Wissensarbeit ohne KI ist wie Sahne mit einer Gabel steif schlagen

Als ich ein Kind war, haben wir oft Urlaub in einem Bergdorf gemacht. Unsere Wohnung wurde nicht nur mit Holz geheizt, auch der Herd wurde mit einem Feuer erhitzt. Einmal gab es in jedem Urlaub gebratene Bananen mit Schlagsahne. Meine Eltern haben die Sahne abwechslungsweise mit einer Gabel geschlagen, weil es kein Rührgerät gab.

Damals war das romantisch, es war Urlaub. Im Alltag hätten meine Eltern keine Sahne geschlagen, wenn sie es mit einer Gabel hätten tun müssen. Genauso fühlen sich für mich viele schulische Beschränkungen der KI-Nutzung an: Eigentlich würden alle Menschen, die Zugang zu KI haben, bestimmte Aufgaben mit einer KI erledigen. In der Schule dürfen sie das aber nicht, obwohl es damit viel leichter ginge.

Ein Verbot von KI kann man in pädagogischen Settings auf zwei Arten begründen. Entweder geht es um die Methodenkompetenz, bei der ein bestimmter Prozess durchlaufen wird, der durch die KI übersprungen wäre. Wer etwa bei einer Mathe-Aufgabe abschätzen soll, ob sie überhaupt lösbar ist, tut das nicht, wenn sie direkt an eine KI übergeben wird. Oder aber es geht um basale Kompetenzen, die Schüler:innen auch erwerben sollen, wenn sie nicht auf eine KI zurückgreifen können.

Das Problem mit beiden Begründungen: Es ist nicht abschätzbar, ob dieser Prozess und diese Kompetenzen auch dann bedeutsam sind, wenn der KI-Einsatz bei allen Aufgaben verbreitet ist. In einer historischen Situation, in der elektrische Rührgeräte nur wenigen Menschen zur Verfügung standen, wäre es durchaus sinnvoll gewesen zu verlangen, dass alle, die kochen wollen, lernen, Sahne ohne elektrische Unterstützung zu schlagen. Heute ist es das nicht mehr. Methoden und Kompetenzanforderungen wandeln sich.

Aktuelle denke ich mit Kolleg:innen darüber nach, wie ein Schreibformat aussehen könnte, bei dem Schüler:innen nur in einer Teilaufgabe KI nutzen dürften – und einen Text ohne KI-Unterstützung schreiben sollen (einen ersten Vorschlag findet ihr hier). Schüler:innen fragen bei der Reflexion dieser Aufgabe: Warum sollten wir das überhaupt machen? Was bringt es, einen Text ohne KI zu schreiben? Auf diese Frage habe ich heute noch Antworten. In einem Jahr aber vielleicht nicht mehr.

Was für Smartphone-Verbote spricht

Ums vorwegzunehmen: Ich bin gegen staatliche Verbote, die Schulen daran hindern, pädagogische Lösungen für pädagogische Probleme zu finden. Ein Smartphone-Verbot beschneidet den Handlungsspielraum von Schulen unnötig, es ist eine schädliche Belastung – all das habe ich kürzlich hier festgehalten.

In der Diskussion meines Beitrags wurde ich gefragt, ob es nicht doch Argumente gebe, die für ein Smartphone-Verbot sprechen würden. Darauf möchte ich drei Antworten geben, die wesentliche Thesen der Befürworter:innen aufgreifen:

  1. Smartphone-Verbote (allein) wirken nicht.
    Eine aktuelle Studie aus Grossbritannien zeigt, dass Schul-Verbote die Nutzungszeit nicht verringern und die Gesundheit Jugendlicher nicht verbessern. Im Fazit merken die Autor:innen an, dass Bewegung, Schlaf, Freizeitangebote, Unterstützung und andere Aspekte die Lebensqualität junger Menschen massiv beeinflussen. Nur ganzheitliche Lösungen können etwas bewirken. Wenn Smartphone-Verbote oder -Beschränkungen Teil einer umfassenden Kampagne für die (mentale) Gesundheit von Jugendlichen darstellen würde, könnte ich mir vorstellen, sie zu unterstützen. Alleine wirken sie nicht und sind eine Ausrede für Bildungspolitiker:innen, um nichts Wirksames tun zu müssen.
  2. Die Broken-Windows-Theorie und der Netzwerkeffekt.
    Lässt man Schüler:innen im Teenager-Alter in der Schule das Smartphone nutzen, dann verbringen sie ihre schulischen Pausen sehr oft mit digitalen Aktivitäten: Sie scrollen oder zocken. Dabei passen sie sich an ihre Peers an, also auch die Jugendlichen, die gerne plaudern oder sich bewegen würden, nutzen dann ihre Handys, um dabei zu sein, um Zeit mit den anderen verbringen zu können. Solche Effekte gibt es an verschiedenen Orten: Selbst Aufmerksamkeit im Unterricht ist mit mehr Aufwand verbunden, wenn andere gleichzeitig am Laptop zocken und man sich gegen die Versuchung wehren muss, das auch zu tun.
    Das Argument für ein Smartphone-Verbot lautet dann ungefähr wie folgt: Indem Smartphone-Verbote die Nutzung von privaten digitalen Geräten an Schulen untersagen, machen sie es leichter für Schüler:innen, mit anderen sozial zu interagieren und tiefgründig zu lernen. Sie entlasten Jugendliche, weil sie sich nicht mehr aktiv gegen die Nutzung von Smartphones entscheiden müssen, da sie diese gar nicht mehr nutzen können. In seiner Replik auf meinen Beitrag erwähnt Stefan Geschwindigkeitslimiten auf Autobahnen: Diese gelten für alle und nehmen individuellen Fahrer:innen die Entscheidung ab, ob sie so schnell fahren sollen, dass sie sich und andere gefährden.
    Mir leuchtet das Argument ein: Es sollte für Schulen so stichhaltig sein, dass sie in vielen Phasen des Unterrichts Smartphone-Beschränkungen durchsetzen. Gleichzeitig müssen Schüler:innen aber erstens Selbstregulierung im Kontext der Versuchung lernen, weil an Arbeitsplätzen, im Studium und überall sonst im späteren Leben keine Verbote greifen, welche einen entlasten, sondern ein vernünftiger Umgang mit Medien Menschen zugemutet werden kann. Zweitens sind digitale Freizeitbeschäftigungen für Jugendliche oft durchaus wertvoll, auch wenn sie für Erwachsene sinnlos aussehen. Hier müssen Lehrpersonen aufpassen, dass sie in Regulierungen nicht ihre emotionale Bewertung digitaler Aktivitäten als Grundlage von Verboten heranziehen.
  3. Einige Schüler:innen sind doch zu jung?
    Einige Leser:innen meiner Beiträge stimmen mir grundsätzlich zu, finden aber, Kinder unter 10 Jahren sollten nun wirklich nicht Smartphones nutzen und schon gar nicht in der Schule.
    Das finde ich auch. Es gibt im deutschsprachigen Raum kaum Grundschulen, welche die Smartphone-Nutzung zulasssen. Das Argument hat deshalb einen Strohmann-Charakter, staatliche Smartphone-Verbote ändern hier eigentlich nichts. Gleichwohl gibt es Situationen, in denen Grundschüler:innen oder ihre Eltern es wichtig finden, wenn diese im Rahmen einer Ausnahme ein Smartphone an die Schule mitbringen können. Weil das Kind zum ersten Mal selbständig zu den Grosseltern geht nach der Schule und froh ist, wenn es den Busfahrplan noch mal abrufen kann. Weil ein Schüler einen Vortrag über sein Lieblingsgame hält und gerne zeigen möchte, wie er ein Level meistert. Weil zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas ganz Wichtiges passiert könnte und eine Schülerin froh ist, wenn sie auch in der Schule die App öffnen kann, in der sie das nachverfolgen kann.
    Hier auf generelle Verbote zu verweisen und Eltern und Kindern schulmeisterlich mitzuteilen, das sei nun wirklich nicht nötig und man könne einen Fahrplan aufschreiben, ein Game beschreiben oder das Wichtige sei eigentlich gar nicht wichtig – das ist keine pädagogische Haltung, die ich mir von einer Schule wünsche. Ich arbeite gerne an Schulen, welche die Bedürfnisse junger Menschen auch dann wahrnehmen, wenn sie mit digitalen Artefakten zu tun haben.

Fazit: Schulen sollen sinnvolle Lösungen finden, ohne auf staatliche Vorgaben verweisen zu müssen. Wir leben generell in einer Zeit der Verantwortungsdiffusion – viele Menschen suchen Wege, um Entscheidungen nicht verantworten zu müssen, sondern sich durch komplexe Verweise und Berechnungen zu entlasten. Schulen sollten Orte sein, an denen Menschen Verantwortung übernehmen. Wenn Schüler:innen zu jung für Smartphones sind, dass sollten Schulleitungen und Lehrpersonen das Eltern und Kindern mitteilen und die Schulkultur entsprechend gestalten. Wenn Schüler:innen an Oberstufen nicht mehr gut lernen können oder sich von spannenden Aktivitäten abhalten, weil sie permanent am Handy sind, dann sollen die Verantwortlichen das ansprechen und mit den Jugendlichen gemeinsam Lösungen suchen. Es spricht viel dafür, dass Schulen den Umgang mit Handys regeln. Gleichzeitig spricht viel dagegen, dass die Politik Schulen vorschreibt, wie sie das tun müssen.

Habe versucht, ein Conni-Meme zu machen, bin aber gescheitert, weil ChatGPT nicht mitgespielt hat… 

Sachbücher mit KI oder Podcasts zusammenfassen

In meinem Alltag schaffe ich es zeitlich oft nicht, ganze Sachbücher zu lesen – obwohl ich für meine berufliche und persönliche Entwicklung darauf angewiesen bin, zentrale Argumentationen und Thesen nachvollziehen und verstehen zu können. Weil mich oft nur ein bestimmter Aspekt eines Sachbuches interessiert (und weil viele Sachbücher zur Vermarktung mit Episoden und Storytelling aufgeblasen werden), habe ich Verfahren entwickelt, um Sachbücher zu verdichten oder sie fokussiert rezipieren zu können. (Selbstverständlich habe ich oft Sachbücher auch als Hörbücher gehört, dadurch erfolgt aber nur sehr selten eine Verdichtung.) Zwei Verfahren stelle ich in diesem Artikel kurz vor und diskutiere sie.

Voraussetzungen

Ich gehe davon aus, dass ich Zugang zu allen digitalen Versionen eines Sachbuchs habe:

  1. Zur Audio-Datei des Hörbuchs (viele sind in meinem Spotify-Abo enthalten, ich habe zudem ein Audible-Abo, das mir ein Buch pro Monat freischaltet).
  2. Zu einer .epub/.pdf-Version des Buches (ohne DRM-Verschlüsselung). Wenn ich das Buch in einer Version gekauft habe, erlaube ich mir, entsprechende Files über Annas Archive runterzuladen (in der Schweiz ist das meines Wissens legal möglich).
    Ich konvertiere die .epub-Versionen mit freepdfconvert.com zu pdfs.

Zudem nutze ich kostenpflichtige Abo-Version der erwähnten KI-Tools.

Die Podcast-Methode

Ein Schüler von mir hat «Verkaufte Zukunft» von Jens Beckert gelesen. Um mich auf ein Gespräch mit ihm vorzubereiten, habe ich zunächst die Podcast-Methode angewandt. Sie geht so:

  1. Ich suche ein Gespräch, in dem Autor:innen ihre Bücher vorstellen.
    In diesem Fall habe ich den Podcast des Suhrkamp-Verlags benutzt, in dem das Buch vorgestellt worden ist.
  2. Ich höre mir die Podcast-Folge an und notiere wesentliche Aspekte und Zitate (manchmal mit Screenshots, um den Podcast dann am Laptop noch einmal nachzuhören).
  3. Ich lese für mich wichtige Passagen im Buch nach.

Insgesamt brauche ich so meist eine Stunde für Schritte 1 und 2 und eine Stunde für Schritt 3. In zwei Stunden hätte ich ein Sachbuch von über 200 Seiten nicht gelesen. Hinzu kommt, dass im Gespräch oft auch schon kritische Perspektiven und Reaktionen auf das Buch eingebracht werden.

Die KI-Methode

Seit ich Perplexity intensiv nutze, erstelle ich oft auch ausführliche Zusammenfassungen mit diesem Tool. Dabei nutze ich die «Deep Research» Funktion in Kombination mit dem EBook-File, das ich hochlade. Juristisch ist das sicherlich ein Graubereich, sehr wahrscheinlich erwerbe ich mit dem Buch nicht die Rechte, das von einer KI bearbeiten zu lassen – gleichzeitig ist das eine sinnvolle Form der Lektüre.

Perplexity kann aus Sachbüchern eine Seite generieren, die eine strukturierte Zusammenfassung enthält. Das sieht im Beispiel von Beckert dann z.B. wie folgt aus:

Diese ausführlichen Zusammenfassungen kann ich in 30 Minuten erstellen und lesen. Ein paar Bemerkungen dazu:

  1. Die Zusammenfassungen beziehen Rezensionen und Zusammenfassungen im Netz mit ein – sie sind als umfassender, als es eine reine Lektüre sein könnte, weil bereits kritische Aspekte einfliessen.
  2. Ich kann in der KI spezifisch nachfragen, wenn mich etwas interessiert.
  3. Perplexity fügt automatisch Zitate mit Quellennachweisen ein, ich kann das aber auch explizit verlangen.
  4. Nicht immer ist alles auf Deutsch formuliert, gewisse Teile werden auf Englisch eingefügt.
  5. Ein Problem ist das zu kleine Kontext-Fenster: teilweise kann Perplexity nicht das gesamte EBook in die Bearbeitung mit einbeziehen, sondern nur einen ersten Teil. Dann fehlen teilweise Abschlusskapitel oder sie werden durch vage Rechercheergebnisse ausgefüllt. Perplexity gibt das nicht klar an, User:innen müssen es merken und dann mit Tricks arbeiten (z.B. einzelne Kapitel noch einmal separat hochladen).
  6. Mit NotebookLM könnte ich auch einen Podcast generieren, der Wesentliches zusammenfasst. Er ist aber viel künstlicher als ein echter Podcast mit einer Autorin oder einem Autor.

Ist das ein Verlust?

Die Vorstellung, man müsse ein Buch integral lesen, um darüber diskutieren zu können, halte ich für falsch. Beide Methoden führen dazu, dass ich zentrale Thesen, Begrifflichkeiten, Beispiele und Verfahren aus einem Sachbuch genau genug kennen lerne – insbesondere deshalb, weil beide Methoden mit der Möglichkeit gekoppelt sind, Stellen im Originaltext nachzulesen.

Verloren gehen oft Anekdoten, Nebenbemerkungen, stilistische Eigenheiten von Autor:innen. Für einen genauen Eindruck sind die auch wichtig, oft sind es ja auch solche Details, die einem bleiben. Ich verwende meine Lesezeit und -energie aber lieber auf literarische Texte, wenn es um solche Aspekte geht, weil wenige Sachbücher hier dasselbe Niveau erreichen wie Belletristik. Zudem werden, wie einleitend bemerkt, solche Bestandteile oft in Sachbücher eingefügt, um sie aufzublasen – die Funktion meiner Methoden ist ja, diesen Ballast wegzulassen.

Warum ein Handyverbot an Schulen keine gute Idee ist – 10 Argumente

Aktuell wird intensiv über ein Smartphone-Verbot diskutiert. In den letzten Wochen habe ich mehrere Diskussionen geführt und fasse hier die wesentlichen Argumente gegen ein Smartphone-Verbot an Schulen zusammen. Wichtig ist vorweg ein Aspekt, der gern vergessen wird: Schulen regeln heute die Nutzung von Smartphones. Die Forderung nach einem Verbot geht darüber hinaus, sie sieht eine staatlich geregelte, einheitliche Einschränkung der Smartphone-Nutzung vor – nicht schulische Regeln.

Podiumsdiskussion zu Smartphone-Verboten mit Nathalie Meyer und Lukas Leuzinger (Bildquelle)
  1. Schulen sollen die Nutzung von Handy so regeln, wie das zu ihrer Schulkultur passt. Alle Schulen regeln den Umgang mit Smartphones und limitieren die Nutzung meist streng. Staatliche Vorschriften helfen Schulen nicht, sinnvolle Lösungen zu finden, sondern erschweren das. Sie verhindern pragmatische Kompromisse, an Lernsituationen angepasste Lösungen – sie ziehen ungleiche Schulen über den gleichen Leisten.
  2. Die aktuelle Diskussion über Smartphone-Verbote resultiert aus einer moralischen Panik, die das aktuelle Buch von Jonathan Haidt verstärkt verbreitet hat. Wie jede andere moralische Panik geht es um
    a) eine massiv übertriebene Angst,
    b) die sich primär auf junge Menschen bezieht und
    c) aus einer verzerrten Interpretation der vorhandenen Daten beruht,
    d) weil Erwachsene mit einer Entwicklung überfordert sind.
    Smartphones, so die Befürchtung, gefährden die psychische Gesundheit junger Menschen, zersetzen ihre gesellschaftliche Einbindung und verhindern eine gesunde Entwicklung. Paradoxerweise denken Erwachsene, junge Erwachsene und Jugendliche alle, dass sie selber mit Smartphones gerade noch so zurecht gekommen seien, aber die Jüngeren hätten damit ein Problem, das sich nur durch ein Verbot lösen lasse.
    Konkrete politische Massnahmen sollten nicht mit den Sichtweisen der moralischen Panik ergriffen werden, sondern unter Bedingungen, in denen sachliche, rationale Entscheidungen möglich sind. Bildschirmzeit ist moralisch so aufgeladen, dass viele Menschen kaum zugänglich für das Argument sind, dass allein die Nutzung eines Bildschirms nichts über die kulturelle Erfahrung aussagt.
  3. Wozu sollten Smartphones an Schulen verboten werden? Diese Frage ist abgründiger, als viele denken. Erstens könnte man sagen, es gehe um den Schutz von Kindern und Jugendlichen. Wäre das so, dann müssten viele Massnahmen auf Freiwilligkeit beruhen bzw. nur so weit gehen, wie es für diesen Schutz wirklich nötig ist. Das lässt sich jedoch in der aktuellen moralischen Panik kaum noch abschätzen. Zweitens geht es um die Beruhigung von Erwachsenen: Wenn Jugendliche weniger am Smartphones sind, können sie damit weniger Dinge machen, die Erwachsene nicht verstehen. Drittens geht es darum, ein Unterrichtsmodell zu schützen, das durch Smartphones problematisch wird: Ruhig zu sitzen, zuzuhören und mitzuschreiben fühlt sich sinnlos an, wenn Kulturzugangsgeräte in jeder Hosentasche sind. Was Lehrpersonen oft als Ablenkung beschreiben, ist jedoch oft nur mündiges Wissensmanagement. Das zu verbieten ist pädagogisch verantwortungslos.
  4. Ein Verbot nützt nur etwas, wenn es umgesetzt und seine Einhaltung überwacht wird. Lehrpersonen, die pubertierende Jugendliche unterrichten, müssten mit einem Verbot, das mehrere absolute Grundbedürfnisse von Jugendlichen betrifft (insbesondere Vernetzung mit Peers), unverhältnismässig viel Aufwand in die Rolle der Polizist:innen stecken. Dieser Aufwand beeinträchtigt die Ressourcen für die wirksame Begleitung der Schüler:innen. Ein Smartphone-Verbot an Schulen hat einen Preis, den die Jugendlichen zahlen werden. Oder anders gesagt: Verbote erfordern Sanktionen, Sanktionen erzeugen Konflikte.
  5. Lernen erfolgt multimedial. Der Zugriff auf digitale Plattformen und Verfahren ist oft lernförderlich und eine sinnvolle Praxis im Umgang mit bestimmten Aufgaben und Problemen. Menschen tragen Handys nicht primär deshalb immer mit sich rum, weil sie sich damit ablenken und unterhalten lassen – sie brauchen sie für sinnvolle Dinge. Das sollten Schüler:innen auch in der Schule tun können. Nicht permanent, aber dann, wenn es sich anbietet. Das zu verbieten, macht Schule noch stärker zu einem künstlichen Raum, der sich für Kinder und Jugendliche hinsichtlich ihrer Zukunft als nicht relevant anfühlt.
  6. Schulische Smartphone-Regeln, wie sie heute bereits existieren, werden in Absprache mit Eltern und Schüler:innen getroffen. Sie beinhalten oft clevere Möglichkeiten, Freiwilligkeit und Mitwirkung einzubeziehen, sie können Teil einer demokratischen Schulkultur sein. «Wann und wie nutzen wir Handys in der Schule?» – das ist eine Frage, die mit Schüler:innen und ihren Eltern diskutiert werden sollte. Sie über ein Verbot zu beantworten, schwächt diese Kultur und vermittelt Lehrpersonen und Schüler:innen primär eine Botschaft: Was wichtig ist, sollen sie nicht aushandeln, sondern sich von der Politik vorschreiben lassen.
  7. Die primäre Entwicklungsaufgabe von Jugendlichen besteht in der Selbstregulierung. In Bezug auf das Smartphone bedeutet das ein selbstgesteuerter Verzicht auf die Nutzung in bestimmten und eine bewusste, gezielte Nutzung in anderen Situationen. Ein Verbot bedeutet, dass der Staat Jugendlichen nicht zutraut, diesen Entwicklungsschritt zu meistern, es suggeriert, Menschen könnten sich in Bezug auf Bildschirmmedien nicht selbst regulieren. Das ist eine ähnliche Situation wie bei Drogen, wo klar ist, dass es Gruppen von Menschen gibt, die sich mit Drogen schadet – und ein allgemeines Verbot dennoch anderen Menschen die Freiheit nimmt, Nutzen und Gefahr von Drogen selbstverantwortet abzuwägen. Gerade auch Phasen, in denen die Handynutzung jungen Menschen nicht gut tut, sind für sie mit wichtigen Lernschritten verbunden.
  8. Ein Handyverbot ist auch deshalb sinnfrei, weil Schüler:innen digitale Geräte im Unterricht nutzen. Ihnen schulische Geräte zu geben und die Nutzung anderer Geräte zu verbieten, führt zu einer paradoxen Situation. Befürworter:innen eines Verbots weisen darauf hin, dass schulische Geräte auf eine schulische Nutzung eingeschränkt werden, was bei Handys nicht möglich ist. Ein pädagogisch sinnvoller Einsatz von Tablets oder Laptops ermöglicht aber den Zugang zu einem Web-Browser – und dieser wiederum den Zugang zu allen Applikationen, die auf einem Smartphone verfügbar sind. Wer Handys verbieten will, muss digitale Medien generell aus Schulen verbannen.
  9. Menschen tendieren dazu, anderen das zu verbieten, was sie selber nicht tun. Wer für ein Verbot von Cannabis ist, würde Alkohol nie verbieten. Wer gegen laute Konzerte in der Stadt ist, hat kein Problem, in einem Gartenrestaurant bis spät in die Nacht laut zu diskutieren. Genauso möchten viele Menschen Jugendlichen die Handynutzung verbieten, würden sich aber nie vorschreiben lassen, wie sie das Smartphone am Arbeitsplatz verwenden dürfen. Wenn Smartphone-Verbote richtig sind, dann sollten sie überall gelten: In Krankenhäusern, in Parlamenten, in Verwaltungen und Unternehmen. Die Vorstellung, Jugendliche würden ganz anders und viel verkehrter mit Smartphones umgehen als Erwachsene, ist zutiefst adultistisch und problematisch.
  10. Politisch ist es extrem einfach, Schulen Verbote zu diktieren, besonders, wenn sie Jugendliche betreffen. Diese haben kaum eine Lobby, keine Mittel, ihre Interessen durchzusetzen. Das Smartphone-Verbot ist ein Ersatz für ein wirksames Mittel gegen die Probleme im Netz: Eine harte gesetzliche Kante gegen die Digitalunternehmen, die mit der Mediennutzung von Jugendlichen Geld verdienen. Ein sinnvolles Gesetz wäre ein Verbot digitaler Werbung für Unter-18-Jährige. Ein sinnvolles Gesetz wäre auch, dass jedes Unternehmen, das im Netz Geld verdient, in der Schweiz ansässige Ansprechpersonen für Jugendschutz anstellen muss, die Content innerhalb von 2 Stunden aus dem Netz nehmen können, wenn Behörden das anordnen. Ich könnte die Liste verlängern – rauskommen würden immer griffige Massnahmen, deren Preis nicht Jugendliche, sondern Digitalkonzerne zahlen müssen. Politisch sind diese Vorschläge unbeliebt, weil niemand hippe Unternehmen vergraulen möchte. Stattdessen wird reguliert, was in der Schule passiert.

Wir werden bald in allen Schulzimmern diese Handytresore stehen haben. Ein sinnvoller Umgang damit wäre: Sie sind ein Angebot für Lernende und Lehrende, die ihr Handy gern an einem sicheren Ort deponieren werden. Kein sinnvoller Umgang: Ein Zwang, Smartphones dort einschliessen zu müssen.

Die Probleme mit OneNote im Unterricht

Diese Woche habe ich Studierende in die Nutzung der wichtigsten digitalen Lernumgebungen eingeführt. Dabei habe ich ihnen eine Art Faustregel vorgeschlagen (mit der Betonung, dass das primär meine Sicht ist):

Gymnasialer Unterricht wird tendenziell besser, je intensiver Lehrpersonen Teams nutzen. Er wird tendenziell schlechter, je intensiver Lehrpersonen OneNote nutzen.

Diese Faustregel, die auch kurz auf Linkedin gepostet hatte, provoziert Nachfragen und muss präzisiert werden – das hole ich hiermit nach (den Studierenden habe ich das alles mündlich erklärt).

Die Affordanz von OneNote:
Das Denken in Skripten

Affordanz meint den Aufforderungscharakter von Medien und Technologie, das, wozu eine App einlädt, was sie verstärkt, was sie leichter macht. Die Affordanz von OneNote besteht darin, ein Skript zu erstellen, hierarchisch und linear geordnet ist. Dieses Skript kann dann an Lernende übertragen werden, die es mit eigenen Notizen ergänzen.

Dieses Verfahren passt ganz gut zu dem, was in klassischen MINT-Vorlesungen passiert: Die Lehrenden gestalten mit hohem Aufwand ein attraktives, strukturiertes Skript. Studierende nehmen eine passive Rolle ein, die fast ausschliesslich darin besteht, die Fachkonzepte und wissenschaftlichen Einsichten nachzuvollziehen und bei einer Prüfung möglichst so abrufen zu können, wie sie im Skript dargestellt werden.

Marketing von Microsoft

Auf LinkedIn schreibt der Englisch-Didaktiker und Digitalexperte Hansjürg Perino:

Wichtig ist eine übersichtliche Struktur, dann kann man eigentlich (fast) alles in OneNote unterbringen, was es zum Unterrichten braucht.

Die Unterrichtsmedien werden in OneNote in eine spezifische Struktur gebracht, die den Unterricht formatieren. Diese Struktur muss Lernenden wie Lehrenden bekannt sein. OneNote führt dazu, dass alle diese Struktur über Unterrichtsinhalte legen. Das kann in Unterrichtsbereichen sehr sinnvoll sein: Wenn Skripte verwendet werden, ergibt es Sinn, die auf OneNote abzulegen. Wenn es Wörterliste oder Aufgaben/Lösungen im Unterricht braucht, lassen sich diese auf OneNote einfach verteilen und von den Lernenden nutzen.

Kontrolle und Überwachung von Lernenden

Eine zweite Eigenheit von OneNote ist, dass die Schüler:innen-Hefte digital für die Lehrperson zugänglich sind. Das ergibt oft Sinn, etwa wenn Aufgaben digital aufgegeben werden und ihre Korrektur dann ebenfalls digital erfolgt. Gleichzeitig hat die Lehrperson aber (potentiell) ständig Einblick in die Arbeiten der Schüler:innen. Diese erfolgen nicht in einem autonomen Bereich oder einer eigenen Struktur, sondern in derjenigen, die von der Lehrperson eingerichtet und verwaltet wird.

Dasselbe gilt auch für den «Collaboration Space», also die digitalen Räume, in denen Lernende zusammenarbeiten können. Auch hier ist die Lehrperson permanent präsent, sie liest mit und kontrolliert.

Darstellung Microsoft

Wo liegt das Problem?

Die beiden zentralen Features sind also Struktur und Überwachung. Für beides schafft OneNote Anreize. Wenn OneNote dosiert und für festgelegte Funktionen eingesetzt wird, gibt es dagegen nichts einzuwenden. Sobald aber die Nutzung intensiviert wird und gymnasialer Unterricht primär über das Medium OneNote medialisiert wird, dann bekommen Struktur und Überwachung zu viel Gewicht.

Das ist bei Teams deshalb weniger der Fall, weil viele Strukturen den Nutzer:innen überlassen sind und die Arbeit nicht primär auf Teams stattfindet, es als per default Bereiche gibt, die sich der Kontrolle der Lehrperson entziehen.

In meiner Kritik an OneNote steckt auch eine Kritik an Skript-orientiertem Lernen. Die Vorstellung, Fachinhalte könnten von einer Lehrperson so strukturiert werden, dass Lernende sie perfekt aufnehmen können, verhindert viele Aspekte guten Unterrichts: kontroverse Diskussionen, eigene Lernentdeckungen, Kollaboration. Ein Skript sieht den nächsten Lernschritt schon vor, Lernende können ihn im besten Fall optimal absolvieren. Sie haben aber keine eigenen Anteile daran.

OneNote vermittelt Lernenden das Gefühl, sie müssten nachvollziehen. Es schafft wenige Einladungen zu gestalten, ins Gespräch zu kommen, eigene Wege einzuschlagen. Deshalb wäre mein Rat an Lehrende: Setzt OneNote ein, aber macht das dosiert. Gerade mit BYOD haben viele Lehrende an Gymnasien den aus meiner Sicht falschen Schluss gezogen, dass sie mit OneNote die Geräte, welche Schüler:innen nutzen, optimal einsetzten können. Das ist deshalb falsch, weil Lernende mit OneNote in einer permanenten Halb-Aufmerksamkeit gehalten werden. Sie erledigen an ihrem Gerät nebenher andere schulische und nicht-schulische Aufgaben. Das sieht man, wenn man einmal kritisch die OneNotes der Schüler:innen einer Klasse durchsieht.

Wie Gymnasien zukunftsfähig bleiben – 7 Forderungen

Wie können Gymnasien zukunftsfähig bleiben? Über diese Frage habe ich auf Einladung der Neuen Kantonsschule Aarau nachgedacht. Vor mir hat Roland Reichenbach referiert. Während er eher eine Analyse der Fragestellung und eine Bestimmung von Bildung und Schule vorgenommen hat, habe ich sieben Forderungen formuliert, die ich hier auch schriftlich ausführen möchte.

Warum stellt sich diese Frage?

Gymnasien sind sehr beliebt, bei Eltern und Schüler:innen stehen die gymnasialen Angebote hoch im Kurs. Statistisch lässt sich keine Krise der Gymnasien ausmachen, die Probleme zeigen sich erst, wenn man betrachtet, wie Gymnasien genutzt werden und wie ihre Angebote funktionierten.

Abb. 1: Angebote und Nutzung der Gymnasien zum Verständnis ihrer Probleme

Zu viele Schüler:innen zwingen sich durch die gymnasialen Schulen. Ihre Stimmung ist nicht gut, sie erfüllen nicht das Profil der gymnasialen Schüler:innen – entweder sind sie nicht in der Lage, im angebotenen Setting produktiv zu arbeiten, oder sie nehmen bestimmte, nicht-fakultative Angebote nicht wahr (Sprachen lernen, abstrakt denken, ästhetische Bildung, lesen, debattieren etc.). Spricht man mit diesen Schüler:innen, dann verweisen sie erstens auf den Abschluss, der ihnen viele Türe öffne, weswegen sie die Bildungserfahrung zu einer Ausbildung abstufen, zweitens auf den Zugang zu einer beruflichen Elite und drittens auf die fehlenden Alternativen: Viele Jugendliche möchten weiterhin mit anderen Jugendlichen Zeit verbringen und sind nicht bereit, in einer beruflichen Ausbildung mit Erwachsenen zu arbeiten.

Diese Schwierigkeiten bei der Nutzung stehen Mängel beim Angebot gegenüber: Gymnasien bieten zu wenig Individualisierung an, gerade im Vergleich mit den nicht-gymnasialen Schulen. Sie sind geprägt vom 7G-Format, bei dem ganze Klassen gleich behandelt werden, obwohl gerade auch an Gymnasien eine grosse Heterogenität vorhanden ist, der mit traditionellen Methoden nicht begegnet werden kann. Die einzigen Möglichkeiten zur Individualisierung sind Selektion (gymnasial/nicht-gymnasial), die Wahl von Vertiefungsfächern oder Profilen sowie Wahlpflichtfächer. Damit lassen sich die Differenzen zwischen den Lernenden nicht hinreichend berücksichtigen.

Hinzu kommt das Problem der Fächer. Die bereits enorme Zerstückelung in in Fächer wurde in der Schweiz mit dem Projekt WEGM weiter vorangetrieben. Innovation an Gymnasien beschränkt sich oft darauf, neue Fächer einzufügen und bestehenden Fächern entsprechend Lektionen wegzunehmen. Bei festgelegter Lernzeit kann eine veränderte Aufteilung oder Beschreibung von Fächern wenig bewirken, zumal letztlich für eine vertiefte Auseinandersetzung in einem Fach immer die Zeit fehlt. Gymnasiast:innen sind aufgrund der systemischen Beschränkungen kaum nicht in der Lage, ein relevante fachliche Fragestellungen zu verstehen.

Abb. 2: Entwicklung der Fächer an Schweizer Gymnasien

Der letzte Punkt ist die Prüfungs- und Notenkultur, die ebenfalls oberflächliches Lernen erzwingt und mit Anreizen befördert. Viele Gymnasiast:innen bereiten sich permanent auf die nächste Prüfung vor und verpassen alles, was sonst läuft.

Angesichts dieser Probleme stelle ich folgende Forderungen, die aus meiner Sicht etwas bewegen würden.

1. Gemeinsames Lernverständnis von Schüler:innen und Lehrpersonen

Eine zukunftsfähige Schule braucht ein geteiltes Verständnis darüber, wie Lernen funktioniert. Lehrpersonen und Lernende sollten gemeinsam reflektieren, wie Wissen erworben, vertieft und angewendet wird. Nur so können Lernprozesse transparent und wirksam gestaltet werden. Die Förderung von Metakognition und Selbstreflexion sollte Grundpfeiler gymnasialer Bildung darstellen – heute fristet sie ein Schattendasein.

Eine mögliche Orientierung stellt das 4C/ID-Modell dar, das etwa die neu zu gründende Kantonsschule Glattal als Grundlage verwendet.

Abb. 3: Darstellung des 4C/ID-Modells

Grundsätzlich spielt es aber keine Rolle, welches Modell gewählt wird – entscheidend ist, dass es ein gemeinsame Verständnis gibt und die oft über 10 Fachlehrpersonen nicht mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen von Lernprozessen an Klassen herantreten, wie das heute der Fall ist.

2. Entwicklungsorientierung, Wahlmöglichkeiten und Verantwortung stärken

Abb. 4: Entwicklungsorientierung in der Darstellung von Lars Mecklenburg

Bei Barcamps bieten Teilnehmer:innen Workshops an, die andere dann auswählen können (oder auch nicht). Die Teilnahme ist locker, wer nicht mehr profitieren kann, darf in den nächsten Raum gehen oder auch einen Kaffee trinken. Entscheidend ist, dass jede Person so arbeiten kann, dass sie Fortschritte macht.

Diese Verantwortung für den eigenen Lernweg sollten Gymnasien auch ihren Schüler:innen anbieten können. Wahlmöglichkeiten im Curriculum und projektorientiertes Arbeiten fördern die individuelle Entwicklung und bereiten auf die Anforderungen einer komplexen, digitalen Welt vor.

Gymnasien müssen zunächst die Wissensorientierung und dann auch die Kompetenzorientierung so überwinden, dass sie Elemente eine übergeordneten Entwicklungsorientierung darstellen. Daraus würde sinnhaftes Lernen resultieren, das die Jugendlichen mit ihrer eigenen Persönlichkeit in Verbindung setzen können. Heute lernen sie zu stark entfremdet, fügen sich in eine Struktur ein, die sie zu oberflächlichem Studenting animiert.

Abb. 5: Wissens-, Kompetenzorientierung als Bestandteile der Entwicklungsorientierung

3. Prüfungsselektivität überwinden, ohne autoritäre Strukturen zu schaffen

Das in der Einleitung beschriebene Problem der Prüfungsselektivität meint, dass Schüler:innen alles ausblenden, was nicht mit einer Prüfung oder Bewertung zu tun hat. Ich habe hier ausführlicher darüber geschrieben, wie sich dieses Problem lösen liesse. Die Lösung hängt damit zusammen, was Schüler:innen als sinnvoll erachten, sie gibt ihnen Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten, nimmt sie aber auch in die Pflicht. Sie stellen andere ihre Entwicklung vor, statt von aussen geprüft zu werden.

Abb. 6: Prüfungsselektivität

4. De-Implementierung: Tiefe statt Breite

Durch das Weglassen von unnötigen oder unsinnigen Dingen entsteht die Möglichkeit, die essenziellen Dinge besser machen zu können. Und zu den essenziellen Dingen gehört auch die Regeneration von Beschäftigten.  

Dieses Zitat stammt aus dem neuen Buch Weniger macht Schule. Schulen sollten sich auf das Wesentliche konzentrieren, um nachhaltige Kompetenzen zu fördern und gleichzeitig Freiräume für Innovation und Regeneration zu schaffen. Ziel wäre eine tiefe Lernerfahrung, die viele breite Lerngelegenheiten ersetzt. Der Mut, los- und wegzulassen, fehlt vielen Schulen noch. Aufräumen und de-implementieren sollte zu einem Ritual werden: Am Ende jedes Schuljahres könnten Schulen gemeinsam beschliessen, einiges nicht mehr zu machen – um Raum für Tieferes zu schaffen.

5. Echte Schulprofile mit demokratischen Methoden entwickeln

Zukunftsfähige Gymnasien brauchen ein klares, individuelles Profil, das gemeinsam mit allen Beteiligten entwickelt wird. Demokratische Prozesse stärken die Identifikation mit der Schule und fördern eine lebendige, vielfältige Schulkultur.

Aktuell sind Profile oft ein Feigenblatt für Schulen, die Lernenden gar keine Wahlmöglichkeiten bieten. Schüler:innen werden Schulen zugeteilt oder wählen sie aufgrund des Schulwegs oder arbiträrer Gründe. Wenn Schulträger Verantwortlichen echten Handlungsspielraum geben, entstehen unterschiedliche Schulen, die nicht alle ungefähr dasselbe machen, sondern sich entfalten können. In unterschiedliche Richtungen.

6. Ganzheitliche Gestaltung der Rolle der Lehrperson

Lehrpersonen sind weit mehr als Fachvermittler:innen. Ihre Aufgaben umfassen Präsenz an der Schule, Pflege von Beziehungen, kollegialen Austausch und aktive Schulentwicklung. Flexible Anstellungsmodelle ermöglichen es, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schulgemeinschaft einzugehen. Dafür braucht es ein anderes Verständnis der Rolle und der Aufgaben. Gymnasiallehrpersonen sollten stärker so funktionieren, wie Lehrpersonen an der Grundschule: Gemeinsam betreiben sie eine Schule. Fachunterricht ist nur ein Puzzle-Stück davon. Nicht das einzige, nicht das wichtigste.

Abb. 7: Aufgaben der Lehrperson neben Fachunterricht

7. Unterschiedliche Lehrveranstaltungen neben dem Klassenunterricht

Gymnasien, die auf dem Weg in die Zukunft sind, erhöhen den Anteil an Veranstaltungen, die nicht eine Klasse während 45 Minuten in einem Klassenzimmer beschulen. Dafür gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die laufend entwickelt werden sollten. Ein agiles Modell empfiehlt sich, weil da die Erfahrungen schnell in Entwicklungen verwandelt werden können.

Abb. 8: Beispiele für Lehrveranstaltungen neben Klassenunterricht

Fazit: Gymnasien zwischen Chancen und Herausforderungen

Abb. 9: SWOT-Analyse Gymnasien

Die SWOT-Analyse zeigt: Gymnasien verfügen über grosse Stärken – engagierte Lehrpersonen, Zeit für Entwicklung und spezifische Lernerfahrungen. Gleichzeitig bieten Digitalisierung und gesellschaftlicher Wandel Chancen, Bildung noch wichtiger zu machen. Gefahren liegen in der Konkurrenz durch alternative Bildungswege und den Herausforderungen neuer Technologien. Die Lösung: Gymnasien müssen ihre Profile schärfen, Fächergrenzen überwinden und eine Aufgabenkultur etablieren, die nicht dasselbe nahelegt, was die KI auch erledigen kann. Nur so bleiben Gymnasien Orte, an denen junge Menschen lernen, die Welt kritisch zu hinterfragen, Verantwortung zu übernehmen und ihre Zukunft aktiv zu gestalten.

Die Charta der Kantonsschule Uetikon fast viele gute Ideen zusammen, die aber erst in der Umsetzung einer Schulgemeinschaft lebendig werden können.

Warum «Adolescence» kein sinnvoller Impuls zum Nachdenken über Jugendliche und Medien ist – und eine Theorie über Emotionen im Internet

Das ist Jamie, in der Netflix-Serie «Adolescence» gespielt von Owen Cooper. Jamie hat eine Mitschülerin umgebracht. Die vier Folgen der Serie zeigen:

  1. wie die Polizei Jamie verhaftet und behandelt
  2. wie Jamies Schulerfahrung und sozialen Beziehungen funktioniert haben
  3. wie Jamie psychologisch tickt und an welchen Rollenbildern er sich orientiert
  4. wie Jamie erzogen und von seinen Eltern begleitet wurde.

Die Serie ist nur in der ersten Folge kurz ein Krimi, bevor die Zuschauer:innen (und Jamies Vater und Jamies Anwalt) die erdrückenden Beweise vorgelegt werden: Jamie wurde bei der Tat gefilmt. Danach bietet die Serie eine Erklärung für die Tat. Sie zeigt, wie ein spezieller Junge aufgrund einer gewissen Vernachlässigung seiner Eltern, überforderten Lehrpersonen, durch permanentes Mobbing belastete Beziehungen zu Peers und eine problematische Mediennutzung zum Mörder wurde.

Die Rezeption der Serie betont vielstimmig, wie wichtig die Auseinandersetzung mit den Themen dieser Geschichte sei. Im Folgenden möchte ich dagegen argumentieren, ich bin überzeugt, dass «Adolescence» kein geeigneter Impuls ist, um über Jugendliche, Medien, Gewalt und Geschlechterrollen nachzudenken.

In der Kritik von Lisa Füllemann findet man das Argument, «Adolescence» sei wichtig, in folgender Formulierung:

Die Geschichte ist symptomatisch für unsere Zeit. Es geht um Kinder, die sich in den sozialen Medien bewegen, fernab ihrer Eltern, die schon lange nicht mehr wissen, was die Kinder dort genau treiben. Es ist eine Welt, in der harmlos wirkende Emojis schon eine tiefere Bedeutung haben, die Erwachsene kaum dechiffrieren können. Nur dank seines Sohnes findet Kriminalkommissar Luke Bascombe (Ashley Walters) heraus, dass Jamie von seinem späteren Opfer Katie auf Instagram vorgeworfen wurde, ein Incel zu sein. Der Begriff steht für «involuntary celibate» – «unfreiwillig zölibatär» – und beschreibt einen Mann, der keine Frauen abkriegt – und darum zum Frauenhasser wird. Wie ohnmächtig Eltern und Lehrer sind, wenn es darum geht, in welcher Realität ihre Kinder bereits leben, zeigt sich, indem sie sogleich von Andrew Tate sprechen. Viel mehr als den Namen des umstrittenen Männer-Influencers verbinden sie nicht mit dem Internetkult, der jungen Männern beibringt, dass sie sich von Frauen nehmen dürfen, was sie wollen. Dabei geht es bei Kindern schon lange nicht mehr nur um Figuren wie Tate. Es geht um weitverbreitete misogyne Theorien wie die «80-20»-Regel, die besagt, dass 80 Prozent der Frauen auf nur 20 Prozent der Männer stehen.

Die Serie analysiert die Zusammenhänge rund um die Manosphere-Influencer. Dabei handelt es sich um Männer, die sich an Knaben und pubertierende Jungs heranmachen, um sie entweder negativ zu beeinflussen oder finanziell auszubeuten. Eine gute Darstellung dieser Zusammenhänge findet sich im «Panic World»-Podcast zu Adolescence, auf die darin geäusserten Thesen von Ryan Broderick werde ich mich mehrmals beziehen. Das Manosphere-Thema ist bedeutsam, es ist eine zentrale Herausforderung für die gesunde Sozialisation junger Männer. Die Verbindung mit der Incel-Thematik sowie die Vorstellung von codierten Botschaften auf digitalen Plattformen sind hingegen problematisch.

Incels sind junge Männer, welche gerne Kontakte und Beziehungen mit Frauen führen würden, das aber nicht können. Sie ziehen sich ins Internet zurück und radikalisieren sich online, beeinflusst von Manosphere-Influencern. Ein 13-jähriger Junge ist kein Incel, er ist ein schlechtes Beispiel für dieses soziale Phänomen. Sicherlich werden viele 13-Jährige von Andrew Tate und anderen radikalen Frauenhassern manipuliert, auch von Incels. Sie können aber keine Incels sein und würden sich auch nicht als solche betrachten.

Selbstverständlich können viele Eltern und andere Erwachsene nicht genau verstehen, wie die digitale Kommunikation unter Teenagern verläuft. Diese können oft auch gar nicht genau erklären, was ihre Nachrichten und Symbole genau bedeuten. Ihre Mitteilungen sind oft esoterisch in dem Sinne, dass sie Eingeweihten ein Zugehörigkeitsgefühl ermöglichen und Erwachsene bewusst ausschliessen. Es wäre aber falsch zu denken, dass man mit dem richtigen Schlüssel auf Nachrichten von Jugendlichen blicken kann und plötzlich klar sieht, was hier eigentlich abgeht. Die Vorstellung, «harmlos wirkende Emojis» hätte «eine tiefere Bedeutung» mag in seltenen Ausnahmen korrekt sein – das ist aber nicht entscheidend. Radikalisiert werden junge Menschen, wenn sie mit den falschen Menschen auf die falsche Art über die falschen Themen nachdenken. Das tun sie oft im Versteckten – die Kenntnis von Codes hilft aber Erwachsenen nicht, das zu verstehen oder zu intervenieren.

Neben der problematischen Darstellung der Incel-Thematik und der seltsamen Sicht auf digitale Kommunikation halte ich die schauspielerische Leistung von Owen Cooper, der Jamie Miller spielt, für das dritte zentrale Problem. Cooper spielt einen zerrissenen 13-Jährigen, der kalkuliert die Kontrolle über jede Situation behalten will, zu impulsiven, gewalttätigen Wutausbrüchen neigt und gleichzeitig noch ein Kind ist, das sich nach Fürsorge und Wärme von Erwachsenen sehnt. Diese Mischung aus Gerissenheit und Aggressivität, aus Berechnung und Verletzlichkeit stellt Cooper so überzeugend dar, dass wir mit Jamie Miller letztlich eine Ausnahmefigur erleben. 13-Jährige sind nicht so wie Jamie Miller, solche Figuren gibt es nur in Netflix-Serien. Die für viele Kritiker:innen beste Folge von Adolescence, die dritte, zeigt das sehr deutlich: Eine professionelle, fürsorgliche Psychologin kümmert sich um Jamie und will abklären, wie er zum Mord steht, den er begangen hat. Die Interaktion ist spannungsgeladen, sie schlägt immer wieder um. Das muss in einer Serie so sein, damit wir über eine halbe Stunde lang zusehen, wie eine Psychologin mit einem Kind spricht – dafür erhalten wir aber keine realistische Darstellung eines Jugendlichen, sondern eine übertriebene, verdichtete, gescriptete. Dasselbe betrifft die Tat: Online-Radikalisierung hat viele Auswirkungen, sie führt zu psychischen Problemen, zu Gewalt, zu belasteten Beziehungen. Ein Mord unter 13-Jährigen ist das Extrem, das sich für Netflix eignet, aber nicht für ein Verständnis der grundlegenden Zusammenhänge.

Damit sind wir beim vierten Problem, das ich in der Serie sehe. Die Darstellung der Institutionen, in denen sich Jugendliche bewegen, sind seltsam schwarz-weiss gezeichnet. Die Polizei ist hoch professionell, sie agiert fürsorglich, aber streng, hält sich kleinlich an Regeln und Abläufe und achtet doch auf die Bedürfnisse der Menschen, mit denen sie zu tun hat. Sie ist in der Serie zweifelsfrei im Recht, sie muss einen Mord aufklären und den Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen, tut das aber in jeder Hinsicht professionell. Das ist Copaganda in Reinform. Dasselbe gilt für die Institution, in der Jamie abgeklärt wird: Die Wärter agieren zurückhaltend, aber bestimmt, die Gutachten werden sorgfältig und unter Berücksichtigung professioneller Standards entwickelt.

Die Realität sieht anders aus. Nehmen wir Brian, der in der Schweiz mit 10 Jahren in Kontakt mit der Polizei kam. Humanrights.ch fasst seine Geschichte wie folgt zusammen:

Als 10-Jähriger wird Brian fälschlicherweise der Brandstiftung verdächtigt, mit Handschellen wird er von zu Hause abgeführt und das erste Mal in Untersuchungshaft genommen. Als 12-Jähriger (2008) wird Brian angeblich «zu seiner eigenen Sicherheit» acht Monate lang in einem Erwachsenengefängnis inhaftiert. An seinem sechzehnten Geburtstag (2011) wird Brian in einer psychiatrischen Klinik während dreizehn Tagen ununterbrochen ans Bett fixiert, es werden ihm starke Medikamente zwangsverabreicht. Nach einem medialen Aufschrei wegen der Einrichtung eines Sondersettings (Fall «Carlos») wird der 17-jährige Brian (2013) sechs Monate lang ohne rechtliche Grundlage im Massnahmenzentrum Uitikon eingesperrt. Als 19-jähriger (2015) kommt Brian sechs Monate lang unschuldig in Untersuchungshaft, weil ihn jemand eines Messerangriffs beschuldigt. Als 21-Jähriger (2017) erfährt Brian im Gefängnis Pfäffikon eine unmenschliche Behandlung im Sinne der Definition in der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Andererseits wird die Schule als eine Institution gezeigt, in der verrohte Schüler:innen einander quälen, ohne dass die inkompetenten Lehrpersonen auch nur das Geringste tun könnten, um das zu verhindern. Während es viele Details aus der Darstellung sicherlich so gibt (überforderte Lehrpersonen, Mobbing, Übergriffe etc.), werden sie in der Serie so zusammengesetzt und verdichtet, dass Zuschauer:innen schließen müssen, Schüler:innen seien in der Schule Mobbing komplett schutzlos ausgeliefert, während ihre Schul-Erfahrungen ein zentraler Faktor in ihrer Radikalisierung darstellt.

Eine Schülerin verprügelt einen Schüler, Screenshot Adolescence.

Den fünften Kritikpunkt, die seltsame Kameraführung, halte ich kurz: Ein künstlerisches Mittel wird eingesetzt, um eine Art hektische Unmittelbarkeit herzustellen, die uns zeigt, wie überfordert die Erwachsenen im Moment sind. Gleichzeitig wirkt das extrem künstlich, wenn etwa eine Drohne genutzt wird, um uns von A nach B zu bringen, oder wenn die Kamera Menschen nur folgt, um einen Schnitt ersetzen zu können. Das Verfahren müsste entweder konsequent auf POV setzen oder sich mit Schnitten an einer zeitlichen Vorgabe orientieren.

Aus der Serie können wir mitnehmen, dass es eine Incel- und Manosphere-Kultur gibt, in der junge Männer radikalisiert werden. Sie sprechen sehr selten offen darüber, verinnerlichen aber in komplexen, langfristigen Prozessen Gebote zur Selbstoptimierung, zur Isolation, zum Frauenhass. In einem Artikel im Cut hat Kathryn Jezer-Morton die damit verbundenen Herausforderungen für Eltern als Dilemma präsentiert:

We’ve given our children access to media technology that very few of us are capable of managing, and now they’re consuming content they are developmentally unequipped to handle. No one knows what to do. In one corner, we’ve got the idea […], that kids need more independence among their own peers, that “quality time” with adults is not what they’re missing. In the other corner, whenever we leave our kids alone, it’s far too easy for them to get sucked into toxic online vortices.

Über dieses Dilemma müssen Eltern nachdenken: Wie können sie Teenager auf eine Art begleiten, welche diese annehmen können – und ihnen dabei so viel Freiraum lassen, wie sie für ihre Entwicklung brauchen, im Wissen darum, dass sie im Internet von niederträchtigen Männern manipuliert und missbraucht werden?

Aus meiner Sicht ist Adolescence kein geeignetes Format, um über diese Zusammenhänge nachzudenken. Ryan Broderick hat im bereits erwähnten Podcast eine Theorie formuliert, die zeigt, wie Radikalisierung im Internet über eine Besetzung emotionaler Schwachstellen funktioniert. Anfällige Menschen lassen sich von Ideen im Internet anstecken, um emotionale Abgründe zu füllen. Das ist ein langsamer, aber konstanter Prozess, der sich schlecht in einem kriminahen Format zeigen lässt. Ich zitiere ein automatisch generiertes Transkript:

The Internet provides an emotional replacement that is extremely seductive and engrossing. And the pandemic being the moment when teachers started noticing more incels in schools makes sense because based on everything that we can see, the the pandemic was a moment when more people started to use the Internet. So I don’t actually think it’s a matter of this ideology spreading. I actually think it’s just like there’s a subset of people that this will be true for because of the way the Internet sort of interacts with the human brain and the human emotional system and all of that. It’s the same kind of logic behind, like, the rise in gambling online during the pandemic. And, like, there’s just a bunch of, like, weird Internet bait that the resurgence of eating disorder content on TikTok during the pandemic.

There are mimetic social diseases, and I think toxic masculinity is one of them. That’s really bleak. […] There is a lot of people out there who, when given the option to fill the void inside of them with Internet content, will, and it manifests in different ways. And if we can target that, we might be able to kill the whole thing. That’s the issue.

Als eine Art Fazit kann ich das Menschenbild, das hinter Adolescence steht, als Mittelpunkt meiner Kritik heranziehen. Die Serie stellt junge Männer genau so dar, wie das die Manosphere tut: Als isolierte Wesen, die weder mit ihrer Sexualität noch mit dem Sinn ihres Lebens klarkommen. Die von Frauen oder Vätern etwas bräuchten, was diese ihnen vorenthalten, weshalb sie sich an Figuren wie Andrew Tate wenden müssen, die ihnen destruktive Gedanken einflössen. Im New Yorker schreibt Doreen St. Félix in ihrer Kritik:

The creators of “Adolescence” think of the contemporary English boy as a breakable creature, abandoned by society. No one has taught him how to manage his incipient sexuality; no one has taught him how to cope with rejection. Interestingly, the feeling of abandonment mirrors the animating force of the nastiest parts of the American manosphere: the belief that men got left behind.

Throughout the series, Eddie laments his parenting, and questions whether he’d unwittingly abdicated his responsibilities. […] And yet this is not the “sins of the father” literary scenario of earlier centuries. Rather, this son is inheriting an earth his father does not know.

Wir müssen die Beziehungen zu diesen jungen Männern aufrecht halten. Sie müssen sich so an uns Lehrer:innen und Erwachsenen reiben können, dass sie merken, dass die Manosphere-Influencer Märchen erzählen, dass die Welt nicht so ist, wie sie sich das haben einreden lassen. Wir dürfen nicht in die verschiedenen Moral Panics verfallen, die sich hier gebildet haben, uns nicht von der Angst leiten lassen, ein 13-Jähriger würde unbemerkt ein Mädchen umbringen, weil er im Internet die falschen Nachrichten erhalten hat. Wir dürfen aber auch nicht so tun, als ob diese Radikalisierungstendenzen nicht gebe und Menschen Bedürfnisse nicht mit Internet-Manipulationen zudecken würden.

Wie der RAABE mit RAAbits Online Lehrpersonen in Abos zwingen will

Im November 2024 habe ich eine Einheit zu Woyzeck vorbereitet – ich wollte meinen Lehramtsstudierenden zeigen, welche Handreichungen es dazu für Lehrpersonen gibt. Auf RAAbits Online habe ein entsprechendes pdf Dokument gefunden. Da ich eingeladen wurde, das Angebot kostenlos zu testen, habe ich mich angemeldet.

Um mit dem File besser arbeiten zu können, habe ich es runtergeladen. Direkt nach dem Download habe ich eine Mail bekommen, die mich darüber informiert hat, dass ich nun ins kostenpflichtige Abo-Modell gewechselt habe. Sofort habe ich mich an den Kundenservice gewandt und das Abo widerrufen.

Der Kundenservice hat mir geantwortet, das sei nicht möglich, ich hätte den Widerruf aktiv ausgeschlossen, indem ich ein File runtergeladen habe:

Für mich liegt hier ein deutliches Dark Pattern vor. Ich bin kein ungeübter Internet-Nutzer und habe in dem Moment, als ich es bemerkt habe, das Abo widerrufen. Ich habe weder eine Kreditkarte hinterlegt noch eine andere Form von Zahlungsversprechen geleistet – ich habe einzig die Download-Funktion genutzt.

Seit diesem Vorfall mehrere Mails mit den Verantwortlichen ausgetauscht. Ich will die Plattform nicht nutzen, ich wollte kostenlos ein Dokument einsehen und habe es aus Bequemlichkeit runtergeladen. Ich habe seit dem November weder Dokumente eingesehen noch runtergeladen.

RAABE besteht darauf, dass ich ein Abo für ein Jahr bezahlen muss. Ich bin nicht bereit, mich so erpressen zu lassen.

Heute habe ich nun ein Schreiben von Rechtsanwalt Heiko Mampel erhalten:

Ich bin zuversichtlich, dass die Möglichkeiten zum Widerruf zumindest in der Schweiz mich vor diesen Forderungen schützen. Grundsätzlich halte ich es für skandalös, dass ein Anbieter für Unterrichtsmaterialien Lehrpersonen so abzocken will. Wer das Angebot bezahlen will, soll das können. Aber weshalb besteht ein Verlag darauf, jemanden in ein Abo zu zwingen, der das gar nicht will?

Sousveillance als Grundbegriff

Kürzlich habe ich im Kontext von Ringen, mit denen sich Partner:innen gegenseitig überwachen können, zum ersten Mal von Sousveillance gehört. Der Begriff ist schon älter, er bezeichnet einen Aufzeichnungsvorgang, der nicht von einer Autorität ausgeht, sondern von einer Privatperson.

Die aktuelle Technik, die Kameras und GPS-Tracking in viele Geräte integriert, macht Sousveillance zu einem alltäglichen Problem. Es ist enorm einfach, das Verhalten von Menschen mit Auto-Apps, Handy-Apps oder Uhren aufzuzeichnen. Mittlerweile sind auch viele Wohnungen oder Häuser mit Kameras ausgestattet, die wirksame Sousveillance erlauben. Kürzlich habe ich ihm Rahmen einer Einheit zu Femizid mit Jugendlichen darüber gesprochen, wie problematisch es ist, wenn Partner:innen sich gegenseitig überwachen (das Ergebnis der Diskussion habe ich hier zusammengefasst).

Sousveillance wird zu einer permanenten sozialen Kontrolle, die nicht nur in Beziehungen, sondern auch am Arbeitsplatz und in anderen sozialen Verhältnissen zu einer Belastung wird.

Historisch hatte Sousveillance eine positive politische Konnotation, da diese Form des Aufzeichnens zum Widerstand gegen ein Überwachungsregime genutzt werden kann (vgl. den Wikipedia-Artikel). Die Beispiele sind einleuchtend: Menschen können dokumentieren, wie sich Sicherheitspersonal oder Polizist:innen bei Eskalationen verhalten, sie können ihre Perspektive der von Überwachungskameras entgegenhalten etc. Heute scheint Sousveillance aber nicht eine Handlung zu sein, die sich gegen ein autoritäres Regime richtet, sondern eine, die in gleichberechtige Beziehungen Machtverhältnisse einführt.

Die Diskussion um Smartphone-Verbote führt in die Irre

Wir führen aktuell eine Diskussion um Smartphone-Verbote an Schulen, die aus zwei Gründen problematisch ist: Erstens ist sie Teil eines Trends, in dem Politiker:innen den Handlungsspielraum von Schulen beschränken, um unwissenschaftliche Vorstellungen zum Umgang und Lernen mit Jugendlichen durchzusetzen. Zweitens geht die Diskussion davon aus, man könne ernsthafte Probleme mit der Lernkultur an Schulen und der psychischen Gesundheit von Jugendlichen über ein Verbot lösen. Was wiederum eine unseriöse, unwissenschaftliche Sicht auf die Zusammenhänge ist.

Grundsätzlich hängen beide Probleme zusammen, indem sie von einer fehlenden Bereitschaft zeugen, Zusammenhänge zu verstehen und jungen Menschen wirksam zu helfen. An die Stellen von dem, was etwas nützen würde, tritt eine Regel, die sinnvolle Vorgehensweisen für Schulen erschwert, nur mit hohem Aufwand durchzusetzen ist und wohl mehr schadet als nützt.

Wozu soll ein Handyverbot überhaupt eingeführt werden? Was ist das, was sich Vertreter:innen konkret davon versprechen? Ich habe einige Vermutung in der Slide aufgeschrieben. Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, in Schulen lange Arbeitsphasen ohne Smartphone-Nutzung durchzuführen. Es spricht auch nichts gegen transparente Regeln, wie Kinder und Jugendliche Smartphones an Schulen nutzen dürfen. Und selbstverständlich dürfen Jugendliche Smartphones an Schulen weglegen oder sie gar nicht erst mitnehmen, wenn sie das möchten.

Gerade dieser letzte Punkt zeigt die Absurdität einiger Argumente für ein Smartphone-Verbot: Wenn es wirklich darum geht, jungen Menschen einen Gefallen zu tun, dann könnten sie entweder ihr Gerät zuhause lassen oder es in der Schule einfach irgendwo einschliessen. Ihnen das anzubieten ist kein Verbot. Alles, was über dieses Angebot hinausgeht, entspricht aber offensichtlich nicht dem Bedürfnis dieser jungen Menschen. Viele übernehmen zwar Gedanken von Erwachsenen, aber genau wie diese Erwachsenen können und wollen sie nicht aufs Smartphone verzichten. Vielleicht wäre das ein guter Ausgangspunkt für eine seriöse Diskussion: Das Eingeständnis, dass wir gerne am Smartphone sind und nicht freiwillig darauf verzichten möchten. Deswegen müssen wir kein schlechtes Gewissen haben – und kommen dann vielleicht auch nicht auf die Idee, anderen die Nutzung verbieten zu wollen.