»traditionelle Konzentration« und »digitale Konzentration«

In einem Beitrag für die Schweizer Nachrichtensendung »10vor10« habe ich kürzlich den Begriff »traditionelle Konzentration« verwendet. Ich möchte hier noch etwas genauer ausführen, was ich damit meine und gemeint habe.

Um etwas auszuholen möchte ich bei Michael Giesecke beginnen, der in seinem Standardwerk zu den Mythen der Buchkultur elf solche Mythen auflistet und diskutiert.

Giesecke: Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft, S. 223.
Giesecke: Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft, S. 223.

Der Begriff »Konzentration« könnte gut auch auf die Buchkultur zurückgeführt werden. Er wertet einen primären, vom Text ausgehenden Reiz auf und sekundäre Reize ab. Ein »tiefes« und lineares Lesen erhält den Vorzug vor einem »oberflächlichen« und vernetzten. Zunächst einmal scheint das einleuchtend: Wer einen Zusammenhang erfassen will, muss längere Texte ergründen können, surfen reicht dafür nicht aus.

Nur: Hier betrachten wir einen Wissenszugang, der geprägt ist von einem traditionellen Paradigma, von den Mythen der Buchkultur. Deshalb spreche ich von »traditioneller Konzentration«. Die Möglichkeiten einer »digitalen Konzentration«, in der Vernetzung und Multitasking eine wesentliche Rollen stehen, sind noch kaum ergründet. Die Debatte um die Möglichkeiten eines tiefen digitalen Lesens zeigt deutlich, welche Fragen sich hier stellen.

Hinweise lassen sich etwa aus dem Konzept der Ambient Awareness gewinnen, bei dem in unbewussten, repetitiven Abläufen Informationen gewonnen werden:

Was es bedeutet, in einem digitalen Umfeld den »gleichen Schritt« zu halten, kann das Konzept der Ambient Awareness aufzeigen. Untersuchungen von Mizuko Ito haben aufgezeigt, dass Jugendliche, die mit Social Media eng verbunden sind, oft fast beiläufig die so genannten Streams auf Twitter, Facebook, Instagram oder Tumblr durchscrollen. Sie nehmen viele Informationen unbewusst wahr, nicht als zielgerichtete Botschaften einer anderen Person. Dadurch erhalten diese Updates einen ähnlichen Stellenwert wie Gesten, Körperhaltung oder Mimik bei Begegnungen: Sie erleichtern es, auf die Stimmung einer anderen Person zu schließen. (Quelle: Generation Social Media, S. 97f.)

Weitet man die Idee aus, so müsste man den Wissenserwerb durch scheinbar zielloses Surfen beurteilen können. Das ist aber deshalb schwierig, weil die Verfahren, mit denen solche Prozesse eingeschätzt werden, ebenfalls einem traditionellen Muster untergeordnet werden: Fixiert man einen linearen Text als Gegenstand des Prozesses, so bietet der Text auch den Hintergrund, von dem der Leseprozess beurteilt werden kann. Zielloses Surfen kann nicht mit solchen Methoden erfasst werden. Es erfordert ebenfalls eine Form von Konzentration, zu der ich vorerst nur Ansätze skizzieren kann – Ergänzungen sind sehr willkommen:

  1. Im richtigen Moment auf einen Link klicken.
  2. Mehrere Medienformen in ihrem Verhältnis einschätzen.
  3. Den Gehalt eines digitalen Angebots aufgrund von Metainformationen beurteilen können.
  4. Sozial Lesen, also Auszüge, Links weiterverbreiten.
  5. Suchfunktionen und Filter einsetzen können, um eine selektive Lektüre zu ermöglichen.

Concentration

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