GPT-3 ist ein Algorithmus, der Texte verfassen kann. Er greift dabei auf ein komplexes System von Mustererkennung zurück und bezieht enorm viele Texte mit ein – vereinfacht gesagt vergleicht er Texte miteinander und ermittelt, wie Fortsetzungen aussehen müssten, die in möglichst vielen Parametern mit einer Vorlage übereinstimmen.
GPT-3 kann in der Schreibdidaktik eingesetzt werden. Denkbar ist aber auch, sich im Literaturunterricht anzusehen, wie der Algorithmus mit Vorlagen umgeht. Die Fragestellungen wäre für mich immer:
Welche Muster in der Vorlage übernimmt GPT-3, welche nicht?
Aus welchen Gründen ist das, was GPT-3 schreibt, eine mögliche Fortsetzung?
Beginnen wir mit Leutnant Gustl, dem ersten deutschsprachigen Text, der ganz als innerer Monolog gestaltet ist:
GPT-3 führt den inneren Monolog problemlos fort, wie die beiden Beispiele zeigen. Dramaturgisch passiert allerdings – wenig.
Als zweites Beispiel nehme ich »Rezept«, ein Gedicht von Mascha Kaléko. GPT-3 schreibt die zweite Strophe wie folgt:
Und zum Schluss noch ein Auszug aus einem Theaterstück, Schiller »Die Räuber«:
Was folgt, ist ein Rant – das heißt ein etwas emotionalerer Text, weil mich das Thema nervt. Ausgangslage ist folgende: Traditionelle Prüfungen an Schulen und insbesondere Gymnasien werden oft damit legitimiert, dass sie eine zentrale Vorbereitung für ein Studium darstellen. Wer erfolgreich studieren will, muss traditionelle Prüfungen absolvieren können – und damit meine ich: alle Mitglieder einer Lerngruppe werden eingeschlossen und lösen isoliert und mit sehr wenigen Hilfsmitteln Aufgaben, die nach einer vorgegebenen Musterlösung bepunktet werden.Das Bestehen der Prüfungen ist meist Bedingung für eine Weiterführung des Studiums.
Diese Prüfungssituation an Hochschulen wird als gegeben und unveränderlich angeschaut, obwohl sie hochproblematisch, eigentlich skandalös ist. Sie führt zu massiven mentalen Problemen. Studierende leiden unter der Prüfungsvorbereitung, brechen deswegen das Studium ab, nehmen Drogen und Aufputschmittel, um Prüfungen bestehen zu können. Diese entkoppeln die Lernkultur in Seminaren, wo kooperativ und poly-perspektivisch gelernt wird, von der Prüfungskultur – was dazu führt, dass die Lernkultur leidet und Studierende sich bei Gruppenarbeiten und Präsentationen ausklinken, weil sie wissen, dass solche Methoden für Prüfungssessionen wertlos sind. Prüfungen werden ohne jedes Feedback und oft Wochen nach dem Prüfungstermin zurückgegeben, Hochschulen unternehmen nicht einmal den Versuch, Prüfungen in den Lernprozess zu integrieren. Mehr noch: Wie César Hidalgo kürzlich dargelegt hat, hindern Prüfungen Studierende daran, wesentliche Kompetenzen zu erwerben, sie machen sie abhängig von Vorgaben und Dozierenden und verhindern, dass sie Verantwortung für ihre Entwicklung und für Projekte übernehmen können.
Hochschulen müssen ihre Prüfungskultur so schnell wie möglich radikal überdenken. Sie ist überholt und schädlich. Studierende brauchen mehr Feedback und weniger Abhängigkeit.
Wenn sich nun Schulen daran orientieren und sich bemühen, Schüler*innen auf diese sinnlose Prüfungskultur vorzubereiten, dann ist das aus einer Perspektive verständlich: Die Prüfungskultur ist eine Realität. Sie ist falsch, aber es gibt sie. So entsteht dann ein Dilemma, das ich nicht weiter ausführen muss. Es verschwindet erst, wenn die Prüfungsessionen an Unis verschwinden.
Nur: Im Leben und der Welt gibt es vieles, was real, aber falsch ist. Eine gute Schule orientiert sich nicht am Falschen, sie baut das Falsche nicht systematisch ein, sondern stärkt Menschen, unterstützt sie bei ihrer Entwicklung.
Wenn also ehemalige Schüler*innen von ihren Prüfungserlebnissen an Hochschulen berichten, dann müssen Lehrpersonen lernen, selbstbewusster und kritischer aufzutreten. Prüfungen an Universitäten sind nicht selbstverständlich, sie sind nicht unveränderbar. Ein erfolgreiches Studium zeigt sich nicht in Prüfungsergebnissen. Hier braucht es Widerstand und die Bereitschaft, Hochschulen zu entwickeln.
Ein letzter Punkt: Feedback und Betreuung skalieren nicht – sie sind arbeitsintensiv. Hochschulen müssen sparen und verteilen viel Arbeit auf wenigen Schultern (von denen zu viele in prekären Arbeitsverhältnissen stehen). Prüfungen durchzuführen ist dann eine Notlösung, die man nicht einzelnen Personen vorwerfen darf – sondern dem System. Alles steht und fällt mit Betreuungsverhältnissen. Gute Unis ermöglichen Studierenden, im direkten Austausch miteinander und mit Dozierenden zu lernen. Schlechte Unis zwingen Studierende zu Prüfungssessionen ohne Feedback.
Mein Deutschunterricht ist in dem Sinne postdigital, als dass alle Unterrichtsmaterialen sowohl digital als auch nicht-digital genutzt werden können. Schüler*innen können Notizen und Lernprodukte anlegen und abgeben, wie sie wollen. Wir drucken aus und scannen ein, wenn das nötig ist. Die Materialien, Einsichten, Tafelbilder und Arbeitsaufträge halte ich mit einer Mischung aus Teams und Craft zusammen.
Bei einem externen Feedback wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich in diesem Setting recht viel Zeit damit verbringe, Notizen anzulegen. Schüler*innen sind dann teilweise passiv, weil sie davon ausgehen (können), dass ich das Wichtigste dokumentiere. Diese Einsicht kam zusammen mit einer Auseinandersetzung mit Literaturgeschichte, die mir zeigte, dass die Auswahl von Texten oft von Lehrpersonen gesteuert wird und so ein Straßenlampen-Effekt eintritt.
Die Lösung für dieses Problem sah ich in Portfolio-Arbeit. Meine ganze Arbeit an Literaturgeschichte fokussiert im Moment darauf, dass die Schüler*innen in der zentralen Unterrichtsphase ein Portfolio anlegen, in dem sie ihre Auseinandersetzung mit einer Epoche oder Fragestellung dokumentieren. Ein Portfolio ist eine digitale oder nicht-digitale Sammlung von Dokumenten, welche die Schüler*innen bearbeiten, sammeln und ablegen.
Die Präsentation der Ergebnisse aus der Portfolio-Arbeit dient dann dazu, die gemeinsam erarbeiteten literaturgeschichtlichen Einsichten zu vertiefen und zu erweitern.
Ein bestimmter Zeitraum wird abgegrenzt und benannt. Die Abgrenzung und Benennung wird mit den Schüler*innen diskutiert.
Gemeinsam erarbeitet die Klasse ein Verständnis eines authentischen Mediums, eines wichtigen kulturellen Konzepts und eines zentralen literarischen Textes aus dieser Zeit. Dabei werden Fachbegriffe eingeführt.
Individuell lesen die Schüler*innen unterschiedliche Texte aus der Epoche.
Sie führen dazu ein Portfolio und bearbeiten literaturgeschichtliche Fragestellungen bei der Lektüre der Texte.
Erkenntnisse, Thesen und Fragen stellen sich die Schüler*innen gegenseitig vor. Sie können so die Vielfalt literaturgeschichtlicher Prozesse wahrnehmen und im Unterricht sichtbar machen.
Da ich ohne Prüfungen arbeite, benote ich die Portfolio-Arbeiten. Sie stellen eine sinnvolle Form von Projektarbeit dar, da sie nicht mit einem Schlussspurt und einem riesigen Zusatzaufwand außerhalb des Unterrichts verbunden ist.
Aktuell erprobe ich das Verfahren noch, sehe aber folgende Herausforderungen:
Die Schüler*innen müssen sich aktivieren und motivieren können, in den jeweiligen Arbeitsphasen zur Literaturgeschichte zu arbeiten (das ist nicht immer der Fall, da die Prüfungskultur die Schüler*innen so unter Druck setzt, dass sie in ‚lockeren‘ Deutschlektionen entweder nichts machen oder für die nächste Prüfung »lernen«…)
Die Schüler*innen sollten vertieft in eine Fragestellung eintauchen können – die Arbeit in unterschiedlichen Phasen und die Sammlung von Dokumenten verleitet sie zuweilen, an der Oberfläche zu bleiben. Sie lesen dann jede Stunde ein Gedicht und markieren es farbig – trauen sich aber nicht zu, eine längere Erzählung oder einen Roman zu lesen.
Ich bin verleitet, aktiv zu werden und den Schüler*innen immer wieder Inputs zu geben – was der Methode widerspricht. Mittlerweile bringe ich einfach möglichst viel Material (Bilder, Texte, Lehrbücher) mit, damit eine produktive Arbeit möglich wird.
Weitere Ideen zu Portfolios im Deutschunterricht findet ihr hier und hier.
IT-Abteilungen von Banken haben zwei unterschiedliche Aufgaben: Sie müssen einerseits das laufende Geschäft sicher betreiben (»run the bank«), andererseits neue, innovative Lösungen für die Bank der Zukunft schaffen (»change the bank«).
Die unterschiedlichen Ziele führen zu unterschiedlichen Arbeits- und Denkstrukturen in den entsprechenden Teams. Wer sich damit beschäftigt, eine Organisation zu verändern, setzt andere Prioritäten als die Kolleg*innen, die den Fokus auf das Tagesgeschäft legen.
Das gilt auch für Schulen. Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler beschreiben in einem Instagram-Post die daraus resultierenden Konflikte wie folgt:
Die Friktion zwischen den beiden rührt daher, dass die Changer häufig Entscheide fällen, die die Runner dann ausbaden müssen. Oder dass die Changer kühne Ideen haben, aber sich nicht darum scheren, wie sie umgesetzt werden. Umgekehrt erleben die Changer die Runner oft als chronische Bremser und Nein-Sager, die sich an Säulen klammern, die bereits ins Wanken geraten sind. Changer geniessen meistens ein höheres Ansehen als Runner. Wer eine neue Art des Abwaschens vorschlägt, erhält erstmal mehr Beachtung, als derjenige, der den Abwasch täglich macht.
Diese Reibungen entstehen auch in Schulen. Wahrscheinlich gab es sie schon immer, die Beschleunigung des technologischen und gesellschaftlichen Wandels dürfte sie aber intensiviert haben. Im Folgenden ein paar Gedanken dazu. Als Vorbemerkung ist mir wichtig, dass beide Gruppen – wenn sie ihre Anliegen wirklich ernst meinen – Gutes für die Organisation wollen. Joël Luc Cachelin beschreibt die beiden Modi in einem ausführlichen Beitrag:
Im Change-Modus steht die Beschleunigung im Vordergrund. Unternehmen versuchen nicht nur auf die Disruption ihrer Märkte zu reagieren, sondern diese selbst auszulösen. Dazu werden kleine unabhängige Einheiten mit dezentraler Entscheidungskompetenz gebildet. Die Ziele dieser Projekte, Startups, Hubs und Labs verändern sich genauso wie deren Zusammensetzung. Wenn es darum geht, das Neue zu denken, kann man dieses im Voraus nur schwer strukturieren. […] Die Projekte werden so zusammengestellt, dass sie die nötigen Kompetenzen vereinen – unabhängig davon, ob sich diese intern befinden oder von extern stammen. Der Change Modus ist geprägt von ausgeprägter Informationsflut, starker Vernetzung und hoher Betriebsgeschwindigkeit.
Im Gegensatz dazu zeichnet sich der Run-Modus durch eine grössere Stabilität aus. Die über die Jahre gewachsenen Strukturen bilden quasi das Skelett des Unternehmen. In diesem werden in erster Linie die Prozesse des Tagesgeschäfts abgewickelt oder anders ausgedrückt die Bedürfnisse von intern und externen Kundinnen befriedigt. Auch in diesen Einheiten wird an kleinen Verbesserungen gearbeitet. Aber vielmehr als radikale Veränderungen werden hier Qualitätsverbesserungen von Produkten und Dienstleistungen sowie eine effizientere Verwendung der Ressourcen angestrebt. Entsprechend ist die Zusammenarbeit geprägt von klaren Arbeitszuteilungen, stabil zusammengesetzten Teams und langfristigen Zielen.
Beide Gruppierungen können die andere als Bedrohung oder Belastung für ihr Kerngeschäft sehen: Letztlich sind ihre Arbeitsweisen aber wertungsfrei zu sehen.
Pionier oder »Veränderungsturbo« – meine Arbeitsbiografie
Kürzlich wurde ich in einem Gespräch – durchaus wertschätzend – als »Veränderungsturbo« bezeichnet. So sehe ich mich selbst auch: Ich bin ein Changer. Gerne würde ich permanent Schulentwicklung betreiben, Projekte anstoßen, Neues ausprobieren und agil entfalten. Diese Rolle kann man unterschiedliche Namen geben: »Pionier« hieß das lange.
In meiner Arbeitsbiografie war ich lange einer der jüngsten Lehrer im Kollegium. Ich hatte eine gewisse Narrenfreiheit und habe mir Dinge zugetraut, bei denen andere vorsichtiger waren. Seit ich nicht mehr jung bin, probiere ich vieles aus – die Narrenfreiheit erhalte ich mir dadurch, dass ich innovativ arbeite und unerwartete Perspektiven einnehme.
Das führt immer wieder zu Konflikten, gerade wenn Entscheidungen gefällt werden müssen, wie der Change- und der Run-Modus einer Schule verzahnt werden können. Wer an Stellschrauben dreht, löst Veränderungen aus, die nicht alle intendiert waren. Das ist mir bewusst geworden. Mittlerweile versuche ich mich konsequent rauszuhalten, wenn es um Fragen von »run the school« geht. Ich bin diesbezüglich weder Experte noch Pionier, ich bin einfach Teil eines Kollegiums, sage meine Meinung und stimme ab, wenn das möglich ist. Aber ich will in der traditionellen Schulhierarchie keine übergeordnete Position einnehmen, sondern im Rahmen von Projekten über Schulentwicklung nachdenken.
An den Schulen, an denen ich gearbeitet habe, wurde das nicht immer geschätzt. Meine Wahrnehmung im Kollegium erfolgte nicht so, wie ich mir das gewünscht habe: Das Nachdenken über Changes ist für wenige ansteckend und für viele eine Bedrohung, weil es zu Unsicherheiten führt, was das für den Running-Modus bedeutet, wie sich das Tagesgeschäft verändert.
Gute Schulteams brauchen Lehrpersonen, die sich als Runner verstehen und Schulen stabilisieren – und sie brauchen Changer, die darüber nachdenken, wo sich die Schule entwickeln könnte.
Das bedeutet, dass Schulen multimodale Organisationen sind. Sie wickeln Schulentwicklungsprojekte in Teams ab, die informelle und flache Hierarchien bilden und mit digitalen, agilen Arbeitsformen operieren – gleichzeitig funktionieren sie in einem gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen, der klassische Rollen und Machtstrukturen voraussetzt.
Das Verhältnis von »change the school« und »run the school« ist fragil und braucht eine Balance. Der Imperativ, dass sich Schulen verändern müssen, um in einer Kultur der Digitalität relevant zu bleiben, erschwert es, diese Balance zu finden. Er ist gleichzeitig diffus und dringlich, er zwingt die Runner dazu, sich mit dem Change-Modus zu beschäftigen, was als Belastung empfunden wird – und gibt den Changern den Eindruck, besonders wichtig zu sein, was dazu führen kann, dass einzelne Perspektiven auf den Change (z.B. Implementierung von technischen Lösungen) zu viele Ressourcen beanspruchen.
Gleichzeitig bieten die Modi auch immer Entschuldigungen an, mit denen wichtige Aspekte des Berufs ausgeblendet und zurückgestuft werden können. So kann eine gewisse Angst vor einer Veränderung dahinter versteckt werden, dass man sich besonders gut ums Tagesgeschäft kümmern will – und eine gewisse Langweile oder Faulheit beim Bearbeiten von Routineaufgaben kann als Change-Mentalität verkauft werden.
»you build it, you run it«
Eine in IT-Unternehmen verwendete Lösung besteht darin, den Change-Teams die Aufgabe zu geben, ihre Vorschläge auch zu implementieren und zu betreiben. Würde in der Schule heißen: Wer bei einer Versuchsklasse »flipped classroom« einführen will, kann das machen – muss aber selber den Unterricht vorbereiten, gestalten und auswerten. Die Frage wäre dann, wie der Übergang von Versuchsphasen zu allgemeiner Praxis gestaltet würde.
Gerade in Bezug auf BYOD erleben viele Schulen einen zweiten Wendepunkt in der Organisationsentwicklung: Die Implementierung betrifft in einer ersten Phase oft nur Changer, die dann »you build it, you run it« betreiben und das Projekt agil weiterentwickeln. In einer zweiten Phase erstreckt es sich dann plötzlich über die ganze Schule und betrifft Runner, die weder mit Building oder Running von BYOD betraut waren.
Führung multimodaler Organisationen
In Bezug auf die Führung von Organisation, die Evolution denken und Tagesgeschäft sichern müssen, spricht man von Ambidextrie. Was das bedeutet, führen Foelsing und Schmitz recht klar aus:
So ist es durchaus möglich, dass zeitgleich radikale Innovationen vorangetrieben werden müssen (Exploration) und das angestammte Kerngeschäft weitergeführt und kontinuierlich verbessert werden muss (Exploitation). Die Fähigkeit diese beiden Ansätze und ihre unterschiedlichen Erfordernisse in den Strukturen, Prozessen und Kulturen der Organisation simultan zu verfolgen wird als organisationale Ambidextrie bezeichnet. […] Kotter [schlägt| im Ansatz des Dual Operating Systems vor, neben der Hierarchie ein agiles Netzwerk als zweites, organisationales »Betriebssystem« zu etablieren, das sich explizit der Exploration zuwendet.
Schulleitung müssen also darauf achten, dass die etablierte Hierarchie gepflegt und erhalten wird – und sich gleichzeitig ein Netzwerk etablieren kann, das eine Change-Kultur ermöglicht und begünstigt. Das ist eine massive Herausforderung.
Gestern habe ich beschrieben, wie auch unsichere Schreibende mit DeepL stilistisch und formal einwandfreie Texte erzeugen können. Heute zeige ich, wie mit GPT-3 ganze Texte erzeugt werden können.
GPT-3 ist ein Programm, das Texte schreibt. Anders als schematische Vorläufer arbeitet GPT-3 mit so vielen Parametern und unter Rückgriff auf so viele Daten, dass die Ergebnisse von einer bestechenden Qualität sind. (Ich habe Schreibalgorithmen in diesem Beitrag etwas genauer verglichen.)
Bis vor zwei Wochen war der Zugriff auf GPT-3 eingeschränkt verfügbar. Aktuell können unter https://beta.openai.com/signup Konten erstellt werden. Die Software ist für Profis gemacht. Der Playground lädt zum Spielen ein, um wirklich sicher damit arbeiten zu können, braucht es aber eine gewisse Einarbeitungszeit.
Letztlich ist es aber möglich, GPT-3 im Hintergrund von einfacheren Seiten laufen zu lassen – also etwa einer Schulaufsatz-Seite, bei der die Themen der Lehrperson eingegeben werden können – und dann ein fertiger Aufsatz gemäß den Vorgaben entsteht.
Ich habe ein Beispiel erstellt:
GPT-3 stellt eine Revolution für den Deutschunterricht und die Schreibdidaktik dar. Der Algorithmus erlaubt Schüler*innen, Aufsätze automatisch generieren zu lassen. Dazu reicht es, die ersten Sätze zu formulieren – den Rest übernimmt ein hochkomplexes Programm. Das Programm analysiert die eingetippten Sätze, um den Rest des Textes zu ergänzen. Dabei werden die Sätze immer komplexer, je mehr der Text entsteht. Die Schüler*innen werden dadurch zum Schreiben motiviert und erhalten automatisch eine Note für die Leistung. Die Programmierer*innen der App kritisieren, dass der Computer nur einen Teil der Leistung und Fähigkeiten des Schreibenden abbilden kann. Im Vergleich zu einem menschlichen Kommilitonen würde der Computer also eine schlechtere Note bekommen.
Ich habe hier die nicht-kursiv gesetzten Sätze geschrieben und dann einfach ergänzen lassen. GPT-3 übernimmt meine Form zu gendern ohne Probleme. Thematisch geht es plötzlich um Noten, was wohl durch »Aufsätze« und »Schreibdidaktik« naheliegend erscheint, mir jedoch in diesem Text kein Anliegen war. Inhaltlich muss man GPT-3 immer mal wieder auf die Sprünge helfen, die Formulierungen sind jedoch einwandfrei.
In der Schule werden diese Algorithmen wohl noch eine Weile bekämpft – genauso wie Gemeinschaftlichkeit und Kommunikation. Letztlich werden diese drei Merkmale der Kultur der Digitalität aber nicht verhindert werden können – die Energie, die in diesen Kampf fließt, ist verschwendet. Wer Jugendliche umfassend bilden will, stellt ihnen diese Möglichkeiten zur Verfügung und schafft Settings, in denen ein reflektierter, kritischer und bewusster Einsatz von Technologie möglich ist.
Manchmal gibt es – nicht nur im Kontext der Digitalität – Ideen, die so naheliegend und überzeugend sind, dass es eine Weile dauert, bis man sie entdeckt.
DeepL ist als Übersetzungstool so gut geworden, dass es im Fremdsprachenunterricht mittlerweile wenig Sinn ergibt, Schüler*innen Texte übersetzen zu lassen – wenn man dabei erwartet, dass sie das ohne DeepL machen. Diese Erfahrungen führen dazu, dass sie das Tool zunehmend auch im Erstsprachenunterricht einsetzen:
SuS sollen anscheinend ganze Texte mit DeepL nach Englisch übersetzen und dann wieder zurück nach Deutsch. Das Resultat ist dann fehlerfrei, stilistisch überarbeitet und hat keine Kommafehler mehr. 😉
(Ich habe Schüler*innen gefragt: Ja, einige machen das.)
Das Vorgehen ist schnell beschrieben:
Text schreiben
Text mit DeepL auf Englisch übersetzen lassen.
Text aus Englisch zurück nach Deutsch übersetzen lassen.
Das Resultat noch mal durchlesen und dort korrigieren, wo der Sinn entstellt worden ist.
Funktioniert das gut? Grundsätzlich ja. Ich habe das am Beispiel eines echten Textes einer Schülerin ausprobiert und kommentiere einige Aspekte unten. Die beiden Texte kann man hier lesen: https://www.craft.do/s/euA1OjEeHbIJoz
(1) Formales
Der Originaltext enthält einige Fehler:
Aus diesem Grund sollte man sich immer kleine Ziele setzen und sich stätig verbessern, Anstelle von grossen Anstiegen, gefolgt von kleinen Niederschlägen.
Im Deepl-Text ist das nicht der Fall, der Text ist fehlerlos, insbesondere auch bei der Kommasetzung:
Deshalb sollte man sich immer wieder kleine Ziele setzen und sich ständig verbessern, statt dass auf große Höhen kleine Tiefen folgen.
(2) Stilistisches
Die gerade zitierte Passage zeigt auch, dass ungenaue Wortwahl von DeepL präzisiert und verbessert wird: Aus »Anstiegen« wird »Höhen«, aus »Niederschlägen« wird »Tiefen« – so stimmt das sprachliche Bild. Genauso wird das Wort »stetig« zu »ständig«: Ein hier passendereres Adjektiv.
(3) Satzbau
Meistens kommt Motivationslosigkeit durch Stress. Viele kennen das bestimmt, an Zeiten an welchen es eigentlich absolut nicht in den Zeitplan passt, kann man am besten Einschlafen.
DeepL korrigiert diesen Satz so, dass weniger Nebensätze nötig sind, die syntaktisch genau passen (ein Konjunktionalsatz, ein Temporalsatz).
Motivationsmangel wird meist durch Stress verursacht. Viele Menschen wissen, dass man am besten dann einschläft, wenn es eigentlich nicht in den Zeitplan passt.
(4) Das Problem der Zitate
Die Schülerin zitiert in ihrem Text »Machen« von Krogerus/Tschäppeler:
Auch zu wenige Erfolgserlebnisse führen zu Motivationslosigkeit «Wer früher schon Erfolg hatte, erwartet eher, dass es wieder klappt.» (Buch; Machen S. 74) heisst auch umgekehrt: wer viele Niederlangen erlebt hat erwartet von einem selbst nichts grosses und holt nicht das Beste aus einem raus.
Die DeepL-Methode verändert das Zitat leicht:
Zu wenige Erfolgserlebnisse führen auch zu Motivationsmangel: „Wer schon einmal Erfolg hatte, erwartet eher, dass es wieder klappt.“ (Buch; Machen S. 74) bedeutet auch umgekehrt: Wer viele Niederlagen erlebt hat, erwartet nichts Großes von sich und holt nicht das Beste aus sich heraus.
Fazit: Didaktische Fragen
Wer einen Text schreiben muss und bei Kommasetzung und stilistischen Aspekten unsicher ist, hat mit DeepL ein hervorragendes, kostenloses Werkzeug, um diese Probleme zu beheben. Die Vorstellung, bei der Rückübersetzung entstehe eine ungenauer, unbrauchbarer Text, ist obsolet.
DeepL verschwindet nicht mehr – die Argumentation, Schüler*innen müssten auch schreiben können, wenn sie nicht aufs Internet zugreifen können, bezieht sich auf eine überholte Prüfungskultur. Niemand muss heute schreiben, ohne aufs Internet zugreifen zu können.
Gleichwohl ist es schreibdidaktisch keine Lösung, diese DeepL-Methode von Anfang an einzusetzen. Die Grundlagen von Wortwahl und Satzbau müssen in Übungen sichergestellt werden, ein Gefühl für das Funktionieren von Sprache muss unabhängig von diesem Verfahren entstehen.
Aber die Feinheiten der Kommasetzung und die Korrektur längerer Texte: Die kann DeepL problemlos übernehmen.
Arbeiten Schüler*innen im und mit dem Internet an Schulaufgaben, passiert oft etwas Unerwünschtes: Sie suchen nach Inhalten, finden nicht ganz passende und übernehmen sie unkritisch. Teilweise verschleiern sie danach ihre Spuren, indem sie einige Sätze umstellen.
Das Ergebnis sieht dann ungefähr so aus (»Min Vortrag« = mein Vortrag):
Als Lehrperson kann ich darauf frustriert reagieren, mich darüber beklagen, wie wenig kompetent und kritisch Schüler*innen mit Netzinhalten umgehen – oder ihnen verbieten, auf bestimmte Medien zuzugreifen.
Ich kann aber auch überlegen, was die Ursachen für das Problem sind:
Die Schüler*innen haben diese Verfahren gelernt. Sie haben schon funktioniert – d.h. sie erwarten, dass eine Lehrperson unter Umständen gar nicht merkt, wie sie gearbeitet haben.
Die Verfahren sind effizient, d.h. sie sind für Schüler*innen die schnellste Lösung für das anstehende Problem.
Die Handlungsmöglichkeiten der Schüler*innen im Netz sind beschränkt. Suchen und kopieren sind Verfahren, die alle schnell können. Sich kritisch mit Texten und Quellen auseinanderzusetzen, erfordert Arbeitstechniken, über die Schüler*innen möglicherweise noch nicht verfügen.
Wenn ich nun verhindern möchte, dass Schüler*innen weiterhin so arbeiten (und etwa Texte mit DeepL übersetzen oder Copy-Paste-Strategien anwenden), dann muss ich Schüler*innen zeigen, wie andere Verfahren funktionieren und Probleme bearbeiten, zu welchen diese passen.
Es kann beispielsweise sinnvoll sein, Schüler*innen lediglich einen guten Text suchen zu lassen – und nicht von ihnen zu verlangen, ihn zu paraphrasieren. Eine Verdichtung hilft ebenfalls: Schüler*innen nur einen Satz schreiben lassen, der alles Wesentliche beinhaltet. Dafür brauchen sie Recherche, können aber kaum etwas davon direkt übernehmen.
Allgemeiner versuche ich, agile Situationen zu schaffen, in denen Schüler*innen zwar auf Netztexte und Netzwissen zurückgreifen müssen, es aber nicht einfach nur kopieren, sondern reflektieren, anpassen, nutzen müssen. Zum Beispiel, indem sie einander gegenseitig etwas erklären sollen, was sie nachgeschlagen haben.
Wichtig scheint mir aus Sicht der Lehrpersonen, nicht mit etablierten Formaten weiterzuarbeiten, die sich in einer Kultur der Digitalität gewandelt haben.
Also keine Aufsätze schreiben lassen, sondern interaktionsorientierte Netztexte. Keine Vorträge halten lassen, sondern Debatten führen.
Das ist nicht absolut gemeint, sondern als Tendenz: Sich bewusst machen, dass unsere Aufgabestellungen mit bestimmten Verhaltensweisen verbunden sind. Schüler*innen sind nicht dumm oder unfähig – sie erscheinen so aus bestimmten Perspektiven. Wenn wir den Eindruck haben, sie machten etwas falsch, müssen wir uns fragen, ob wir an unserem Unterricht etwas ändern könnten.
(1) Mündlichkeit und Schriftlichkeit aufeinander beziehen: Wer jemandem etwas mündlich erklärt, kann nicht einfach Kopiertes verlesen. (2) Verdichten: Formate finden, in denen sehr kurze Formulierungen nötig sind. (3) Kontext wechseln und so Anforderungen verändern an Texte.
Die Klassen, die ich als Deutschlehrer unterrichte, arbeiten mit eigenen Laptops in einer Microsoft-365-Umgebung. Diese Voraussetzung nutze ich für dialogische, postdigitale Settings – d.h.
Ich vermittle nicht Wissen, sondern schaffe Settings, in denen Schüler*innen im Austausch mit Vorarbeiten, der Klasse und mit mir Wissen erwerben können.
Digitalität ist der permanente Modus unserer Arbeit, nicht ihr Fokus. Wir arbeiten – und nutzen dazu selbstverständlich auch digitale Medien.
Wie das konkret aussieht, möchte ich kurz an einem aktuellen Beispiel beschreiben.
1 – Lektüre
Ich lese mit der Klasse »Die Nacht so groß wie wir« von Sarah Jäger. Der aktuelle Roman folgt fünf Jugendlichen, die sich gegenseitig herausfordern und ihre Freundschaft auf eine Probe stellen.
Das Buch hat die Klasse in einer Hardcover-Ausgabe angeschafft, ich verwende für die Vorbereitung und die Suche im Unterricht auch eine E-Book-Ausgabe.
2 – Arbeitsumgebung
Materialien und Arbeitsaufträge sammle ich auf einer Seite im Netz, die ich der Klasse auch via Teams zur Verfügung stelle. Ich mache das so, damit das Material frei verfügbar ist. Für die Schüler*inne ist das kein zusätzlicher Speicherort, weil in Teams eingebundene Seiten aussehen, als seien sie Teil der Plattform.
3 – Der dialogische Auftrag
Die Klasse liest den Roman sehr unterschiedlich: Einige sind begeistert, andere gelangweilt. Dieses Ergebnis einer Diskussion hat mich zum Auftrag geführt, die Schüler*innen darüber nachdenken zu lassen, was eine Erzählung spannend macht. (Das ist eine klassische Fragestellung der dialogischen Didaktik, die Urs Ruf intensiv bearbeitet hat.)
Die Aufträge bearbeiten die Schüler*innen in Teams, ich gebe ihnen dazu auch Feedback.
4 – Sammlung der Kernideen und Auseinandersetzung damit
In einem Craft-Dokument habe ich die Kernideen der Klasse gesammelt und ihr zugänglich gemacht. So sind aus der Klasse »Theorien zur Spannung« entstanden, welche die Schüler*innen dann auch kommentiert und gewichtet haben.
In einem zweiten Schritt habe ich dann Theorien gelöscht und zusammengefasst, wenn das die Diskussion in der Klasse nahegelegt hat.
So hat die Klasse in der Auseinandersetzung mit der Lektüre und ihrer Rezeption literaturwissenschaftliche Einsichten gewonnen, die ich nicht vermittelt habe.
5 – Anwendung
Als Vergleich zur deutschen Erzählung schauen und besprechen wir den US-Film »Booksmart«, der eine ähnliche Ausgangslage thematisiert.
Die Theorien der Spannung werden dabei angewendet und modifiziert.
6 – Weg vom Stoff, hin zum Lernen
Was Spannung oder Suspense ist, kann ich einer Klasse in fünf Minuten mitteilen. Dann haben wir das durchgenommen und können weitergehen.
Diese Art der Didaktik, die Stoff abarbeitet, ist für mich nicht geeignet, bleibende Lernerfahrungen zu machen. Schüler*innen haben überzeugend argumentiert, weshalb derselbe Text sehr spannend oder total langweilig ist. Sie merken, dass sich Lesehaltungen unterscheiden, dass Urteile begründet sein können, auch wenn sie nicht der eigenen Sicht entsprechen.
Sie lernen, wie man literaturwissenschaftlich argumentiert und die Argumente überprüft, revidiert und systematisiert. Wir entdecken Fachbegriffe und verwenden sie. Dazu nutzen wir immer digitale Medien, Recherche, Darstellungen: Dabei gelingt fachliches und überfachliches Lernen.
Ist Unterricht ohne Aufgaben denkbar? Diese Frage möchte ich im Folgenden kurz diskutieren – und skizzieren, welchen Wert das Nachdenken über dieses Problem hat.
Aufgaben bzw. eine an Schulen verbreitete Aufgabenkultur ist ein Problem für Schul- und Unterrichtsentwicklung: Aufgaben sind oft Teile von Prüfungen, die ohne Einbezug von Lernkontext, Lebenswelt, Persönlichkeit und Lernprozess Antworten abfragen, die in Musterlösungen festgelegt sind. Diese Aufgaben prägen dann implizit oder explizit die Lernkultur von Schulen, die Schüler*innen befähigen soll, Prüfungsaufgaben zu lösen.
Jürgen Oelkers führt diese Konzeption von Unterricht auf Gilbert Ryle zurück, der Lernen als eine Folge des Lehrens versteht:
Unterricht besteht entsprechend aus einer Serie von Aufgaben und dazu passenden Leistungen, wobei ein Zeitmass mitgedacht wird, etwa eine Schulwoche oder ein Semester. Der Einsatz von Lernzeit wird gesteuert durch Aufgaben, die den Lernenden gestellt werden, wobei auch Lehrende Aufgaben zu bewältigen haben, solche nämlich, die der Vorbereitung und Durchführung des Unterrichts dienen – Hausaufgaben für Lehrer also.
Reformpädagogische Ansätze haben den Fokus vom Lehren hin zum Lernen verschoben. Entsprechend fand in den letzten 20 Jahren in den Fachdidaktiken eine intensive Auseinandersetzung mit Aufgabenkulturen statt, wie sie z.B. bei Criblez nachvollzogen werden kann.
Was sind Aufgaben?
Criblez spricht davon, Aufgaben seien die »kleinste Einheit« von Unterricht und Kompetenzorientierung, die »unterste Ebene«. Josef Leisen bezeichnet Aufgaben als »didaktische Alleskönner« und unterscheidet folgende Typen:
In einer breiten Definition lassen sich Aufgaben folglich als alles definieren, was Lernaktivitäten auslöst (Leisen: »Es gibt kein Lernen und kein Lehren ohne Aufgaben.«). Dann ist klar: Diese Auslöser sind die Basis von Unterricht, ohne sie gibt es kein Lernen. Die Frage nach dem Verzicht wäre eine sinnlose.
Deshalb wähle ich eine etwas engere Definition:
Aufgaben werden allgemein als Aufforderung oder Angebot zum Denken und Handeln verstanden, wobei sie Ziele und Inhalte des Unterrichts auf einer didaktischen Mikroebene konkretisieren.
Kleinknecht (2019)
Ich verstehe also Aufgaben als Handlung von Lehrenden, die
Schüler*innen zu einer bestimmten Aktivität auffordern.
Implizit oder explizit inhaltliche wie auch formale Normen zu dieser Aktivität enthalten.
Konzepte wie »Lernaufgaben« weichen den Punkt 2. auf – sie sind aber begrifflich und konzeptionell immer noch sehr stark mit der von Oelkers dargestellten Ideologie verbunden, dass Lehrende Aufgaben vorbereiten, besprechen und beurteilen. Mehr noch: Aufgaben implizieren, dass Lehrende Lernenden Wissen vorenthalten. (Das wirkt dann ganz massiv auf die Prüfungskultur zurück, die insbesondere auch Hochschulen prägt und in ihrer Entwicklung hemmt.)
Was bringt der Verzicht auf Aufgaben – und wie muss man sich das vorstellen?
Beutel und Xylander schreiben, Schulen brauchten Konzepte, die »in einer von großer Ungewissheit geprägten Lebenswirklichkeit aktuelle Schlüsselprobleme der globalisierten Welt als Lernanlässe aufnehmen. […] Dieser Lernbegriff muss zugleich die Fragen der Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt rücken.« (S. 27f.)
Der Fokus auf die Eigentätigkeit von Lernenden und auf Lernanlässe, die sich an wesentlichen Problemen orientieren, ist eine der zentralen Begründungen, weshalb Unterricht von mehr oder weniger normierten Aufgaben abrücken soll.
Die andere liegt in der zeitgemäßen Wissenskultur: Wissen ist übers Netz zugänglich. Aufgaben, die darauf basieren, Wissen erst verzögert oder strukturiert zugänglich zu machen, stehen auf tönernen Füßen, sobald Schüler*innen mit Smartphones oder anderen Geräten im Netz arbeiten. Dann richtet sich enorm viel Energie im Unterricht darauf, zu verhindern, dass Lernende so arbeiten können, wie sie eigentlich arbeiten sollten: vernetzt.
Was passiert, wenn sich Schulen und Unterricht von Aufgaben in einem engen Sinn lösen? Sie fokussieren sie auf eine Kombination von Herausforderungen und Training.
Herausforderungen erwähnt Renate Girmes in ihrer Konzeption von Aufgaben – einer Konzeption, die davon ausgeht, dass Lernende sich Aufgaben stellen und sich auf Aufgaben beziehen, die sich ihnen stellen (danke für den Hinweis, Andreas Körber):
Individuelle Herausforderung bewirken Aufgaben: Aufgaben, die sie sich stellen und die sich ihnen stellen. Also geht es in Bildungsprozessen im mehrfachen Wortsinn darum, sich Aufgaben zu stellen. Was sind Aufgaben? Aufgaben sind gegenstandsbezogen und der Ausdruck für eine Lücke zwischen dem, was ist und dem, was sein könnte, zwischen Bedingungen und Orientierungen; wird die Lücke empfunden bewirkt das bei den Aufgabenbearbeitern, dass sie das an Wissen und an Können, was ihnen zur Lösung der gesehenen Aufgabe nützlich sein könnte, auf ihre Aufgabe beziehen und dass sie das, was zur Lösung fehlt, zu finden oder zu entwickeln versuchen. Weil das so ist, sage ich: Alles Wissen und Können der Welt, nimmt Bezug auf Aufgaben.
Ich würde hier nicht mehr von Aufgaben sprechen, sondern von Problemen: Lernende arbeiten an Herausforderungen und Problemen, die sich ihnen stellen. Das ist aber nicht zentral: Entscheidend ist, wer Lernaktivitäten auswählt, anregt, beurteilt, in Sinnzusammenhänge einordnet – nämlich die Lernenden selbst.
Die Lehrenden schaffen Arrangements, in denen das Lernende mit hoher Qualität und Verbindlichkeit tun können. Und bieten Trainings für das an, was Girmes »Lücke« nennt: Wiederholungen basaler Aktivitäten, die dabei verbessert werden. Ganz analog zu Training im Sport.
Schulen, die Trainings anbieten und Lernende an Herausforderungen arbeiten lassen, arbeiten nachhaltiger. Sie werden sofort von Noten und Beurteilungen abrücken, werden Selektion und Vergleichbarkeit hinterfragen und problematische (Macht-)Strukturen abbauen. Aufgaben sind auf mehreren Ebenen ein Problem – es ist Zeit, an Alternativen zu denken.
Am Wochenende habe ich Craft kennengelernt – ein Tool, das für mich all das kombiniert, was ich für die Publikation von Texten und Materialien brauche.
Craft bedeutet für mich der Abschied von Textverarbeitungsprogrammen. Ich habe jahrelang gebraucht, um Textverarbeitung und Layout zu verstehen. Im Umgang mit Word bin ich recht kompetent, ich kann vieles automatisieren, einstellen, so einrichten, dass das rauskommt, was ich möchte. Gleichwohl ist Word zu kompliziert – zu viele Menus, zu viele Einstellungen, zu viele Möglichkeiten.
Aber auch zu wenig: Word ist nicht richtig kollaborativ. Will ich einen Link erstellen, um anderen Word-Dokumente zur Verfügung zu stellen, muss ich erst was hochladen, was freischalten, jemanden einladen, ein Konto überprüfen etc. Word-Dokumente sind irgendwie bei mir, nicht im Netz.
Der Abschied von Word hat sich angekündigt: Ich habe lange mit LaTeX gearbeitet für große Dokumente (zu mühsam, wenn man mal wieder was vergisst), habe dann viel mit GoogleDocs geschrieben (mache ich heute immer noch), mit dem iA-Writer zu konzentrieren versucht, eine Weile lang Projekte mit Scrivener organisiert und zuletzt viele Text direkt mit HackMD geschrieben, damit ich sie leicht mit anderen teilen kann.
Craft kombiniert nun für mich alles:
Das Tool ist übersichtlich und intuitiv.
Die Texte sind auf all meinen Geräten sofort synchronisiert.
Ich kann sie mit einem Link sofort als schöne Website teilen.
Ich kann leicht Bilder, Tabellen etc. einfügen.
Das Layout ist schöner, als wenn ich selber was bastle.
Eine sinnvolle Kommentarfunktion ermöglicht zusammenarbeit.
(Ich kriege kein Geld von Craft, die Vollversion kostet rund 50 Geld pro Jahr.)