Lernen von Leistung trennen

In einem lesenswerten Blogpost fordert David Didau in Bezug auf schulisches Lernen zwei Dinge:

  1. Lernen muss von (messbarer) Leistung getrennt werden
  2. Lernen muss schwieriger werden.

Im Folgenden werde ich seine Schlüsselideen skizzieren und kommentieren.

(1) Der Mythos von Input und Output

Didaus Argumentation geht von einem Bild aus, das er als falsch bezeichnet. Er bezieht sich auf Statistik aus Hatties Visible Learning, die in einem standardisierten Test untersucht hat, wie viele »Items« von höchstens zwei Lernenden in einem Schulzimmer gelernt wurden. Antwort: 45-85%. D.h. im besten Fall lernen mehr als zwei Schülerinnen und Schüler rund Hälfte von dem, was unterrichtet wird.

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Lehrerinnen und Lehrer vergessen, dass Lernen kompliziert und undurchschaubar ist. Sie konzentrieren sich auf ihre Bemühungen und auf die Resultate von Prüfungen und denken, didaktische Anstrengungen seien ausschlaggebend für Resultate in den Prüfungen. Dabei vergessen sie aber zwei weitere Welten, die Lernende stark beeinflussen: Ihr privates Umfeld und den Einfluss anderer Jugendlicher, der so genannten Peers.

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In der Grundschule erhalten Schülerinnen und Schüler 80% ihres Feedbacks von Peers, von diesem Feedback ist wiederum 80% unbrauchbar.

(2) Leistung und Lernen

Leistung ist messbar, Lernen nicht. Diese einfache Einsicht wird schnell vergessen. Betrachtet man aber Hinweise, die Lehrpersonen Schülerinnen und Schülern in Bezug auf Lernen geben, so handelt es sich mehr um Verhaltensweisen denn um Lerntechniken. Lernende werden konditioniert – erfüllen sie gewisse Kriterien, erhalten sie gute Resultate in Tests. Das heißt aber nicht, dass sie etwas gelernt hätten.

Lernen erfolgt an der Grenze von Chaos und Kontrolle. So kann es sein, dass sich eine Leistung verbessert, ohne dass eine Schülerin etwas gelernt hätte, und es kann auch sein, dass ein Schüler etwas lernt, ohne dass sich seine Leistung verbessert.

(3) Was tun? 

Didaus Post schlägt zwei Orientierungsmöglichkeiten vor:

  • Leistungsorientierter Unterricht hält für Lernende klare Hinweise bereit, wie sie lernen können, ist vorhersehbar und enthält immer dieselben Abläufe. Es ist allen klar, was zu erwarten ist – sowohl im Unterricht wie auch bei Prüfungen -, und das wird intensiv geübt.
  • Lernorientierter Unterricht schafft möglichst viele Variationen. Medien, Räume, zeitliche Gefässe ändern sich ständig. Lernen wird unbequemer und schwieriger und gerade dadurch in Gang gesetzt.

Das Ziel bei lernorientiertem Unterricht ist eine Steigerung der Verarbeitungstiefe des Materials. Es wird nicht so präsentiert, dass es möglichst einfach verarbeitet werden kann, sondern schon die Verarbeitung fordert die Lernenden heraus.

Screen-Shot-2013-06-10-at-18.12.50-1up1m42Didau bezieht sich auf ein Konzept von Robert A. Bjork, der zwei Gedächtnisleistungen unterscheidet: Die Fähigkeit, Informationen zu speichern, und die Fähigkeit, gespeicherte Informationen abzurufen. Unsere Adresse, an der wir früher gewohnt haben, haben wir tief in unserem Gedächtnis gespeichert, rufen sie aber selten ab. Die neue Adresse unserer besten Freundin rufen wir oft ab, sie ist aber noch nicht tief in unserem Gedächtnis verankert.

Die grundsätzliche Aussage ist nun die: Leistungsmessungen beziehen sich nur auf die »retrieval strength«, also auf das Abrufen von Informationen. Dabei wird ignoriert, wie wichtig es wäre, Informationen so zu speichern, dass sie nicht vergessen gehen.

Konkret heißt das:

  1. Lernen darf nicht in Einheiten erfolgen, sondern in regelmäßigen Abständen.
  2. Erfolgreiches Lernen bringt Lernende dazu, Informationen selbst zu generieren statt sie nur zu konsumieren.
  3. Themen abwechseln statt in Blöcken zusammenzufassen.
  4. Häufige Tests mit geringem Risiko für Lernende, aber vielen Varianten und Schwierigkeiten.
  5. Feedback reduzieren. Positives Feedback macht Lernende abhängig und kann den Lernprozess verlangsamen (weil alle auf Feedback warten).

Diese fünf Schwierigkeiten scheinen die Leistungen zu senken. Sie sind nicht intuitiv und fühlen sich oft falsch an, sie bewähren sich aber, wenn man wissenschaftlichen Untersuchungen vertraut.

Es lohnt sich, mit Lernenden darüber zu sprechen, warum Lernprozesse schwieriger sein sollten und nicht einfacher. Das leistungsorientierte Modell scheint professioneller zu sein und befriedigender für Schülerinnen und Schüler, welche sich an die entsprechenden Verhaltensweisen anpassen. Es führt aber zu weniger nachhaltigem Lernen.

Hier die Folien von Didau:

 

Was lernen wir eigentlich?

Im Rahmen einer Blogparade lade ich ein, übers Lernen nachzudenken. Digitales Lernen verspricht aufgrund neuer technischer und medialer Möglichkeiten einen Wandel, der mir aber oft recht unklar erscheint, weil wir nicht genau verstehen, was sich eigentlich ändert oder ändern soll.

Als Ergänzung zu den Beschreibungen von Lerngschichten möchte ich hier eine theoretische Frage aufrollen, die in einem längeren Kommentarthread auf Google Plus von Rolf Todesco gestellt wurde:

[I]ch glaube ja sehr gerne, dass Du etwas gelernt hast, als Du gelernt hast Textverarbeitungsprogramme zu benutzen, ich weiss nur nicht, WAS Du dabei gelernt hast. Und noch weniger weiss ich, wie ich lernen könnte Texte zu schreiben. Schreiben ist immer Texte schreiben. Ich kann also nur das Schreiben lernen und dabei ist für mich ganz unklar WAS ich dabei lerne – vielleicht Buchstaben korrekt zu zeichnen? Es ist wie bei der Textverarbeitung, wo ich die richtigen Tasten verwenden muss.
Wer reden kann – und da weiss ich auch nicht, was lernen heissen soll – kann Aussagen machen, die er eben als Texts schreiben kann, wenn er schreiben kann. Was also kommt da noch hinzu? Auch die Vorstellung, dass man Denken lernen könnte (+Lisa Rosa) finde ich extrem komisch. Ich kennen keinen Menschen, der nicht denken kann. Denken ist wie reden oder gehen oder atmen.
Ich glaube, dass Ihr etwas viel spezifischeres meint, vielleicht nicht denken, sondern „so denken, wie Ihr denkt“ – und das müsste man dann vielleicht lernen, aber ich kann mir auch das nicht vorstellen.

An dieser Stelle könnten wir natürlich die Diskussion abbrechen und auf entsprechende lernpsychologische Literatur verweisen, die wissenschaftliche Begriffe von Lernen enthält. Diesen Weg möchte ich nicht gehen, weil ich gerade als Lehrer ja oft mit impliziten Annahmen darüber arbeite, was Lernen bedeuten könnte – und diese Annahmen kann man einerseits im Nachdenken über das eigene Lernen aufdecken, andererseits indem man sie zu formulieren versucht.

Welche Prozesse sind für mich mit Lernen verbunden:

  1. Varianten und Alternativen von Verhaltensweisen kennen lernen
  2. die Varianten beurteilen können und die beste wählen können
  3. die eigene Tätigkeit aus einer anderen Perspektive betrachten können
  4. Abkürzungen kennen, mit denen sich repetitive Arbeit vereinfachen lassen
  5. Form (Methoden) und Inhalt (Funktion) von Tätigkeiten bewusst aufeinander beziehen bzw. Form an den Inhalt anpassen oder Inhalt durch Form akzentuieren.

Rolf Todesco hat als Replik auf diese Formulierung die Begriffe Kennen und Können aufeinander bezogen:

Wie ich schon geschrieben habe, geht es um das kennenLERNEN. Und das Kennenlernen endet – dort von von Lernen die Rede ist – beim Können.
Ich habe Dich hier kennengelernt. Ich kenne Dich jetzt ein Stückweit. Das ist aber kein Können, also nehme ich dieses Kennenlernen nicht als Lernen. Wenn ich dagegen eine Textverarbeitung (also Dinger wie MS-Word) kennenlerne, dann endet das in einem Können, wo ich die Textverarbeiten sinnvoll verwenden KANN. Deshalb spreche ich hier von lernen, worin das Kennenlernen zum Können wird.

Lernen als Kennen Lernen, das zu einem Können wird finde ich als Formulierung passend: Die fünf oben erwähnten Punkte umfassen beide Dimensionen. Die praktische Frage ist dann wieder, in welchen Konstellationen Menschen bereit sind, Varianten für ihre Verhaltensweisen kennen zu lernen und daraus ein Können zu entwickeln. Meine Vermutung wäre, dass sowohl eine kreative Offenheit als auch eine fast zwanghafte Einengung beide Abläufe beschleunigen können.

Learning French.
Learning French.

 

In der achten Klasse hatte ich einen weit gefürchteten Französischlehrer. Wir lernten den subjonctif kennen und mussten alle Verben aufsagen können, die ihn verlangen. Das ging so: Wir erhielten vier recht dicht beschrieben DIN-A4-Seiten mit Listen und mussten die eine Woche später auswendig aufsagen können und zwar enorm schnell. Wir wurden in der Stunde abgefragt (»Philippe, Seite 3 unten, los!«) und erhielten direkt eine Note. So ging das einige Wochen. Das war vor mehr als 20 Jahren. Ich kann die Listen immer noch auswendig hersagen.

Dasselbe wäre wohl passiert, wenn ich zu dieser Zeit ein Jahr in Frankreich verbracht hätte. Im Gespräch hätte ich wohl zuerst ohne subjonctif auskommen müssen, hätte ihn dann aber wohl kennen und können gelernt – ohne Aufforderung, ohne Zwang.

Geändert hätte sich – das eine triviale Einsicht – wohl meine Motivation und meine Haltung zum Gelernten. Die Frage, wie ein Lernprozess bewertet werden soll (gibt es bessere und schlechtere, effizientere und weniger effiziente?), spare ich mir für einen nächsten Post auf.

Blogparade: Wie Martin Jonglieren gelernt hat

Vor rund einem Monat habe ich zu einer Blogparade aufgerufen. Mittlerweile sind schon ein paar Texte entstanden, die der Frage nachgehen, wie wir denn bestimmte Kompetenzen erworben haben, indem sie den Lernprozess beschreiben:

Ich würde mich sehr über weitere Beiträge freuen, einen Abschlusspost werde ich wohl erst Mitte Mai schreiben.

MAKE ME SOME ART, society6
MAKE ME SOME ART, society6

Jonglieren
Bedeutung
Unterhaltung, Entspannung

Phasen
Motivation: unbestimmt, irgendwas zwischen Langeweile und  Gelegenheit, und es gab so Sendungen das man sein Gehirn immer mal wieder mit was neuem beschäftigen solle, es sollte etwas sein das im Zimmer ohne Ausrüstung und ohne Vorbereitung geht

Idee: aus dem Buch Der Medicus, er muss da jonglieren lernen mit wenigstens 4 Bällen

Information: ungewiss, muss per Internet gewesen sein, der Tipp war langsam mit einer, dann 2 Bällen mit einer Hand zu üben

Üben, üben: ging eigentlich ganz gut, 1-2 Wochen mit einer und 2 Kugeln, dann klappten 2 mit einer Hand, nach ca 3 Wochen klappte es dann mit 3; alles allein; evtl. so was wie 15 min;  die Aufgabe war eine bestimmte Anzahl von Wiederholungen zu schaffen ohne das die Kugel runterfällt, die Anzahl dann immer etwas höher gedreht

Gelernt fürs Lernen
grundlegendes geht eher einfach
4 Bälle habe ich nie geschafft, das müsste man offenbar „richtig“ üben
letzlich sowas wie viel Anfangsmotivation, genügend Informationsmaterial um zu glauben das es machbar ist, Gelegenheit und kontinuierliche Erfolge beim üben

Blogparade: »Wie ich etwas gelernt habe«

Letzte Woche habe ich darüber geschrieben, wie ich Textverarbeitung gelernt habe. Die Idee dahinter ist, dass man darüber nachdenkt, wie man sich Kompetenzen konkret angeeignet hat, aus welchen Teilen sie bestehen und was man daraus über Lernprozesses ableiten kann.

Ich möchte daraus eine Blogparade machen: Das heißt andere Menschen bitten, auch Texte zu diesem Thema zu schreiben. Sinn davon ist, dass die Texte so besser sichtbar werden, die Bloggerinnen und Blogger sich so vernetzen und letztlich eine Sammlung von Texten entsteht, die ich dann in einem Schlusspost zusammenfasse und kommentiere. Der Titel der Blogposts wäre »Wie ich etwas gelernt habe«, wobei »etwas« dann ersetzt würde durch die Kompetenz. Eine mögliche Struktur der Beiträge wäre:

  1. Beschreibung der Kompetenz (was bedeutet es, das zu können?)
  2. Phasen des Lernprozesses
  3. Wie habe ich gelernt?
  4. Was lässt sich daraus übers Lernen ableiten?

Es ist Usus, einen Zeitraum vorzugeben: Ich schlage also mal vor, die Texte bis Ende April zu schreiben und würde mich freuen, wenn sie hier mit Kommentar verlinkt würden oder ich eine Mail mit einem Link erhielte.

gelernt_blogparade

Unten noch ein Beispiel von mir, weil ich darum gebeten wurde.

* * *

Wie ich gelernt habe, Texte zu schreiben. 

(1) Bestandteile der Kompetenz

Es gibt viel Literatur zum Thema, aus welchen Bereichen die Kompetenz besteht, Texte verfassen zu können. Ich möchte hier nicht zu weit ausholen, sondern vier Aspekte betonen:

  1. Sich vorstellen können, was Texte beim Leser oder bei der Leserin auslösen. 
  2. Die formale Gestaltung der geplanten Wirkung anpassen können.
  3. Die einzelnen Bestandteile des Textes (Wörter, Sätze, Abschnitte) formal und inhaltlich so gestalten, dass eine Orientierung im Text gewährleistet ist und die Rezeption des Textes erfolgreich erfolgen kann.
  4. Beim Verfassen des Textes die eigenen Gedanken ordnen und den Text auch für sich selbst schreiben.

Diese Bestandteile können nicht in dem Sinne gelernt werden, dass sie beherrscht werden und bei jedem neuen Text umfassend abgerufen werden können, sondern es findet lediglich eine Annäherung statt.

(2) Schulzeit

Ich habe immer viel gelesen und gern geschrieben. Das Schreiben fand im Deutschunterricht weit gehend frei von Vorgaben statt: Aufsätze erforderten hauptsächlich Kreativität. Oft wurden Texte von Schülerinnen und Schülern in der Klasse vorgelesen, dabei handelte es sich immer um stilistisch oder inhaltlich ausgefallene, an denen ich mich Orientierte. So entwickelte ich schnell einen eigenwillig, komplizierten Stil. Ich nahm Wörter aus meiner Lektüre und brachte sie in meinen Texten unter. Ich wollte hauptsächlich mit meiner Wortgewandtheit und meinen Kenntnissen beeindrucken.

Parallel dazu musste ich im Latein-, Griechisch- und Französischunterricht viel übersetzen. Mit der Zeit wurden wir dazu angehalten, stilistisch ansprechende Übersetzungen zu schreiben, also solche, die nicht primär genau waren, sondern sinngemäß. Texte zu schreiben, ohne den Inhalt erfinden zu müssen, zeigte mir klarer auf, was stilistisch möglich ist, welche Bandbreiten es gibt und wie Elemente eines Textes zusammenhängen.

Im Austauschjahr schrieb ich zum ersten Mal für eine Schülerzeitung. Begrenzte Zeit und begrenzter Raum waren neue Erfahrungen; zudem gab es klare Vorstellungen, wie ein guter Text einer Schülerzeitung auszusehen hatte (er sollte positiv sein, viele Namen und Aussagen enthalten und von Ereignissen an der Schule handeln). Die Schlussredaktion genoss ich enorm: Der zeitliche Druck wirkte anregend, wir schrieben viel und kritisierten heftig. Und danach hielten wir Ausdrucke in den Händen, welche die fertige Zeitung zeigten – auf die wir dann wiederum Feedback (auch von Unbekannten) erhielten. Es zeigte deutlich, wie Texte ankamen und wirkten.

Kurz vor der Matur hatte ich eine Freundin, mit der ich oft zusammenarbeitete. Sie pflegte, von ihrem Vater vermittelt, einen minimalistischen Stil: Knappe Sätze von hoher Klarheit. Sie las einige meiner Texte und kritisierte ihre stilistische Schwülstigkeit. Es fiel mir schwer einzusehen, dass sie Recht hatte – und ich begann zu vereinfachen. Und dazuzulernen.

(3) Studium

Immer mehr schrieb ich auch persönliche Texte. Die Verbreitung von Email zu Beginn meines Studiums führte dazu, dass ich Beziehungen über lange Texte aufzubauen begann. Ich spielte vermehrt mit Ausdrücken, versuchte eine persönliche Sprache zu finden; schrieb gleichzeitig aber auch über Alltägliches und immer mehr auch über meine Gedanken, auch Intimes kam zur Sprache. Ich lernte schon früh, Internetkommunikation als Mittel zu betrachten, Dinge zur Sprache zu bringen, über die ich mich in Gesprächen weder äußern konnte noch wollte.

Dazu musste ich längere Sachtexte schreiben. Dabei lernte ich zunächst kaum etwas dazu: Ich erhielt kaum Rückmeldungen auf Proseminar- und Seminararbeiten, allenfalls wurden ein paar Kommafehler korrigiert oder inhaltliche Kommentare abgegeben. Hilfreich war das Feedback meines Vaters, der als Volksschullehrer darauf pochte, dass ich nicht zu akademisch schrieb. Die Lektüre von Fachaufsätzen brachte mich immer wieder in Versuchung, ein Fachregister zu verwenden, hinter dem sich unklare Aussagen verstecken ließen.

Die Master- bzw. Lizarbeit stellte mich zum ersten Mal vor die Aufgabe, einen sehr langen Text zu schreiben. Schon während des Studiums hatte ich mir angewöhnt, sofort zu schreiben. Ich verarbeitete meine Lektüre sofort in Texte, die ich dann im Dokument platzierte und immer wieder verschob; während viele Kommilitoninnen und Kommilitonen die Arbeit an einem Stück schrieben, nachdem sie alle wichtigen Texte gelesen hatten. Schreiben wurde für mich schnell zum Mittel, eigene Erkenntnisse zu finden und Lektüre mit Reflexion zu koppeln.

(4) Bloggen und Social Media

Bis ich Social Media nutzte (mit Bloggen begann ich 2006) schrieb ich – mit Ausnahme von Schülerzeitungen – Texte, die meist genau eine Person lasen. Es waren Texte für mich, mit denen ich mich qualifizierte, die aber kein Publikum hatten. Das änderte sich. Zunächst war mein Blog sehr persönlich, es lasen einige Eingeweihte mit. Ich verstehe nicht ganz, wie und wann sie das Publikum erweiterte; eine Mischung von Facebook- und Twitter sowie Google-Suchen führte dazu, dass ich irgendwann einen Kreis von Leserinnen und Lesern hatte. Nicht viele, aber immerhin einige. Heute sind es wohl zwischen 100 und 200, die meine Texte auf dem Blog lesen; je nach Thema können es mehr sein. Die Wirkung der Öffentlichkeit verstehe ich aber nicht ganz: Ich erhalte mehr Feedback und merke sofort, wenn Texte nicht so wirken, wie ich es beabsichtigt habe. Ich kann stärker experimentieren – mal provozieren, mal verknappen, mal ausprobieren. Ich argumentiere parallel zu meinen Texten auch in Foren, auf Twitter, in Kommentaren – und erlebe den Unterschied zwischen den Texten, die ich auf meinen Kanälen veröffentliche, und denen, die auf fremden Kanälen erscheinen. Daraus ergibt sich die Bedeutung des Kontexts.

Entscheidend ist die Kürze, die vor allem von Twitter vorgegeben wird. Ich verzichte darauf, Abkürzungen zu verwenden und teile meine Tweets selten auf. So muss ich mich oft in 140 Zeichen ausdrücken. Viele Tweets lösche ich, formuliere neu, lösche Unnötiges. Mein Schreiben profitiert davon, zumindest denke ich das. Tweets wirken sofort, die Reaktionen zeigen Unklarheiten unmissverständlich auf. Zudem schreibt man viele davon, ich habe schon über 20’000 veröffentlicht, also ein Buch geschrieben.

Diese Menge ist ein anderer Faktor. Ich schreibe momentan pro Woche rund fünf Blogposts, insgesamt mehr als 300 Texte pro Jahr. Oft schreibe ich sehr schnell; ich nehme mir vor, einen Blogpost in 20 Minuten zu schreiben – erlaube mir dann aber, ihn zu ergänzen und zu überarbeiten. Texte werden so immer mehr zu etwas Provisorischem. Aus Blogposts entstehen Aufsätze, Aufsätze erscheinen zuerst als Blogposts.

(5) Wie habe ich gelernt? 

Texte zu schreiben ist eine offensichtliche Kompetenz. In meinem Beruf als Lehrer, in der Schule und im Germanistik-Studium ist sie ständig explizit präsent. Texte werden besprochen und bewertet. Zunächst habe ich sicher dadurch gelernt, dass ich vielen Profis genau zugeschaut habe: Ich habe viele gute Texte gelesen und sie auf mich wirken lassen. Dabei habe ich auch allgemein über Texte nachgedacht und sie analysiert. Dabei wird klar, dass Begriffe definiert werden müssen, dass Abschnitte zu verbinden sind, dass Repetitionen oft wichtig sein können; Texte einen Rhythmus haben, nicht immer integral gelesen werden und es deshalb besonders exponierte Stellen gibt etc.

Ich habe viel imitiert. Nicht nur literarische Vorlagen, auch Journalistinnen und Journalisten, Sachtexte, sogar mündliche Äußerungen. Oft mit primitiven Tricks: Wörter und Sätze einfach übernehmen. Vergleichsideen klauen. Aufbaustrategien nachahmen.

Entscheidend ist weiter, sich Kritik auszusetzen. Leute zu finden, die eine andere Perspektive auf einen Text haben (z.B. mein Vater) und sie um ehrliches Feedback bitten. Ich war oft verärgert, ich fühlte mich unverstanden und war überzeugt von meinen Formulierungen. Aber ich habe eigentlich immer etwas geändert an meinen Texten. Heute freue ich mich über Rückmeldungen und beherzige sie immer. Auch das musste ich lernen – aber es war einfach: Überarbeitete Texte kamen besser an.

Und zuletzt: Einfach viel schreiben. Schreiben war für mich der Weg, Gelesenes und Gedachtes festzuhalten. Daraus habe ich eine Gewohnheit gemacht. Was Kleist über die Allmähliche Verfertigung von Gedanken beim Reden schreibt, gilt für mich fürs Schreiben:

 Aber weil ich doch irgendeine dunkle Vorstellung habe, die mit dem, was ich suche, von fern her in einiger Verbindung steht, so prägt, wenn ich nur dreist damit den Anfang mache, das Gemüt, während die Rede fortschreitet, in der Notwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu finden, jene verworrene Vorstellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, daß die Erkenntnis zu meinem Erstaunen mit der Periode fertig ist.

(6) Kann man daraus etwas übers Lernen an sich ableiten? 

Meine Erkenntnisse aus dem Textverarbeitungspost haben sich nicht wesentlich verändert, ich formuliere sie aber etwas anders und füge einen Punkt hinzu:

  1. Es hilft, eine Tätigkeit in verschiedenen Kontexten und unter verschiedenen Perspektiven auszuführen. 
  2. Phasen von großer Freiheit und solche von großer Einschränkungen ergänzen einander und entfalten eine besondere Wirkung.
  3. Echte Kritik am eigenen Verhalten löst Lernprozesse aus.

 

 

 

 

 

 

 

Wie ich Textverarbeitung gelernt habe

Auf Google Plus hat Martin Lindner die Frage gestellt, ob man nicht genauer verstehen müsste, wie »Lernen« funktioniert – unabhängig von Schlagwörtern, Annahmen und traditionellen Methoden. Er denkt, ein erster Schritt könnte folgende Vorgehensweise sein:

so wie man sich selbst fragen kann: was habe ich im letzten jahr gelernt? ist ein „ruck“ klar identifizierbar, oder war es eher „immersiv“? wenn ruck: wie genau habe ich das gelernt, also mit welchen kettenreaktionen? wieviel tätigkeit war dabei, wieviel feedback, wieviel fokussierte anstrengung, wieviel nicht-fokussiertes sich-beschäftigen-mit, wieviel impulse von außen …

Lisa Rosa weist diesem Vorgehen in einem Kommentar einen konkreten, aber subjektiven Nutzen zu:

individuelles rückblickendes reflexives lernportfolio am meisten für den sinn macht, der es für sich selbst macht. eine persönliche bilanz- u perspektivenkonferenz mit sich selbst sozusagen

In der Hoffnung, daraus allgemeine Erkenntnisse ableiten zu können, möchte ich kurz darstellen, wie ich meiner Erinnerung Textverarbeitung gelernt habe.

(1) Textverarbeitung als Kompetenz

Volker Ladenthin schreibt in einer lesenswerten Kritik des Kompetenzbegriffs (pdf, S. 22):

Man kann zwar analysieren, welche Kompetenzen eine komplexe Handlung beinhaltet, aber man kann aus psychischen – bedeutungsneutralen – Kompetenzen keine komplexe Handlung aufbauen. Kompetenzen beschreiben psychische Grundvermögen, benennen ‚nicht-mehr-teilbare‘ Denkoperationen und zwar in zu Teilhandlungen zerlegten Arbeitsschritten, aber aus ihnen lässt sich nicht Bedeutung konstruieren. Selbst wer alle Operationen im Einzelnen beherrscht, muss sie nicht zur Synthese bringen können.

Zunächst Textverarbeitung als ein Grundvermögen, es ist aber wiederum eine komplexe Handlung, die aus mehreren Kompetenzen besteht. Meine Liste wird wohl nicht vollständig sein:

  1. Auf einer Tastatur hinreichend schnell und präzise tippen können. 
  2. Texte digital verarbeiten können, d.h. sie speichern, überarbeiten, Elemente löschen, kopieren, einfügen etc.
  3. Texte digital layouten können.
  4. Die Bedürfnisse der Lesenden kennen und berücksichtigen.
  5. Die Form des Textes an seinen Inhalt anpassen.
  6. Kenntnisse über die Wirkung von Typographie haben und anwenden können.
  7. Texte und Bilder kombinieren können.
  8. Gepflogenheiten und Standards im Umgang mit Texten kennen.
  9. Hilfsmittel kennen und anwenden, um komplexe Texte erarbeiten zu können: Serienbriefe, Inhaltsverzeichnisse, automatische Literaturverzeichnisse, Verweise, Felder etc.
  10. Texte kollaborativ bearbeiten können und Änderungen nachverfolgen.

(2) Schulzeit

Als ich in die Schule kam, gab es in meinem Dorf die ersten persönlichen Computer; bei mir zuhause ungefähr in der dritten Klasse. Ich habe das Schreiben komplett analog gelernt, dann aber längere Aufsätze und Arbeiten ungefähr ab der sechsten Klasse auch am Computer geschrieben. Textverarbeitung war für mich ein Mittel, den Computer benutzen zu dürfen: Meine Eltern hatten den einzigen Fernseher in ihrem Schlafzimmer stehen und ich durfte ungefähr ein Mal pro Woche eine halbe Stunde an den Bildschirm. Das Schreiben am Computer war also etwas Neues und deshalb Lustvolles – weshalb ich es intensiver getan habe.

Word 4 unter DOS
Word 4 unter DOS; mein erstes Textverarbeitungsprogramm (mit orangem Bildschirm)

Schnell nahm ich Herausforderungen in Angriff, habe längere Texte geschrieben und auch an Wettbewerben mitgemacht. Ich habe so gelernt, mit zwei Fingern recht schnell zu tippen. Viele Abstürze haben mich gelehrt, Texte sorgfältig zu speichern; zu dieser Zeit konnten Disketten leicht kaputt gehen und waren auch sehr teuer.

Bald kam Windows auf und damit kannte Word schnell den Funktionsumfang, den es auch heute kennt. In der Schule belegte ich einen Kurs um Tastaturschreiben zu lernen, ich lernte es aber nicht, weil ich mit zwei Fingern schneller tippen konnte, als erforderlich war. Dennoch erledigte ich Schularbeiten gerne am Computer, weil ich so – oft im Geheimen – auch Zeit fand, um Spiele zu spielen oder an Computereinstellungen rumzubasteln. Weil die Programme immer mehr Funktionen hatte, experimentierte ich mit mir unbekannten Möglichkeiten.

Gleichzeitig entwickelte ich mit und nach 16 auch Künstlerfantasien. Die Lektüre von Texten von Andersch und Frisch führte mich dazu, mit der Schreibmaschine zu schreiben, was ich dann auch tat. Dort traten plötzlich starke Restriktionen auf: Ein Layout war vorgegeben, nur wenig konnte beeinflusst werden. Das Schreiben schien mir reiner, das Tippen musste präziser sein.

Im Austauschjahr in den USA verlor ich mein Gefühl für Orthografie. Ich machte – plötzlich – viele Fehler, obwohl ich viel schrieb. Deshalb zwang ich mich dazu, die automatische Rechtschreibkorrektur zu verwenden; Stunden verbrachte ich damit, Texte durchzugehen.

(3) Ferienjob

Während den Ferien arbeitete ich immer wieder wochenweise bei ABB Turbosystems. Dort war ich der Informatikabteilung zugewiesen und musste Verzeichnisse, Berichte etc. erstellen. Ich erhielt strikte Vorgaben in Bezug auf Layout und Formatierung, Textverarbeitung war streng standardisiert. An diesen Vorgaben rieb ich mich zuerst, weil mir andere besser gefiel und ich persönlich auch viele Abkürzungen genommen hatte. Sie halfen mir aber dabei zu verstehen, wie Formatvorlagen funktionieren – weil ich keine andere Wahl hatte. Ich erhielt einen Blick auf minimale Textverarbeitung: So wenig wie möglich manuell verändern, so viel wie möglich automatisieren.

Zudem war ich beauftragt, Serienbriefe an 300 Adressen zu verschicken und 200-seitige Berichte zu formatieren. Ich lernte so ganz neue Formate kennen.

(4) Studium

Meine Kompetenzen erweiterten sich im Studium zunächst graduell – mit einer Ausnahme: Beschränkungen machten mich kreativ. Vorgaben in Bezug auf Seitenlänge, Schriftgröße etc. ließen mich in Bezug auf Abschnittsabstände, Seitenränder etc. kreativ werden; ich verstand die verschiedenen Möglichkeiten, wie eine Seite eine Darstellung erhielt und wie sie sich gegenseitig beeinflussten. Gleichzeitig wurde der Computer zum Hauptschreibgerät, ich schrieb immer weniger von Hand und lernte so schließlich auch das Zehnfingersystem (wahrscheinlich während des zweiten Studienjahres).

In der Generativen Grammatik erstellte ich viele Baumdiagramme und lernte so neue Funktionen der Programme kennen, mit denen Texte zu Grafiken erweitert werden können.

Baumdiagramm.
Baumdiagramm.

(5) Post-Studienphase: LaTeX

An mein Studium schloss die Didaktik-Ausbildung an und ein Dissertationsprojekt. In der Mathedidaktik wurde ich gezwungen, LaTeX zu verwenden (fürs Mathematikstudium brauchte ich keinen Computer). Da ich gerne programmierte, arbeitetet ich begeistert damit und steckte viel Zeit rein, so dass ich auch mein ganzes Dissertationsprojekt mit LaTeX konzipierte. Zum Glück hatte ich Bekannte und Freunde, die damit große Erfahrungen gesammelt haben – sie halfen mir bei Problemen und gaben mir Tipps.

LaTeX zeigte mir, wie wenig ich ästhetisch von Textverarbeitung verstand. Von Typographie über Seitengestaltung – das Programm erzielte bessere Resultate als ich. Layout ist eine Angelegenheit für Profis, die damit Werkzeuge erstellen. Diese Einsicht führte zu einem stärkeren Minimalismus: Zunächst einfach mit Nur-Text arbeiten, Layout als sekundäres Problem betrachten und möglichst automatisiert lösen.

Zudem erweiterte LaTeX noch einmal die Möglichkeiten: Alles war plötzlich möglich: Verknüpfung von Dokumenten mit Literaturdatenbanken, Einfügen von präzisen Diagrammen etc.

(6) Bloggen und Social Media

Je mehr ich bloggte, desto schneller schrieb ich. Das Layout übernahm die Blog-Software. Fehler korrigierte ich beim Durchlesen, oft melden auch Leserinnen und Leser Fehler zurück. Texte sind lange provisorisch: Sie werden immer wieder überarbeitet, Versionen können nachvollzogen werden. Kommentare und Anmerkungen können eingebaut und berücksichtigt werden. Viele Texte entstehen kollaborativ und unter öffentlicher Beobachtung.

Mein erstes Blog, 2006.

(7) Wie habe ich gelernt? 

Es war selten ein »Ruck« ausmachbar; mit zwei Ausnahmen: Sowohl vom Arbeitgeber wie auch von den Fachdidaktikern wurde ich gezwungen, bestimmte Methoden zu verwenden und Standards einzuhalten. Dieser Zwang hat einen großen Lerneffekt auf mich gehabt: Ich konnte nicht anders, ich musste lernen.

Der größte Teil des Lernens ist eigentlich beiläufig erfolgt: Ich habe Texte geschrieben und dabei immer mal wieder was dazu gelernt. Oft haben mich Probleme auf mangelnde Kompetenzen aufmerksam gemacht: Beispielsweise war es ärgerlich, dass sich oft Verschiebungen in Dokumenten ergeben haben, wenn ich eine Zeile gelöscht oder eingefügt habe; also habe ich gelernt, Seitenumbrüche zu verwenden. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich mit Textverarbeitung zugebracht habe, aber ich würde sagen, dass ich seit ich 16 war rund zwei Stunden täglich am Computer Texte schreibe, also rund 20 Jahre à 365 Tage à 2 Stunden: Rund 15’000 Stunden; also deutlich mehr als Gladwells 10’000-Stunden-Regel besagt (nicht dass ich besonders erfolgreich wäre mit Textverarbeitung!).

Erfolgsfaktoren nach Gladwell, Outliers.
Erfolgsfaktoren nach Gladwell, Outliers.

Impulse von außen gab es wenige: Ich hatte Freunde, die sich für Layout interessierten und mir ihre Vorgehensweisen zeigten. In der Schule und im Studium hatte ich kaum Lehrerinnen und Lehrer, die etwas von Textverarbeitung verstanden und mich angeleitet hätten. Dasselbe gilt fürs Bloggen – generell lerne ich recht autodidaktisch und bewerte Inputs ständig; sobald sie mir nicht hilfreich erscheinen, blende ich sie aus.

D.h. dass ich wohl recht viel reflektiere; nicht konkret darüber, was ich gelernt habe, sondern darüber, was mir weiterhelfen könnte. Ich bin wohl auch einigermaßen eitel, mein Auftreten spielt mir – je nach Kontext – eine große Rolle. So betrachte ich meine Layout-Versuche immer wieder kritisch (wie z.B. hier) und feile auch daran.

(8) Kann man daraus etwas übers Lernen an sich ableiten? 

Das dürfte schwierig sein. Mein Verdacht wäre:

  1. Es hilft, etwas Konkretes zu tun, immer wieder, oft beiläufig; so werden Lernprozesse angestoßen. 
  2. Zwang und Freiheit sind als dialektische Momente hilfreich: Ich konnte Textverarbeitung phasenweise sehr spielerisch lernen, wurde aber auch zu ganz konkreten Vorgehensweisen gezwungen.
  3. Halb-Öffentlichkeit kann auch helfen. Viel Lernen in der Schule findet völlig privat statt. Es handelt sich oft um eine fast private Form der Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden. Die Wahrnehmung durch einen größeren Personenkreis kann motivierend wirken.

Vision: Wie sieht das Lernen im Jahre 2020 aus?

Nico Kirch fragt im Aufruf zu einer Blogparade:

Mich interessieren Eure Visionen: Wie sieht das Lernen im Jahr 2020 aus? […]

  1. Wie sehen Klassen-Räume im Jahr 2020 aus?
  2. Welche Medien werden im Unterricht genutzt?
  3. Wie ist der Anteil an Frontal-Unterricht zu Gruppenarbeiten bzw. zu Web-basierten Lernformen?
  4. Wie sieht das Lernen nach dem Unterricht aus?

Darauf hat es schon interessante Rückmeldungen gegeben, z.B. von  Monika König oder von Dörte Giebel.

Zunächst möchte ich festhalten: Ich bin davon überzeugt, dass das Lernen 2020 nicht wesentlich anders aussehen wird, als es das heute tut. Lernprozesse werden immer von den Vorstellungen früherer Generation beeinflusst und verändern sich nicht sehr schnell und selten dramatisch.

Es geht aber um meine Visionen, also um die Frage, was möglich wäre, was wünschenswert wäre, woran man sich orientieren soll.

Meine Vision geht aus von zwei zentralen Punkten:

Erstens: Das Lernen im Jahr 2020 ist ein persönliches Lernen. Gelernt wird, was interessiert, was gebraucht wird, was Lust macht, aktuell ist, unter die Haut geht. Inhaltliche Vorgaben aus Lehrplänen oder Kanon-artigen Vorstellungen sind obsolet, Fragestellungen entstehen aus Problemen und Situationen. Die Didaktik des problemorientierten Lernens oder des dialogischen Lernens wird zu einer sich natürlich anfühlenden Didaktik. Das betrifft direkt auch die oben stehenden Fragen: Die Räume, Medien und Unterrichtsformen müssen sich den Problemen anpassen. Es muss möglich sein, Fragestellungen zu entwickeln und hartnäckig nach Antworten zu suchen. Dafür muss die Infrastruktur vorhanden sein, aber auch die entsprechenden Lehrpersonen, die bereit sind, Wissensmanagement zu begleiten, zu coachen und nicht Wissen abzufüllen. Damit verschmilzt das schulische und das private Lernen, auch der Übergang vom Lern- zum Arbeitsprozess ist fließend, idealerweise würden auch Arbeitgeber verstehen, dass nur lernende Mitarbeitende produktiv und motiviert sind und Freiräume zur Verfügung stellen, in denen Lernprozesse erfolgen können.

Zweitens: Das Lernen im Jahr 2020 ist kollaborativ. Stärker als heute wird deutlich, was Henry Jenkins in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagt:

Natürlich müssen wir auch die Schulbildung stärker darauf auslegen, kollaborative Fähigkeiten zu fördern und gemeinsame Problemlösungsstrategien zu beobachten und zu bewerten. Es wird nicht mehr darum gehen, jedem Schüler die gleichen Dinge und Lösungsansätze beizubringen, sondern darum, dass jeder Verantwortung für einen Teil der Probleme übernimmt. Die Ironie dabei ist derzeit: In den gegenwärtigen Standardprüfungen gilt Kollaboration sogar als Betrug.

Man kann als Beispiel das Storytelling in Hollywood nehmen: Bei jeder Serie und jedem Film ist ein Team damit beschäftigt, eine Geschichte zu erzählen. Narrative Aufgaben werden verteilt und in komplexen Prozessen entstehen Geschichten nach Regeln, aber auch solche, die Regeln verletzen, umstossen. Es gibt ein großes Know-How, wie kreative, aber auch analytische Prozesse in Teams erledigt werden können. Dafür sind natürlich wiederum Lernräume, Medien und Lernformen nötig, die den Rahmen des heute Bekannten sprengen.

Eine Schlussbemerkung: Social Media wurden noch gar nicht erwähnt. Das ist auch nicht nötig: Social Media wird selbstverständlich sein, in dem Sinne, dass kommunikative Prozesse zwischen allen Beteiligten verlaufen müssen, dass man ein Profil von sich erstellen muss und sich mit anderen Menschen verknüpfen kann, ohne ihnen direkt begegnen zu müssen.