Was die digitale Transformation der Gesellschaft für Schulen bedeutet – das wurde in den letzten 30 Jahren in allen Facetten diskutiert. Die Frage war dabei, wie Digitales in die Schulen kommen könnte, müsste, sollte. Wie Schulzimmer ausgestattet werden müssen, wie sich lehren und lernen digital verändert. Gedacht wurde oft in schematischen Gegenübersetzungen: Analoger Unterricht geht so, digitaler anders.
Eine postdigitale Schule löst sich von diesem Gegensatz. Seinen Aufsatz über »Post-digitale Bildung« (2020) beginnt Robin Schmidt mit einem Negroponte-Zitat aus »Beyond digital«: »Like air and drinking water, being digital will be noticed only by its absence, not its presence.« In einer post-digitalen Schule wird es nicht auffallen, dass interaktive Whiteboards oder Tablets genutzt werden – vielmehr wird das Fehlen digitaler Technologie und digitaler Verfahren ins Auge fallen. »Digitalität wird zum Hintergrund des Alltags« – so die Formulierung von Felicitas Macgilchrist in ihrer Darstellung »postdigitaler Pädagogik«.
Die vier Forderungen des Vereins D64 für Bildung im Kontext der digitalen Transformation lassen sich so als politischer Rahmen hin zu einer postdigitalen Bildung verstehen.
Was heißt es nun konkreter, wenn Schulen postdigital werden? Als Orientierung zitiere ich aus den Arbeiten von Macgilchrist und Schmidt.
- »[Digitalität] muss nicht mehr explizit als ‚Digitalisierung‘ thematisiert werden, sondern ist lediglich ein Aspekt eines umfassenden Transformations- oder Schulentwicklungsprozesses.« (Macgilchrist)
- »Wenn die vollständige Verfügbarkeit von Wissen alltäglich gefühlte Realität ist, wird auch Bildung womöglich immer weniger als Besitz und Verfügbarkeit (letztlich also als Kapital) eines Menschen, sondern immer mehr als Bezug eines Menschen auf einen Stoff (letztlich also als Interaktion, emphatischer: als Dialog) erfahren. Vielleicht rückt dadurch mehr in den Fokus, dass Bildung nicht nur eine Frage von Inhalten und Kompetenzen, sondern auch eine von Bezügen und Beziehung ist […]« (Schmidt)
- »’Innovation‘ wird hier nicht als die Einführung von Tablets, VR, AR oder KI verstanden, sondern als die subtile Transformation der schulischen Alltagspraktiken.« (Macgilchrist)
- »Bildungseinrichtungen könnten auch Orte werden, an denen der Mensch als Fragender existieren kann, ohne dafür sanktioniert zu werden. In Anlehnung an Cusanus’ belehrter Unwissenheit könnten Hochschulen auch Orte sein, an dem man sich an der Grenze des Noch-nicht-Gewussten aufhalten kann und dafür belohnt wird, während das heutige Bildungssystem diejenigen privilegiert, die (vermeintlich) wissen, ohne Zweifel auftreten und sich gegen andere durch Macht durchsetzen.« (Schmidt)
- »Wer neugestaltet, denkt die Rolle von Schule anders und sieht sich selbst als Teil eines soziotechnischen und -ökologischen Netzwerks, das Entscheidungen über Daten, Umwelt, zwischenmenschliche Beziehungen, Gerechtigkeit, Dekolonisierung, Design, Respekt, Lernaktivitäten, Kommunikation, Architektur, Relationalität und Teilhabe fällt.« (Macgilchrist)
- »In einer post-digitalen Gesellschaft entsteht Verantwortung gegenüber den digitalen Infrastrukturen, Inhalten und Kommunikationsformen kaum auf Grundlage der Frage, ob diese Technologien angenommen oder abgelehnt werden sollten. Verantwortung für das Verhältnis zu digitalen Technologien zu übernehmen, bedeutet heute vielmehr aus der Dualität von Annahme und Ablehnung auszutreten und sich an der Frage zu beteiligen, wie diese Technologie auf uns wirken soll.« (Schmidt)
Die Diskussion über die Annahme oder die Ablehnung von Technologien hat viele Ressourcen beansprucht. Vielleicht wäre es Zeit, dass postdigitale Schulen die von Schmidt und Macgilchrist beschrieben Entwicklungen, Verantwortungen, Beziehungen und Innovationen gestalten — vor dem Hintergrund der Digitalität.
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