Porno-Filter: Ein Problem und eine Lösung

Die Digitalisierung der Medien und der Kommunikation bedeutet grundsätzlich, dass alle produzierten Inhalte für alle Teilnehmenden abrufbar sind. Also können auch Kinder und Jugendliche sich via Internet Bilder, Videos und Texte ansehen, vor denen sie ihre Eltern möglicherweise schützen wollen. Kurz: Es gibt heute keine Möglichkeit zu verhindern, dass Minderjährige Pornografie konsumieren.

Nun gibt es aber – ausgehend von einem Vorstoss von David Cameron in Großbritannien – Bestrebungen, das Internet zu filtern (auch in Deutschland und in der Schweiz). Konkret sieht ein Bildschirm, der den britischen Haushalten präsentiert wird, wohl so aus:

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Daran werden drei fundamentale Probleme deutlich:

  1. Es geht nicht allein um (harte) Pornografie, sondern eine Mischung von verschiedenen Inhalten und Anliegen.
  2. Die Filter, welche die Internet-Service-Provider auf der Basis eines Konzepts von Huawei entwickeln, können nicht funktionieren: Sie müssen nicht nur Pornografie blockieren, sondern auch Aufklärungsmaterial, sie werden nicht nur Seiten über Essstörungen, sondern auch solche von Ernährungsberaterinnen und -beratern blockieren und sie werden nicht nur den Zugang zu Werkzeugen blockieren, mit denen man die Filter umgehen könnte, sondern auch eine kritische Diskussion der Filter.
  3. Auch wenn die Filter Information in Bezug auf ihre Umgehung zu blockieren versuchen: Die Filter können umgangen werden. Selbst der chinesische Firewall, der umfassend blockiert, ist für Eingeweihte nicht wirkungsvoll.

Es ist keine Lösung, wenn die Regierung eines Landes starre und allgemeine Filterlisten konzipiert, die Inhalte aufgrund unklarer Kriterien blockieren – auch wenn das Anliegen von Eltern und pädagogisch Verantwortlichen, Kinder gewissen Inhalten nicht auszusetzen, verständlich ist.

Die Lösung ist aber naheliegend – wenn auch leicht komplizierter:

  1. Filterkompetenz ist eine Basiskompetenz in der heutigen Medienwelt. Kinder und Jugendliche müssen lernen und üben, wie sie ungewollte Inhalte ausblenden wollen und können.
  2. Eltern müssen das auch üben und lernen.
  3. Internet Service Provider sollen ermuntert werden, entsprechende Angebote zu machen, die individuell anpassbar sind: Fälschlicherweise blockierte Seiten müssen freischaltbar sein, feine Kategorien müssen angeboten werden.
  4. Angebote, mit denen Browser erweitert werden können, um Inhalte zu blockieren – für Chrome z.B. hier – und andere Angebote müssen bekannter werden.
  5. Über Pornografie und schädliche, unerwünschte Inhalte muss eine Diskussion laufen. Sie zu blockieren, ist für eine Gesellschaft keine Lösung.

So wichtig der Schutz von Kindern ist – er rechtfertigt nicht eine Einschränkung  der freien Meinungsäußerung. Sie ist ein Menschenrecht und gilt universell und unteilbar. Sie umfasst aber – in meiner Lesart – auch das Recht, Inhalte zu filtern. Genau so wie wir bestimmen können, welche Bücher in unseren Regalen stehen, genau so können wir bestimmen, welche Inhalte wir im Internet sehen können. Aber wir müssen lernen, wie.

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Wie soll man digitaler Überwachung begegnen?

Ich habe letzte Woche festgehalten, warum Überwachung ein Problem ist:

Überwachung ist falsch, weil sie verändert, wie wir alle handeln und wie wir alle entscheiden.

Überwachung von digitaler Kommunikation ist eine Realität. Wir werden nicht nur von Staaten (nicht nur von den USA, auch von China, Russland etc.), sondern auch von Unternehmen überwacht (Linktipp: Hier sieht man, wo unsere Daten hinreisen.). Welche Handlungsmöglichkeiten bleiben uns?

Nehmen wir der Einfachheit halber an, ein Detailhandelsunternehmen wollte überwachen, was wir einkaufen. Das Modell ist ziemlich realistisch: Es hilft zu verstehen, wie Überwachung funktioniert. Unser Unternehmen nutzt folgende Methoden:

  1. Karten für Bonusprogramme, mit denen man seine Einkäufe freiwillig registrieren lassen kann.
  2. Kameras, mit denen alle Kassen überwacht werden und die Gesichter der Einkaufenden gescannt.
  3. Befragungen von Freiwilligen über ihre Einkaufsgewohnheiten.
  4. Statistische Auswertungen von Verkäufen.
  5. Statistische Auswertungen von allen Daten, die mit i.-iv. erhoben werden können.

Welche Möglichkeiten haben wir nun, der Überwachung zu entgehen?

Supermarkt

(1) Verweigerung und Verzicht

Wir kaufen nicht mehr dort ein, weil wir nicht überwacht werden wollen. Was sind die Alternativen? Wir kaufen einfach nicht mehr ein, was wir nicht brauchen. (Übersetzt: Wir nutzen digitale Kommunikation so sparsam wie möglich.) Wir beginnen, Güter selber herzustellen, pflanzen Gemüse an und halten Tiere – aber ohne können wir nicht leben. (Übersetzt: Wir programmieren eigene Tools, die wir verstehen und ohne zentrale Infrastruktur nutzen können. Hier werden z.B. Alternativen zum Internet diskutiert.)

Allerdings sind wir nicht davor gefeit, dass die Personen, mit denen wir zusammenleben, einkaufen und so Informationen über uns preisgeben. Zudem fällt auch unser Wegbleiben aus den Supermärkten auf. Und eigentlich nehmen wir so den »Chilling Effect« der Überwachung vorweg: Wir ändern unser Verhalten radikal, weil es Überwachung gibt.

(2) Geschäfte ohne Überwachung vorziehen

Wenn ich auf den Wochenmarkt gehe, kann ich bar bezahlen und muss allenfalls damit rechnen, dass der Gemüsehändler oder die Fischfrau sich merken, was ich einkaufe. Große Datenauswertungen und Register gibt es aber keine. (Übersetzt: Dienste nutzen, die nicht routinemäßig überwachen und minimal mit Regierungen kooperieren. Hier gibt es eine Übersicht.)

Selbstverständlich bezahle ich auch hier einen Preis: Die Güter sind teurer und ihre Besorgung ist mit größerem Aufwand verbunden. Und selbst ohne mich können Supermarktketten Einkaufsprofile erstellen, die mich auch berücksichtigen – weil sie so gute Daten haben.

(3) Geheimhaltung und Trollen

Ich habe mehrere Bonuskarten für das Geschäft, in dem ich einkaufe. Recht zufällig verwende ich die eine oder die andere und schaffe so zwei Profile, die eine sinnvolle Auswertung erschweren. Es gibt eine Reihe von Massnahmen, die Überwachung erschweren und falsche Informationen verbreiten.

Gleichzeitig könnten wir beim Einkauf die Produkte abdecken und unser Gesicht hinter einer Maske verbergen. (Übersetzt: Verschlüsselungen einsetzen. Experte fefe dazu: »Das artet schnell in Arbeit aus, daher hat es sich noch nicht in der breiten Bevölkerung durchsetzen können.«)

(4) Tun, als ob nichts wäre

Diese Variante ziehen die meisten Menschen vor. Zwar finden sie Überwachung von Einkäufen nichts Schlimmes und weisen ihre Karte unter Umständen nicht vor, wenn sie gerade die billigen Hühnchen aus Ungarn kaufen oder die große Tube Gleitcrème. Aber sonst denken sie gar nicht drüber nach und sind froh, ab und zu ein paar Prozent sparen zu können.

So naiv diese Position erscheint, so berücksichtigt sie doch, dass es sehr viele Wege gibt, Menschen zu überwachen. Nur weil die Betreiberinnen und Betreiber eines Supermarkts weniger gut wissen, ob wir Bio-Produkte vorziehen oder Importbier trinken, heißt das nicht, dass unsere Nachbarinnen und Nachbarn das nicht wissen. (Übersetzt: Wir können zwar der Routineüberwachung im Internet entgehen, wissen aber nicht, ob unser Telefon abgehört wird, unsere Briefe gelesen werden und wir im öffentlichen Raum gefilmt werden.)

(5) Politik, Bildung und Abbau von Abhängigkeiten

Der letzte Weg ist der politische: Gesetze können verändert oder beeinflusst werden. Dieses Engagement ist sinnvollerweise mit Bildung und Aufklärung verbunden – aber auch mit einer Lokalisierung: Globale Lösungen führen oft zu Abhängigkeiten und zu Überwachung, weil Menschen einander nicht mehr kennen und sich als Sammlung von Daten wahrnehmen. Kleinräumige Lösungen kommen mit weniger Überwachung aus.

* * *

Was heißt das nun für die digitale Kommunikation? Mir scheint der Punkt (5) entscheidend. Ich kann einige Gebote befolgen, auf Google verzichten, eine Linux-Maschine verwenden, Emails verschlüsseln. Dabei bin ich aber auf viele andere Menschen angewiesen, die es mir vielleicht nicht gleich tun und so meine Daten weitergeben, ohne dass ich mich wehren kann.

Daher halte ich es sinnvoll, neben kleinen Troll-Aktionen zu verstehen, wie Überwachung funktioniert, darüber zu reden und mich dagegen zu wehren. Ganz einfach z.B. mit der Teilnahme an der Online-Petition gegen das neue Überwachungsgesetz BÜPF in der Schweiz.

Menschen in Social Media misstrauen

VerkehrIn Vorträgen und Interviews vergleiche ich das Internet immer wieder mit dem Straßenverkehr: Wir wissen, dass er gefährlich ist und Unfälle Kindern gravierenden Schaden zufügen. Und trotzdem haben wir Wege und Mittel gefunden, dass wir darauf vertrauen, dass Kinder den Schulweg alleine bewältigen können. Dasselbe sollte in Bezug aufs Internet das Ziel sein: Kinder und Jugendliche befähigen, das Internet alleine nutzen zu können.

Diese Woche haben zwei perfide Geschichten die Runde gemacht: Einerseits ein Pädophiler, der seine Übergriffe auf Facebook eingeleitet hat, indem er vorgegeben hat, eine junge Frau zu sein. So gelangte er an Nacktbilder von Kindern, die er dann als Druckmittel verwendet hat, um sie zu sexuellen Handlungen zu nötigen. Andererseits berichtet eine Frau auf ihrem Blog, wie sie sich in einem Mann verliebt hat, der ihr während Monaten vorgegaukelt hat, jemand zu sein, der er nicht war. Sie war nicht alleine: Der Betrüger hat mehrere Frauen mit der gleichen Masche missbraucht.

Der Gedanke, ein anderer Mensch könnte nicht der oder die sein, als der oder die er erscheint, ist uns nicht vertraut, er ist unheimlich und führt, wäre er ständig präsent, zu einer enormen Distanz zur Wirklichkeit und zu Schwierigkeiten, mit anderen Menschen Beziehungen eingehen zu können. Und während wir anderen Menschen im Alltag in die Augen schauen, schauen wir ihnen auf Social Media in die Augen von Profilbildern. Und diese Augen könnten die von jemand anderem sein.

Es ist nicht die Regel, dass Menschen auf Social Media vorgeben, jemand anderes zu sein und mit elaborierten Plänen andere Menschen missbrauchen oder nötigen. Es passiert wahrscheinlich ungefähr so häufig, wie Autofahrende bei Zebrastreifen auf ihr Handy schauen und ohne zu bremsen weiterfahren. Mit anderen Worten: Es ist eine Gefahr, auf die man Kinder und Jugendliche aufmerksam machen muss. Nicht die Regel, sondern die Ausnahme – aber eine, die man kennen sollte. Und mit Menschen auf Social Media interagieren, auch mit Unbekannten – aber anderen davon erzählen, sich nicht abschotten, ihnen nicht Informationen oder Bilder zukommen lassen, die man nicht auch mit Unbekannten auf der Strasse teilen würde.

(Zusatz: Kusanowsky hat hier weitere Beispiele gesammelt.)

Google Glass führt zu einer besseren Welt

Bildschirmfoto 2013-06-27 um 20.23.15Das ist Google Glass. Eine Brille mit einem Computer drin, ein Smartphone, das sich an den Kopf schnallen lässt. Und so fühlt es sich an:

Die problematischen Implikationen werden schnell klar: Während wir heute noch bemerken, wenn jemand das Handy zückt um unser Bild aufzunehmen, wissen wir das bei Menschen mit einem Brillensmartphone nicht mehr. »People who wear Google Glass in public are assholes«, befand Adrien Chen im März, den Begriff »Glasshole« für eine Person, die keine Rücksicht auf andere nimmt, gibts schon seit dem Januar dieses Jahres.

Google Glass führt also zu einer Welt, in der alles, was passiert, von jemandem aufgenommen werden kann und in einem völlig anderen Kontext weiterverwendet kann. Wir wissen nie, wann wir abgehört, gefilmt, fotografiert werden.

Aber, könnte man hier einwenden: Das wissen wir heute schon nicht. Amerikanische Städte werden zunehmend flächendeckend mit Mikrofonen ausgestattet, um präventiv Verbrechen verhindern zu können. Mehr und mehr Kameras überwachen öffentliche Verkehrsmittel, Strassen, Plätze, Geschäfte.

Überwachung, so würde ich axiomatisch festhalten, ist immer dann ein Problem, wenn sie nicht allen möglich ist. Unsere Sinne ermöglichen auch Überwachung: Aber alle nicht-behinderten Menschen haben Zugang zu denselben Möglichkeiten.

Google Glass gibt uns Möglichkeiten zurück. Natürlich: Zunächst privilegierten Männern, später dann denen, die es sich leisten können. Wenn wir alle die gleichen Möglichkeiten hätten, Kameras zu nutzen, so meine These, würden sie viel von ihrem Schrecken verlieren.

(Den Einwand, die Betreiber von CCTV-Kameras würden verantwortlich oder im Sinne des Rechts handeln, während bei Menschen mit Glass das nicht der Fall ist, halte ich für schwach.)

Banksy: One Nation under CCTV.
Banksy: One Nation under CCTV.

«Jugendliche sind weniger naiv, als wir denken» – Interview auf tagesanzeiger.ch

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Verändert sich das Lernen der Schüler durch die neuen Medien?
Sie bieten in erster Linie Alternativen. Ich habe gerade viele Schüler, welche sich für naturwissenschaftliche Fächer Tutorials auf Youtube anschauen. Dort sehen sie, dass es verschiedene Arten gibt, ein Phänomen zu erklären. Dass es verschiedene Lern- und Lehrtypen gibt und sie sich entscheiden können, was ihnen ganz persönlich besser liegt.
Das muss den meisten Schülern gefallen. Was sind Ihre Erfahrungen diesbezüglich?
Das Spektrum ist breit. Auf der einen Seite gibt es Schüler, die sich nicht besonders für neue Medien interessieren. Andere sind damit aufgewachsen, für sie ist das selbstverständlich. Das Schulische beschränkt sich für sie auf Prüfungen und Noten, das Lernen als solches können sie aber auch ohne Schule erledigen. Das wären die beiden Extrempositionen. Insgesamt beobachte ich eine gewisse Sättigung. Die Schüler mögen es auch, wenn sie einfach ein Arbeitsblatt bekommen und es mit einem Bleistift ausfüllen können.

In Interview mit Michèle Binswanger für tagesanzeiger.ch durfte ich über die Gefahr des Internets, die Nutzung digitaler Technologie durch Jugendliche und die Möglichkeiten für die Schule sprechen. Das ganze Interview findet sich hier.

Was tun bei digitalen Notfällen von Jugendlichen?

Es ist Wochenende. Im Internet ist etwas Schlimmes passiert, allenfalls Cybermobbing. Wohin sollen sich Eltern, Jugendliche und andere Beteiligte in der Schweiz wenden, um das Problem zu lösen und Beratung zu erhalten?

Hier eine kleine Liste mit den besten Angeboten – aktualisiert am 4. Juni 2013.

  1. Telefon 147 oder 147.ch: Das Beratungsangebot der Pro Juventute verweist an Fachstellen und berät im Telefongespräch oder per anonymem Chat. Zudem gibt es auf der Webseite umfangreiche Informationen und Listen mit Beratungsangeboten.
  2. Kantonspolizei: Sobald es um illegale Aktivitäten geht, ist die Polizei die erste Anlaufstellen, die auch am meisten Möglichkeiten hat, konkret etwas zu bewirken. Die Polizei ist auch im Internet zuständig.
  3. Aktuelle Angebotsdatenbank von Jugend und Medien: Die Datenbank vermittelt Beratungsangebote abgestimmt auf Alter, Wohnort und Thema.
  4. tschau.ch: E-Beratung für Jugendliche, die zudem viele schon beantwortete Fragen zu verschiedenen Themen zur Verfügung stellt.

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Social Media in der Schule – Chancen und Gefahren

Bildschirmfoto 2013-05-30 um 20.05.17Heute wurde ich im Regionaljournal Zürich/Schaffhausen von SRF 1 zu meinem Buch und zu Social Media in der Schule befragt. Der ganze Beitrag findet sich hier oder auf Soundcloud. Auf der Homepage heißt es:

Unter den Social Media hat Facebook bei Schülerinnen und Schülern wohl den höchsten Stellenwert. Für den Gymnasiallehrer Philippe Wampfler, der Deutsch und Philosophie unterrichtet, bietet diese Plattform eine gute Gelegenheit, um sich sprachlich klar auszudrücken. Oder auch, um zum Beispiel die Arbeit der Schule einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen.

 

Missverständnisse beim Beurteilen der Medienkompetenz Jugendlicher

Wer sich mit diesen Erstgeborenen der digitalen Welt unterhält, der merkt allerdings schnell, dass es mit der Medienkompetenz nicht so weit her ist. Die technischen Fähigkeiten auch der Gymnasiasten beschränken sich oft aufs Wischen, Tippen, Hochladen. Schutz der Privatsphäre? Nie gehört. Einfach einen Account eröffnet, und da kommen die Fotos und Nachrichten dann eben rein. Die inhaltliche Kompetenz ist oft ebenfalls gering. Welche Fertigkeiten solide Recherche verlangt, hat sich kaum herumgesprochen. Und der Sinn von Datenschutz ist Schülern meistens unklar: Wer sollte da draufgucken außer den Freunden? Sie sind entsetzt, wenn sie hören: Wenn du da den Namen deines Vereins angibst und schreibst, dass du jetzt gleich zum Training gehst, kann jeder wissen, an welcher Straßenecke du in zehn Minuten bist.

Mit dieser Einschätzung ist Florentine Fritzen nicht alleine. So sinnvoll ihre daraus resultierende Forderung ist, »den bewussten Umgang mit den Medien zu fördern«, so diffus ist der Befund an sich.

Wie ich in einer interessante Diskussion auf Facebook schon festgehalten habe, liegt das grundsätzliche Missverständnis in der Vermischung von drei Ebenen:

  1. Der Mediennutzung Jugendlicher, die sich von der Erwachsener schon immer unterschieden hat und weiterhin unterscheidet. 
  2. Dem Unterschied einer Perspektive einer analogen Medienwelt zu der einer digitalen.
  3. Vorhandensein oder Fehlen von Medienkompetenz.

Häufig wird aus den Punkten i. und ii. vorschnell auf iii. geschlossen, also kurz: Weil Jugendliche Medien wie Jugendliche nutzen und die Perspektive der analogen Medienwelt vertreten wird, kann man ableiten, dass Jugendlichen wichtige Kompetenzen fehlen. Im Text zeigt sich das bei »Schutz der Privatsphäre«, »inhaltliche Kompetenz«, »Recherche«, »Datenschutz«. Jugendliche gehen mit ihrer Privatsphäre und ihren Daten anders um als Erwachsene – das heißt nicht, dass sie nicht ein Bewusstsein für den Wert eines Schutzes hätten. Aber es ist für Jugendliche beispielsweise generell wichtig, von ihren Peers gesehen zu werden. Wenn ihnen Erwachsene nun vorhalten, damit könnten sie gesehen werden, dann ist das kein Einwand: Genau das beabsichtigen sie ja.

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Um Medienkompetenz Jugendlicher beurteilen zu können, muss klar sein, welche Ziele sie verfolgen und welche Instrumente sie nutzen wollen. Auch in prä-digitalen Zeiten haben Jugendliche Schund gelesen: Weil sie Schund lesen wollten. Problematisch ist das dann, wenn sie denken, der Schund böte hochwertige Informationen. Das meint wohl Medienkompetenz generell: Ziele und Mittel in ein Verhältnis setzen können und bewusste Entscheide fällen.

Diese Entscheide und Ziele müssen aber nicht die von Erwachsenen sein. Während Jugendliche viele Menschen kennen lernen wollen, ist ihren Erziehenden oft das Gegenteil wichtig.

Medienkompetenz fördern Erwachsene nicht, indem sie Jugendlichen vorschreiben, wie sie was tun sollen; sondern vielmehr, indem sie mit ihnen sprechen und sie anregen, darüber nachzudenken, was sie tun, warum sie es tun und wie zufrieden sie mit den Resultaten sind. Jugendmedienschutz beginnt mit Gesprächen (und endet auch oft da), das Fördern von Medienkompetenz auch. Echtes Interesse hilft mehr als strenge Vorschriften.

 

Social Media als Tod des Blick- und Körperkontakts

Social Media, so habe ich kürzlich auf einer Party gehört, bedeute das Ende des Blickkontakts. Anstatt Menschen in der Straßenbahn anzuschauen, fixierten heute Erwachsene nur noch ihre Smartphones. Dadurch verändere sich auch ihre Körperhaltung, sie seien nur noch gebückt anzutreffen.

Der Befund geht weiter – in ihrem Buch »Der unberührte Mensch« zeigen der Arzt Cem Ekmekcioglu und die Journalistin Anita Ericson nicht nur, dass Körperkontakt wichtig ist und sein Fehlen mit einer Reihe von physischen und psychischen Beschwerden und Krankheiten assoziiert werden kann, sondern mutmassen auch, dass er heute deshalb zu wenig häufig stattfinde, weil er durch »virtuelle Berührungen« ersetzt werde:

derStandard.at: Durch Social Media bekommen wir mehr denn je Einblick in das Leben von Personen, die wir zum Teil gar nicht so gut kennen. Sind Berührungsängste dadurch kleiner geworden?
Cem Ekmekcioglu: Das ist eine wesentliche Frage, die schwierig zu beantworten ist. Aber die virtuelle Berührung kann man nicht gleichsetzen mit tatsächlicher Berührung, mit persönlichen Treffen. Ich tendiere eher dazu zu sagen, dass echte Berührungen dadurch weniger werden.

Was ist von diesen Zusammenhängen und Befürchtungen zu halten? Ein guter Test für kulturpessimistische und technologiekritische Aussagen ist es, andere kulturelle Praktiken oder andere Formen von Technologie zu substituieren. Hat die Benutzung des Telefons zu weniger Körperkontakt geführt? Haben Menschen, die im öffentlichen Verkehr Bücher lesen, auch weniger Blickkontakt? Hat Fernsehen zu einer veränderten Körperhaltung geführt?

Crack Scull Bob beobachtet Menschen am Flughafen.
Crack Scull Bob beobachtet Menschen am Flughafen.

Die Antworten zeigen wohl folgende Aspekte auf:

  1. Technologie hat einen Einfluss auf den menschlichen Körper und das soziale Zusammenleben.
  2. Weder Blickkontakt noch eine bestimmte Haltung sind »natürlich«, sondern sie erweisen sich in bestimmten kulturellen und sozialen Konstellationen als sinnvoll. Körperkontakt kann als wohltuend erlebt werden, aber auch als Übergriff. Ihn als unersetzbar zu bezeichnen, leugnet die Möglichkeiten menschlicher Entwicklung. 
  3. Wandel führt zu einer Veränderung, die nicht lokal und kurzfristig gewertet werden kann.
  4. Smartphones bedeuten keine Revolution: Seit ich lesen kann, lese ich beim Warten, beim Gehen, beim transportiert Werden. Und ich bin nicht der einzige.
  5. Technologie bringt in der Reflexion immer auch eine bestimmte Nostalgie mit sich: Wir alle wünschen uns intensiven Blickkontakt mit interessanten Menschen oder Körperkontakt in der richtigen Situation mit den richtigen Personen. Die Denkfigur, ohne unsere Smartphones hätten wir all das, ist verführerisch – aber sie ist falsch. Auch vor zehn Jahren hätten wir über mangelnden Blick- und Körperkontakt geklagt.

 

16 Gründe gegen digitale Kommunikation

Das ist der zweite Teil von Gedanken zu meinem geplanten Re:Publica-Workshop. (Er wurde leider nicht berücksichtigt.) 

Ich liste hier Gründe auf, mit denen Menschen begründen, weshalb sie die Möglichkeiten digitaler Kommunikation nicht nutzen. Diese Gründe – so denke ich – könnten Aufschlüsse darüber geben, weshalb nur wenige Menschen das Potential des Internets nutzen. Die Idee verdanke ich Beat Döbeli, der hier Argumente gegen den Einsatz von ICT an Schulen gesammelt hat. Einige der Argumente sind diesem lesenswerten Blogpost entnommen, auf den mich Klaus Meschede hingewiesen hat. (Danke!)

  1. Im Internet breiten Menschen ihr Privatleben aus, das interessiert mich nicht
  2. Mein Privatleben geht niemanden etwas an, ich möchte meine Privatsphäre schützen.
  3. Social Media ist unpersönlich: Ich schaue Menschen gerne in die Augen, wenn ich mit ihnen rede.
  4. Dafür habe ich keine Zeit.
  5. Ich möchte nicht, dass jemand meine Fotos oder Texte stiehlt.
  6. Ich will nicht, dass meine Daten für Werbung verkauft werden.
  7. Das ist mir zu kompliziert, ich verstehe es ohnehin nicht.
  8. Ich bin nicht so der Multitasking-Typ.
  9. Früher hatten wir auch kein Internet, es ging auch ohne.
  10. Echte Informationen findet man nur in guten Zeitungen und Büchern.
  11. Gespräche im Internet sind oft gehässig und führen zu nichts.
  12. Ich mag es einfach nicht, vor dem Computer zu sitzen.
  13. Beziehungen im Internet sind oberflächlich und können gefährlich sein.
  14. Man weiß nie, ob Informationen im Internet stimmen oder nicht.
  15. Das Internet macht abhängig.
  16. Das Internet verändert unser Hirn und macht uns dumm.

Dont-Like

Sind das schlechte Gründe? Nein, keinesfalls. Aber sie hindern Menschen daran, die Vorteile zu nutzen, welche sich durch Internetkommunikation auch für sie ergäbe.

Über Ergänzungen zur Liste freue ich mich.