Digitale Kompetenzen für alle

Für das Programm Re:Publica 13 hatte ich einen Workshop vorgeschlagen, der sich mit der Frage befasste, wie mehr Menschen digitale Werkzeuge nutzen könnten. Der Workshop fand keine Aufnahme ins Programm. Deshalb habe ich in sechs Blogposts über die Fragestellung nachgedacht:

  1. Digitale Meinungsbildung
  2. 16 Gründe gegen digitale Kommunikation
  3. Vorurteile und das Internet
  4. Das Internet wird überschätzt
  5. Ein positives Leitbild für Netzpolitik
  6. »Crap detect yourself« – Howard Rheingold über Netzwerke

Daraus ist nun ein Essay und ein kurzes Video entstanden. Beides gibt es hier zum Download, Lizenz CC-BY 3.0.

  1. Essay als pdf: Digitale Kompetenzen für alle
  2. Essay als eBook (.epub und .mobi) (Umweg via Dropbox)

Das ist auch ein Beitrag an der Blogparade von ChiliconCharme sowie bei der ununi.tv #rp4u-Gruppe.

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Der vollständige Text des Essays auch hier noch:

Digitale Kompetenzen für alle
Wie digitale Werkzeuge dabei helfen können, leistungsfähige Netzwerke zu bilden

Philippe Wampfler, April 2013

Ich kenne Leute, die jahrelang alles verweigert haben, was online war. Aber kaum haben sie sich in jemanden verliebt, der in einer anderen Stadt wohnt, bumm – schon hatte die Online-Kommunikation plötzlich einen SINN, sie war sogar auf einen Schlag UNVERZICHTBAR! Und das Verständnis wandelte sich mühelos mit der veränderten Praxis. – Lisa Rosa

Für die Re:Publica 2013 hatte ich in einen Workshop eingereicht, in dem ich zusammen mit anderen an der Frage Interessierten darüber nachdenken wollte, wie die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation mehr Menschen zugänglich gemacht werden könnten. Dass es eine digitale Kluft gibt, war dafür die Annahme, gefragt werden sollte nach Ursachen und konkreten Möglichkeiten, die Hindernisse aufzuheben, welche die Demokratisierung der Internetkommunikation verhindern. Medienkompetenz wird immer stärker zur Bedingung, an gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen zu können und eigene Vorstellungen in die Gestaltung des sozialen Miteinanders einfließen lassen zu können. Deshalb scheint es mir an diesem Punkt der technologischen Entwicklung bedeutsam, zu beobachten, welche Ausschlussmechanismen spielen und wie sie auszuhebeln sein könnten.

Den Workshop fand keinen Platz im Re:Publica-Programm. Weil ich nicht wüsste, wie man dieses Thema in einer stündigen Diskussion schlau angehen kann, war ich einerseits erleichtert, mochte das Thema aber nicht ganz fallen lassen. Ich habe es in sechs Blogposts abgehandelt, die ich im Folgenden zu einem Essay verbinde. Aus dem Essay wird auch ein kurzes Video entstehen, in dem die einzelnen Aspekte leicht anders gewichtet sind.

1     Meinungsbildung im Internet

Meinungsbildungsprozesse in sozialen Netzwerken unterscheiden sich von nicht-digitalen. Im Internet ist das Spektrum größer, weil auch nicht Stimm- und Wahlberechtigte sich bei bestimmten Fragen einbringen können, besonders deshalb, weil der Altersdurchschnitt der Diskutierenden generell tiefer liegt als bei der Bildung der öffentlichen Meinung. Der Breite des Publikums muss aber eine enorm hohe Selektivität entgegengehalten werden: Je nach Ereignis oder Thema geben ganz andere Menschen ihre Meinung im Internet kund. Zudem sind es generell wenige, Untersuchungen legen die Annahme nahe, dass sich weniger als fünf Prozent aller Erwachsenen im Internet an Diskussionen beteiligt – aktiv oder passiv.

Die Struktur sozialer Netzwerke beeinflusst auch, welche Diskussionen stärker wahrgenommen werden und welche nicht. Die Nutzerinnen und Nutzer von Social Media sind meist individualistisch eingestellt und argumentieren daher in der Tendenz liberaler als die öffentliche Meinung. Sie verbreiten in ihren Netzwerken lieber positive als negative Botschaften. Eine Ausnahme sind dabei Empörung oder Kritik, weil sie ein Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen können.

Entscheidend ist dabei: Social Media sind ein Teil der Meinungsbildung; sie stehen nicht außerhalb des gesellschaftlichen Diskurses. Gleichzeitig vermögen sie aber nicht alle Meinungen und Positionen abzubilden oder richtig zu gewichten: Individualistische, technikaffine und eher jüngere Menschen schaffen ein kalifornisches Klima, in dem den Möglichkeiten von unternehmerischer Eigeninitiative und dem Vertrauen in die von der Technik angeboteten Lösungen eine große Bedeutung beigemessen wird.

Wer im Internet kommunikativ präsent ist, ist privilegiert: Kompetenzen, Zeit und die nötigen Geräte und Zugänge sind vorhanden. Mehr Partizipation im Internet würde nicht nur bedingen, dass diese Privilegien allgemein verfügbar würden – z.B. durch ein stärkeres staatliches Engagement in der Medienpädagogik und in der Verbreitung der Infrastruktur -, sondern auch, dass alternative Haltungen Gewicht bekommen und Stimmen gehört werden, die heute in vielen Diskussionen Gegenstand von Gespött und Verachtung sind.

In Bezug auf die Meinungsbildung muss Internetkommunikation für mehr Menschen einen erkennbaren Sinn haben. Das ist deshalb wichtig, weil der Medienwandel in vielen Bereichen qualitativ hochwertige Informationen aus offline zugänglichen Massenmedien ins Internet verlagert hat. Das klassische Beispiel ist die Auslandsberichterstattung: Wer verstehen will, was sich in bestimmten Ländern abspielt, kann sich heute weder auf Radio noch auf Zeitungen oder Fernsehen verlassen, sondern braucht direkte Informationen, die so nur digital zugänglich sind.

Einen Sinn erhält Kommunikation aber nur dann, wenn die eigene Meinung gehört wird, wenn der Stammtisch, dessen Eigenschaften in einigen Bereichen des Internets heute vorhanden sind, einem das Wort erteilt und eine Art Gemeinschaft aufbaut. Natürlich wäre es denkbar, dass alle Menschen eine solche Nische fänden, weil ja auch in sozialen Netzwerken der Platz unbeschränkt ist und alle Meinungen Platz finden könnten. Aber ein Gespräch entsteht, wenn gefragt und geantwortet wird, wenn Gesagtes Resonanz findet. Das Power Law of Participation (Bildquelle) zeigt, wie im Internet einzelne kommunikative Handlungen schrittweise verbunden sind und Teilnahme auch aus minimaler Interaktion entstehen kann. Das ist die positive Seite. Weil aber einige ideologische Haltungen Debatten im Internet dominieren, sind nicht alle Perspektiven verfügbar, was wiederum eine ausgewogene Meinungsbildung verhindert. Daraus resultiert auch, dass Partizipation nicht allen Menschen gleichermaßen möglich ist.

power law

2     Vorurteile verzerren das öffentliche Bild vom Internet

Verhindert wird das auch durch eine Reihe von Vorurteilen – die man in zwei Kategorien aufteilen kann: Einerseits wird über Internetkommunikation notorisch negativ gesprochen. Wer sich oft digital mit anderen Menschen austauscht wird schnell pathologisiert, weil sich, so die Annahme, das richtige Leben analog abspiele. Andererseits gibt es eine Reihe von Versprechen, mit welchen sehr aktive Nutzerinnen und Nutzer ihre Beschreibungen der Möglichkeiten von sozialen Netzwerken verzieren. Diese Versprechungen sind Übertreibungen, Beschreibungen eines Idealfalls, der allenfalls den Status einer Vision hat, aber keine realistische Prognose darstellt. Im Folgenden sollen zunächst die negativen Vorurteile gesammelt werden, dann die positiven beschrieben werden, um zu zeigen, dass die Mischung aus sich selbst erfüllenden Prognosen und enttäuschten Versprechen viele Menschen daran zweifeln lässt, dass es sinnvoll ist, im Internet zu kommunizieren.

Am Computerbildschirm passieren Dinge, die zunächst wie Wunder erscheinen. Ich erinnere mich, wie mein Großvater, der gelernt hat, Bücher mit Lettern zu setzen, reagiert hat, als ich ihm zum ersten Mal Textverarbeitung vorgeführt habe. Die Neuartigkeit von Erfahrungen verhindert, dass wir sie präzise beschrieben konnten. Eine Reihe von Metaphern muss verwendet werden, um darüber zu sprechen. Im Internet »surfen« wir auf »Seiten«, »folgen« Menschen oder gar »Freunden«, wir »chatten« in einer »virtuellen« Welt, währen wir uns im »real life« ganz anders verhalten.

Die Überforderung angesichts der Möglichkeiten von Internetkommunikation und das beschränkte Vokabular zu ihrer Beschreibung haben starken Anteil an einer Reihe von Urteilen über diese Form von Interaktion – von denen viele Vorurteile sind. Eine unvollständige Liste:

  1. Digitaler Dualismus: Es gibt eine Trennung zwischen der echten Welt und der virtuellen: Das Internet ist nicht real.
  2. Interaktionen im Internet sind oberflächlich, sie verbinden Menschen, die sich nichts bedeuten und einander häufig täuschen oder hintergehen.
  3. Informationen im Internet sind notorisch unzuverlässig. Weil alle beitragen können, ist im Gegensatz zu gedruckten Texten und Bildern unklar, was wahr ist; wir könnten überall manipuliert werden.
  4. Internetkommunikation ist generell gefährlich; nicht nur können uns andere Menschen Schaden zufügen, wenn wir uns im Internet bewegen, wir verändern uns auch selbst.
  5. Aus diesen Gründen ist die intensive Nutzung des Internets entweder Ausdruck eines Suchtverhaltens oder Zeitverschwendung; im Internet »surfen« wird schnell als Prokrastination bezeichnet und damit in die Nähe eins pathologischen Problems gerückt.
  6. Das Internet bringt in Menschen schlechte Züge hervor, sie werden aggressiv und beginnen anderen zu schaden, wenn sie sich hinter der Maske der Anonymität in Sicherheit vor Sanktionen wähnen.

Ergänzt können dieser Vorurteile durch Gründe werden, die Menschen anführen, wenn sie gefragt werden, warum sie auf digitale Kommunikation verzichten (einige Wiederholungen sind beabsichtigt). Auch hier handelt es sich um Projektionen oder Zerrbilder, die abgelehnt werden:

  1. Im Internet breiten viele Menschen ihr Privatleben aus, das interessiert mich nicht.
  2. Mein Privatleben geht niemanden etwas an, ich möchte meine Privatsphäre schützen.
  3. Social Media sind unpersönlich: Ich schaue Menschen gerne in die Augen, wenn ich mit ihnen rede.
  4. Dafür habe ich keine Zeit.
  5. Ich möchte nicht, dass jemand meine Fotos oder Texte stiehlt.
  6. Ich will nicht, dass meine Daten für Werbung verkauft werden.
  7. Das ist mir zu kompliziert, ich verstehe es ohnehin nicht.
  8. Ich bin nicht so der Multitasking-Typ.
  9. Früher hatten wir auch kein Internet, es ging auch ohne.
  10. Echte Informationen findet man nur in guten Zeitungen und Büchern.
  11. Gespräche im Internet sind oft gehässig und führen zu nichts.
  12. Ich mag es einfach nicht, vor dem Computer zu sitzen.
  13. Beziehungen im Internet sind oberflächlich und können gefährlich sein.
  14. Man weiß nie, ob Informationen im Internet stimmen oder nicht.
  15. Das Internet macht abhängig.
  16. Das Internet verändert unser Hirn und macht uns dumm.

Alle diese Gründe sind valide. Sie müssen ernst genommen werden, weil sie Ausdruck von Wahrnehmungen und Ängsten sind. Aber sie stehen Menschen auch im Wege, digitale Werkzeuge so zu nutzen, dass sie ihnen nützen und ihnen dienen. Es wäre wichtig, diese Äußerungen als Aufforderungen zu einem Gespräch zu verstehen, das sie nicht zwingend widerlegt, sondern ergänzt und andere Perspektiven aufzeigt.

Leider wird die Medienkonstellation Internet als komplexes Phänomen in Gesprächen oft auf triviale Erkenntnisse reduziert: »Facebook-Freunde sind keine echten Freunde«, »Man weiß nie, wer sich hinter einem Pseudonym verbirgt«, »Photoshop ermöglicht das Fälschen von Bildern«, »Jede(r) kann ins Internet« schreiben. Natürlich. Aber das wussten alle schon und vieles war alles auch schon so, bevor es Internetkommunikation gab.

Diese Diskussionen beanspruchen viele Ressourcen, die den Blick auf die produktiven Aspekte verschließen. Nur einige Beispiele: Zielloses Surfen im Internet kann Anstoß für eine Reihe von Lerneffekten sein, Internetbeziehungen können für viele Menschen eine Entlastung darstellen und zurecht einen wichtigen Stellenwert einnehmen, in vielen Fachbereichen finden sich differenzierte, aktuelle und präzise Informationsangebote im Internet. Wikipedia wurde in Bildungsinstitutionen jahrelang schlecht geredet, obwohl eine ganz einfache Grundhaltung genügt hätte: Skeptisch bleiben und Falsches korrigieren bzw. Fehlendes ergänzen.

Es ist deshalb einerseits wichtig, präziser auszudrücken, was im Internet passiert. Andererseits brauchen Menschen auch praktische Anlässe, das Internet zu nutzen. Wer motiviert, selber ins Internet zu schreiben, digital vorhandene Medien zu nutzen oder Beziehungen online zu pflegen, ändert auch die Beschreibungen dieser Möglichkeiten und die Modelle, mit denen sie abgebildet werden. Lisa Rosa führt als Beispiel dafür Doodle an: Viele Menschen halten das Web 2.0 für überflüssig, sind aber froh, mit Doodle Termine vereinbaren zu können. Sie nutzen das Web 2.0, ohne es zu merken – eine Erfahrung, die schrittweise erweitert werden könnte, wenn sich ähnlich hilfreiche Angebote finden.

Die Schwierigkeit dürfte also darin bestehen, die Hürden abzubauen, die verhindern, dass Menschen Erfahrungen machen. Dabei spielen Vorurteile eine wichtige Rolle – in doppelter Hinsicht: Neben Skeptikerinnen und Skeptikern reden auch viele engagierte Nutzerinnen und Nutzer übers Internet. Soziale Netzwerke werden von Menschen gefüllt, die ihre Gratisarbeit nicht nur als ein Vergnügen empfinden, sondern sicher sind, dass ihre Investitionen ins Internet sich auszahlen werden. So präsentieren sie die Möglichkeiten des Internets in einem besseren Licht, als sie bei realistischer Prüfung erscheinen würden. Gerade weil diese intensiven Nutzerinnen und Nutzer so viel investiert haben, müssen sie daran glauben, dass sich ihre Investition auszahlen wird.

Dieser Effekt kann beim Social-Media-Marketing gut beobachtet werden: Wer diese Dienstleistung anbietet, muss Kunden sagen, Social Media sei ein geeigneter Kanal, um erfolgreiches Marketing zu betreiben und einen Return On Investment zu erzielen. Dieser Ratschlag basiert aber auf einer optimistischen Prognose, die sich aus dem Interesse der Anbieterinnen und Anbieter ergibt.

Diese positiven Vorurteile dem Netz gegenüber sind deshalb ein Problem, weil sie oft von den Menschen vertreten werden, welche Digital Immigrants oder nicht-technikaffine Menschen dabei beraten, im Internet aktiv zu werden. Sie produzieren so Enttäuschungen: Wer ein Twitter-Profil eröffnet und erste zögerliche Schritte unternimmt, wird lange brauchen, bis ein Nutzen erkennbar wird. Dieser Nutzen bedarf zudem einer konstanten Anpassung von Filtern und einer unablässigen Reflexion über den Einsatz von technischen Mitteln.

Wer sich theoretisch und kritisch mit Internetkommunikation auseinandergesetzt hat, ist weniger anfällig dafür, es zu überschätzen; sondern setzt Vor- und Nachteile in eine Beziehung.

Ich halte zuweilen Vorträge und erkläre, wie Twitter für mich das Zeitungslesen ersetzt hat. Aber viele Menschen sind besser beraten, die Zeitung zu lesen: Weil sie nicht schon 10’000 Stunden (ich verwende hier einfach einmal die Zahl von Gladwell) mit Social Media verbracht haben und das auch so bald nicht tun werden. Ganz ähnlich ist das mit Technologie im Schulzimmer: Für viele Lehrpersonen ist ein Verzicht ein vernünftiger Entscheid. Es lohnt sich für sie nicht, Smartphones und Projektoren zu konfigurieren um dann nach langen Stunden dasselbe schlechter zu machen, was sie vorher schon konnten.

Das Argument, so werde die Zukunft verpasst, halte ich für wenig bedeutsam: Wir wissen nicht, was die Zukunft von sozialen Netzwerken sein wird. Wenn es ohne nicht mehr geht, wird es wohl reichen, dann einzusteigen. Wichtig ist, Aufwand und Ertrag, Chancen und Gefahren realistisch einzuschätzen: Sie weder übertreiben noch runterspielen und weder Drohungen an die Wand malen noch Versprechen abgeben, die nicht aus einer nüchternen Einschätzung resultieren. Eine Zukunft mit Social-Media-Zwang ist eine schlechte Motivation dafür, Hürden abzubauen. Besser sind überschaubare, einfache Projekte, die Menschen den Zugang zu für sie interessanten Informationen und Menschen ermöglichen: Ihnen zeigen, dass sie auf Twitter Expertinnen und Experten eine Frage stellen können, welche häufig beantwortet wird; ihnen vorführen, dass sie auf retro.seals.ch ein umfassendes Archiv alter Zeitschriften abrufen können; sie in einem Web-Kalender die wichtigsten Termine für ihnen Verein publizieren lassen.

Was sich im Internet abspielt ist weder Segen noch Fluch. Beide Haltungen resultieren aus Projektionen, Umdeutungen und der stärkeren Gewichtung eigener Interessen. Und beide verhindern, dass Menschen die wahren Möglichkeiten des Netzes nutzen können.

3     Positive Netzpolitik

Verzerrte Darstellungen der Chancen und Gefahren von Internetkommunikation errichten Barrieren, welche viele Menschen daran hindern, digitale Werkzeuge so zu nutzen, dass sie ihnen nützen. Diese Problematik betrifft auch Netzpolitik, die oft auf die Fragen beschränkt wird, wie Menschen vor Internet-Gefahren geschützt oder wie sie ihre Internet-Freiheiten behalten können.

In seinem »Code for Germany« legt Christoph Kappes ein Fundament zu einem differenzierteren und positiven Leitbild für Netzpolitik. Es zeichnet sich durch vier wichtige Eigenschaften aus:

  • es befasst sich weniger mit dem Internet als mit dem, was Computer tun und wir mit Computern tun
  • es richtete sich weniger auf rechtliche Fragen, sondern fragt, wie sich Wissen und Kultur durch den Einsatz von digitaler Hilfsmitteln ändern
  • es hat mehr mit Software zu tun, weil sie nicht nur kopieren, sondern generell den Umgang mit Informationen ermöglicht und erleichtert
  • es zeigt den Charakter der digitalen Wissensnutzung auf, die ein Gemeingut ist, das nicht übernutzt werden kann, weil Kopien die Nutzung nicht verändern oder verschlechtern.

Kappes’ Fazit weist auf konkrete Projekte hin, die Menschen zeigen könnten, was das Internet ihnen im Alltag für Hilfestellungen bieten kann:

So gesehen sollte eigentlich im Zentrum von internet-veranlasster Politik nicht »das Netz«, sondern die Entwicklung von Wissen, Software und Kultur stehen, die von jedermann nutzbar sind:

  • von Schulbüchern und wissenschaftlichen Beiträgen für jedermann,

  • Software für Nachbarn, die untereinander Hilfe anbieten und tauschen möchten,

  • Komponenten für verteilte soziale Netzwerke und Standards für den Datenaustausch zwischen Diensten bis hin zu

  • neuen digital basierten Prozesses für Politik und Medien – wir müssen schnell Ordnung und Überblick in die Welt bringen, die täglich komplexer wird, und

  • kulturellen Techniken, die durch digitale Informationsverarbeitung verändert werden, namentlich neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit in losen Gruppen oder auch digitales Rechte-Handling einschließlich verständlicherer rechtlicher Regelungen für Commons.

Politik – so sollte man sich in Erinnerung rufen – bedeutet die Organisation des sozialen Miteinanders. Netzpolitik befasst sich damit, wie Menschen digitale Werkzeuge einsetzen. Was in der professionellen Politik beredet und beschlossen wird, beeinflusst das Leben vieler Menschen nicht. Ein netzpolitisches Programm könnte ganz einfach darin bestehen, Werkzeuge zu schaffen, die Menschen helfen, ihren Alltag zu bewältigen: Alten Menschen, beispielsweise, solchen mit einer Krankheit oder einer Behinderung, in schwierigen Lebenssituationen oder während Zeiten großer Belastung. Gute Netzpolitik führt deshalb zu einem angenehmeren Leben, indem sie Menschen dabei hilft, tolle Dinge nicht nur im Internet, sondern auch außerhalb auf die Beine zu stellen.

4     Wie tragfähige Netzwerke entstehen

Diese Perspektive hilft auch beim Aufbau von Kompetenzen. Howard Rheingold weist immer wieder darauf hin, dass Technologie nur in einem gesellschaftlichen Kontext Sinn generieren und erhalten kann. »literacy« ist für ihn die Fähigkeit, Werkzeuge sozial bewusst einsetzen zu können. Das ist im Internet deshalb besonders wichtige, weil unser Gebrauch (oder Nicht-Gebrauch) der Technologie immer auch Auswirkungen für andere hat: Unsere Suchbegriffe bei Google; die Links, die von unseren Texten ausgehen; unsere Likes bei Facebook und unsere Tweets beeinflussen die Interneterfahrung vieler anderer Menschen – manchmal direkt, manchmal indirekt.

Wichtig ist deshalb – so der Ausdruck von Rheingold – die Fähigkeit zur »Crap detection«. Was in unserem Informationsfluss ist wahr und relevant und was falsch, halbwahr oder unwichtig? Diese Prüfung gilt nicht nur für fremde Inhalte, sondern im Sinne einer Netzwerkverantwortung, auch für eigene. Es ist keine spezifische Netzkompetenz, sondern eine Voraussetzung, sich mit Informationen auseinanderzusetzen. Sie kann aber die Angst vor einem Informationsüberfluss nehmen.

Dasselbe gilt für die Fähigkeit, die eigene Aufmerksamkeit zu steuern und zu beobachten. Sie wird geschult, indem man sich in die Rolle anderer versetzt und sein eigenes Handeln beschreibt. Das kann ganz einfache, alltägliche Tätigkeiten betreffen: Wann schaue ich auf mein Smartphone? Wie benutze ich meinen Browser? Wie oft lese ich Emails und welche beantworte ich sofort?

Mit diesen Fähigkeiten ausgestattet, lassen sich im Internet – aber auch außerhalb – Netzwerke aufbauen. Sie zeichnen sich durch folgende Qualitäten aus:

  1. Sie enthalten viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Wahrnehmungen und unterschiedlichem Wissen.
  2. Einige dieser Menschen vertreten ganz andere Meinungen, als man selbst hat.
  3. Alle sind ehrlich und intelligent.
  4. Im Netzwerk gibt es small talk, weil der hilft, sich vertrauen zu lernen.
  5. Wir sind mit einigen Menschen in unseren Netzwerken mit schwachen Bindungen verbunden, mit anderen mit starken.

Entscheidend für den Aufbau von Netzwerken sind ihre Pflege und die Bereitschaft, anderen zu helfen, ohne von ihnen schon etwas bekommen zu haben.

Netzwerke sind wichtig, weil sie Menschen das vermitteln, was sie für ein gehaltvolles Leben brauchen.

5     Fazit: Internet und Netzwerke

Netzwerke sind der Grund, weshalb digitale Kompetenzen bedeutsam sind: Sie erleichtern den Aufbau dieser Netzwerke unabhängig von örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten. Netzwerke könnten aber auch den Schlüssel darstellen, wie Menschen motiviert werden könnten, sich entsprechende Kompetenzen anzueignen: Weil sie erkennen, dass sie der Befriedigung ihrer (nicht-digitalen) Bedürfnisse dienlich sind.

Die provisorische Antwort auf die Frage, wie mehr Menschen am den Möglichkeiten der digitalen Kommunikation partizipieren können, lautet also: Indem sie die Dinge tun, die ihnen wichtig sind, und dazu Netzwerke bilden. Und indem wir genauer beschreiben, was sich im Netz abspielt.

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Der Essay ist unter CC-BY 3.0 lizenziert. Quellen finden sich in den Blogposts, die hier alle verlinkt sind: phwa.ch/republicablog

Ich danke allen Kommentieren, insbesondere Lisa Rosa für ihre weiterführenden Hinweise. 

Digitale Meinungsbildung

Auf der Re:Publica 2013 wollte ich in einem Workshop darüber nachdenken, wie die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation mehr Menschen zugänglich gemacht werden könnten. Es geht mir nicht primär um eine Beschreibung der digitalen Kluft – die ist längst beschrieben. Vielmehr geht es um die Frage, welche konkreten Möglichkeiten sich anbieten und welche Hindernisse der Demokratisierung der Internetkommunikation im Wege stehen.

Den Workshop kann ich nicht halten, er fand keinen Platz im Re:Publica-Programm. Und ich bin fast ein wenig froh – weil ich nicht weiß, wie man dieses Thema in einer stündigen Diskussion schlau angehen kann. Fallen lassen möchte ich es nicht, sondern hier in loser Folge über die Fragen nachdenken und daraus dann vielleicht einen längeren Essay schreiben. (Zudem kann ich mich so an der Blogparade von ChiliConCharme beteiligen, in der Beiträge gesammelt werden, die von der Re:Publica abgelehnt worden sind.)

69437_1623977195739_6661013_nAm Anfang sollen Überlegungen zur Meinungsbildung im Internet stehen. Zwei US-Artikel (TechCrunch, Pew Research) lassen folgende, nicht besonders überraschenden Schlüsse zu:

  1. An Meinungsbildungsprozessen und Diskussionen auf Twitter sind 1-3% aller erwachsenen Amerikanerinnen und Amerikaner beteiligt. 
  2. Das Spektrum ist breiter als bei der Bildung der relevanten öffentlichen Meinung: Auch politisch nicht Stimm- und Wahlberechtigte beteiligen sich an den für sie relevanten Diskussionen.
  3. Generell ist der Altersdurchschnitt auf Social Media jünger als in der Bildung der öffentlichen Meinung.
  4. Meinungsbildung findet im Internet sehr selektiv statt; je nach Ereignis und Thema beteiligen sich ganz andere Menschen an Diskussionen.
  5. Nutzerinnen und Nutzer von Social Media sind tendenziell individualistisch eingestellt und deshalb in vielen Fragen tendenziell liberaler als die öffentliche Meinung.
  6. Auf Social Media verbreiten sich positive Botschaften schneller als negative, weil niemand in seinem Netzwerk konstant negative Botschaften verbreiten will.
  7. »Empörung« oder Kritik sind dabei Ausnahmen, auch sie haben auf Social Media starkes Gewicht: »Seht, wie schlecht die Welt und die anderen sind, wir sind die Guten!« dürfte dabei auch eine Art positive Botschaft sein.

Entscheidend ist dabei: Social Media sind ein Teil der Meinungsbildung; sie stehen nicht außerhalb des gesellschaftlichen Diskurses. Gleichzeitig vermögen sie aber nicht alle Meinungen und Positionen abzubilden oder richtig zu gewichten: Individualistische, technikaffine und eher jüngere Menschen schaffen ein liberales Klima.

Mehr Partizipation im Internet würde bedingen, dass alternative Haltungen Gewicht bekommen, Stimmen gehört werden, die heute in vielen Diskussionen Gegenstand von Gespött und Verachtung sind.

Eine letzte Bemerkung zum Begriff »Elite«: Er ist nicht wertend gemeint, sondern deskriptiv. Wer viel in Social Media präsent ist, hat einerseits die Zeit dazu, andererseits die technische Ausrüstung und Kompetenz dafür. Präsenz im Internet weist auf Privilegien hin.)

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Die weiteren Teile der Workshop-Vorbereitung:

Teil 2: 16 Gründe gegen digitale Kommunikation

Teil 3: Vorurteile und das Internet

Teil 4: Das Internet wird überschätzt

Teil 5: Ein positives Leitbild für Netzpolitik

Teil 6: »Crap detect yourself« – Howard Rheingold über Netzwerke

Jugendmedienschutz – meine Eindrücke vom nationalen Fachforum »Jugend und Medien« 

Gestern war ich am 2. Fachforum Jugendmedienschutz in Bern und habe im Rahmen eines Workshops einen Vortrag gehalten (Präsentation). Mit sechs Thesen zum »Jugendmedienschutz« möchte ich meine Eindrücke zusammenfassen.

Im einleitenden Referat hat Uwe Hasebrink dargelegt, was unter Jugendmedienschutz zu verstehen ist: Ein Prozess, in dem Maßnahmen entstehen, die ein Problem lösen sollen und dabei einer Bewertung unterzogen werden.

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Entscheidend ist dabei, dass viele Faktoren von Haltungen, Ideologien und Wahrnehmungen abhängen: Problem, Zielsetzung und ihre Bewertung sind alle nicht objektiv erfassbar.

(1) Daten helfen nicht weiter

Sonja Perren hat in ihrem Referat zu Cybermobbing eine Fülle an neuesten Daten präsentiert. So wissen wir z.B., dass traditionelles Mobbing in der Schweiz rund drei Mal häufiger vorkommt als Cybermobbing.

Praevalenz Mobbing

Entscheidend, so Perren, seien für Betroffene öffentliche und anonyme Attacken – daraus entstünden die als besonders gravierend wahrgenommenen Fälle. Es gäbe aber keine Maßnahmen, die mit Sicherheit gegen Cybermobbing wirkten – außer der klassischen Mobbingprävention.

Im Jugendmedienschutz werden ständig Befragungen durchgeführt und Daten erhoben. Ich bezweifle, dass die anstehenden Probleme so gelöst werden können. Qualitative Ansätze, als beispielsweise Gespräche mit Jugendlichen und ihren Begleitpersonen über ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen, scheinen mir hier viel versprechender.  Ich habe während der ganzen Tagung keine Daten oder Statistiken kennen gelernt, die mich irgendwie erstaunt hätten oder aus denen ich etwas gelernt hätte.

(2) Erfahrungen sammeln hilft weiter

Die Tagung begann mit Feststellungen prominenter Persönlichkeiten, sie seien selbst nicht auf Facebook aktiv. Mehrmals wurde auch gesagt, Lehrpersonen müssten nicht auf sozialen Netzwerken aktiv sein, um Jugendliche medienpädagogisch begleiten zu können. Das stimmt grundsätzlich.

Aber: Wer ohne digitale Medien aufgewachsen ist, hat von einigen Prozessen, die darin Ablaufen, zu wenig Ahnung, um ein offenes, sinnvolles Gespräch führen zu können. Sowohl die Risiken wie auch die Chancen können falsch eingeschätzt werden.

Ein Beispiel: Während der Tagung wurde Twitter als Backchannel und als Forum beworben. Ich war dabei sehr aktiv – meine Tweets sind für mich eine Zusammenfassung des Gehörten, an der ich mich auch beim Schreiben dieser Zusammenfassung orientiere; sie können hier nachgelesen werden (Tweetwally ist ein nettes Tool). Die Anzahl der Teilnehmenden, die auf Twitter während der Veranstaltung aktiv war, ist wahrscheinlich knapp zweistellig – und wir sprechen von der nationalen Elite in Bezug auf medienpädagogische Fragen. Es müssen von allen Beteiligten mehr Erfahrungen gesammelt werden. Reflexion setzt bei der Praxis an.

(3) Medienpädagogik hat sehr viele verschiedene Stakeholder

An einer Tagung spricht man mit vielen netten Leuten, erweitert und verstärkt sein Netzwerk. Auffällig war, wie viele Akteure in der Schweiz mit Medienjugendschutz zu tun haben:

  • Eltern
  • Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
  • Ausbildende von Lehrpersonen
  • Politikerinnen und Politiker
  • Medienunternehmen wie die Swisscom
  • Verwaltungen (der Bund, die Kantone)
  • Schulleitungen
  • Lehrpersonen
  • Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter
  • die Polizei
  • verschiedene Verbände und Vereine

Diese Stakeholder arbeiten teilweise zusammen, ihre Angebote ergänzen sich. Sie konkurrenzieren sich aber teilweise auch, haben komplett unterschiedliche Ziele und Interessen oder wissen schlicht nichts voneinander. Im Schlusspanel wurde die Frage diskutiert, wo der Ort für Medienbildung sei. Das ist offenbar noch nicht geklärt – Beat Zemp hat klar gemacht, der Ort sei die Schule. Hier braucht es viel Austausch, viele Netzwerke und viele Abgrenzungen. Es geht auch um Ressourcen, zeitliche, personelle, finanzielle.

(4) Orientierung fällt schwer

Was ist denn eigentlich das Ziel von Medienpädagogik? Sollen Störungen und Gefährdungen eliminiert werden, damit so weitergemacht werden kann, wie bis anhin? Soll Technik produktiv genutzt werden? Arbeiten wir an einer neuen Gesellschaftsordnung oder einer neuen Vorstellung von Bildung? Versuchen wir, Mittel einzusparen, um effizienter zu werden? Medienpädagogische Orientierungslosigkeit ist kein isoliertes Phänomen – sie betrifft viele pädagogische Fragestellungen, aber auch viele gesellschaftliche.

(5) Medienpädagogik ist Schulentwicklung und ein Führungsproblem

In meinem Referat habe ich davon gesprochen, wie man an einer Schule den Gebrauch mobiler Kommunikationsmittel reglementieren könnte. Dabei wurde in der Diskussion klar, dass jedes Reglement von den Lehrpersonen akzeptiert und gelebt werden muss. Lehrpersonen leben aber ihr Leben sehr individuell und sie mögen es nicht, zu etwas gezwungen zu werden (mit anderen Worten: sie sind Menschen). Also braucht es eine gemeinsame Entwicklung von Zielen, Vorstellungen und eine Führung, die diesen Prozess begleitet – weil die Zeile von Reglementen ja vielfältig sind: Sie sollen Möglichkeiten schaffen, aber Probleme auch beseitigen.

(6) Die Zeit technischer Neuerungen ist vorbei

Natürlich kann man das Mantra aufsagen, die Technik werde sich ständig weiterentwickeln und wir wüssten nicht, was in fünf Jahren passiere. Das wusste man natürlich noch nie. Aber Medienjugendschutz und -pädagogik täten gut daran, anzunehmen, dass wir einigermaßen wissen, wie digitale Medien funktionieren. Das Internet wird es weiterhin geben, wir werden noch mobiler kommunizieren. Der ökonomische und soziale Rahmen ist abschätzbar, die Herausforderungen sind benennbar. Abwarten gilt als Parole nicht. Eher: Nachdenken. Ausprobieren. Miteinander reden. Mehr nachdenken.

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Wie (digitale) Weiterbildung funktionieren kann: Der eBazar Wien

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Letzte Woche habe ich am eBazar der PH Wien eine Keynote und einen Workshop gehalten (hier gibts meine Folien, meine Materialien und die Keynote zum Nachhören). Hier möchte ich einige Bemerkungen zum Bazar als Format anbringen (und mich damit auch etwas bei den Organisatorinnen und Organisatoren bedanken).

Weiter- bzw. Fortbildung von Lehrpersonen ist nicht ganz einfach – gerade oder auch, wenn es um digitale Werkzeuge geht. Die einen möchten gerne ganz konkrete Rezepte und Werkzeuge nach Hause nehmen, andere ihre Skepsis und ihre Gedanken zum Ausdruck bringen, andere über pädagogische und didaktische Fragestellungen diskutieren und wieder andere Erfahrungen austauschen. Viele Veranstaltungen bedienen nun nur die Bedürfnisse einer bestimmten Zielgruppe – die anderen verhalten sich passiv oder sind enttäusch, frustriert über die Veranstaltung.

Ich erzähle gestenreich von meinen Erfahrungen.
Ich erzähle gestenreich von meinen Erfahrungen.

Der Bazar – die Metapher finde ich leicht schief – konnte dieses fundamentale Problem lösen. Er war folgendermassen organisiert: Es gab Stände, an denen konkrete Projekte und Werkzeuge vorgestellt wurden: Von Lernenden, von Lehrenden, von Expertinnen und Experten, aber auch von Vertreterinnen und Vertretern von Anbietern von Soft- und Hardware. Daneben fanden in verschiedene »Tracks« gruppierte Workshops in einer sehr lockeren Atmosphäre statt: Fachleute trugen vor, verbrachten aber auch viel Zeit mit dem Dialog mit dem Publikum. Einige der Workshops waren sehr technisch und vermittelten spezifische Kompetenzen, andere waren eher reflexiv angelegt. Sie waren kurz gehalten (rund 30 Minuten), so dass es möglich war, sechs Workshops zu besuchen. Sie wurden ergänzt durch zwei ebenfalls kurze Keynotes, neben mir sprach Gerhard Brandhofer – sein Referat ist sehr zu empfehlen (Folien, Audio-File).

Trotz den vielen Angeboten blieb viel Zeit, um Kaffee zu trinken, Gespräche zu führen, Erfahrungen auszutauschen und sich zu vernetzen. Es gab ein funktionierendes WLAN, überall waren Links bzw. QR-Codes zu weiterführenden Angeboten zu finden, auf dem Blog des eBazars und in einer Workshop-Übersicht finden sich knappe Zusammenfassungen.

Überzeugend finde ich an diesem Format:

  1. Angebote machen, aus denen ausgewählt werden kann.  
  2. Freiräume lassen.
  3. Interaktion zwischen Teilnehmenden und Vortragenden ermöglichen und begrüßen.
  4. Vortragende sind auch Teilnehmende, es gibt keine Wissenden und Nicht-Wissenden.
  5. Theorie nicht verhindern, die Praxis aber in den Vordergrund stellen und darüber sprechen, wie man gelungene Projekte umsetzen kann.
Hier lerne ich gerade etwas.
Hier lerne ich gerade etwas.

Obwohl mehr Vorgaben vorhanden sind als bei einem Barcamp (ein Format, dass mir für eine solche Veranstaltung auch reizvoll scheint), war spontan vieles möglich. Ich fühlte mich als Nicht-Zugehöriger zur österreichischen eLearning-Community wohl und habe viel gelernt. Persönlich ist mir klar geworden, dass es gerade im pädagogischen und digitalen Bereich meist wirkungsvoller ist, etwas Tolles zu tun und davon zu erzählen, als sich lange und genaue Gedanken zu machen und die zu vermitteln. Wie Social Media halt: Tolle Inhalte ergeben attraktive Profile und spannende Beziehungen. Aber das ist wohl eine triviale Einsicht.

Und da bin ich bei der Keynote.
Und da bin ich bei der Keynote.

Forderungen zur »Digitalen Wende« an den Schulen

Im Digilern-Blog Lutz Berger und Martin Lindner (Wissmuth) werden die 2012 in Ottobrunn bei München aufgestellten Forderungen für einen aufgeschlossenen Umgang der Schulen mit digitalen Technologien zusammengefasst. Ich raffe hier zusätzlich und stelle nur Kernaussagen dar und erlaube mir, einige Formulierungen zu übernehmen:

  1. Die »Digitale Wende« kann nicht von oben, also top-down, geplant und vollzogen werden, sondern muss unter Mitwirkung der Leute erfolgen, die Erfahrungen mit »Lernen im Netz« haben.
  2. Die gezielte Förderung von Eigeninitativen, die Freistellung von Pionieren, die Förderung von Netzwerken und »Zellen« engagierter Lehrerinnen und Lehrern ist von großer Bedeutung.
  3. Die Selbständigkeit der Schulen stärken. Zuerst einmal muss man da gezielt fördern, wo sich Eigeninitiative regt.
  4. Netzwerke an Schulen müssen mit den Technologien und Praktiken von Web 2.0 operieren.
  5. Lernen im Netz und mit dem Netz führt zu einer anderen Didaktik: weniger Frontalunterricht, mehr Projektlernen, mehr selbstgesteuerte Aktivitäten einzelner Schülerinnen und Schüler.
  6. »Digitales (Netz-)Lernen« setzt notwendig das Sammeln, Anreichern und Teilen von selbst produzierten Inhalten und Materialien voraus. Das Prinzip ist es, Inhalte nicht redaktionell vorab auszuschließen, sondern durch einen gemeinsamen Prozess aus einem möglichst großen Pool heraus zu verbessern und zu filtern.
  7. Nötig ist darum die Förderung der Initiativen für Freie Bildungsmedien, so genannten Open Educational Ressources (OER), die von netzerfahrenen Lehrpersonen ausgehen.
  8. Schulen können »Präsenzlernen« und »Netzlernen« unterschieden: Nicht alle Lernprozesse müssen vor Ort stattfinden. Damit können lange Schulwege vermieden und unter Umständen in Gemeinde kleinere Lerngemeinschaften etabliert werden, welche das Netz nutzen.

Digilern-Keynote: »Web 2.0 in der Schule – Weshalb sollte ich das denn auch noch machen?«

Der Mathematikdidaktiker Christian Spannagel hat auf dem Kongress zum Lernen mit digitalen Medien (DigiLern) eine Keynote gehalten, in der er der Frage nach geht, welche Vorteile die Integration von Web 2.0 in die Schule haben kann.

Das Referat lohnt sich anzusehen, es dauert zwar knappe 40 Minuten (ohne Fragen), ist aber sehr aufschlussreich.