Vor- und Nachteile des Experten-Daseins

Heute werde ich in 20 Minuten, einer Schweizer Gratiszeitung, mit Aussagen zum vermeintlichen Trend zitiert, dass fremde Menschen im öffentlichen Raum fotografiert und bloßgestellt werden. Ich habe gestern mit der verantwortlichen Journalistin kurz telefoniert und konnte dann meine Zitate gegenlesen. Das funktionierte alles, wie es sollte.

Aber schon beim Gespräch und beim Gegenlesen erfasste mich leichtes Unbehagen. Erstens wird hier etwas zu einem Trend gemacht, wofür es keine empirische Basis gibt. Seit Kameraphones verbreitet sind, gibt es Menschen, welche das Recht am eigenen Bild bei anderen missachten, oft auch im öffentlichen Verkehr.

Ich versuchte, das Phänomen auf drei Arten einzuordnen:

  1. Ich erklärte, dass es sich dabei um eine moralisch kaum vertretbare und juristisch zweifelhafte Vorgehensweise handle, die ich für übergriffig und verletzend halte.
  2. Ich verband sie mit der Überwachung des öffentlichen Raums und interpretierte sie als eine private Reaktion darauf, dass der Staat und Unternehmen im Namen der Sicherheit Videos und Bilder von uns anfertigen, ohne dass wir damit einverstanden sein müssen.
  3. Ich wies auf Beispiele von politischen Bewegungen wie »Breitmachmacker« hin, die solche Methoden als Widerstand verwendeten.

Waren im von mir gegengelesenen Text 1. und 3. vertreten, fiel 2. – meiner Meinung nach der interessanteste Aspekt – völlig weg. Der publizierte Texte spitzte meine Argumente noch einmal zu: Dramatische Tendenz hier, Experte mit klaren Worten da.

Im Schnitt werde ich jeden Monat ein oder zwei Mal zu solchen Phänomenen befragt und kenne die Abläufe. Mir ist bewusst, dass den Zielgruppen keine differenzierte Analyse zugemutet wird. Die Präsenz in reichweitenstarken Medien wertet mich als Fachmann paradoxerweise auch dann auf, wenn die getätigten Aussagen von jedem denkenden Menschen stammen könnten und Expertenwissen dafür keine Voraussetzung ist. Das Dilemma ist wohl kaum aufzulösen: Entweder den Platz jemand anderem überlassen und auf eigenen Plattformen – wie hier – für interessierte Lesende differenziert argumentieren, oder eingespannt zu werden für einen Text, der nur pointiert Wirkung entfaltet.

Über Tipps in den Kommentaren würde ich mich freuen!

Aus Marc Steffen und Philippe Wampfler wurde ein Experte.
Aus Marc Steffen und Philippe Wampfler wurde ein Experte.

Die Präventionsarbeit der Kantonspolizei Basel-Stadt

Ich habe schon einmal darüber berichtet, dass es im Kanton Basel-Stadt (Schweiz) die Aufgabe der Polizei ist, »Kinder und Jugendliche bei einem selbstständigen, kritischen und verantwortungsbewussten Umgang mit den neuen Medien zu unterstützen«.

Dafür hat die Kantonspolizei – genauer: die Präventionspolizei – sogar ein eigenes Facebook-Profil erstellt:

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Dort publizierte sie auch eine Umfrage zum Littering-Verhalten der Jugendlichen:

Auszug aus der Umfrage.
Auszug aus der Umfrage.

Wie 20Minuten und die bz berichten, kam es dabei zu einem peinlichen Problem: Die Antworten der Teilnehmenden erschienen auf deren Facebook-Chronik, waren also für all ihre Kontakte oder sogar für die Öffentlichkeit einsehbar. Damit wurden, so die Zeitungstitel, die Jugendlichen wegen Littering »geoutet« – ein in der Präventionsarbeit denkbar schlechtes Vorgehen. In 20Minuten wird der Sprecher der Kantonspolizei zitiert:

Laut Polizeisprecher Klaus Mannhart handelt es sich um ein Versehen: «Dass die Antworten auch in der Chronik der Teilnehmer erscheinen, wurde leider übersehen.» Der Präventions- und Jugendpolizei würden bei der Bewirtschaftung ihrer Facebookseite gewisse Freiheiten gewährt. Jedoch ­zeige das Beispiel, dass der Umgang mit Social Media komplexer sei als angenommen. Mannhart: «Wir werden die Situation überprüfen und eventuelle Massnahmen evaluieren.»

Man muss die Frage stellen, ob Präventionsarbeit und Vermittlung von Medienkompetenz von einer Stelle geleistet werden soll, welche die Komplexität sozialer Netzwerke unterschätzt. Generell kann man fragen, ob die Polizei in der Lage ist, Jugendliche in der Mediennutzung zu begleiten. Im Kontakt mit der Polizei ist der Gedanke an das Überschreiten von Gesetzen und den Schutz vor kriminellem Verhalten ständig präsent.

Meine Meinung: Den Umgang mit neuen Medien müssen Kinder und Jugendliche von ihren Eltern und ihren Lehrpersonen lernen, nicht von der Polizei.

 

Das Problem der Pornographie

In St. Gallen werden Kioskverkäuferinnen juristisch belangt, weil Pornografie sichtbar ausliegt, wie 20Minuten berichtete. Dieses Problem mutet anachronistisch an: Liegt doch Pornografie im Internet für alle sichtbar aus.

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Wie soll man als Erziehende mit diesem Problem umgehen?

Meiner Meinung nach gibt es vier mögliche Vorgehensweisen:

  1. Das Problem wird ignoriert, man tut so, als wäre nichts. 
  2. Man versucht, die pornografischen Inhalte von Kindern und Jugendlichen so lange wie möglich fernzuhalten: Ihr Surfverhalten zu überwachen, Blocksoftware einzusetzen etc.
  3. Man begleitet den Internetgebrauch von Jugendlichen und Kindern und spricht mit ihnen über ihre Erfahrungen – ohne im Voraus festzulegen, welche Erfahrungen das sein sollen oder nicht sein dürfen.
  4. Pornografie wird mit Jugendlichen zu einem gegebenen Zeitpunkt bewusst gemeinsam konsumiert, um eine offene Atmosphäre zu schaffen und medial dargestellte Sexualität verarbeiten und reflektieren zu können.

Es ist klar, dass die erste Haltung keine pädagogische ist und die zweite meistens vergeben: Klar kann man den Zugang erschweren oder ihn mit mehr Aufwand verbinden. Aber mit jedem WLAN-fähigen Gerät können Kinder in jedem Migrosrestaurant ins Internet und dort ansehen, was sie wollen.

Sinnvoll wäre also die Begleitung oder gar der pädagogisch verantwortete Konsum. Meiner Meinung nach kann ein Bewusstsein, dass die mediale Repräsentation von Vorgängen eine Selektion und eine Verzerrung der Realität ist, an anderen Gegenständen viel besser und einfacher gezeigt werden. Die Übertragung dieser Einsicht auf die Darstellung von Sexualität, also die Einsicht, dass inszenierte Sexualität nicht ein Abbild realer Sexualität ist oder gar eine Norm, kann Jugendlichen gelingen – sie kann aber auch ohne den Konsum von Pornografie erreicht werden.

Pädagogisch ist es wichtig, dass man mit Jugendlichen spricht, ihnen Fragen stellt, sie auch lobt. Es ist in einer solchen Atmosphäre sowohl zuhause wie auch in der Schule möglich zu fragen, ob sie schon pornografische Inhalte konsumiert haben und was sie dabei erlebt haben.

Das wäre meiner Meinung nach ein sinnvoller Zugang.