Skinner-Apps – eine Rechtfertigung

Axel Krommer hat diese Woche einen grundlegenden Text vorgelegt, der für mich eine Grundlage für die Diskussion über Digitalisierung und Bildung darstellt. Darin formuliert er eine fundamentale Kritik an oberflächlichen digitalen Apps:

Anstatt zeitgemäße, offene, kollaborative Formen des Lernens und Lehrens zu ermöglichen, werden Formen des traditionellen Unterrichts in ein digitales Mäntelchen gehüllt: Schlechter Frontalunterricht ist für Schüler(innen) plötzlich ubiquitär-mobil via YouTube verfügbar und die behavioristisch-fremdgesteuerte Trias aus Reiz, Reaktion und Rückmeldung feiert in Gestalt von KahootLearningApps und Learning Snacks palliative Urständ.

(Wer mit dem Wort »palliativ« hier nichts anfangen kann, sollte den ganzen Text lesen – dort werden elegant zwei Bedeutungen des Adjektivs beschrieben.)

Krommer hat mit dieser Aussage recht: Oft verhindern einfache behavioristisch funktionierende Apps zeitgemäße Arbeitsformen, in denen es darum geht, Perspektiven auf Wissensgebiete einzunehmen und Lernprodukte zu schaffen, statt Fakten abzurufen.

Da ich nun also weitgehend einverstanden bin, erlaube ich mir trotzdem eine Kritik. In einem kurzen Kommentar hat Krommer die Kritik seziert, die es an diesem Argument gibt. Er unterscheidet verschiedene Typen von Kritik, die er alle für falsch hält. Ich bin damit einverstanden – mit zwei Ausnahmen.

Die Fraktion der „Do-it-yourself“-Apologeten argumentiert folgendermaßen: Man wisse schon, dass z.B. Kahoot zwar motivational belebend, didaktisch aber eher fragwürdig sei. Das ändere sich aber grundlegend, wenn Schüler(innen) ein Kahoot-Quiz selbst erstellen würden.
Diese Argumentation hat folgende Form: Ein problematisches X lässt sich im Unterricht dadurch rechtfertigen, dass X von Schüler(inne)n nicht nur genutzt, sondern selbst produziert/erstellt wird, weil sich während des Produktionsprozesses viele relevante Kompetenzen fördern lassen.
Die Form dieser Argumentation ist offensichtlich falsch. Das kann man logisch durch die Konstruktion eines einzigen Gegenbeispiels zeigen: So wird man bei der Produktion von Crystal-Meth sicher viele fächerübergreifende Fähigkeiten fördern, ohne dass es dadurch gerechtfertigt wäre, im Unterricht Drogen herzustellen.

Der schiefe Vergleich zeigt hier, wo das Argument entgleist. Selbstverständlich ist es gerechtfertigt, im Chemie-Unterricht Substanzen herzustellen, die nicht konsumiert werden sollten – wenn der Prozess lernwirksam ist (und ein Verständnis vermittelt, weshalb diese Substanzen nicht konsumiert werden sollten). Wenn also Lerngruppen als Lernprodukt ein digitales Quiz herstellen, dann tun sie das, weil es eine Form ist, die Kollaboration befördert, die mit einer Reflexion über Wissen und Lernen verbunden ist. Die Methode dekonstruiert sich selbst: Wer das Quiz herstellen kann, kennt die Problematik von Quiz-Lernen und von Behaviorismus.

Generell ist es ja einleuchtend, dass die Produkte, die Schülerinnen und Schüler im Unterricht herstellen, nicht per se einen didaktischen Wert aufweisen müssen. Die Frage ist, wie man mit diesen Produkten umgeht. Wenn die Kahoots, die Lernende erstellen, dann wieder didaktisch problematisch eingesetzt werden, dann liegt das Problem bei diesem Einsatz, nicht beim Prozess der Produktion des Quiz.

Das zweite Argument ist die Frage des Einstiegs. Können Skinner-Apps dabei helfen, Kolleginnen und Kollegen an die Kultur der Digitalität heranzuführen – also nicht nur zum Einsatz digitaler Hilfsmittel zu bewegen, sondern genuin digitale Arbeitsformen in ihrem Unterricht zu erproben?

Krommer lehnt diese Vorstellung ab. Ich bin mir hier nicht sicher. Ein wesentlicher Punkt der Digitalisierung ist Kontrollverlust, nicht unbedingt der Aufwand. Ein Kahoot mag mit mehr Aufwand verbunden sein als ein Padlet, dafür kann ich als Lehrer bis auf den Usernamen präzise kontrollieren, wie ein Kahoot benutzt wird, während ich bei einem Padlet darauf vertrauen muss, dass die Klasse verantwortungsvoll damit umgeht. Letztlich erlauben die Skinner-Apps unsicheren Kolleginnen und Kollegen, *einen* Schritt zu gehen, statt mehrere auf einmal gehen zu müssen. Sie erproben, wie es sich anfühlt, eine digitale Arbeitsform im Unterricht einzusetzen. (Den aktuellen Stand beschreibt Maik Riecken in seinem Blog sehr anschaulich: Es fällt 2019 schwer, Lehrerinnen und Lehrern zu vermitteln, wie ein Etherpad Dateien speichert.)

Setzen diese unerfahrenen Kolleginnen und Kollege Skinner-Apps ein, werden sie sofort merken, dass sie nach dem Schema Reiz-Reaktion-Rückmeldung funktionieren und einen differenzierten Umgang mit Wissen nicht zulassen – nur haben sie dann einen erste Annäherung an digitale Werkzeuge hinter sich.

Fazit: Die Pointe des Einsatzes von Skinner-Apps bei Lernenden und Lehrenden ist, dass sie dabei auch erkennen werden, wie limitiert der Nutzen dieser Apps ist. Das ist ein wesentlicher Lernschritt, der in der eigenen Erfahrung viel stärker wirkt.

P.S.: Ich habe über die Funktion von Quiz-Apps einen ausführlicheren Aufsatz geschrieben, der bald auch offiziell erscheinen wird. IMG_8518

5 Kommentare

  1. Der Einsatz von „SkinnerApps“ als Einstieg für KuK ist für mich weiter kritisch. Jeder didaktisch geschulte Mensch wird erkennen, dass diese Apps sehr limitiert sind, soweit stimme ich zu. Ich frage mich aber, wozu diese Erkenntnis führt.
    3 mögliche Varianten:
    – KuK versuchen diese Begrenzungen zu überwinden, sind neugierig, usw. was die wünschenswerte Reaktion ist
    – KuK setzten die Apps genau so skinnermäßig ein, „als ein Element von vielen, ist das ja ok“
    – KuK meinen darin ein Argument zu finden, dass das mit der Digitalisierung von Unterricht Quatsch ist. Wir reden ja hier von KuK, die sich wegen diverser Vorbehalte nicht von selbst auf den Weg machen, also ist diese Reaktion wahrscheinlich die dominantere, auch wenn das natürlich offensichtlich Blödsinn ist.

  2. JDrewes sagt:

    Ja, sehe ich genauso: Für Kolleginnen und Kollegen, die mit „digitaler Schule beginnen, sind die sogenannten Skinner-Apps ein erster Schritt, dem weitere, dann um spezifische Kompetenzen, die die „Kultur der Digitalität“ abbilden, erweiterte, folgen (sollten). Manche werden in diesem Stadium verharren, ohne diesen Schritt würden sie sich ggf. aber vollkommen verweigern.

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