Digitale Wahlkampagnen in der Schweizer Lokalpolitik

In den letzten Jahren habe ich mehrmals bei lokal politischen Wahlkampagnen mitgeholfen und dabei einige Einsichten gesammelt, die ich hier verdichtet formuliere. (Lokal meint hier einen Wahlkreis, der kleiner ist als ein ganzer Kanton.)

Das Ziel einer solchen Kampagne ist, dass eine Kandidatin oder ein Kandidat möglichst viele Stimmen erhält. Mein Fokus richtet sich dabei auf digitale Massnahmen: Profile auf Plattformen, Werbeanzeigen, Interaktionen, Content.

(1) Der Blindflug

Meist sind kaum Daten vorhanden, die ein strategisches Vorgehen zulassen. Das betrifft alle Aspekte des digitalen Wahlkampfs:

  • wie viele potentielle Wählerinnen und Wähler über gewählte Kanäle erreichbar sein könnten
  • wie viele Views/Interaktionen einen vergleichsweise guten Wert darstellen (im Vergleich mit anderen Kandidierenden oder im Vergleich mit ähnlichen Kandidierenden aus früheren Wahlen)
  • wie die Plattformen die eigenen Inhalten überhaupt ausspielen (wem werden Inhalte einer FB-Seite angezeigt im Vergleich mit einem persönlichen Profil, wie gut performt ein Video, ein Link auf eine externe Seite, ein Text/Bild-Post etc.)
  • wie stark ist die Wirkung digitaler Werbung im Vergleich mit nicht-digitaler Werbung im öffentlichen Raum.

Daten zu erhalten würde entweder viel kosten oder bedingen, dass mehrere Kampagnen erfasst und ausgewertet würden. Grundsätzlich kann man von Erfahrungen, anekdotischer Evidenz und Bauchgefühl ausgehen.

(2) Imagepflege und Storytelling

Wer kandidiert, will möglichst breit ein gutes Bild abgeben. Die eigene Qualifikation und Kompetenz betonen, die Schokoladenseite des eigenen Lebens zeigen. Hochglanz.

Damit lassen sich kaum mehrere Wochen Wahlkampf wirkungsvoll bespielen. Wirkungsvoll bedeutet, dass Interaktionen entstehen und die Reichweite so auch ausgebaut wird. Kürzlich habe ich festgehalten, wie wichtig rauer Content ist, also Beiträge, die Reibungsflächen erzeugen. Ideal dafür sind Geschichten, die erzählt werden – Geschichten aus dem Leben der Kandidierenden, an denen ein echtes Interesse bestehen kann (wer linke Verkehrspolitik macht, zeigt Bilder aus dem alltäglichen Fahrradverkehr, mal lustige, mal ernste, aber solche, welche das Publikum auf eine virtuelle Reise mitnehmen – wer rechte Verkehrspolitik macht, nimmt kurze Videos im Auto auf, zeigt die unmögliche Parkplatzsuche und die nervenden Staus, mal verärgert, mal leicht selbstironisch…)

Gute Geschichten entwickeln Konflikte, lassen Schattenseiten erahnen, zwingen zu Positionierungen: Das widerspricht dem Impuls, ein makelloses Image zu präsentieren.

Das zwingt Kandidierende zu einer Entscheidung: Lebendiger Online-Wahlkampf, bei dem der Hochglanz einige Kratzer abbekommt, oder eher langweilige, repetitive Imagepflege.

(3) Die eierlegende Wollmilchsau – und ihr Lohn

Um online wirkungsvolles Polit-Marketing machen zu können, muss jemand:

  • digitale Inhalte ansprechend gestalten können, auch Webvideos
  • sprachlich sicher und prägnant formulieren können
  • die Wirkung von Beiträgen beurteilen können
  • Interaktionen und Daten einschätzen können
  • die Funktionsweise der verwendeten Plattformen beherrschen
  • Kampagnen-Entscheidungen schnell fällen können
  • cross-medial denken (wie verhalten sich Online-Kommunikation zu Earned Media in Lokalzeitungen und zur Offline-Kampagne)
  • Monitoring betreiben können
  • schnell reagieren und oft online sein können.

Können das Kandidierende selber, sind sie im Vorteil. Lassen sie sich dabei unterstützen, können sie sich den Aufwand von Profis nicht leisten – die Aufgabe beansprucht in der heißen Phase und in ihrer Vorbereitungszeit rund 10 Stunden pro Woche. Nur ein Teil davon entlastet die Kandidierenden – sie müssen die Entscheidungen weiterhin selbst fällen.

(4) Online werben – und wie genau? 

Sollen Beiträge im Netz beworben werden? Die Herausforderung besteht darin, in der relevanten, meist sehr kleinen Zielgruppe, wirksame Werbung schalten zu können. Die Sichtbarkeit lässt sich mit dem Einsatz von Anzeigen erhöhen – aber die Anzeigen können Leute auch vor den Kopf stoßen (»Nun sehe ich dieses Gesicht auch noch auf Instagram?«).

Zudem machen sich die fehlenden Daten (1) bemerkbar. Gezieltes Online-Marketing ist nur mit guten Daten wirklich effizient. Es ist für Laien leicht, ein paar Tausend Franken bei Facebook zu investieren, ohne einen wirklich klaren Ertrag damit zu erzielen. Im Falle von Polit-Kampagnen ist der Ertrag auch schlecht messbar – was zählt, sind Stimmen, nicht Klicks auf die eigene Homepage oder die Facebook-Seite.

Sinnvolle Werbemassnahmen aus meiner Sicht:

  • Bannerwerbung bei Lokalzeitungen oder auf wichtigen lokalen Seiten
  • spezifische Google AdWords, um die Menschen anzusprechen, die einen auch finden wollen
  • hochwertige, aber raue und catchy Kurzfilme über FB ausspielen und sie dann auch auf Instagram zu zeigen – und die Reichweite mit etwas Geld zu steigern

Letztlich geht ein lokaler Wahlkampf aber auch 2019 gut ohne Online-Werbung.

(5) Die eigene Homepage

Die Investition lohnt sich. Mit wenig Aufwand besetzt die eigene Homepage den ersten Suchplatz bei Google und hilft dabei, sich so im Netz zu präsentieren, wie man erscheinen will. Sie ist auch der Ort, wo Bilder und Texte selbstbestimmt publiziert werden können, die dann vielfältig im Netz Verwendung finden können.

(6) Oder kann man es auch lassen? 

Ideal ist eine kontinuierliche Präsenz und der Aufbau von Reichweite, bevor sie politisch genutzt werden soll. Doch fehlt diese Präsenz vor dem Wahlkampf – lohnt sich dann der Aufwand?

Wahrscheinlich nur in einem sehr reduzierten Maße: Facebook-Profil und wenig Monitoring (Google Alert).

Ganz allgemein scheinen mir Begegnungen mit Menschen wichtig: Wer einen kennt, trägt Empfehlungen weiter. Begegnungen können offline und online entstehen. Damit sie aber vertrauensbildend wirken, braucht es online viel Erfahrung und entsprechende Strategien. Der Aufwand ist für Anfängerinnen und Anfänger größer.

(7) Ideen zum Verschenken

Ich habe noch einige Ideen, die mitnehmen kann, wer sie haben will.

  1. Der Doppelwahlkampf mit Reflexionsebene: Zwei Menschen kandidieren und treffen sich immer wieder, um über den Wahlkampf zu reden. Daraus entsteht ein Vlog/Podcast, aber auch jede Menge anderer Content, in denen Menschen wahrnehmbar über Politik reden.
  2. Die Begegnungen auf der Straße ins Netz tragen: Flyer verteilen, mit Menschen reden, fragen, ob man ein Bild für Instagram machen dürfe und den Selfie-Stick zücken. Diese Portraits dann kurz kommentieren und so online Lust für ein Treffen machen und die Offline-Wahlkampf ins Netz tragen.
  3. Der Info-Blog: Marcel Baur bloggt zu verschiedenen Themen der Politik in St. Gallen. Das ist eine ideale Wahlkampf-Idee: In Text und Bild zeigen, dass man sich auskennt in der Gegend und seriöse Ideen hat.
  4. Dinovember – aber für Wahlen: Eine Ehepaar hat als Familien-/Kunstprojekt Dinoinstallationen vorgenommen und fotografiert. Spielerisch haben sie die Idee umgesetzt, in ihrem Haushalt hätten sich kleine Dinos eingenistet. Eine solche Geschichte könnte man gut auch für den Wahlkampf erzählen: Ein putziges Alter-Ego finden (Lego-Figur, Stofftier, Puppe etc.), mit dem sich dann die Erlebnisse aus dem Wahlkampf verarbeiten lassen, mal lustig, mal Frust los werden, mal alle Mitlesenden motivieren, einen zu unterstützen.

Bildergebnis für facebook followers

2 Kommentare

  1. kurzverbloggt sagt:

    Danke Philippe für die Erwähnung.
    Allerdings muss ich erwähnen, dass ein lokal begrenzter Blog, wie ich ihn betreibe, nicht zwingend mit Erfolg einhergeht. Ich habe zwar keine schlechten Zugriffe und schaffe es auch immer mal wieder in die lokalen Medien. Dennoch bin ich noch nie gewählt worden.
    Du bekommst zwar Zuspruch und einige erkennen dich sogar auf der Strasse und sprechen dich an. Eine Gewähr auf ein gutes Wahlresultat geschweige denn eine Wahl ist das jedoch nicht.
    Es braucht die richtige Aufmerksamkeit zum richtigen Zeitpunkt und die gibt es vermutlich auch nur mit der richtigen Unterstützung. Ich habe das bislang (mehr als 7 Jahre bloggen) nicht hinbekommen.
    Nächstes Jahr werde ich dann den letzten Versuch starten. Wieder mit Hilfe der sozialen Medien und ohne eigenes finanzielles Engagement. Sehen wir, was dabei rauskommt.

    1. Ja, das aber halt eine extreme Form. Ohne Geld ist ja Wahlkampf ohnehin sehr schwierig, und ohne Netzwerk ja gleich doppelt.

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