Wenn es nach dem Internet-Pöbel geht, sind auch Veronica Ferres, der laue Winter oder Uli Hoeness’ Bayern ihre Gebühren nicht wert – und davon wird das Fernsehprogramm und die Welt auch nicht besser. Vielleicht sollte man einfach mal abschalten, statt sich online zu erregen.
Das Schlussargument des Kommentars zum Lanz-Interview von Martin Halter ist in der Presse regelmäßig zu lesen: So genannte »Shitstorms« würden Empörung im Netz heraufbeschwören, die nicht mit echter Kritik verwechselt werden dürfe. Dem »Pöbel« falle es eben auf Facebook und Twitter besonders leicht, sich aufzuregen (»ein Like ist schnell gedrückt«), zudem ebbten diese Empörungsfluten schnell wieder ab.

Die Tatsache, dass Kritik im Netz geäußert wird, genügt als Argument, um die Kritik zu entwerten – egal, ob es um Sexismus, Rassismus oder ein schlechtes Interview geht. Eine differenziertere Betrachtung zeigt, dass es zumindest drei Möglichkeiten gibt:
- Ein große Zahl von Menschen ist bereit, im Netz eine Meinung zu vertreten, die sie dort nur zeigen, um sich zu profilieren, anzupassen oder weils grad so einfach geht. Diese Menschen äußern keine echte Kritik, sondern drücken quasi gedankenlos auf die Screens ihrer Smartphones. Das Netz ermöglicht eine willkürliche, oberflächliche Meinungsbildung.
- Eine große Zahl von Menschen ist wirklich aufgebracht und äußert sich auch im Freundeskreis und in der Familie kritisch, nur hört sie dort niemand. Im Netz werden diese Meinungen plötzlich sammel- und wahrnehmbar. Menschen, die sonst nicht gehört werden, erhalten eine Stimme. Das Netz ermöglicht eine effiziente und transparente Meinungsbildung.
- Das Netz gibt der Meinung von digital affinen Menschen mehr Gewicht, als ihr eigentlich zukommen würde. Wer es versteht, eine Kampagne zu starten – Daniel Graf von Feinheit nutzt beispielsweise Shitstorms gezielt als Mittel in politischen Kampagnen -, kann seiner Haltung so zu Aufmerksamkeit verhelfen, die nicht proportional zur Meinung in der Gesamtbevölkerung ist. Das Netz verzerrt die Meinungsbildung und verstärkt Ausschnitte davon.
Meiner Meinung nach ist 1. sicher falsch. Es ist nicht einfach, auf Facebook Likes zu sammeln oder auf Twitter eine Nachricht zu verbreiten. Auch im Netz engagieren sich Menschen – und mag es noch so einfach sein – nicht für etwas, was sie nicht unterstützen. 2. und 3. mögen je nach Gegenstand der Kritik durchaus zutreffend sein – genauere Analysen sind jeweils angebracht.
Zu beobachten ist aber ein Netzdiskurs, der zur Delegitimierung bestimmter Anliegen führt, nur weil sie sich digital entfalten. Das überrascht nicht, ist doch die analoge Welt geprägt von einer festen Hierarchie: Wer in der Zeitung schreiben darf, wer ins Fernsehen kommt, wer im Rahmen politischer Entscheidungen seine Meinung kundtun und umsetzen darf, hat kein Interesse daran, dass eine andere Form von Partizipation möglich wird, dass andere Meinungen gehört werden – auch wenn es nicht Meinungen sind, die von eine Mehrheit vertreten werden.
Wenn bei Fällen von Alltagsrassismus oder Alltagssexismus die Netzempörung als ein Überbewerten harmloser, alltäglicher und gar nicht »so« gemeinter Vorgänge dargestellt wird, so wird nicht einmal der entscheidende Punkt in der Diskussion vermittelt: Was harmlos, alltäglich und wie gemeint ist, kann eben nicht die Person bestimmen, die viele Rechte und viel Aufmerksamkeit beanspruchen kann, sondern hängt von der Wahrnehmung der Betroffenen (und auch von der Außenstehender) ab. Kurz: Das muss verhandelt werden.
Wer die Äußerungen vieler Menschen, sie empfänden etwas als hoch problematisch, damit abtut, dass sie nicht ernst gemeint sein können, weil sie im Netz stattfinden, tut sich und allen anderen auf Dauer keinen Gefallen. Zu glauben, Kritik verschwände, weil man sie mit einer perfiden Strategie delegitimiere, ist naiv.