Das Vertrauensparadox – zur Sexting-Kampagne von Pro Juventute

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Eine neue Kampagne von Pro Juventute nimmt neben Cybermobbing auch Sexting in den Blick. Jugendliche verschicken beim so genannten Sexting (Sex – Texting (SMS)) dabei erotische Fotos von sich selbst, meist einzelnen nahen Freundinnen und Freunden, denen sie vertrauen und mit denen sie intime Beziehungen pflegen. Bricht das Vertrauen, können diese Bilder an eine breitere Öffentlichkeit gelangen, meist mit verheerenden Folgen. Die Merkblätter von Pro Juventute bieten sehr gute Informationen für Jugendliche, Eltern und Lehrpersonen.

Es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen und darüber zu sprechen. Durch Sensibilisierung kann das  Problem aber nicht gelöst werden. Vertrauen ist sehr paradox – es erfolgt nicht begründet, sondern basiert auf einer Annahme: »Ich kann dem anderen vertrauen.« Deshalb haben so genannte Vertrauensbeweise einen hohen Stellenwert. Je gefährlicher etwas  ist  – ein Nacktbild verschicken, ein Passwort tauschen, desto besser eignet es sich für den Versuch zu beweisen, dass man einer anderen Person vertraut.

Der Kinder- und Jugendpsychologe Urs Kiener sagt dem Tages Anzeiger zur Kampagne:

Die Hauptproblematik ist die Verletzung der Privatsphäre. Eine solche Nacktaufnahme wird häufig von einem jungen Mädchen auf Aufforderung ihres Freundes gemacht − als eine Art Liebesbeweis. Wenn die Liebe, wie oft bei Jugendlichen, nicht ewig hält, veröffentlicht der Junge das Bild, indem er es an seine Kollegen schickt, vielleicht aus Frustration, vielleicht aus Blödsinn oder weil er damit bluffen will. Weiss plötzlich die ganze Schule von dem Bild, löst das bei der jungen Frau unglaubliche Ohnmachtsgefühle aus.

Obwohl das Problem in der Schweiz gemäß der JAMES-Studie lediglich sechs Prozent der Jugendlichen betrifft, befürchtet der Experte eine Zunahme – gemäß Daten von EU-Kids Online nimmt er an, dass bald 20 Prozent der Jugendlichen davon betroffen sein werden. Diese Prognose darf man durchaus skeptisch betrachten: Viele Jugendliche wissen um die Gefahren, die mit erotischen Fotos verbunden sind, und verhalten sich entsprechend. Zudem ist es recht schwierig, hier präzise Angaben zu ermitteln.

Quelle: Ergebnisbericht JAMES-Studie 2012
Quelle: Ergebnisbericht JAMES-Studie 2012

Nacktaufnahmen an sich sind also nicht verwerflich?
Nein. Problematisch sind sie nur, weil sie mit Mitteln aufgenommen werden, die die Bilder innert Sekunden ungewollt in die Öffentlichkeit hinauszerren.

Auch diese Aussage im Interview muss man eher kritisch sehen – heute kann jedes Bild innert Sekunden ungewollt publiziert werden. Kieners Verweis auf die Polariod-Kameras unserer Jugend mag zeigen, dass es früher auch eine eher ungefährliche Begeisterung für Bilder gab: Aber heute können auch analoge Bilder innert Sekunden digitalisiert werden. Jedes Bild ist heute potentiell öffentlich.

Hier der Videoclip zur Kampagne:

JAMES-Studie 2012

Die ZHAW hat 2010 eine große Studie zum Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen veröffentlicht, die so genannte JAMES-Studie (Jugend, Aktivitäten, Medien – Schweiz). Befragt wurden über 1000 Jugendliche zwischen 12 und 19.

Dieses Jahr wurde ein zweiter Durchgang durchgeführt. Die Studie wird im Januar 2013 publiziert, eine Präsentation mit ersten Untersuchungsergebnissen ist auf der JAMES-Seite aber schon verfügbar (pdf). Es handelt sich um Zwischenergebnisse, die am 24. Oktober publiziert wurden.

Die Ergebnisse untersuchen das Freizeitverhalten der Jugendlichen – mit Medien und ohne. Der Fokus bei der Ergebnissen liegt darauf, dass sich die Nutzung der Handys verändert hat – die wesentlichen Aspekte können der folgenden Grafik entnommen werden:

Handynutzung im Vergleich 2010-2012. JAMES Studie, ZHAW.

 

Die JAMES-Studie der ZHAW: Jugendliche und das Web 2.0

Ein Forschungsprojekt unter der Leitung von Daniel Süss und Gregor Waller untersucht an der ZHAW seit 2010 das Medienverhalten von 1000 Jugendlichen die möglichst repräsentativ über die Schweiz und verschiedene Altersstufen verteilt sind. Die so genannte JAMES-Studie (Jugend / Aktivitäten / Medien – Erhebung Schweiz) hat gemäß dem Projektbeschrieb folgende Ziele:

JAMESfocus ermöglicht einen differenzierteren Blick auf das, was im ersten Moment homogen erscheint: Auf der Grundlage der Daten aus der JAMES-Studie 2010 werden verschiedene Freizeit- und Mediennutzungstypen herausgearbeitet. Weiter werden Themenfelder wie das Medienwissen und der kreative Umgang mit Medien näher beleuchtet. Bereits behandelte Bereiche wie Social Networks, Cyberbullying und die Handynutzung werden aus anderen Blickwinkeln betrachtet. Dabei wird aufgezeigt, bei welchen Gruppen Hinweise auf einen entwicklungsgefährdenen oder sozial unverträglichen Medienumgang bestehen und damit besondere Anstrengungen für Medienkompetenzförderung und Jugendmedienschutz notwendig sind.

Erste Ergebnisse der Studie wurden bereits veröffentlich (Übersicht / komplettes pdf). Im Bezug auf Social Media sind folgende Erkenntnisse bedeutsam, welche durch die unten stehenden Grafiken erläutert werden:

  1. Jugendliche nutzen Social Media auf der Suche nach Information häufiger als Suchmaschinen oder Nachschlagewerke wie Wikipedia.
  2. Jugendliche nutzen das Internet hauptsächlich für Social Media.
  3. Social Media ist praktisch gleichzusetzen mit Facebook, einzig Netlog wird als Alternative recht häufig verwendet.
  4. Die Aktivitäten auf Facebook sind vielfältig und reichen von Chatten über Gamen bis zum Verwalten der Freundeslisten.
  5. Das Bewusstsein über die Privatsphären-Problematik wächst mit dem Alter, häufigstes Problem ist, dass Fotos ohne Zustimmung ins Internet hochgeladen werden.
  6. Handy werden kaum für den Zugang zu Social Media genutzt.
  7. Es ist ein Bewusstsein vorhanden, welche Informationen sensibel sind und welche nicht.
In einem NZZ-Bericht mit dem Titel »Die Parallelwelt der Digital Natives« weisen Daniel Süss und der Verfasser des Artikels, Matthias Müller, auf die Chancen die, die Social Media mit sich bringen:

Süss warnt jedoch davor, die neuen Medien pauschal zu verdammen. Vielmehr hätten die jungen Personen Wege gefunden, sich kreativ in ihrer digitalen Welt zu entfalten. So bieten die sozialen Netzwerke wie Facebook, in denen die Nutzer das Internet aktiv mitgestalten, viele Möglichkeiten, um sich mit eigenen Fotografien, Videos, Texten und Gedichten produktiv und phantasievoll einzubringen. Im Web 2.0 ist also weitaus mehr schöpferische Eigenleistung gefragt als beim rein passiven Konsum von Fernsehprogrammen.

Zudem lassen sich die Mobiltelefone mit ihren zahlreichen Funktionen vielfältig in den Schulunterricht einbinden, indem man etwa Videos über Versuche für den Unterricht in naturwissenschaftlichen Fächern dreht oder die korrekte Aussprache von Wörtern im Sprachenunterricht prüft.

Informationssuche im Internet

Produktive Aktivitäten im Internet

Handynutzung

Vergleich der sozialen Netzwerke

Aktivitäten in Social Media

Preisgabe sensibler Informationen

negative Erfahrungen

Aktivierung der Privatsphären-Einstellung