Kinder auf Social Media

Dieser Post hat zwei Teile: Zuerst möchte ich eine Diskussion nachzeichnen, die sich auf Twitter in den letzten Wochen abgespielt hat. Dann allgemein diskutieren, ob und wie Kinder auf Social Media präsent sein sollen.

Barbara und Mike Schwede sind in der Schweizer Social Media Szene bekannte Figuren. Ihre Expertise wird geschätzt, sie verdienen nicht nur ihr Geld mit Social Media sondern schulen auch andere Leute in der Benutzung neuer Tools. Zwei der drei Kinder von Barbara und Mike haben ein Twitter-Profil:

Die Schwedes haben – das eine erste Beobachtung – offenbar kein Problem damit, dass ihre Kinder mit Name (Vor- und Nachname lassen sich erschließen) und Fotos im Netz präsent sind (vgl. meinen Artikel dazu), sie stellen auch selbst Kinderfotos ins Netz.

Aufgrund der gesteigerten Aktivitäten der beiden Accounts gab es auf Twitter nachfragen, ich selber habe per Mail auch einige Fragen gestellt. Aus den Replys der Eltern versuche ich, ihre Haltung zu rekonstruieren:

  1. Die Eltern managen die Konten teilweise.
  2. Die Aktivitäten dienen dem Aufbau der Kompetenz.
  3. Hauptmotive der Kinder sind aber »Spass« und »ausprobieren« (vgl. auch hier).
  4. Die Eltern begleiten die Aktivität durch Monitoring, Gespräche und Instruktion.
  5. Sie überwachen sie aber nicht: »Überwachen fördert Misstrauen, Unselbständigkeit[] macht [s]chwach und gefährdet Kinder.«
  6. Es gelten »klare Regeln«:
    a) »keine DMs an Unbekannte, alle empfangen DMs von Unbekannten Eltern zeigen«
    b) »Following und Follower werden von Eltern regelmässig überprüft«
    c) »Twittern im Wohnzimmer«
    d) Keine privaten Informationen publizieren.

* * *

Wenn man über so genannt »neue Medien« nachdenkt, halte ich es für sinnvoll, sich die Praktiken im Umgang mit etablierten medialen Formen vor Augen zu halten. Alle, die das lesen, haben wohl in ihrer Kindheit gelernt, mit Telefon und Briefpost umzugehen. Die meisten Eltern haben dabei Medienkompetenz ähnlich herbeigeführt, wie das die Schwedes tun: Wenn Kinder Lust haben, Briefe zu schrieben oder zu telefonieren, dürfen sie damit beginnen. Sie werden von den Eltern dabei begleitet, sie zeigen ihnen, wie man eine Nummer einstellt, sich am Telefon meldet, eine Adresse schreibt, Briefmarken aufklebt etc. Schnell können auch gewisse Freiheiten gewährt werden: Kinder können mit der Oma telefonieren, ohne dass die Eltern zuhören; sie dürfen ihren Brieffreundinnen und Brieffreunden auch etwas schreiben, was die Eltern nicht durchlesen.

Es gibt aber zwei Gründe, die dafür sprechen, dass Internetkommunikation leicht anders gehandhabt wird:

  1. Die Öffentlichkeit.
  2. Die Permanenz.

In einem aufschlussreichen Vortrag hat danah boyd vom »unsichtbaren Publikum« gesprochen. Man weiß nicht, wer liest, was Kinder auf ihren Twitter-Konten schreiben. Im Normalfall lesen das wenige, die nicht besonders stark daran interessiert sind. Es könnte aber plötzlich an einem Tweet, einem Bild, einem Konto ein so großes Interesse aufkommen, das niemand das vorhersehen könnte – und zwar, aufgrund der Permanenz, auch zu einem unerwarteten Zeitpunkt. Mike Schwede selbst ist Experte darin, auch gelöschte Tweets wieder aufzufinden.

Konkret heißt das: Wenn Kinder auf Social Media aktiv sind, dann können Eltern nicht wirksam sicherstellen, mit wem sie in Kontakt treten, von welchen Menschen ihre Statements, Bilder, Video etc. gelesen werden und in welchem Kontext sie auftauchen. Das ist der konkrete Unterschied zu Telefongesprächen oder Briefen: Im schlimmsten Fall wird man von einer Unbekannten angerufen oder der eigene Brief wird von jemand Unbekanntem gelesen. Auf Twitter kann jede Aussage, jedes Bild in einen anderen Kontext verschoben werden und von einem Massenpublikum belacht, bestaunt, bewundert werden.

Noch eine weitere Bemerkung zur Medienkompetenz: Nutzung ist immer an Reflexion und Wissen über Medien gekoppelt – anders kann keine Kompetenz entstehen. Ob 8- bzw. 9-Jährige genug über Twitter wissen können und ihre eigene Nutzung reflektieren können, darf zumindest bezweifelt werden. Die Nutzung alleine führt nicht zu Kompetenz, es muss auch möglich sein, schrittweise die Verantwortung für sein Medienhandeln zu übernehmen. Generell bezweifle ich aus Lehrersicht, dass Nutzung um der Nutzung willen zu Kompetenz führt. Sinnvoll ist Mediennutzung dann, wenn sie mit einer konkreten Absicht (nicht »Spass« oder »ausprobieren«) gekoppelt ist: Also z.B. der Kommunikation mit den Großeltern.

Daher meine Empfehlungen an Eltern:

  1. Kein generelles Social Media-Verbot, wenn Kinder den Wunsch danach äußern.
  2. Kinder werden nicht notwendigerweise kompetenter in Mediennutzung, wenn sie früher damit beginnen.
  3. Nicht zulassen, wobei man sich als Eltern nicht wohl fühlt.
  4. Kinder dazu anhalten, zunächst einfach mal zuzusehen und dann bei den Eltern mitzumachen.
  5. Keine Bilder, auf denen Kinder zu erkennen sind, keine Namen, keine Orte. Die seltsame Nachbarin oder der Mann im Mantel von der Bushaltestelle sind beide auch auf Twitter.
  6. Social Media zunächst gezielt und innerhalb eines kleinen Bekanntenkreises einsetzen (möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit): Z.B. Onkel, Tanten, Großeltern.
  7. Den Kindern dabei helfen, verantwortungsvoll und reflektiert zu handeln.

Kinderfotos auf Social Media

Das bin ich. Als ich sieben war, wurde ich von Bienen gestochen. Meine Augen schwollen zu. Meine Eltern machten ein Bild, das Bild klebten sie in ein Fotoalbum. Als ich es vor drei Jahren durchsah, digitalisierte ich das Bild und publizierte es auf meiner Facebook-Seite.

Heute würden viele Eltern das Bild direkt ins Internet laden – ihren Freunden zeigen, wie lustig ihre Kinder aussehen, wie süss, wie unbeholfen. Einige tun es direkt aus dem Kreißsaal und dann sehr regelmäßig, z.B. auf einem speziellen Blog – andere sehr zurückhaltend oder fast nie. Und doch gibt es auch von diesen Kindern viele Bilder im Netz: Z.B. werden sie von Krankenhäusern wie dem Triemli-Spital in Zürich ins Netz gestellt und auch während Jahren archiviert.

Wo liegt das Problem? Wer fotografiert wird, hat das Recht am eigenen Bild. Es bedeutet, vereinfacht gesagt, dass fotografierte Personen bestimmen dürfen, wie und ob ihr Bild veröffentlich wird – außer, man befindet sich an einem Anlass, wo man gerechnet werden muss, dass Bilder gemacht und publiziert werden, oder man ist eine Person, an der ein sehr starkes öffentliches Interesse besteht. Genauer habe ich das für Social Media hier dargelegt, interessant ist auch dieser Text aus dem NZZ Folio.

Kinder haben auch ein Recht am eigenen Bild. Art. 301 ZGB besagt:

Die Eltern leiten im Blick auf das Wohl des Kindes seine Pflege und Erziehung und treffen unter Vorbehalt seiner eigenen Handlungsfähigkeit die nötigen Entscheidungen.

Kinder können nicht darüber entscheiden, wo und wie ihre Bilder publiziert werden sollen – also übernehmen die Eltern diese Entscheidung. Das ist die gängige Praxis. Nun gibt es aber einen grundlegenden Konflikt, der analog auch in der Debatte um die Beschneidung von Knaben aufscheint: Die Interessen der Eltern – ein Bild zu publizieren, weil sie ihren Nachwuchs präsentieren wollen – kollidieren mit dem Recht des Kindes an seinen eigenen Bildern.

Für die Kinderlobby Schweiz formuliert Daniel Goldberg ein wichtiges Prinzip:

Das Ausmass der Fremdbestimmung möglichst klein und die künftige Selbstbestimmung möglichst offen zu behalten.

Gerade darum geht es auch bei der Publikation von scheinbar harmlosen Bildern: Es ist unklar, wie sich das Kind entwickelt. Vielleicht wird es durch einen Unfall behindert. Vielleicht ändert es seine sexuelle Orientierung. Vielleicht wird es eine öffentliche Figur. Der Punkt ist: Eltern können nicht wissen, welche Interessen ein Kind haben wird und welche Bilder es von sich publizieren will. Es gibt nichts, was hier zu einer Güterabwägung führen könnte: Das Interesse der Eltern, Bilder ihrer Kinder zu publizieren, ist sicher weniger stark als das Recht der Kinder.

Das Fazit ist ganz einfach: Keine Bilder von Kindern im Internet öffentlich verfügbar machen. Das fordert eine Initiative auf Facebook bereits seit längerem. Sind die Kinder Teil eines größeren öffentlichen Anlasses und als einzelne nicht identifizierbar, mag das eine Ausnahme sein. Ansonsten sehe ich aber nicht, warum man diesen Grundsatz verletzen würde. Ich freue mich aber über eine Diskussion in den Kommentaren.

Vorstellung: MinorMonitor. Kinder auf Facebook überwachen.

Mit verschiedenen Tools können die online- und offline-Aktivitäten von Kindern am Computer überwacht werden (das Apple Betriebssystem OS X ermöglicht es Eltern sogar, festzulegen, welche Wörter im Wörterbuch ausgeblendet werden sollen). Diese Überwachungskultur gedeiht insbesondere in den USA, wo insbesondere religiöse Kreise daran interessiert sind, gewisse Inhalte von ihren Kindern fernzuhalten – sie aber dennoch in der Nutzung von Neuen Medien schulen möchten.

Meine Empfehlung wäre, solche Tools immer transparent einzusetzen: Kinder also zu informieren, dass ihre Aktivitäten überwacht werden, dass die Eltern sehen können, welche Seiten sie besucht haben, welche Suchanfragen sie verwendet haben, was sie auf Facebook geschrieben haben. Transparent sollte ebenfalls sein, was die Eltern von Kindern erwarten, wenn sie auf Facebook oder im Netz aktiv sind.

MinorMonitor erfordert, dass man sich mit dem Facebook-Account des Kindes einloggen kann, das man überwachen möchte. Das Tool ist gratis und erfordert keine Installation von Software, man muss sich aber registrieren, um es nutzen zu können.

Man sieht an den folgenden Beispielen, dass das Tool nur in Bezug auf die Verwendung der englischen Sprache einen Sinne ergibt. Es durchleuchtet nach bestimmten Kriterien sämtliche Bilder, Kommentare und Freunde (dort achtet das Tool z.B. auf das angegebene Alter). [Die Bilder werden größer, wenn man draufklickt.]


MinorMonitor hat zur Werbung für den Dienst eine hübsche Infografik erstellt, die wiederum die Situation in den USA wiedergibt. Die Grafik zeigt insbesondere, dass sehr junge Kinder schon auf FB aktiv sind und dass Eltern verschiedene Methoden verwenden, um ihre Konten zu überwachen (z.B. werden sie ihre FB-Freunde).