Was Influencer heute wieder entdecken, haben Community-Manager wie Philipp Meier schon vor Jahren entdeckt: Im Netz führen Fehler zu Interaktionen – was wiederum die Reichweite steigert.
Daraus lässt sich eine Definition für Content ableiten, der zu Interaktionen einlädt. Diesen Content nenne ich rauen Content: Er erfüllt Erwartungen nicht, enthält Fehler, provoziert, ist in Bezug auf die vielfältigen Kontexte inkonsistent (passt z.B. nicht zum Profil, das ihn verbreitet, oder nicht zum Kanal, auf dem er verbreitet wird etc.). Rauer Content eröffnet Anschlussmöglichkeiten: Daran kann ohne große Hürde Kritik geübt werden, es können Kontroversen entstehen, Parodien, Fortsetzungen, Memes etc. sind denkbar.
Glatter Content hingegen passt möglichst genau: Zu den Erwartungen, zum verwendeten Kanal, zum Profil. Er eröffnet limitierte Anschlussaktionen: Er ist so gestaltet, dass viele »like« drücken oder den Beitrag vielleicht auch teilen könnten, aber ohne dazu selber etwas beizutragen.
Das ist nun nicht weiter erstaunlich, aber psychologisch schwer einzusehen: Menschen versuchen in der Regel möglichst konsistent und kontrolliert zu kommunizieren – also ein bestimmtes Image durch eigene Kommunikationshandlungen zu pflegen. Kritik oder Kontroversen führen entsprechend zu einem Kontrollverlust, den viele Menschen im Netz befürchten: Die Angst vor dem Shitstorm ist verbreitet, obwohl es kaum solche Shitstorms gibt. Entsprechend kontrollieren viele Menschen und Organisationen ihre Social-Media-Präsenz mit glattem Content – obwohl sie dadurch an Reichweite einbüssen.
Eine zweite Schwierigkeit liegt darin, dass rauer Content schlecht bewusst erzeugt werden kann. Der Influencer, der in jeden Post bewusste Fehler einbaut, ermüdet sein Publikum und wirkt nicht authentisch, sondern bemüht. Genau so wenig funktionieren regelmäßige Provokationen oder Kontext-Brüche.
Kurz: Rauer Content funktioniert gut im Netz, kann aber nicht nach Rezept generiert werden. So müssen beispielsweise Politikerinnen und Politiker auf aktuelle Geschehnisse reagieren und daraus Geschichten erzeugen können – ohne dass das übertrieben und gesucht wirkt.
Palmer versucht das ständig, deutet aber schon an, dass er das ganz bewusst macht. Der Beitrag funktioniert genau so, wie es die Theorie vorsieht – aber erzeugt er erwünschte Reichweite? Schwer erkennbar.
Eine letzte Bemerkung: Ich erhalte von Frauen immer wieder Rückmeldungen auf meine Beiträge hinter der Bühne: Also per Direktnachricht oder SMS. Die Rückmeldungen sind kritisch, oft hilfreich und weiterführend. Ich würde mir wünschen, sie würden direkt auf Twitter, Instagram oder Facebook erscheinen – aber ich weiß auch, dass sich diese Frauen auf ihren Profilen rauen Content nicht leisten können. Die an ihre Posts anschlussfähigen Interaktionen wären verletzend, anstrengend, destruktiv. Sie vermeiden den Kontrollverlust nicht, sondern können ihn sich nicht leisten. Kurz: Nicht jede Person und nicht jedes Profil können es sich erlauben, von glattem Content abzuweichen.
Zitat: „Im Netz führen Fehler zu Interaktionen – was wiederum die Reichweite steigert.“
Die Seite des Genannten, der bei Sichtbarkeit berät, aber bei Google nichtmal unter dem eigenen Firmennamen zu finden ist (was nicht heißt, daß er nicht gute oder sehr gute Ahnung bei Instagram hat) der das laut eigenem Bekunden absichtlich macht, macht auf mich nicht den Eindruck, als ob das Absicht ist.
ABER: Gute Argumentation.
UND: Wie dem auch sei. Trotzdem hat er recht.
Er formuliert es höflich, daß besonders die Deutschen gerne korrigieren würden.
Es ist vielfach einfach auch so, daß sie einfach gerne belehren.
Warum das so ist, weiß ich nicht.
Aber wenn ich in einem Forum oder sonstwo zum Beispiel eingebe, ich suche eine Erweiterung (ein „plugin“) im Zusammenhang mit dem CMS Typesetter (10x schneller als WordPress, ohne Datenbank usw. usf., schlank), dann kommen als erstes immer belehrende Antworten wie:
– „Warum nimmst Du nicht WordPress?“
– „Ja, warum nicht WP?“
– „Bei WordPress gibt es doch massenhaft Plugins für sowas“
– usw. usf.
Oder wenn einer zu einem veralteten Betriebssystem eine Frage stellt, dann kommt in deutschen Foren immer als erstes ein Bombardement an Belehrungen, warum man denn mit so einem alten System überhaupt arbeitet und daß das unverständlich bzw. unmöglich sei usw. usf.
Man erhält tausend Belehrungen aber keine Antwort auf die Frage.
Und es ist so, als ob man in eine Eisdiele geht und Walnußeis (Baumnußeis) bestellt und dann die Bedienung fragt: Aber warum bestellen Sie nicht Erdbeereis?
Und wenn man antwortet, es schmecke einem halt Walnußeis, dann kommt als nächstes erstmal: Aber Mangoeis ist viel gesünder usw. usf.
Dein Kommentar hat mich gerade zum Schmunzeln gebracht. Mir ist dies im Vergleich zwischen Communities in Deutschland und den USA auch aufgefallen. Fragt man in einem deutschen Forum nach Unterstützung zur Einrichtung von Software XY, kommt innerhalb der ersten drei Antworten die Frage, ob man denn überhaupt eine Lizenz dafür habe.
Mir wurde dazu mal ein nicht ganz ernst gemeinter Tipp gegeben: Stellt man die Frage „wie kann ich mit WordPress eine Bildergalerie erstellen?“, kommen Antworten, man solle doch die Anleitung lesen und überhaupt sei man wohl nicht qualifiziert genug, um eine eigene Website zu betreiben. Deshalb soll man die Frage als Vorwurf an die Fans der Software stellen: „WordPress ist so scheisse, damit kann man nicht einmal eine Bildergalerie erstellen!“ Als Antwort kommt dann „doch, das geht und zwar wie folgt…“ 🙂
Eine Anmerkung zum ursprünglichen Post: Ich habe mal gelesen, die Mitarbeiter von Starbucks seien gehalten, einige Namen bewusst falsch auf die Becher zu schreiben. Dies, weil die Kunden dann viel häufiger ein Foto davon machen und dieses inkl. Hashtag auf Social Media laden.
Ah, danke für diese schöne Anekdote!