Eine sinnlose Kompetenz: Online-Quellen beurteilen

Ob im Lehrplan 21 (siehe unten) oder bei saferinternet.at: Die Vorstellung, in der Schule müsse man lerne Online-Quellen einzuschätzen, ist verbreitet. Sie ist aber, so finde ich, irreführend. Warum erläutere ich im Folgenden.

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Zyklus 3, Kompetenzen im Fach Deutsch

Der Lehrplan 21 listet Kompetenzen auf, die für den Umgang mit Sachtexten bedeutsam sind. »Sachtexte aus dem Internet« sollen kritisch hinterfragt werden. Die Implikation ist hier klar: Gedruckte Sachtexte wurden schon auf ihre Vertrauenswürdigkeit geprüft.

Saferinternet.at argumentiert hier explizit:

Doch als reichhaltiger Fundus an Wissen bietet das World Wide Web auch einen fruchtbaren Nährboden für Halb- oder Unwahrheiten. Frei nach dem Motto „Ist doch egal, woher die Info kommt“ verbreiten sich im Netz auch Fehlinformationen oder Falschnachrichten rasend schnell weiter.

Die rasende Schnelligkeit mag ein Faktor sein, der für Print-Informationen weniger zutrifft. Aber der »fruchtbare Nährboden für Halb- oder Unwahrheiten« ist das menschliche Denken, nicht das Internet.

Nehmen wir das Beispiel mit dem Honigglas, das ein Student einer Mutter im Supermarkt über dem Kopf ausgießt, weil diese ihr Kind antiautoritär erzieht: Diese Urban Legend habe ich zum ersten Mal in den späten 1980er-Jahren in einer Zeitung gelesen. Nie hätte ich als Jugendlicher vermutet, der Schreiber der Glosse hätte das nicht selbst erlebt. Tatsächlich handelt es sich um eine Anekdote, die in zahllosen Variationen seit über 30 Jahren immer wieder erzählt wird – auch im Internet. Psychologische Gründe führen dazu, dass Menschen sich davon überzeugen lassen, jemand hätte wirklich einmal zum Thema »Was ist Mut?« als Aufsatz den Satz »Das ist Mut.« abgegeben oder eine Frau habe ihre Katze in einer Mikrowelle getrocknet. Mit dem Internet hat das nichts zu tun.

Quellenkritik ist wichtig – aber ein gutes Beispiel für das, was Muuß-Merholz »digitales Mainstreaming« nennt: Phänomene sollen nicht als digitale Sonderfälle ausgewiesen werden. Vielmehr fließen digitale Techniken selbstverständlich in ihre Analyse mit ein.

Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Checkliste von saferinternet.at, dann wird erkennbar, dass man »Online-Quellen« problemlos durch »Quellen« ersetzen könnte. Ihre Bewertung erfolgt bei einigen Fragen einfacher mit digitalen Mitteln, die Grundfragen »wer«, »wie« und »warum« gelten für die Einschätzung jeder Art von publizierter Information.

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saferinternet.at, CC BY-SA

 

 

»Kontrolle ist anderswo« – Kritik am Facebook Handbuch

Das Facebook-Handbuch von Thomas Pfeiffer und Jöran Muuß-Merholz habe ich vor einem Monat kurz vorgestellt, es heißt »Mein Kind ist bei Facebook«. Gestern hat die taz eine Rezension von Christian Füller publiziert, die eine fundamentale Kritik enthält: Das Handbuch suggeriert, das Phänomen Facebook sei mit technischen Lösungen und Gesprächen in den Griff zu kriegen. Ist es nicht, so Füller:

[Das Facebook-Handbuch] suggeriert, dass mit ein, zwei technischen Einstellungen und einem Gespräch mit dem Kind die Sache ins Lot zu bringen ist. Ist sie aber nicht, denn die Droge, mit der Facebook hier operiert, heißt: Aufmerksamkeit. Das, wonach jeder Mensch und besonders jeder Teenager dürstet.

„Wer Facebook versteht, muss sich wenig davor fürchten“, schreiben [die Autoren]. Facebook verstehen aber lernt man in ihrem Handbuch nicht, sondern lediglich, es zu bedienen.

Füller zitiert eine Aussage, die in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung über die Einstellung von Jugendlichen zum Internet erschienen ist. Mira hält dort fest:

Ich muss im Nachhinein schon sagen, dass mir das [=Facebook] entglitten ist. Irgendwann hat es mich richtig aus der Bahn geworfen. Ich traf zwar noch Freunde, war also nicht nur in einer Ersatzwelt, aber wenn ich zu Hause war, war ich immer online und über Facebook erreichbar. Ich habe kein Buch mehr gelesen, nie mehr im Gras gelegen. Und ich war abhängig von den „Likes“, also Komplimenten, die ich bekommen habe. Für mein Aussehen, für Fotos, die ich reinstellte, für meinen Status. Das ist der Stoff, der süchtig macht.

Neben der Unterschätzung dieses Suchtpotentials, das mit der Anerkennung gekoppelt sei, die soziale Netzwerke bieten, sieht Füller ein anderes grundlegendes Problem beim Handbuch:

[D]ie Anmaßung, Facebook ließe sich unter Kontrolle bringen, ist brandgefährlich. Wahrscheinlich kennen die Autoren das „Kontroll-Paradoxon“ der Psychologen Brandimarte, Acquisti und Loewenstein nicht. Die Forscher haben das Phänomen beschrieben, dass Probanden dann bereit sind, mit intimen Ansichten und Geständnissen umso freizügiger umzugehen, wenn man ihnen versichert, sie hätten die Sache unter Kontrolle – und sei es nur ein bisschen.

(Die Publikation von Brandimarte, Acquisti und Loewenstein kann hier (pdf, englisch) nachgelesen werden.)

Vorstellung: Facebook für Eltern

Thomas Pfeiffer und Jöran Muuß-Merholz haben ein Buch mit dem Titel »Mein Kind ist bei Facebook – Tipps für Eltern« geschrieben.

Auf ihrer Homepage bieten sie einige Leseproben an, unter anderem auch zwei Kapitel als pdf:

Gut gefällt mir die Definition von Facebook als Balanceakt. Dabei werden einfache Richtlinien beschrieben sowie auch eine Rolle für Lehrpersonen oder Eltern definiert. Die konsequente Metaphorik ist verständlich, die Texte scheinen mir aber tendenziell etwas länger als nötig:

Es gibt keine einfache Wahrheit, nach der man genau weiß, was richtig und was falsch ist. Es lässt sich nur folgender allgemeine Grundsatz formulieren:

Du musst bei Facebook immer zwischen Offenheit und Geschlossenheit abwägen! So viel Offenheit wie nötig, damit Du Deine Ziele erreichst. So viel Geschlossenheit wie möglich, damit die unerwünschten Risiken und Nebenwirkungen möglichst unwahrscheinlich bleiben. […]

Die Höhe des Seils ist die Offenheit. Gleich alles mit allen teilen, gleich auch private und heikle Inhalte zu posten, das ist, also ob man gleich zu Beginn auf dem Drahtseil in großer Höhe einen Salto rückwärts ausprobiert. Das kann gut gehen, aber man kann auch leicht abstürzen. Also gilt: Ungeübte Facebook-Nutzer beginnen mit Geschlossenheit, mit harmlosen Inhalten und begrenztem Zugang für andere. […]

Das Auffangnetz unter dem Drahtseil gibt es bei Facebook nicht. Wenn man einen Inhalt veröffentlicht hat und daraus unerfreuliche Konsequenzen entstehen, kann man den Inhalt vielleicht noch löschen, aber die Folgen nicht mehr rückgängig machen. Als Ersatz für das Auffangnetz kann man sich eine „Gedanken-Probe“ erschaffen. Also: Man formuliere einen Inhalt und die gewünschten Einstellungen zur Privatsphäre, ohne den Inhalt aber tatsächlich abzusenden. Stattdessen zeigt man ihn sich selbst (oder Eltern, Freunden, Vertrauten) mit der Frage: Was könnte passieren, wenn ich das mit dieser Offenheit poste? […]

Der Trainer ist jemand, der schon Erfahrung auf dem Drahtseil hat und dem Neuling beratend zur Seite stehen kann. Dafür muss er nicht selbst jede Situation kennen, in die sein Schützling geraten kann. Häufig kommt es eher darauf an, die richtigen Fragen zu stellen oder einfach nur als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen.