Von Prüfungen zu Kompetenznachweisen zu Kollaboration

Die Prüfungskultur ist für mich die zentrale Hürde bei der Verbesserung von schulischen Lernkulturen.

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Das Grundproblem besteht darin, dass von außen Lernziele an Lernende herangetragen werden, deren Erfüllung wiederum von außen geprüft wird. Das ist in Bezug auf Faktoren der Motivation verheerend. Folgt man der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan, dann geht Motivation von Wirksamkeit, Autonomie und sozialer Eingebundenheit aus. Die klassische Prüfungskultur lenkt die Wirksamkeit aufs Prüfungssetting hin aus (wirksam ist das, was zu einer guten Note führt) – und verhindert Autonomie und soziale Eingebundenheit komplett. Dieses Problem wird durch die Vorstellung aufgefangen, Prüfungen würden als extrinisische Motivation zu intrinsischer führen. »Extrinsische Motivation« ist aber nur ein anderes Wort für Druck oder Anreize, es ist keine Motivation im Sinne der Selbstbestimmungstheorie (oder im Sinne des Wortes Motivation an sich).

Mit der Bewegung von Lernzielen hin zu Kompetenzen hat sich der Fokus der Wirksamkeit verschoben: Kompetenzen sind Befähigungen von Menschen, sie beschreiben, was diese können. Entsprechend müssen sie auch nicht überprüft werden, sondern werden von Lernenden nachgewiesen. Das ist eine Erkenntnis, die sich erst langsam in Schulen und Prüfungsformen bemerkbar macht, aber letztlich ist sie konzeptionell schon vorgesehen: Lernende zeigen zur Leistungsüberprüfung was sie können.

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An der Kompetenzorientierung gibt es eine oberflächliche Kritik (Kompetenzen würden Wissen entwerten). Diese Kritik will zurück zu Lernzielen, die häufig von Wissensvermittlung und Wissensabfrage ausgehen. Daneben gibt es aber auch einen gewichtigen Einwand, der sich so verstehen lässt, dass die Kompetenzorientierung nicht weit genug geht. Hier die Formulierung dieses Einwands durch Felicitas Macgilchrist:

Neben dem technologischen Fokus ist zu kritisieren, dass vor allem individuelle Kompetenzen als der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe hervorgehoben werden. Dies vernachlässigt unsere Einbettung in soziale, ökonomische, politische und technische Strukturen beziehungsweise Infrastrukturen, die eine Teilhabe ermöglichen oder beschränken.

Kompetenzen, so mein Verständnis, blenden in einem individuellen oder individualistischen Verständnis relevante gesellschaftliche Prozesse aus. Das zeigt sich in der Leistungsmessung dann, wenn bei Projektarbeit individuelle Leistungen aus einem Projekt rausgerechnet werden, um einzelne Lernende benoten zu können, obwohl die relevanten Arbeits- und Lernschritte in einem Gruppensetting erfolgt sind.

Deshalb sieht für mich die Zielvorgabe so aus: Gelernt wird von Gruppen in Projektsettings. Daraus entsteht ein kollaboratives Lernprodukt, das als solches mit Feedback und Kritik versehen wird. Daraus ergibt sich eine Reflexionsmöglichkeit. Eine Bewertung entfällt.

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Generell lässt sich sagen, dass wirksame Lernprodukte, motivierende Lernsettings und Zusammenarbeit durch eine Orientierung an einer Kultur des Prüfens und Bewertens verunmöglicht werden. Wir müssen uns davon lösen.

 

4 Kommentare

  1. Einverstanden, bis auf einem Punkt: Wieso soll bei einem „kollaborativen Lernprodukt“ die Bewertung ausfallen? Teil des Auftrags muss sein, als Gruppe Kriterien zu definieren, anhand welcher der Erfolg zu evaluieren ist. Am Schluss folgt dann eine Selbstevaluation der Zielerreichung, plus eine Fremdevaluation durch die Lehrperson

  2. Daniel Jäggli sagt:

    Danke! für diese Darstellung; kompakt, akzentuiert, konzis; merci

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