Heute werde ich in 20 Minuten, einer Schweizer Gratiszeitung, mit Aussagen zum vermeintlichen Trend zitiert, dass fremde Menschen im öffentlichen Raum fotografiert und bloßgestellt werden. Ich habe gestern mit der verantwortlichen Journalistin kurz telefoniert und konnte dann meine Zitate gegenlesen. Das funktionierte alles, wie es sollte.
Aber schon beim Gespräch und beim Gegenlesen erfasste mich leichtes Unbehagen. Erstens wird hier etwas zu einem Trend gemacht, wofür es keine empirische Basis gibt. Seit Kameraphones verbreitet sind, gibt es Menschen, welche das Recht am eigenen Bild bei anderen missachten, oft auch im öffentlichen Verkehr.
Ich versuchte, das Phänomen auf drei Arten einzuordnen:
- Ich erklärte, dass es sich dabei um eine moralisch kaum vertretbare und juristisch zweifelhafte Vorgehensweise handle, die ich für übergriffig und verletzend halte.
- Ich verband sie mit der Überwachung des öffentlichen Raums und interpretierte sie als eine private Reaktion darauf, dass der Staat und Unternehmen im Namen der Sicherheit Videos und Bilder von uns anfertigen, ohne dass wir damit einverstanden sein müssen.
- Ich wies auf Beispiele von politischen Bewegungen wie »Breitmachmacker« hin, die solche Methoden als Widerstand verwendeten.
Waren im von mir gegengelesenen Text 1. und 3. vertreten, fiel 2. – meiner Meinung nach der interessanteste Aspekt – völlig weg. Der publizierte Texte spitzte meine Argumente noch einmal zu: Dramatische Tendenz hier, Experte mit klaren Worten da.
Im Schnitt werde ich jeden Monat ein oder zwei Mal zu solchen Phänomenen befragt und kenne die Abläufe. Mir ist bewusst, dass den Zielgruppen keine differenzierte Analyse zugemutet wird. Die Präsenz in reichweitenstarken Medien wertet mich als Fachmann paradoxerweise auch dann auf, wenn die getätigten Aussagen von jedem denkenden Menschen stammen könnten und Expertenwissen dafür keine Voraussetzung ist. Das Dilemma ist wohl kaum aufzulösen: Entweder den Platz jemand anderem überlassen und auf eigenen Plattformen – wie hier – für interessierte Lesende differenziert argumentieren, oder eingespannt zu werden für einen Text, der nur pointiert Wirkung entfaltet.
Über Tipps in den Kommentaren würde ich mich freuen!

bin froh deine wirklich Ansicht zu lesen..Grüsse aus frutigen CH
tja, unbedingt beides tun. Den Platz nicht anderen überlassen, du kommst ja manchmal auch ausführlicher zu Wort, und gleichzeitg bloggend denken und analysieren. Du kannst das ja, gleichzeitig vieles tun!
Wenn das, was Georg Frank in Ökonomie der Aufmerksamkeit entwickelt, triftig ist (für was ich es halte), gibt es nur eine Möglichkeit, mit solchem Ärger produktiv umzugehen. Ein Experte muss sich stets überlegen, wann es um spezifische Aufmerksamkeit und Anerkennung geht und wann um generalisierbare Prominenz, wobei dann die Persona des Experten, wie der vorliegende Fall zeigt, stark funktionalisiert wird (und im Grunde auch einen beliebigen Namen tragen kann).
Da ein Experte – sofern er nicht auf einem lebenslang gesicherten Lehrstuhl sitzt bzw. einen solchen anstrebt (Universitätsmodell) oder aus anderen Gründen, etwa von Geburts wegen, ein sicheres Auskommen hat (z.B. die Gentlemen Scientists der Royal Society, etwa Darwin oder Robert Boyle) – ökonomisch auf beides, generalisierbare Prominenz und Anerkennung in Fachkreisen, angewiesen ist, kann er keinen der beiden Geltungszusammenhänge ganz ausser Acht lassen.
Immerhin kann er hie und da erkennbar machen, woran ihm mehr liegt, und auf den Druck auf die Agenten der generalisierbaren Promimenz durch Dritte hoffen. Denn auch 20 Minuten bewegt sich in einem Spannungsfeld von Reputationspflege und Aufmerksamkeitsmaximierung, wenn auch aufgrund des Vertriebssystems, das die erfolgreiche Kolonisierung jener Zeit, die Pendler im Zug verbringen, zu Stande gebracht hat, mit einem derzeit erheblichen kompetitiven Vorteil.