10 Erkenntnisse aus dem #digifernunterricht-Projekt

Einige Tage bevor die Corona-bedingten Schulschließungen kommuniziert wurden, war absehbar, dass Fernunterricht zur Realität würde. Im Gespräch mit Journalist*innen und Kolleg*innen wurde mir klar, wie viele Fragen damit verbunden sind. Diese diskutierte ich auf Social Media, begann aber auch, einen Youtube-Kanal einzurichten, auf dem ich in recht hoher Frequenz kurze Video publizierte, in denen ich Tools vorstellte, Methoden diskutierte und generell aus meiner Perspektive über den Fernunterricht nachdachte. Für alle verwendete ich den Hashtag #digifernunterricht.

Bei der Umsetzung des Projektes habe ich viel gelernt. Grundsätzlich habe ich es agil entwickelt – d.h. ich habe weder ein Konzept erstellt noch genau geplant, wie das Projekt verläuft, sondern einfach mal gemacht. Deshalb ist es sinnvoll, einige Learnings explizit zu formulieren. Quantitativ sind nun über 80 Folgen auf dem Youtube-Kanal phwa.ch/digifernunterricht entstanden, dazu mehrere Infografiken und wie immer eine Reihe von Blogtexten und Medienbeiträgen über meine Arbeit. Auch ein Buch ist in Planung…

1 – rau und persönlich kommunizieren

Das habe ich schon auf Twitter gelernt (und vergesse es immer mal wieder): Wenn ich es schaffe, auch als Mensch in meinen Arbeiten im Netz präsent zu sein, kann ich wirksamer kommunizieren. Ich habe versucht, immer mal wieder einen anderen Hintergrund zu finden, auch mal kurz etwas von der Katze zu erzählen, ein Video beim Joggen aufzunehmen etc. Rau ist für mich eine Kategorie, die meine Arbeiten im Netz bestimmt: Es ist der Gegenbegriff zu »glatt«, mit dem ich perfektionierte Marketing-Aktionen bezeichnen würde, wo alles fehlerfrei und kalkuliert ist. Rauer Content lässt Fehler zu, nutzt sie und schaut, was sich entwickelt. Das hat sich für mich auch bei einem Videokanal bestätigt.

2 – einen einfachen Workflow definieren

Meine Videos habe ich so aufgezeichnet:

  1. In Gesprächen und durch Lektüre eine Idee entstehen lassen und sie gedanklich bearbeitet
  2. (nur wenn nötig) wenige Folien gestaltet (maximal 5 Minuten)
  3. Loom gestartet und Video aufgezeichnet (1 Take, kein Script) (maximal 15 Minuten)
  4. (nur wenn nötig) Video geschnitten (maximal 3 Minuten)
  5. Video auf YT hochladen, Titelfolie dazu, Links in Beschreibung (maximal 5 Minuten)
  6. Link zum Video auf Twitter, Facebook und Linkedin teilen (maximal 3 Minuten)

So brauche ich für ein Video weniger als 30 Minuten reine Produktionszeit. Ähnlich arbeite ich auch an Blogposts. Dieser Workflow ist schnell, weil ich mich an den Ablauf halte und jeden Schritt gut kenne. Ich kann so auch Fehlermeldungen einschätzen und weiß, welche Fehler ich vermeiden muss. Ich würde das für alle ähnlichen Projekte so empfehlen: Findet einen Ablauf, mit dem ihr sicher und zufrieden seid und optimiert ihn nur, wenn es nötig ist.

3 – öffentliche Fragen stellen (lassen)

Im Rahmen von #digifernunterricht habe ich viele Fragen von Lehrenden beantwortet, sehr viele. Leider trauen sich viele nicht, die Fragen öffentlich zu stellen – in den Kommentaren unter den Videos, auf digitalen Plattformen. Das ist schade: Weil Fragen Lerngelegenheiten sind. Denkt daran, wie oft ihr schon gegooglet habt, ob andere euer Problem auch haben: Es ist entlastend zu merken, dass man mit einer Frage nicht allein ist. Um das anderen zu ermöglichen, muss man Fragen öffentlich stellen.

4 – Aufmerksamkeit, Austausch und Anerkennung helfen in Krisen

#digifernunterricht hatte für mich eine Art therapeutische Wirkung. Ich habe die Videos nicht nur für andere gemacht, auch für mich. Andrea Geier und Markus Gottschling haben in einem Aufsatz 5 As definiert, die zeigen, was Twitter für die Wissenschaftskommunikation leisten kann. Ich würde das verallgemeinern: Projektarbeiten im Netz publizieren hat im Idealfall diese 5 Effekte.

  • Aufmerksamkeit schenken und finden.
  • Austausch suchen und genießen.
  • Anschlussfähigkeit herstellen und sichern.
  • Anerkennung suchen und finden.
  • Für Abenteuer offen bleiben.

5 – schnell sein

Die Corona-Krise hat generell gezeigt, dass die Zeit langwieriger Konzeptarbeit vorbei ist. Institutionen und Verantwortliche müssen in der Lage sein, schnell zu entscheiden, schnell Feedback einzuholen, schnell zu kommunizieren – seriös, ausgewogen. Das ist enorm schwierig – und gerade für die Politik eine enorme Herausforderung. #digifernunterricht war ein schnelles Projekt – im doppelten Sinne:

  • ich konnte einzelne Beiträge schnell erstellen
  • ich konnte Anliegen, Bedarfe und Themen schnell bearbeiten

Ein schneller Zeitungsartikel wird am Morgen in einer Redaktionskonferenz besprochen, im Laufe des Tages geschrieben und am Abend veröffentlicht. Wenn ich eine Idee für ein Video habe, ist es in einer halben Stunde im Netz. Am Montag der ersten Woche des Fernunterrichts gab es auf meinem Kanal schon 10 Videos. Diese Geschwindigkeit ist ein enormer Vorteil.

6 – Infografiken wirken

Ich habe während des Projekts vier Infografiken gemacht – mit Canva. Diese wurden breit geteilt, stark wahrgenommen. Sie sind für mich momentan das wirksamste Format im Netz, weil sie auf fast allen Plattformen zur Geltung kommen.

7 – Kollaboration

Ich habe versucht, explizit auf Ideen von anderen Personen einzugehen, sie zur Mitarbeit einzuladen. Das kann ich noch etwas stärker tun, führt aber dazu, dass mehrere Workflows koordiniert werden müssen. Für die Gesprächsreihe #gedankenschach, bei der Dejan und ich mit Expertinnen über die Kultur der Digitalität reden, haben wir das gemacht. Grundsätzlich führt Kollaboration aber immer zu anderen Perspektiven, was meine Beiträge verbessert: Ich merke, wo blinde Flecken liegen, kann differenzieren und abstrahieren. Das ist enorm wertvoll – an dieser Stelle herzlichen Dank an alle, die Ideen mit mir geteilt haben.

8 – kurze Beiträge

Dieser Blogpost ist fast zu lang. Sobald ein Video meinen Rahmen von 10 Minuten gesprengt hat, habe ich versucht, das Thema aufzuteilen. Wer sich für etwas stark interessiert, schaut sich auch drei Videos an. Das Netz hat beliebig viel Platz, aber halt für »small pieces loosely joined«

9 – Youtube ist eine Plattform

Vor dem Projekt habe ich Youtube immer nur als Video-Deponie benutzt. Was ich eingestellt habe, konnte ich im Blog oder auf Twitter verlinken. Mit den Abos, zu denen #digifernunterricht geführt hat, erhalten Beiträge auch Views über Youtube: Wer meine Videos anschaut, erhält sie direkt auf der Seite angezeigt, wenn ich neue publiziere. Das ist ein Effekt, den ich bislang unterschätzt habe.

10 Technik + Didaktik + Erfahrungen + Reflexion

»Pädagogik vor Technik« ist oft falsch, zumindest immer aber trivial. Richtig ist: Technik, Didaktik, Erfahrungen und Reflexion müssen ineinandergreifen. Ich kann #digifernunterricht nur gestalten, wenn ich Tools kenne, ihre Nutzung reflektiere, Unterricht plane und mich auf Erfahrungen beziehe.

Bonus: Edu-Konten

Fast alle kostenpflichtigen Angebote im Netz gibt es auch als Edu-Variante. Immer kurz suchen, bevor ihr für ein Premium-Angebot zahlt.

 

 

2 Kommentare

  1. annacologne sagt:

    Lieber Philippe,
    „#digifernunterricht hatte für mich eine Art therapeutische Wirkung. Ich habe die Videos nicht nur für andere gemacht, auch für mich.“ kann ich sehr gut nachempfinden. Beständig in Habachtstellung, war mir die schnelle, direkte und oftmals intensiviert-dialogische Form der Kommunikation eine Bedürfnisbefriedigung. Nun erlebe ich die Rückkehr zum „Regelunterricht“ fast als schmerzhaft, demoralisierend. Ich komme zum Schluss, dass die aktuelle Zeit des „Hybrids mit dem Ziel zurück zur Regel“ viel stärker als zuvor der Reflexion und Optimierung bedarf. Deshalb würde es mir sehr freuen, wenn du deine Gedanken gerade auch in dieser Zeit, die du ja am Montag beginnst, wenn ich es recht verfolgt habe, auch weiterhin auf diesem Wege teilen würdest. Du bietest so oft wichtige Impulse, die (weil sie rau sind 😉 ) nicht nur verhallen, sondern oft in echten Diskurs führen.
    Ein schönes Wochenende wünscht
    Anna

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