Warum ich meine Trolle füttere

Seit meine Online-Präsenz eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich zieht, ruft sie Trolle auf den Plan. Ich habe aufgehört, sie Trolle zu nennen – weil der Begriff als Beleidigung oder Abwertung wahrgenommen wird. Das kann ich gut nachvollziehen. Hinter den Trollen im Netz stecken Menschen, die bestimmte Anliegen vertreten. Kürzlich hat die FAZ mit dem Titel »Ich bin der Troll« über Uwe Ostertag berichtet – einen Menschen, der viel Zeit damit verbringt, Kommentare auf Newsportale zu hinterlassen. Seine Reaktion darauf zeigt deutlich, dass er sich selbst gerade nicht als Troll bezeichnen würde, aber nicht zögert, den Artikelautor, Timo Steppat, einen Troll zu nennen.

Ich möchte den Begriff kurz kommentieren, bevor ich auf mein Verhältnis zu meinen Trollen eingehe. Trollen bedeutet generell, Kommunikationsabläufe zu stören und Menschen daran zu hindern, so mit anderen im Gespräch zu bleiben, wie sie das gerne möchten.

In einem Aufsatz über Trolle in der Schule (pdf) habe ich vier Ebenen unterschieden, die nötig sind, um trolliges Verhalten zu beschreiben:

  1. Eine Kommunikationssituation, deren implizite und explizite Regeln Trolle ausnutzen können.
  2. Eine Absicht des Trolls, die nicht zu den Regeln passt und verschleiert wird. Der Troll tut, als würde er sich an die Kommunikationssituation anpassen, um sich gegen Kritik zu immunisieren.
  3. Ein Gegenüber, das auf die Trollaktionen reagiert. Man könnte es auch das Opfer des Trolls nennen.
  4. Anschlusshandlungen: Der Troll muss eine Art Profit aus seiner Trollerei ziehen können, indem er andere darauf aufmerksam macht. Aber auch Betroffene reagieren oft auf das Getrollt werden, was dann wiederum Anlass für weitere Trollkommunikation bietet.

Die klassischen Trolle bei 4chan gaben als ihre Absicht an, lulz erzeugen zu wollen – ein schadenfreudiges digitales Lachen. Diese Absicht scheint mir aber für Trollverhalten nicht nötig zu sein: Wie Kathy Sierra, selbst Opfer massivster Troll-Übergriffe, in einem lesenswerten Blogpost schreibt, gibt es durchaus Trolle, die hehre Absichten verfolgen.

Sierra entwickelt eine Theorie, was das Trollen auslöst: Der Kool-Aid-Point. Er wird dann erreicht, wenn eine Person oder eine Marke eine Wirkung auf ein Publikum entfalten kann (US-engl. to drink the Kool-Aid = an etwas glauben, ohne es kritisch zu hinterfragen). Trolle wollen diese Wirkung verhindern, weil sie der Meinung sind, die Aufmerksamkeit sei nicht verdient, sie werde von denen abgezogen oder gar gestohlen, denen sie zukommen sollte.

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Ist der Kool-Aid-Punkt überschritten, gibt es drei verbreitete Möglichkeiten, auf die Trolle zu reagieren, hält Sierra fest:

  1. Auf Netzkommunikation verzichten.
  2. Sie ignorieren.
  3. Gegen die Trolle ankämpfen.

Die Trolle nicht zu füttern (2.), scheint die einzige Möglichkeit zu sein, die das Problem löst. Letztlich führt sie aber genau dazu, dass die Trolle zu schädlicheren Methoden greifen, um zu verhindern, dass andere die Kool-Aid trinken können. Fazit:

That’s right, in the world we’ve created, once you’ve become a Koolaid-point target they always win. Your life will never be the same, and the harassers will drain your scarce cognitive resources.

* * *

Im Vergleich zu Sierra, die zusammen mit ihren Angehörigen massiven Übergriffen und Unterstellungen ausgesetzt war und ist, verdienen die Probleme, die meine Trolle verursachen, keine Beachtung. Aufgrund meiner Zugehörigkeit zur Gruppe der »Default Men« bin ich massiv privilegiert: Ich werde unterstützt, meine Arbeit wird geschätzt und mein Charakter kaum infrage gestellt. Ich könnte es mir erlauben, meine Trolle zu ignorieren. Dennoch tue ich das nicht und werde immer wieder gefragt, warum ich den Dialog mit ihnen aushalte und dafür Zeit und Energie verschwende. Darauf möchte ich im Folgenden kurz antworten.

(Zunächst aber noch eine Bemerkung zum Plural: Meine Aktivitäten haben immer wieder andere Trolle angezogen. Einige ermüden, anderen bleiben länger dabei. Mehr als drei haben mich nie gleichzeitig beschäftigt.)

  1. Trolle fordern einen Widerspruch zu eigenen Prinzipien heraus: Sie wollen einen an einen Punkt bringen, an dem man etwas tut, was man nie tun wollte – um das dann wiederum gegen einen zu verwenden. Ich halte den offenen Dialog für etwas Wichtiges, ja Entscheidendes: Wenn ich ihn Menschen verweigere, weil ich sie für Trolle halte, hätte ich genau diesen Punkt erreicht.
  2. Trolle weisen einen auf Schwächen hin: Auf eigene und auf solche der Systeme, in denen man sich bewegt. Sie machen Erwartungen und Regeln sichtbar, sie sind quasi das Äußere der Kommunikationssituationen, in denen man sich häufig befindet.
  3. Ich habe zwar gelernt Spiele zu verlieren – das konnte ich lange Zeit nicht, aber ich kann Spielherausforderungen kaum ablehnen. Die gehen von Trollen aus. Ich bin wohl psychologisch anfällig darauf, mich auf ihre Aktionen einzulassen.
  4. Sierra nennt die Trolle, die ihr Leben zur Hölle gemacht haben, Sociopaths, pathologisiert sie also, indem sie ihnen eine Persönlichkeitsstörung zuweist. Das mag für die Trolle, mit denen sie zu tun gehabt hat, durchaus zutreffen – in meinem Fall weigere ich mich aber, den Menschen, die als Trolle agieren, die Fähigkeit abzusprechen, ihr Verhalten zu hinterfragen und zu ändern. Deshalb möchte ich sie als Gesprächspartner behandeln, nicht als Kranke.

Die entscheidende Fähigkeit von geschulten Trollen ist es, zunächst Unbeteiligte zu verführen, ihren Aussagen zu glauben und mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. Bösartige Trolle beabsichtigen – und anderen – oft auch Cybermobbing. Gelingt ihnen das, dann sind sie ein ernsthaftes Problem, das Gesellschaften lösen müssen. Wenn Menschen vertrieben, bedroht und geschädigt werden, ist »trolling« dafür ein zu nettes Wort – zumal es keine Möglichkeit gibt, die Polizei oder andere staatliche Akteure einzuschalten. »We are on our own«, schreibt Sierra. Solidarität ist das einzige, was bleibt. Diese brauche ich nicht. Ich könnte tun, als gäbe es meine Trolle nicht. Das ist ein enormes Privileg.

* * *

Wir sollten von Trollen sprechen, aber in einem genauen Sinn. Einander das Wort als Beleidigung um die Ohren zu hauen, bringt wenig. Aber zu beschreiben, welche Methoden genutzt werden, um das Ansehen von missliebigen Personen zu beschmutzen, ist gerade deshalb wichtig, weil diese von Trollen ausgegrenzten unsere Solidarität nötig haben und wir alle versucht sind, den Verführungen der Trolle nachzugeben.

Ein eigenes Ebook erstellen und verbreiten in zwei Stunden

Udpates: Ich ergänze diesen Post laufend. Hier die Daten der wichtigsten Updates: 11.2., 9.15 Uhr – 11.2., 12.15 Uhr – 

Heute habe ich mir einen Abend Zeit genommen, um etwas zu tun, was ich schon immer mal tun wollte: Ein Buch veröffentlichen. Nun, geschrieben hatte ich nur einen Vortrag über Trolle, ich habe ihn hier schon präsentiert: »Warum die Schule Trolle braucht«. Das Manuskript habe ich überarbeitet und daraus Versionen erstellt, die sich über Amazons Kindle-Store und Apples iBook-Store verbreiten lassen. Das ist also, was ich nun im Folgenden »Buch« nennen werde: Ein kurzer Essay mit ein paar Bildern.

Cover

Ich dokumentiere hier mein Vorgehen kurz, Fragen beantworte ich gerne. Voraus nur dies: Ich bin kein Profi, sondern absoluter Laie, der einfach ausprobiert hat, was möglich ist.

  1. Ich habe das Manuskript mit Pages bearbeitet und die hier erwähnten Formatvorlagen und Voragben verwendet
  2. Das Buch konnte dann in Pages mit dem Befehl »Exportieren« direkt als .epub-File gespeichert werden.
  3. Dazu habe ich das Cover (also die erste Seite) separat als Bilddatei gespeichert, sinnvoll ist .jpg.
  4. Das war schon alles: Ein .epub-Buchfile und ein .jpg-Cover reichen für alles, was ich tun wollte, aus:
    a) Kindle-Direct-Publishing geht mit einem vollständig ausgefüllten Amazon-Konto.
    b) Free Books Account für iBooks geht mit einer Apple-ID; allerdings können die Bücher dann nur gratis angeboten werden. Wer Geld verdienen will, muss ein Konto kaufen.
  5. Auf beiden Plattformen habe ich je rund 10 Minuten gebraucht, um alle Informationen auszufüllen.
  6. Auf Epubli habe ich zusätzlich für 20 Euro eine ISBN-Nummer gekauft. Epubli würde auch die gesamte Publikation des Buches übernehmen, ist aber kostenpflichtig.
  7. Die ISBN habe ich zusammen mit der CC-Lizenz in ein Impressum eingefügt.
  8. Die Titelseite muss doppelt eingefügt werden, damit sie in .epub-Dateien als solche erkannt wird.
  9. Ich habe das .epub-File mit Calibre (OS X) in ein .mobi-File umgewandelt.

Das Buch wird momentan verarbeitet, ich poste hier die Links zu den Büchern, sobald sie erschienen sind. Interessant ist, dass Apple nur einen Zugang zum Gratisprogramm kostenlos anbietet, Amazon auch ermöglicht, Geld zu verdienen. Allerdings wird das Buch bei Amazon auch verschenkt, wenn es anderswo gratis verfügbar ist. Das ist durchaus mein Ziel: Ich will kein Geld verdienen, sondern einen Aufsatz von mir möglichst breit verfügbar machen.

Hier die von mir erstellen Files in Version 1.1, das ganze Buch steht unter der Lizenz CC BY 3.0.

(Dieser Post erscheint am 9. Februar auf Rivva.)

Warum die Schule Trolle braucht – mein Vortrag auf der Trollcon

Am letzten Sonntag habe ich auf der ersten Trollcon in Mannheim meine Thesen präsentiert, weshalb es in der Schule schon immer Trolle gab – und es Trolle weiterhin geben sollte. Ich möchte hier nun die wichtigsten Erkenntnisse zusammenfassen – den ganzen Vortrag (mit Slides) kann man hier nachlesen und ganz unten gibt es auch ein Video. (Update: Mittlerweile habe ich den Vortrag auch als Essay publiziert.)
Meine allgemeinen Eindrücke zur Konferenz habe ich bereits auf der Heimfahrt festgehalten, die Dokumentationsseite enthält viele Links auf andere Artikel. Die Bilder stammen von cheatha (Flickr, CC BY 2.0).


1. Was sind Trolle?

Trolle kommunizieren im Internet, indem sie ihre Absichten und ihre Identität verfremden. Ihre Absicht ist es, lulz zu erzeugen: Ein hämisches, schadefrohes Lachen über die Verwirrung oder das Leid von anderen. Sie tun das, indem sie Kommunikationsabläufe stören. Dabei brauchen sie eine Kommunikationssituation und Akteure, die eine Art geregelte Kommunikation betreiben. Im Anschluss an ihre Störversuche werden sie meist aus der Kommunikation ausgeschlossen, sie selber verbreiten die lulz möglichst breit und versuchen andere ebenfalls zum Trollen aufzufordern.

Spricht man über Trolle, so sollte man immer angeben, welche Verhaltensweise man als »trollig« bezeichnet und ihren Kontext berücksichtigen.

2. Trolle in der Schule?

Von Trollen in der Schule würde ich dann sprechen, wenn das Unterrichtsgespräch so gestört wird, dass Verunsicherung entsteht – bei der Lehrperson, bei der Klasse. Diese Verunsicherung sollte vom Troll absichtlich herbeigeführt werden, aber ohne dass diese Absicht für die anderen erkennbar ist.

Solche Störungen kennt man aus der eigenen Schulzeit – man kann sie aber auch in literarischen Werken identifizieren, in meinem Vortrag habe ich Robert Musils Törless und Juli Zehs Spieltrieb dahingehend interpretiert.

Trolliges Verhalten in der Schule kann wie folgt systematisiert werden:

Gemeint ist, dass soziale Beziehungen, die Selbstreflexion der Lehrperson oder der Unterrichtsinhalte, die Sache, Ausgangspunkt für eine Störung sind. Diese Typologie ist angelehnt an Störungen des Unterrichtsgesprächs, wie sie in einschlägigen Lehrmitteln dokumentiert sind (Bittner und Wagner, 2006).

3. Wie sind Trolle in der Schule zu bewerten?

Wenn Trolle Verunsicherung schaffen, ist das in den meisten Fällen problematisch. Es gibt in der Schule jedoch auch positive Aspekte:

  1. Trolle zeigen unsichtbare Machstrukturen, Rollenvorgaben und Hierarchien auf, die Lernen verhindern oder behindern können.
  2. Trolle zeigen den fundamentalen Widerspruch der Schule auf, Jugendlichen bei der Selbstfindung zu helfen (das zu werden, was sie werden wollen), aber gleichzeitig Vorgaben zu erfüllen (der Arbeitswelt, standardisierte Aufgaben zu erledigen).
  3. Trollen zeigen, dass die Schule eigentlich keinen Widerstand mehr zulässt, weil sie als biopolitische Disziplin (Foucault) immer verstanden werden muss als etwas, was allen Beteiligten nützt.
  4. Trolle zeigen versteckte Privilegien von Lehrpersonen auf, z.B., kein echtes Interesse haben zu dürfen (was sie bei SchülerInnen nicht verstehen).
  5. Trolle ermöglichen echte Kreativität – sie können scheitern, sie probieren aus, sie ändern ihre Identität. Gerade im Schonraum Schule ist das für Jugendliche enorm wichtig.

Das heißt aber nicht, dass die Schule Trolle dann unterstützen muss, wenn sie Schaden anrichten und ihr Verhalten eher als Bullying oder Mobbing zu werten ist. Wo da die Grenzen liegen, ist schwierig zu bestimmen.

4. Digitales Lernen und Trolle

Sobald Unterrichtsgespräche durch Social Media ergänzt oder ersetzt werden, geraten zwei wesentliche Bedingungen für Trollverhalten – und damit für kreatives Lernen – in Gefahr: Die Neukonzeption einer Identität sowie die fehlende Permanenz von Daten. Unterrichtsgespräche leben deshalb, weil Schülerinnen und Schüler Haltungen erproben können – und Gesagtes nicht gespeichert wird. Wenn dies nun geschieht, so dürfte man befürchten, dass sich alle viel angepasster, konservativer verhalten – und nur noch Erwartungen erfüllen. Social Media in der Schüler müsste die Möglichkeit einräumen, Identitäten zu modifizieren, damit zu spielen – und die Löschung von Geschriebenem/Gesagtem als Standard einsetzen.

5. Lehrerinnen und Lehrer als Trolle

Postel’s Law lautet:

Be conservative in what you do; be liberal in what you accept from others.

Es bezeichnet ein Ratschlag an Ingenieure, ist aber auch eine gute Beschreibung des Verhaltens vieler Lehrpersonen: Sie verwenden bewährte Methoden und Inhalte. Damit funktionieren sie genau umgekehrt wie Trolle, wie die folgende Matrix zeigt:

Moderne Didaktik fordert Lehrpersonen, die ihr eigenes Lernen parallel zu dem der Schülerinnen und Schüler ausstellen und reflektieren. Sollen sie nun auch trollen? Man stellt sich so eine Alternative zum Postel-Lehrer-Ingenieur vor: Der Lehrer-Troll. Er variiert Methoden und Inhalte, versucht Irritation zu schaffen, Sicherheiten zu erschüttern – und so Lernprozesse auszulösen. Das ist soweit nur einmal ein Gedanke, ein Ideal, ein Fluchtpunkt. Was eine Troll-Didaktik bedeuten würde, das gälte es genauer auszuarbeiten.

Fazit

Trolle sagen immer etwas aus über die Institutionen oder Kontexte, in denen sie funktionieren. Sie können nie isoliert analysiert werden, sondern immer in Bezug auf die Bedingungen, die ihr Trollen möglich machen.

(Quellen für den Vortrag können dem Manuskript bzw. dem Google-Docs Ordner entnommen werden. Die Aufzeichnung wird eingefügt, sobald sie verfügbar ist.)