Lernen von Leistung trennen

In einem lesenswerten Blogpost fordert David Didau in Bezug auf schulisches Lernen zwei Dinge:

  1. Lernen muss von (messbarer) Leistung getrennt werden
  2. Lernen muss schwieriger werden.

Im Folgenden werde ich seine Schlüsselideen skizzieren und kommentieren.

(1) Der Mythos von Input und Output

Didaus Argumentation geht von einem Bild aus, das er als falsch bezeichnet. Er bezieht sich auf Statistik aus Hatties Visible Learning, die in einem standardisierten Test untersucht hat, wie viele »Items« von höchstens zwei Lernenden in einem Schulzimmer gelernt wurden. Antwort: 45-85%. D.h. im besten Fall lernen mehr als zwei Schülerinnen und Schüler rund Hälfte von dem, was unterrichtet wird.

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Lehrerinnen und Lehrer vergessen, dass Lernen kompliziert und undurchschaubar ist. Sie konzentrieren sich auf ihre Bemühungen und auf die Resultate von Prüfungen und denken, didaktische Anstrengungen seien ausschlaggebend für Resultate in den Prüfungen. Dabei vergessen sie aber zwei weitere Welten, die Lernende stark beeinflussen: Ihr privates Umfeld und den Einfluss anderer Jugendlicher, der so genannten Peers.

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In der Grundschule erhalten Schülerinnen und Schüler 80% ihres Feedbacks von Peers, von diesem Feedback ist wiederum 80% unbrauchbar.

(2) Leistung und Lernen

Leistung ist messbar, Lernen nicht. Diese einfache Einsicht wird schnell vergessen. Betrachtet man aber Hinweise, die Lehrpersonen Schülerinnen und Schülern in Bezug auf Lernen geben, so handelt es sich mehr um Verhaltensweisen denn um Lerntechniken. Lernende werden konditioniert – erfüllen sie gewisse Kriterien, erhalten sie gute Resultate in Tests. Das heißt aber nicht, dass sie etwas gelernt hätten.

Lernen erfolgt an der Grenze von Chaos und Kontrolle. So kann es sein, dass sich eine Leistung verbessert, ohne dass eine Schülerin etwas gelernt hätte, und es kann auch sein, dass ein Schüler etwas lernt, ohne dass sich seine Leistung verbessert.

(3) Was tun? 

Didaus Post schlägt zwei Orientierungsmöglichkeiten vor:

  • Leistungsorientierter Unterricht hält für Lernende klare Hinweise bereit, wie sie lernen können, ist vorhersehbar und enthält immer dieselben Abläufe. Es ist allen klar, was zu erwarten ist – sowohl im Unterricht wie auch bei Prüfungen -, und das wird intensiv geübt.
  • Lernorientierter Unterricht schafft möglichst viele Variationen. Medien, Räume, zeitliche Gefässe ändern sich ständig. Lernen wird unbequemer und schwieriger und gerade dadurch in Gang gesetzt.

Das Ziel bei lernorientiertem Unterricht ist eine Steigerung der Verarbeitungstiefe des Materials. Es wird nicht so präsentiert, dass es möglichst einfach verarbeitet werden kann, sondern schon die Verarbeitung fordert die Lernenden heraus.

Screen-Shot-2013-06-10-at-18.12.50-1up1m42Didau bezieht sich auf ein Konzept von Robert A. Bjork, der zwei Gedächtnisleistungen unterscheidet: Die Fähigkeit, Informationen zu speichern, und die Fähigkeit, gespeicherte Informationen abzurufen. Unsere Adresse, an der wir früher gewohnt haben, haben wir tief in unserem Gedächtnis gespeichert, rufen sie aber selten ab. Die neue Adresse unserer besten Freundin rufen wir oft ab, sie ist aber noch nicht tief in unserem Gedächtnis verankert.

Die grundsätzliche Aussage ist nun die: Leistungsmessungen beziehen sich nur auf die »retrieval strength«, also auf das Abrufen von Informationen. Dabei wird ignoriert, wie wichtig es wäre, Informationen so zu speichern, dass sie nicht vergessen gehen.

Konkret heißt das:

  1. Lernen darf nicht in Einheiten erfolgen, sondern in regelmäßigen Abständen.
  2. Erfolgreiches Lernen bringt Lernende dazu, Informationen selbst zu generieren statt sie nur zu konsumieren.
  3. Themen abwechseln statt in Blöcken zusammenzufassen.
  4. Häufige Tests mit geringem Risiko für Lernende, aber vielen Varianten und Schwierigkeiten.
  5. Feedback reduzieren. Positives Feedback macht Lernende abhängig und kann den Lernprozess verlangsamen (weil alle auf Feedback warten).

Diese fünf Schwierigkeiten scheinen die Leistungen zu senken. Sie sind nicht intuitiv und fühlen sich oft falsch an, sie bewähren sich aber, wenn man wissenschaftlichen Untersuchungen vertraut.

Es lohnt sich, mit Lernenden darüber zu sprechen, warum Lernprozesse schwieriger sein sollten und nicht einfacher. Das leistungsorientierte Modell scheint professioneller zu sein und befriedigender für Schülerinnen und Schüler, welche sich an die entsprechenden Verhaltensweisen anpassen. Es führt aber zu weniger nachhaltigem Lernen.

Hier die Folien von Didau: