Wenn Internetexperten wie Nico Lumma nach der Generation suchen, die Schuld an den Problemen der digitalen Kommunikation trägt, namentlich am mangelhaften Schutz der Privatsphäre, dann richtet er den Blick auf seine Generation und auf die ältere:
Wir haben in Deutschland viel zu viel Zeit damit verbracht, kollektiv abzuwarten, ob man noch mal aus dieser Digitalisierungsnummer wieder rauskommen könnte. Der Zug ist abgefahren, seit mindestens 15 Jahren bereits. Es kommt jetzt darauf an, dass die beiden Generationen zusammen den Transformationsprozess der Gesellschaft begleiten, damit wir gestärkt aus der Digitalisierung hervorgehen.
Diese Hoffnung scheint mir trügerisch. Die Generation von Lumma und die »anderen […], also die Generation der aktuell über 50-jährigen«, dann verschwindet die Generation »Social Media« aus dem Blick, die aber wohl die digitale Welt bewohnen wird, die heute gestaltet und geformt wird. Ihrer Praxis sollten wir deshalb mehr Aufmerksamkeit schenken und sie genauer beschreiben und beurteilen, weil daraus die Fähigkeit erwachsen muss, die Probleme zu lösen, welche die beiden von Lumma beobachteten Generationen hervorgerufen haben.
In der Mitte des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts sind die Gefahren, die in einer vernetzten Welt durch Geschwindigkeit, Archivierbarkeit und Transparenz der Kommunikation hervorgerufen werden, bekannt. Ein umfassender Kontrollverlust hat stattgefunden, der zusammen mit der drohenden Möglichkeit flächendeckender Überwachung zu einer enormen Verunsicherung geführt hat.
Der Weg zurück ist verbaut. Beginnen Menschen die Möglichkeiten der Technologie zu nutzen, verzichten sie freiwillig nicht mehr darauf. Gefragt ist ein Blick in die Zukunft, die Gestaltung des Lebens mit der Technologie, nicht die Verweigerung. In Bezug auf die Jugendlichen formuliert Danah Boyd die daraus erwachsenden Einsichten wie folgt:
Vernetzte Öffentlichkeiten werden erhalten bleiben. Statt sich gegen Technologie zu wehren oder sich davor zu fürchten, was passiert, wenn Jugendliche Social Media nutzen, sollten Erwachsene ihnen dabei helfen, die Kompetenzen zu erwerben, die sie benötigen, um die Komplikationen zu meistern, welche das Leben in einer vernetzten Gesellschaft mit sich bringen. In der Zusammenarbeit können Erwachsene und Jugendliche eine vernetzte Welt schaffen, in der wir alle leben wollen.
Eine lebenswerte Gesellschaft unter den Bedingungen digitaler Kommunikation zu erhalten, ist eine große Herausforderung. Sie erfordert vor allem, eine Balance zu finden. Eine Diskussion, in der Gegensätze gegeneinander ausgespielt werden, ist weder der Problemlage angemessen noch lösungsorientiert. Und doch scheinen Gegensätze eine begriffliche Sicherheit zu bieten, die vielen Menschen Halt gibt.

Spricht man vor einem Publikum über digitale Kommunikation, so fließt meist schon in der Einleitung ins Gespräch das Begriffspaar »digital natives« und »digital immigrants« ein. Seit Marc Prensky 2001 erstmals von dieser Gegenüberstellung sprach, werden dadurch Vorurteile zementiert, die sich wissenschaftlich kaum nachweisen lassen. So erwerben Jugendliche eben nicht alle autodidaktisch-spielerisch Kompetenzen im Umgang mit Neuen Medien, nur weil sie später geboren sind als ihre Eltern. Und älteren Menschen ist es nicht verwehrt, einen selbstverständlichen Umgang mit digitaler Technik zu erwerben. Entscheidend ist es, eine Mischung zu finden: Zwischen den spielerischen, automatischen Lernprozessen und dem bewussten Gestalten von Lernumgebungen, in denen dank Begleitung erfahrener Coaches Grundfertigkeiten sicher angeeignet werden können.
Eine ähnliche Perspektive ist bei vielen Debatten zu den Auswirkungen des Internets fruchtbar. Sei es die Abgrenzung von Privatsphäre und öffentlich zugänglichen Informationen, das Verhältnis von technischen Möglichkeiten und ihrer sozialen Umsetzung, zwischen dem Lebensraum von Jugendlichen und der Schule, der virtuellen Sphäre und der realen Umwelt oder einem individuellen Experimentieren und verbindlichen Standards: Jede Position, die nur einen dieser Pole als ideales Ziel anstrebt, verhärtet sich zu einer dogmatischen Lehre, die wenig dazu beiträgt, dass Probleme gelöst werden können.
Darüber nachzudenken, dass es enorm schwierig ist, wichtige Informationen vor dem Zugriff anderer zu schützen, oder dass Menschen Technik einsetzen, ohne zu wissen, wie sie das so tun, dass sie und ihre Mitmesnchen davon profitieren, ist oft enorm frustrierend. Und so bedeutet eine Balance zu finden meist, Kompromisse einzugehen, die weit von optimalen Lösungen entfernt sind. Aber sie sind besser, als Unmögliches zu fordern und damit Menschen zu überfordern.
Die Reflexion und das Gespräch über Technologie und ihre Auswirkungen sind unumgänglich. Sie sind aber nur dann ergiebig, wenn Menschen offen für andere Perspektiven und Wahrnehmungen sind. Jugendliche und ihre Lebenswelt bieten Erwachsenen Alternativen zu ihrer Sicht auf die Welt an. Das ist eine Chance, keine Provokation.