Social Media lernen und lehren mit einem Social Media Portfolio

Update, November 2013: Ich habe die hier skizzierte Vorgehensweise ausführlicher in einem separaten Dokument formuliert, das hier als pdf runtergeladen werden kann.

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Letzte Woche habe ich ein Modell skizziert, wie Lernen auf sozialen Netzwerken aussehen könnte: Man müsse, so mein Vorschlag, »lurken« – also einfach mal zuschauen, mitlesen, nachvollziehen was da passiert. Und sich dann Gedanken machen.

Ich konkretisiere meine Ausführungen nochmals – das Folgende ist als Vorschlag für eine Unterrichtssequenz oder für autodidaktische Lernprozesse gedacht. Die Basis sind meine Erfahrungen, die ich mit diesem Portfolioauftrag zur Arbeit von Journalistinnen und Journalisten (pdf) gemacht habe.

Social Media Portfolio

  1. Entwicklung einer konkreten Fragestellung, z.B.
    a) »Wie funktioniert Twitter?«
    b) »Wie vernetzen sich Menschen im Internet?«
    c) »Was muss man machen, um einen erfolgreichen Blog zu führen?«
    d) »Wie präsentieren sich Politikerinnen und Politiker auf Social Media?«
  2. Fokus auf eine oder wenige geeignete Profile oder Personen. Hilfreich sind dabei für einen Schweizer Kontext die Listen von einflussreich.ch, z.B.
    a) Bloggerinnen und Blogger im deutschsprachigen Raum
    b) Politikerinnen und Politiker Schweiz
    c) Kommunikationsprofis Schweiz
  3. Sich vertraut machen mit den wichtigsten Begriffen und Ranking-Faktoren, z.B. mit dem Klout-Score. Evtl. Begriffslisten anlegen, Twitter-Einführungen studieren etc.
  4. Regelmäßige Lektüre der Posts, der Profilveränderungen und der verlinkten Medieninhalte (z.B. alles lesen bei einem Profil, jede Woche einen Tag lang alles lesen etc.)
  5. Protokollieren der wichtigsten Feststellungen und Beobachtungen mit einfachen Fragen:
    a) Wer ist das, der oder die da aktiv ist/sind?
    b) Was sind die wichtigsten Themen?
    c) Wie werden sie präsentiert (Sprache, Abkürzungen, Links etc.)
    d) Wie reagieren andere Leserinnen und Leser darauf?
    e) Wann ergeben sich Dialoge oder Diskussionen? Sind sie ergiebig?
  6. Reflexion dieser Beobachtungen:
    a) Was habe ich gelernt?
    b) Was hat mich gestört?
    c) Was wäre für mein eigenes Auftreten auf Social Media wichtig?

Ich freue mich über Anregungen und Kommentare zu diesem Vorschlag!

Flickr cirox, CC-BY-NC 2.0

»lurk moar« – Entwurf einer Social Media-Didaktik

Auf dem berüchtigten Forum /b/ auf 4chan.org führt radikale Anonymität dazu, dass sich aus destruktiven und kreativen Kräften im Internet immer wieder so genannte Memes ergeben – Kommunikationshandlungen, die sich sehr schnell verbreiten. Eines dieser Memes ist eine Aufforderung an einen anderen »Anon«, also ein anderes anonymes Mitglied: »lurk moar«. Der zweite Teil der Aufforderung beutet »more«, das Adverb ist in der typischen Schreibweise von 4chan gehalten. »to lurk« bzw. »lurker« bezeichnet die Haltung, in Foren nur mitzulesen, anstatt selber zu posten und beizutragen.

Die Encyclopedia Dramatica formuliert es mit der üblichen Obszönität:

A Lurker has an account, is actively reading, downloading, and doing shit, but NEVER FUCKING POSTS.

Der Logik der Aufforderung gehorchen ist der Eintrag zur »lurk moar« zirkulär gehalten, wie der Screenshot unten zeigt. Wer nicht weiß, was »lurk moar« bedeutet, muss eben gerade das tun: Mehr mitlesen, mehr Kommunikationsabläufe beobachten um sie dann schließlich zu übernehmen oder kreativ zu erweitern bzw. zu stören.

Lurk moar. Eintrag in der Encyclopedia Dramatica.

In frühen Prä-Internet-Foren war Lurken verpönt. Es verhinderte, dass sich eine Community aufbaute, dass Leute ihre Gedanken teilten oder allenfalls einfach gute Gedanken von anderen kopieren. Heute sind Teilen, Kopieren sowie Community integrale Bestandteile von Social Media – es geschieht eher zu viel statt zu wenig.

Wer Social Media verstehen will, so mein didaktischer Vorschlag, sollte »lurken«. Geht ganz einfach:

  1. Konto erstellen.
  2. Profil kann leer gelassen werden.
  3. Aktiv mitlesen, interessanten Leuten folgen.
  4. Nicht selber posten.

Diese Zurückhaltung dient der Reflexion: Erst wenn man weiß, wie eine bestimmte Kommunikationshandlung wirkt, kann man ihren Einsatz beurteilen. Wenn einen User stören, verärgern, begeistern – dann gibt es die Möglichkeit, sich zu überlegen, das diese Störung, diesen Ärger oder diese Begeisterung ausgelöst haben. Das »Lurken« schafft eine Distanz, die pädagogisch sehr wertvoll. Learning by doing wird in einem ersten Schritt zu learning by lurking.

Wie setzt man das konkret im Unterricht ein? Eine einfache Methode sind Portfolios. Ich habe z.B. Schülerinnen und Schüler in der Medienkunde schon oft Journalistinnen und Journalisten begleiten lassen (hier ein Auftrag als pdf)- einfach lesen, was sie schreiben, und sich dazu Gedanken machen. Ähnlich könnte man auch bei profilierten Social Media-Nutzern vorgehen – auch als Lehrperson, die sich informieren möchte, wie Social Media funktionieren.

(Die so genannte 1%-Regel besagt, dass nur 1% der Benutzer von Social Media Inhalte erstellen, 9% mit Kommentaren beitragen und 90% nur Lurker sind…)

Wikimedia.