Unterrichtsprojekt: Brechts Verfremdungseffekt – Youtube und »bring your own device«

Im Folgenden möchte ich ganz knapp eine Unterrichtseinheit darstellen, die ich soeben durchgeführt und abgeschlossen habe. Ich werde ganz unten diskutieren, wie sich der Einsatz Neuer Medien ausgewirkt hat – wer sich nicht für eine Deutschlektion interessiert, müsste vielleicht gleich runterscrollen.

1. Die Deutschsequenz: Brecht, Jasager/Neinsager und episches Theater

Ziel der Einheit war eine Einführung in das literarische Schaffen Bertolt Brechts mit einer 10. Klasse (Gymnasium).

Nach einem biographischen Einstieg (Gedicht: »Vom armen B.B.« (1927), pdf) hat die Klasse die Schuloper »Jasager / Neinsager« gelesen (hier als pdf abrufbar). Brecht hat dieses Stück 1930 mit einer Klasse der Karl-Marx Schule Berlin diskutiert und aufgrund der Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler Änderungen vorgenommen.

Die Absicht Brechts kann sehr gut herausgearbeitet werden, wenn die Unterschiede zwischen Ja- und Neinsager-Teil präzise herausgearbeitet werden, das unten stehende Tafelbild ist nicht ganz optimal gelungen.

Parallel wurden die Schülerinnen und Schüler theoretisch mit dem epischen Theater Brechts vertraut gemacht (Theorieblatt als pdf). Die Strassenszene wurde in mehreren Versionen vorgespielt und diskutiert.

Nach der Herausarbeitung der Gesamtaussage des Stückes (siehe unten) erhielten die Schülerinnen und Schüler den Auftrag, mit ihren eigenen Smartphones eine Version des Stückes aufzunehmen.

Die improvisierte Aufnahme sollte dazu dienen, einen automatischen Verfremdungseffekt zu erzeugen. Die Ergebnisse wurden visioniert und diskutiert – mit dem Auftrag, zu überprüfen, ob Brechts Forderungen an das epische Theater eingehalten würden.

Dabei haben die Schülerinnen und Schüler »automatisch« stärker gespielt, als es nötig gewesen wäre – durch die improvisierten Aufnahmen ist aber nie die Illusion entstanden, ein echtes Geschehen vor sich zu haben. Highlights waren, als in den Aufnahmen eine Schülerin andere aufgefordert hat, sie müssten jetzt sagen, der Knabe solle dem Brauch gemäss antworten – also gerade den Zwang auch auf der Ebene des Spielens vorgeführt hat.

Man kann abschließend sagen, dass wohl erst die Auswertung, nicht das Spielen selbst Brechts Konzeption verständlich gemacht hat.

2. Der Einsatz von Neuen Medien

Die Videoaufnahmen mit den eigenen Smartphones gemäß der Idee von »Bring Your Own Device«hat erstaunlich gut geklappt. Es gab keine technischen Probleme: Die Akkus waren geladen, Speicherplatz vorhanden, die Qualität passend (in der Klasse verfügen viele über aktuelle iPhones und Samsung Galaxy-Geräte). Die Aufnahmen wurden in rund 60 Minuten eingespielt.

Die Aufnahmen wurden dann auf Youtube hochgeladen und auf der klasseneigenen Lore.com-Plattform zur Verfügung gestellt. Damit nicht alle die Videos anschauen können, wurden sie nicht gelistet.

Dieser praktische Aspekt (wie machen wir, dass niemand das Video sieht, und es doch im Netz abrufbar ist), wurden von den Schülerinnen und Schülern, die die Videos hochgeladen haben, ohne Schwierigkeiten gelöst. Einige haben zudem ihre Videos auf dem Computer oder Smartphones verbunden und leicht geschnitten.

Fazit: Darauf vertrauen, dass Schülerinnen und Schüler solche Aufgaben lösen können und ihnen konkrete Aufträge geben, funktioniert sehr gut auf dieser Stufe – ich werde das wieder machen.

Konsequenzen der digitalen Revolution – zwei Artikel von Mindshift

Im letzten Blogpost habe ich auf den Mindshift-Blog verwiesen, wo die Journalistin Tina Barseghian die (technologische) Zukunft der Lernens erforscht. Im folgenden werde ich die Aussagen von zwei lesenswerten Artikeln zusammenfassen und knapp kommentieren:

  1. Is Peer Input as Important as Content for Online Learning? (Nathan Maton)
    Ist im Online-Lernen der Input von Peers gleich wichtig wie der Lerninhalt?
  2. Amidst a Mobile Revolution in Schools, Will Old Teaching Tactics Work? (Tina Barseghian)
    Werden sich alte Lehrstrategien trotz der mobilen Revolution erhalten?
Screenshot Mindshift.

Die Grundvoraussetzungen sind klar: Inhalte im Internet können auf mobilen Geräten überall und jederzeit angesehen werden. Dieser Fluss von Informationen bedeutet grundsätzlich, dass die Schule nicht mehr die primäre Aufgabe hat, diese Informationen zur Verfügung zu stellen – z.B. als Wissen von Lehrpersonen oder in Form von Unterrichtsmaterialien.

Digitales Lernen findet, wie auch traditionelle Lernformen, auf fünf Standbeinen statt:

  • Lerninhalte
  • Lernmethoden
  • Lerngemeinschaft
  • Institutionalisierung und Anerkennung von Lernerfolgen
  • Technologien und Medien des Lernens

Die »Revolution« betrifft diesen fünften Punkt. Werden die Medien digital, so ist es viel einfacher als bisher, Kopien anzufertigen. Anders gesagt: Lerninhalte kosten nichts mehr – z.B. OER.

Daran schließen sich grundsätzlich vier Fragen an:

  1. Mit welchen pädagogischen Mitteln sollen und können die Vorteile des digitalen Lernens genutzt werden?
  2. Wie organisiert man Gemeinschaften, in denen diese Inhalte erlernt werden können?
  3. Wie erfolgt die Anerkennung von Lernerfolgen im digitalen Lernen?
  4. Mit welchen Technologien sollen digitale Inhalte abgerufen und bearbeitet werden?

Wie wichtig Punkt ii. ist, zeigt ein Zitat von Philipp Schmidt, der die Gratis-Online-Universität P2PU gegründet hat:

The things I care most about is collaborative skills, are you a good communicator, can you get stuff done? I think that’s the number one thing that isn’t being assessed anywhere that is super important. That’s what you ask when someone wants a job from you: do they get stuff done.
[Übersetzung phw] Ich interessiere mich am meisten für Kompetenzen im Bereich der Zusammenarbeit: Kannst du kommunizieren? Kannst du Aufgaben erledigen? Das ist die wichtigste Fähigkeit, die von allen verlangt wird. Wenn jemand angestellt werden soll, geht es genau darum: Kann die Person Aufgaben erledigen?

Punkt i. hingegen ist der Gegenstand von Barseghians Post. Ihre Forderung ist klar und wurde auf diesem Blog schon mehrfach wiederholt: Technologie verfügbar zu haben ist nur dann hilfreich, wenn es auch effiziente Methoden gibt, sie für pädagogische Zwecke einzusetzen. Zudem müssen digitale Geräte so zugänglich gemacht werden, dass sich privates und schulisches Lernen vermischt. Barseghians und ihre Gewährsleute skizzieren eine Learning-By-Doing-Mentalität, die durch Hilfsmittel wie Smartphones und iPads gefördert werden kann.

Abschließend ein Zitat von Shelley Pasnik, der Leiterin des Center For Childern & Technology:

That’s where the pedagogical practice comes to play, a thoughtful use of tool sets. Having the apps sitting on your phone on your desk in and of itself isn’t going to make you smarter, and it won’t make the classroom more anything. It’s what you do with it, and how it’s supported, how teachers and students know to learn, to use those tools. It’s part of a complex nature of learning.
[Übersetzung phw]: Das ist der Punkt, wo die pädagogische Praxis relevant wird: Ein durchdachter Einsatz von Werkzeugen. Nur Apps auf seinem Telefon zu haben macht niemanden schlauer und es verbessert auch die Erfahrung im Klassenzimmer in keiner Hinsicht. Es kommt darauf an, was man mit den Geräten und den Apps macht und wie dieses Handeln unterstützt wird, wie Lehrpersonen und SchülerInnen ihr Lernen und ihren Einsatz von Hilfsmitteln verstehen. Es ist ein Teil der komplexen Natur des Lernens.

Lehrpersonen müssen dazulernen – wie sich Bildung wandelt

Konrad Fischer und Max Haerder haben für die Wirtschaftswoche einen längeren Artikel über die Herausforderungen der Digitalisierung der Bildungslandschaft verfasst. Er kann auf karriere.de online abgerufen werden.

Der entscheidende Punkt: Die Digitalisierung der Schule ist nicht mit Sicherheit der Unterrichtsqualität dienlich. Empfehlenswert sind Modelle, bei denen Schülerinnen und Schüler Tablet-Computer wie iPads als persönliche Geräte ausgehändigt bekommen, die sie auch privat uneingeschränkt nutzen können.

Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • In Deutschland (und auch in der Schweiz) hat bisher auf technologische Innovationen im Sinne des Schweinezyklus‚ reagiert: Man hat eine Innovation so lange ignoriert, bis man sie nicht mehr ignorieren konnte – sie damit aber auch verpasst.
  • Der Einsatz digitaler Medien in der Schule scheitert oft an Kleinigkeiten: Z.B. am Aufwand, der die Reservation der Laptops, die Wartung der Geräte und der Umgang mit ungeplanten Störungen mit sich bringt.
  • Das Problem liegt auch in einem Paradox der Didaktik: »Anstatt die Schüler auf ihre eigene Zukunft vorzubereiten, bekommen sie die Vergangenheit ihrer Lehrer vermittelt.«
  • Unterricht über Neue Medien fokussiert zu stark auf Gefahren von neuen Medien, nimmt Chancen zu wenig in den Blick.
  • Es besteht die realistische Möglichkeit, dass Tablets (z.B. iPads) und digitale Schulbücher einen umfassenden Medienwandel in der Schule auslösen.
  • Der Einsatz von digitalen Lehrmitteln könnte große Kosteneinsparungen bringen und auch innovativen Kleinprojekten eine Chance auf Unterrichtseinsatz bieten.
  • Der didaktische Nutzen des Einsatzes von Tablets – hier ein Blog mit Beispielen – ist umstritten:
    Als Vorteile werden stärker kollaboratives Arbeiten sowie höhere Effizienz genannt; diese Vorteile können jedoch (noch?) nicht nachgewiesen werden.
  • Vorgeschlagen wird ein Modell, bei dem die Schülerinnen und Schüler die Geräte auch privat nutzen können. Sie geben dann mehr acht auf die Geräte und verbinden privates und schulisches Lernen.
  • Auch die Bilanz von Whiteboards ist durchzogen: »Wer es gut einsetzt, kann damit guten Unterricht ein Stück besser machen, schlechter Unterricht wird schlecht bleiben«, sagt Medienpädagoge Stefan Aufenanger.
  • Die technische Aufrüstung birgt die Gefahr des Abbaus von Stellen und damit einer Senkung der Unterrichtsqualität, wie sich in den USA zeigt.
  • Technische Neuerungen werden immer auch von Lobbys und Interessenverbänden der Industrie gefordert, die ein Interesse daran haben, Geräte zu verkaufen.
  • Der Schluss des Artikels: »Lehrer protestieren gegen weitere Investitionen in Technik, neulich hat die „New York Times“ eine Waldorf-Schule im Silicon Valley aufgetan, die besonders bei Kindern von IT-Angestellten beliebt ist. Der Grund: Es herrscht absolutes Bildschirmverbot.«

Schulbücher öffentlich zugänglich machen – Das Beispiel Polen

Wie Nowoczesnapolska.org.pl berichtet, führt eine Kooperation zwischen verschiedenen Regierungsstellen und NGOs in Polen dazu, dass die Schulbücher für die 4. bis 6. Klasse unter einer Creative Commons BY-Lizenz veröffentlicht werden. Das heißt, die Lehrmittel dürfen z.B. frei kopiert, angepasst und überarbeitet werden. Das ermöglicht auch ihre Verbreitung im Internet. Polen hat dafür 15 Millionen Dollar ausgegeben.
Im Text heißt es:

Using educational materials in a free and unrestricted way is more than crucial for effective educational system. We believe that a right to use, re-use, improve and adapt human knowledge to one’s needs is just one of the basic human rights. We are very pleased that Polish government now sees the problem of access and right to use educational resources as its own responsibility.

Polen tut damit, was bei der Erstellung von öffentlich finanzierten Inhalten die Regel sein sollte: Sie uneingeschränkt öffentlich verfügbar und verbreitbar machen.

Forderungen zur »Digitalen Wende« an den Schulen

Im Digilern-Blog Lutz Berger und Martin Lindner (Wissmuth) werden die 2012 in Ottobrunn bei München aufgestellten Forderungen für einen aufgeschlossenen Umgang der Schulen mit digitalen Technologien zusammengefasst. Ich raffe hier zusätzlich und stelle nur Kernaussagen dar und erlaube mir, einige Formulierungen zu übernehmen:

  1. Die »Digitale Wende« kann nicht von oben, also top-down, geplant und vollzogen werden, sondern muss unter Mitwirkung der Leute erfolgen, die Erfahrungen mit »Lernen im Netz« haben.
  2. Die gezielte Förderung von Eigeninitativen, die Freistellung von Pionieren, die Förderung von Netzwerken und »Zellen« engagierter Lehrerinnen und Lehrern ist von großer Bedeutung.
  3. Die Selbständigkeit der Schulen stärken. Zuerst einmal muss man da gezielt fördern, wo sich Eigeninitiative regt.
  4. Netzwerke an Schulen müssen mit den Technologien und Praktiken von Web 2.0 operieren.
  5. Lernen im Netz und mit dem Netz führt zu einer anderen Didaktik: weniger Frontalunterricht, mehr Projektlernen, mehr selbstgesteuerte Aktivitäten einzelner Schülerinnen und Schüler.
  6. »Digitales (Netz-)Lernen« setzt notwendig das Sammeln, Anreichern und Teilen von selbst produzierten Inhalten und Materialien voraus. Das Prinzip ist es, Inhalte nicht redaktionell vorab auszuschließen, sondern durch einen gemeinsamen Prozess aus einem möglichst großen Pool heraus zu verbessern und zu filtern.
  7. Nötig ist darum die Förderung der Initiativen für Freie Bildungsmedien, so genannten Open Educational Ressources (OER), die von netzerfahrenen Lehrpersonen ausgehen.
  8. Schulen können »Präsenzlernen« und »Netzlernen« unterschieden: Nicht alle Lernprozesse müssen vor Ort stattfinden. Damit können lange Schulwege vermieden und unter Umständen in Gemeinde kleinere Lerngemeinschaften etabliert werden, welche das Netz nutzen.