaktion – von denen viele Vorurteile sind. Eine unvollständige Liste:

  1. Digitaler Dualismus: Es gibt eine Trennung zwischen der echten Welt und der virtuellen: Das Internet ist nicht real.
  2. Interaktionen im Internet sind oberflächlich, sie verbinden Menschen, die sich nichts bedeuten und einander häufig täuschen oder hintergehen.
  3. Informationen im Internet sind notorisch unzuverlässig. Weil alle beitragen können, ist im Gegensatz zu gedruckten Texten und Bildern unklar, was wahr ist; wir könnten überall manipuliert werden.
  4. Internetkommunikation ist generell gefährlich; nicht nur können uns andere Menschen Schaden zufügen, wenn wir uns im Internet bewegen, wir verändern uns auch selbst.
  5. Aus diesen Gründen ist die intensive Nutzung des Internets entweder Ausdruck eines Suchtverhaltens oder Zeitverschwendung; im Internet »surfen« wird schnell als Prokrastination bezeichnet und damit in die Nähe eins pathologischen Problems gerückt.
  6. Das Internet bringt in Menschen schlechte Züge hervor, sie werden aggressiv und beginnen anderen zu schaden, wenn sie sich hinter der Maske der Anonymität in Sicherheit vor Sanktionen wähnen.

Ergänzt können dieser Vorurteile durch Gründe werden, die Menschen anführen, wenn sie gefragt werden, warum sie auf digitale Kommunikation verzichten (einige Wiederholungen sind beabsichtigt). Auch hier handelt es sich um Projektionen oder Zerrbilder, die abgelehnt werden:

  1. Im Internet breiten viele Menschen ihr Privatleben aus, das interessiert mich nicht.
  2. Mein Privatleben geht niemanden etwas an, ich möchte meine Privatsphäre schützen.
  3. Social Media sind unpersönlich: Ich schaue Menschen gerne in die Augen, wenn ich mit ihnen rede.
  4. Dafür habe ich keine Zeit.
  5. Ich möchte nicht, dass jemand meine Fotos oder Texte stiehlt.
  6. Ich will nicht, dass meine Daten für Werbung verkauft werden.
  7. Das ist mir zu kompliziert, ich verstehe es ohnehin nicht.
  8. Ich bin nicht so der Multitasking-Typ.
  9. Früher hatten wir auch kein Internet, es ging auch ohne.
  10. Echte Informationen findet man nur in guten Zeitungen und Büchern.
  11. Gespräche im Internet sind oft gehässig und führen zu nichts.
  12. Ich mag es einfach nicht, vor dem Computer zu sitzen.
  13. Beziehungen im Internet sind oberflächlich und können gefährlich sein.
  14. Man weiß nie, ob Informationen im Internet stimmen oder nicht.
  15. Das Internet macht abhängig.
  16. Das Internet verändert unser Hirn und macht uns dumm.

Alle diese Gründe sind valide. Sie müssen ernst genommen werden, weil sie Ausdruck von Wahrnehmungen und Ängsten sind. Aber sie stehen Menschen auch im Wege, digitale Werkzeuge so zu nutzen, dass sie ihnen nützen und ihnen dienen. Es wäre wichtig, diese Äußerungen als Aufforderungen zu einem Gespräch zu verstehen, das sie nicht zwingend widerlegt, sondern ergänzt und andere Perspektiven aufzeigt.

Leider wird die Medienkonstellation Internet als komplexes Phänomen in Gesprächen oft auf triviale Erkenntnisse reduziert: »Facebook-Freunde sind keine echten Freunde«, »Man weiß nie, wer sich hinter einem Pseudonym verbirgt«, »Photoshop ermöglicht das Fälschen von Bildern«, »Jede(r) kann ins Internet« schreiben. Natürlich. Aber das wussten alle schon und vieles war alles auch schon so, bevor es Internetkommunikation gab.

Diese Diskussionen beanspruchen viele Ressourcen, die den Blick auf die produktiven Aspekte verschließen. Nur einige Beispiele: Zielloses Surfen im Internet kann Anstoß für eine Reihe von Lerneffekten sein, Internetbeziehungen können für viele Menschen eine Entlastung darstellen und zurecht einen wichtigen Stellenwert einnehmen, in vielen Fachbereichen finden sich differenzierte, aktuelle und präzise Informationsangebote im Internet. Wikipedia wurde in Bildungsinstitutionen jahrelang schlecht geredet, obwohl eine ganz einfache Grundhaltung genügt hätte: Skeptisch bleiben und Falsches korrigieren bzw. Fehlendes ergänzen.

Es ist deshalb einerseits wichtig, präziser auszudrücken, was im Internet passiert. Andererseits brauchen Menschen auch praktische Anlässe, das Internet zu nutzen. Wer motiviert, selber ins Internet zu schreiben, digital vorhandene Medien zu nutzen oder Beziehungen online zu pflegen, ändert auch die Beschreibungen dieser Möglichkeiten und die Modelle, mit denen sie abgebildet werden. Lisa Rosa führt als Beispiel dafür Doodle an: Viele Menschen halten das Web 2.0 für überflüssig, sind aber froh, mit Doodle Termine vereinbaren zu können. Sie nutzen das Web 2.0, ohne es zu merken – eine Erfahrung, die schrittweise erweitert werden könnte, wenn sich ähnlich hilfreiche Angebote finden.

Die Schwierigkeit dürfte also darin bestehen, die Hürden abzubauen, die verhindern, dass Menschen Erfahrungen machen. Dabei spielen Vorurteile eine wichtige Rolle – in doppelter Hinsicht: Neben Skeptikerinnen und Skeptikern reden auch viele engagierte Nutzerinnen und Nutzer übers Internet. Soziale Netzwerke werden von Menschen gefüllt, die ihre Gratisarbeit nicht nur als ein Vergnügen empfinden, sondern sicher sind, dass ihre Investitionen ins Internet sich auszahlen werden. So präsentieren sie die Möglichkeiten des Internets in einem besseren Licht, als sie bei realistischer Prüfung erscheinen würden. Gerade weil diese intensiven Nutzerinnen und Nutzer so viel investiert haben, müssen sie daran glauben, dass sich ihre Investition auszahlen wird.

Dieser Effekt kann beim Social-Media-Marketing gut beobachtet werden: Wer diese Dienstleistung anbietet, muss Kunden sagen, Social Media sei ein geeigneter Kanal, um erfolgreiches Marketing zu betreiben und einen Return On Investment zu erzielen. Dieser Ratschlag basiert aber auf einer optimistischen Prognose, die sich aus dem Interesse der Anbieterinnen und Anbieter ergibt.

Diese positiven Vorurteile dem Netz gegenüber sind deshalb ein Problem, weil sie oft von den Menschen vertreten werden, welche Digital Immigrants oder nicht-technikaffine Menschen dabei beraten, im Internet aktiv zu werden. Sie produzieren so Enttäuschungen: Wer ein Twitter-Profil eröffnet und erste zögerliche Schritte unternimmt, wird lange brauchen, bis ein Nutzen erkennbar wird. Dieser Nutzen bedarf zudem einer konstanten Anpassung von Filtern und einer unablässigen Reflexion über den Einsatz von technischen Mitteln.

Wer sich theoretisch und kritisch mit Internetkommunikation auseinandergesetzt hat, ist weniger anfällig dafür, es zu überschätzen; sondern setzt Vor- und Nachteile in eine Beziehung.

Ich halte zuweilen Vorträge und erkläre, wie Twitter für mich das Zeitungslesen ersetzt hat. Aber viele Menschen sind besser beraten, die Zeitung zu lesen: Weil sie nicht schon 10’000 Stunden (ich verwende hier einfach einmal die Zahl von Gladwell) mit Social Media verbracht haben und das auch so bald nicht tun werden. Ganz ähnlich ist das mit Technologie im Schulzimmer: Für viele Lehrpersonen ist ein Verzicht ein vernünftiger Entscheid. Es lohnt sich für sie nicht, Smartphones und Projektoren zu konfigurieren um dann nach langen Stunden dasselbe schlechter zu machen, was sie vorher schon konnten.

Das Argument, so werde die Zukunft verpasst, halte ich für wenig bedeutsam: Wir wissen nicht, was die Zukunft von sozialen Netzwerken sein wird. Wenn es ohne nicht mehr geht, wird es wohl reichen, dann einzusteigen. Wichtig ist, Aufwand und Ertrag, Chancen und Gefahren realistisch einzuschätzen: Sie weder übertreiben noch runterspielen und weder Drohungen an die Wand malen noch Versprechen abgeben, die nicht aus einer nüchternen Einschätzung resultieren. Eine Zukunft mit Social-Media-Zwang ist eine schlechte Motivation dafür, Hürden abzubauen. Besser sind überschaubare, einfache Projekte, die Menschen den Zugang zu für sie interessanten Informationen und Menschen ermöglichen: Ihnen zeigen, dass sie auf Twitter Expertinnen und Experten eine Frage stellen können, welche häufig beantwortet wird; ihnen vorführen, dass sie auf retro.seals.ch ein umfassendes Archiv alter Zeitschriften abrufen können; sie in einem Web-Kalender die wichtigsten Termine für ihnen Verein publizieren lassen.

Was sich im Internet abspielt ist weder Segen noch Fluch. Beide Haltungen resultieren aus Projektionen, Umdeutungen und der stärkeren Gewichtung eigener Interessen. Und beide verhindern, dass Menschen die wahren Möglichkeiten des Netzes nutzen können.

3     Positive Netzpolitik

Verzerrte Darstellungen der Chancen und Gefahren von Internetkommunikation errichten Barrieren, welche viele Menschen daran hindern, digitale Werkzeuge so zu nutzen, dass sie ihnen nützen. Diese Problematik betrifft auch Netzpolitik, die oft auf die Fragen beschränkt wird, wie Menschen vor Internet-Gefahren geschützt oder wie sie ihre Internet-Freiheiten behalten können.

In seinem »Code for Germany« legt Christoph Kappes ein Fundament zu einem differenzierteren und positiven Leitbild für Netzpolitik. Es zeichnet sich durch vier wichtige Eigenschaften aus:

  • es befasst sich weniger mit dem Internet als mit dem, was Computer tun und wir mit Computern tun
  • es richtete sich weniger auf rechtliche Fragen, sondern fragt, wie sich Wissen und Kultur durch den Einsatz von digitaler Hilfsmitteln ändern
  • es hat mehr mit Software zu tun, weil sie nicht nur kopieren, sondern generell den Umgang mit Informationen ermöglicht und erleichtert
  • es zeigt den Charakter der digitalen Wissensnutzung auf, die ein Gemeingut ist, das nicht übernutzt werden kann, weil Kopien die Nutzung nicht verändern oder verschlechtern.

Kappes’ Fazit weist auf konkrete Projekte hin, die Menschen zeigen könnten, was das Internet ihnen im Alltag für Hilfestellungen bieten kann:

So gesehen sollte eigentlich im Zentrum von internet-veranlasster Politik nicht »das Netz«, sondern die Entwicklung von Wissen, Software und Kultur stehen, die von jedermann nutzbar sind:

  • von Schulbüchern und wissenschaftlichen Beiträgen für jedermann,

  • Software für Nachbarn, die untereinander Hilfe anbieten und tauschen möchten,

  • Komponenten für verteilte soziale Netzwerke und Standards für den Datenaustausch zwischen Diensten bis hin zu

  • neuen digital basierten Prozesses für Politik und Medien – wir müssen schnell Ordnung und Überblick in die Welt bringen, die täglich komplexer wird, und

  • kulturellen Techniken, die durch digitale Informationsverarbeitung verändert werden, namentlich neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit in losen Gruppen oder auch digitales Rechte-Handling einschließlich verständlicherer rechtlicher Regelungen für Commons.

Politik – so sollte man sich in Erinnerung rufen – bedeutet die Organisation des sozialen Miteinanders. Netzpolitik befasst sich damit, wie Menschen digitale Werkzeuge einsetzen. Was in der professionellen Politik beredet und beschlossen wird, beeinflusst das Leben vieler Menschen nicht. Ein netzpolitisches Programm könnte ganz einfach darin bestehen, Werkzeuge zu schaffen, die Menschen helfen, ihren Alltag zu bewältigen: Alten Menschen, beispielsweise, solchen mit einer Krankheit oder einer Behinderung, in schwierigen Lebenssituationen oder während Zeiten großer Belastung. Gute Netzpolitik führt deshalb zu einem angenehmeren Leben, indem sie Menschen dabei hilft, tolle Dinge nicht nur im Internet, sondern auch außerhalb auf die Beine zu stellen.

4     Wie tragfähige Netzwerke entstehen

Diese Perspektive hilft auch beim Aufbau von Kompetenzen. Howard Rheingold weist immer wieder darauf hin, dass Technologie nur in einem gesellschaftlichen Kontext Sinn generieren und erhalten kann. »literacy« ist für ihn die Fähigkeit, Werkzeuge sozial bewusst einsetzen zu können. Das ist im Internet deshalb besonders wichtige, weil unser Gebrauch (oder Nicht-Gebrauch) der Technologie immer auch Auswirkungen für andere hat: Unsere Suchbegriffe bei Google; die Links, die von unseren Texten ausgehen; unsere Likes bei Facebook und unsere Tweets beeinflussen die Interneterfahrung vieler anderer Menschen – manchmal direkt, manchmal indirekt.

Wichtig ist deshalb – so der Ausdruck von Rheingold – die Fähigkeit zur »Crap detection«. Was in unserem Informationsfluss ist wahr und relevant und was falsch, halbwahr oder unwichtig? Diese Prüfung gilt nicht nur für fremde Inhalte, sondern im Sinne einer Netzwerkverantwortung, auch für eigene. Es ist keine spezifische Netzkompetenz, sondern eine Voraussetzung, sich mit Informationen auseinanderzusetzen. Sie kann aber die Angst vor einem Informationsüberfluss nehmen.

Dasselbe gilt für die Fähigkeit, die eigene Aufmerksamkeit zu steuern und zu beobachten. Sie wird geschult, indem man sich in die Rolle anderer versetzt und sein eigenes Handeln beschreibt. Das kann ganz einfache, alltägliche Tätigkeiten betreffen: Wann schaue ich auf mein Smartphone? Wie benutze ich meinen Browser? Wie oft lese ich Emails und welche beantworte ich sofort?

Mit diesen Fähigkeiten ausgestattet, lassen sich im Internet – aber auch außerhalb – Netzwerke aufbauen. Sie zeichnen sich durch folgende Qualitäten aus:

  1. Sie enthalten viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Wahrnehmungen und unterschiedlichem Wissen.
  2. Einige dieser Menschen vertreten ganz andere Meinungen, als man selbst hat.
  3. Alle sind ehrlich und intelligent.
  4. Im Netzwerk gibt es small talk, weil der hilft, sich vertrauen zu lernen.
  5. Wir sind mit einigen Menschen in unseren Netzwerken mit schwachen Bindungen verbunden, mit anderen mit starken.

Entscheidend für den Aufbau von Netzwerken sind ihre Pflege und die Bereitschaft, anderen zu helfen, ohne von ihnen schon etwas bekommen zu haben.

Netzwerke sind wichtig, weil sie Menschen das vermitteln, was sie für ein gehaltvolles Leben brauchen.

5     Fazit: Internet und Netzwerke

Netzwerke sind der Grund, weshalb digitale Kompetenzen bedeutsam sind: Sie erleichtern den Aufbau dieser Netzwerke unabhängig von örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten. Netzwerke könnten aber auch den Schlüssel darstellen, wie Menschen motiviert werden könnten, sich entsprechende Kompetenzen anzueignen: Weil sie erkennen, dass sie der Befriedigung ihrer (nicht-digitalen) Bedürfnisse dienlich sind.

Die provisorische Antwort auf die Frage, wie mehr Menschen am den Möglichkeiten der digitalen Kommunikation partizipieren können, lautet also: Indem sie die Dinge tun, die ihnen wichtig sind, und dazu Netzwerke bilden. Und indem wir genauer beschreiben, was sich im Netz abspielt.

* * *

Der Essay ist unter CC-BY 3.0 lizenziert. Quellen finden sich in den Blogposts, die hier alle verlinkt sind: phwa.ch/republicablog

Ich danke allen Kommentieren, insbesondere Lisa Rosa für ihre weiterführenden Hinweise. 

Was lernen wir eigentlich?

Im Rahmen einer Blogparade lade ich ein, übers Lernen nachzudenken. Digitales Lernen verspricht aufgrund neuer technischer und medialer Möglichkeiten einen Wandel, der mir aber oft recht unklar erscheint, weil wir nicht genau verstehen, was sich eigentlich ändert oder ändern soll.

Als Ergänzung zu den Beschreibungen von Lerngschichten möchte ich hier eine theoretische Frage aufrollen, die in einem längeren Kommentarthread auf Google Plus von Rolf Todesco gestellt wurde:

[I]ch glaube ja sehr gerne, dass Du etwas gelernt hast, als Du gelernt hast Textverarbeitungsprogramme zu benutzen, ich weiss nur nicht, WAS Du dabei gelernt hast. Und noch weniger weiss ich, wie ich lernen könnte Texte zu schreiben. Schreiben ist immer Texte schreiben. Ich kann also nur das Schreiben lernen und dabei ist für mich ganz unklar WAS ich dabei lerne – vielleicht Buchstaben korrekt zu zeichnen? Es ist wie bei der Textverarbeitung, wo ich die richtigen Tasten verwenden muss.
Wer reden kann – und da weiss ich auch nicht, was lernen heissen soll – kann Aussagen machen, die er eben als Texts schreiben kann, wenn er schreiben kann. Was also kommt da noch hinzu? Auch die Vorstellung, dass man Denken lernen könnte (+Lisa Rosa) finde ich extrem komisch. Ich kennen keinen Menschen, der nicht denken kann. Denken ist wie reden oder gehen oder atmen.
Ich glaube, dass Ihr etwas viel spezifischeres meint, vielleicht nicht denken, sondern „so denken, wie Ihr denkt“ – und das müsste man dann vielleicht lernen, aber ich kann mir auch das nicht vorstellen.

An dieser Stelle könnten wir natürlich die Diskussion abbrechen und auf entsprechende lernpsychologische Literatur verweisen, die wissenschaftliche Begriffe von Lernen enthält. Diesen Weg möchte ich nicht gehen, weil ich gerade als Lehrer ja oft mit impliziten Annahmen darüber arbeite, was Lernen bedeuten könnte – und diese Annahmen kann man einerseits im Nachdenken über das eigene Lernen aufdecken, andererseits indem man sie zu formulieren versucht.

Welche Prozesse sind für mich mit Lernen verbunden:

  1. Varianten und Alternativen von Verhaltensweisen kennen lernen
  2. die Varianten beurteilen können und die beste wählen können
  3. die eigene Tätigkeit aus einer anderen Perspektive betrachten können
  4. Abkürzungen kennen, mit denen sich repetitive Arbeit vereinfachen lassen
  5. Form (Methoden) und Inhalt (Funktion) von Tätigkeiten bewusst aufeinander beziehen bzw. Form an den Inhalt anpassen oder Inhalt durch Form akzentuieren.

Rolf Todesco hat als Replik auf diese Formulierung die Begriffe Kennen und Können aufeinander bezogen:

Wie ich schon geschrieben habe, geht es um das kennenLERNEN. Und das Kennenlernen endet – dort von von Lernen die Rede ist – beim Können.
Ich habe Dich hier kennengelernt. Ich kenne Dich jetzt ein Stückweit. Das ist aber kein Können, also nehme ich dieses Kennenlernen nicht als Lernen. Wenn ich dagegen eine Textverarbeitung (also Dinger wie MS-Word) kennenlerne, dann endet das in einem Können, wo ich die Textverarbeiten sinnvoll verwenden KANN. Deshalb spreche ich hier von lernen, worin das Kennenlernen zum Können wird.

Lernen als Kennen Lernen, das zu einem Können wird finde ich als Formulierung passend: Die fünf oben erwähnten Punkte umfassen beide Dimensionen. Die praktische Frage ist dann wieder, in welchen Konstellationen Menschen bereit sind, Varianten für ihre Verhaltensweisen kennen zu lernen und daraus ein Können zu entwickeln. Meine Vermutung wäre, dass sowohl eine kreative Offenheit als auch eine fast zwanghafte Einengung beide Abläufe beschleunigen können.

Learning French.
Learning French.

 

In der achten Klasse hatte ich einen weit gefürchteten Französischlehrer. Wir lernten den subjonctif kennen und mussten alle Verben aufsagen können, die ihn verlangen. Das ging so: Wir erhielten vier recht dicht beschrieben DIN-A4-Seiten mit Listen und mussten die eine Woche später auswendig aufsagen können und zwar enorm schnell. Wir wurden in der Stunde abgefragt (»Philippe, Seite 3 unten, los!«) und erhielten direkt eine Note. So ging das einige Wochen. Das war vor mehr als 20 Jahren. Ich kann die Listen immer noch auswendig hersagen.

Dasselbe wäre wohl passiert, wenn ich zu dieser Zeit ein Jahr in Frankreich verbracht hätte. Im Gespräch hätte ich wohl zuerst ohne subjonctif auskommen müssen, hätte ihn dann aber wohl kennen und können gelernt – ohne Aufforderung, ohne Zwang.

Geändert hätte sich – das eine triviale Einsicht – wohl meine Motivation und meine Haltung zum Gelernten. Die Frage, wie ein Lernprozess bewertet werden soll (gibt es bessere und schlechtere, effizientere und weniger effiziente?), spare ich mir für einen nächsten Post auf.