Lehr-/Lernvideos im Deutschunterricht

Im abgeschlossenen Uni-Semester habe ich mich in einer Fachdidaktik-III-Veranstaltung intensiv mit Lehr- und Lernvideos im Deutschunterricht auseinandergesetzt. Im Folgenden einige Einsichten und Überlegungen dazu.

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Weshalb Videos? 

»Setzt man Videos im Deutschunterricht ein, muss man darauf achten, dass sie wirklich einen Mehrwert bringen. Es gilt das Primat der Didaktik: Nur wenn Videos dabei helfen, die vorgegebenen Lernziele zu erreichen und zur Methode passen, sollen sie eingesetzt werden.« So könnte ein solcher Artikel beginnen – dieser tut es aber nicht. Weshalb?

Lernvideos sind einerseits ein Medium, das fest im medialen Alltag Jugendlicher verankert ist. Jugendkultur wird ganz stark über Lernvideos vermittelt: Von Schminken über Shopping bis zu Gamen – Jugendliche lehren und lernen auf Youtube. Diese Vermittlungspraktiken verändern den Deutschunterricht, seine Wahrnehmung und Wirkung – egal ob die Videos im Unterricht gezeigt werden oder nicht.

Hinzu kommt: Neue Möglichkeiten wie Lernvideos (die nun eigentlich auch nicht mehr so neu sind) führen nicht zu denselben Zielen, welche bisherige Möglichkeiten erreichbar gemacht haben, sondern sie erlauben es, »völlig neue Zieldimensionen erstmals zu eröffnen«, wie Axel Krommer stichhaltig begründet.

Kurz: Man sollte sich mit Lehrvideos auseinandersetzen, um der medialen Realität Jugendlicher gerecht zu werden und selbst zu erfahren, welche neuen Möglichkeiten erreicht werden können.

Was es schon gibt

Standard-Themen des Deutschunterrichts werden von einer Reihe (halb-)kommerzieller Anbieter auf Youtube recht breit abgedeckt. Hier ein Beispiel:

Es zeigt die Stärke wie auch die Schwäche solcher Formate: Das ist technisch nett gemacht und soweit richtig, wenn man nicht zu differenzierte literaturwissenschaftliche Ansprüche an den Deutschunterricht hat (was ja viele Lehrkräfte ohnehin nicht haben). Es ist klar, auf den Punkt. Um sowas besser hinzukriegen, müsste ich viel Arbeit investieren.

Die Schwäche ist aber: Das ist sehr generisch. Es ist nicht abgestimmt auf den Kontext des Unterrichts, die Lektüreerfahrungen der Lernenden, ihr Vorwissen – es ist solider Frontalunterricht ohne Passung.

Bob Blume ist wie Marcus von Amsberg Deutschlehrer und auf Youtube mit einem eigenen Kanal präsent. Die von ihnen gestalteten Videos entstehen aus einem Schulkontext, versuchen aber, ihn für ein breiteres Publikum zu öffnen – bei Blume persönlicher, bei von Amsbergs Ivi-Education systematischer. Auch hier fehlt die Passung – wenn man von den standardisierten Prüfungsformaten in den deutschen Bundesländern absieht, auf die sich auch die kommerziellen Angebote auf Youtube beziehen.

Was wirkt

Die oben gezeigten Videos können in selbstorientierten Lernphasen durchaus Wirkung entfalten: Sie bringen zusätzliche Stimmen und Perspektiven in den Unterricht. »Schaue drei Lernvideos zu Erzählperspektiven und notiere dir wichtige Begriffe und Fragen auf einem Mindmap« – mit diesem Auftrag lässt sich durchaus in ein Thema einsteigen und diese Videos so nutzen, dass eine Passung entstehen kann.

Die Videos können im Rahmen einer Resultatesicherung oder auch einer kritischen Visionierung ebenfalls produktiv sein: Genau so, wie schlechte Wikipedia-Artikel zu gelesenen Ganzschriften eine gute Lernumgebung darstellen, weil Schülerinnen und Schüler den Wert ihrer Kompetenzen erfahren können, kann auch hier eine Auseinandersetzung mit diesen Videos vom emanzipatorischen Standpunkt aus hilfreich sein: Was stimmt hier nicht? Was müsste man besser oder anders erklären bzw. formulieren?

Diese Kritik kann durchaus die Ästhetik betreffen: Wer wirkt besser – die blonde Frau vor dem Greenscreen oder Bob vor seinem Büchergestell? Welche Perspektive und welche Bildausschnitte lassen sich am längsten aushalten? Wie lang soll so ein Video sein? Solche Fragen lenken den Blick auf die Gemachtheit von Filmen – ein wichtiges Lernziel im Deutschunterricht.

Schnell ist man dann beim produktiven Einsatz von Videos angelangt: Lernende erstellen ihre eigenen Videos. Mit zwei Tools habe ich in den letzten Monaten intensiver gearbeitet: Lumen5 und Adobe Spark.

Lumen 5 (hier meine ausführliche Besprechung) eignet sich, um aus einem Text ein Video zu machen. Schlüsselsätze werden herausgegriffen und mit Bildern hinterlegt. Die eingeschränkten Möglichkeiten des Tools sind einerseits eine Übung in Visualisierung von Inhalten, andererseits erfordern sie eine fokussierte Lektüre eines Textes, der in ein Video von maximal 90 Sekunden Länge verdichtet wird.

Als Beispiel der Trailer zu meinem neuen Buch:

Adobe Spark hingegen bietet ein einfaches Umfeld an, um eine Video-Präsentation zu gestalten. Die Studierenden meines Kurses haben eigene Themen gewählt. Mitgearbeitet habe ich bei einer Gruppe, die Freuds Traumdeutung in einem Video erklären wollte. Der Design-Thinking-Ansatz, ein brauchbares Produkt (das Lernvideo) herzustellen, führt zu einer unglaublich intensiven Auseinandersetzung in der Gruppe. Wir haben aus Freuds Traumdeutung einen Traum ausgewählt, der gleichzeitig einfach, passend zum Niveau der Lerngruppe und vielsagend war. Danach haben wir die wesentlichen Aspekte von Freuds Theorie reduziert und sie ästhetisch ausgearbeitet. Viele Ideen blieben auf der Strecke und konnten nicht umgesetzt werden – gleichzeitig haben alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppe enorm viel gelernt.

Hier das Resultat: spark.adobe.com/video/Yzq0Czh6pdEYP

Im Sinne des produktiven Verfahrens sind die Videos nicht mehr primär der Auslöser für Lernprozesse, sondern das Produkt eines Lernprozesses. Sie ersetzen einen Vortrag oder eine Gruppenarbeit.

Ein Programm für Lehrkräfte, die 2018 fit werden wollen

Diese Perspektive auf Lehrvideos zeigt dann auch die Möglichkeiten für Lehrende auf. Wer am Ende einer Lektion den Eindruck hat, die Klasse habe einen relevanten Punkt nicht verstanden, stellt ein Video in den Klassenchat. Wer findet, die Lektüre des ganzen Textes überfordere die Klasse, fasst ihn mit einem Lumen 5 zusammen. Wer im Präsenzunterricht weniger Zeit mit Instruktion verbringen möchte, lagert die nötigen Aspekte mit Videos in andere Unterrichtsphasen aus (aber nicht als Hausaufgaben!).

Der Leitsatz dabei: Auf Situationen passende Mikrovideos wirken stärker als generische Erklärvideos, mit denen sich auf Youtube Reichweite bolzen lässt (oder vielleicht nicht einmal das).

Um dieses wirksame Mittel im Unterricht einsetzen zu können, müssen sich Lehrkräfte vorbereiten. Sie müssen die Tools zumindest schon angewendet haben und eigene Lehrvideos erstellt haben. Mit diesen Schritten könnte das gehen:

  1. Falls nötig, diese gute Einführung und Übersicht über die Möglichkeiten lesen, die Martin Ebner und Sandra Schön ausgearbeitet haben.
  2. Vier 90-Sekunden-Videos zu aktuellen Unterrichtsthemen machen:
    a) eines mit Adobe Spark
    b) eines mit Lumen 5
    c) eines mit den Bordmitteln eures Betriebssystems (geeigneten Hintergrund wählen, in die Kamera sprechen)
    d) Stop-Motion-Erklärvideo mit einem Blatt Papier (vgl. Beispiel unten von Schülerinnen und Schülern)
  3. Jede Woche ein weiteres Video produzieren und im Unterricht einsetzen.
    Sich dabei in zwei Monaten der 30-Minuten-Marke annähern: Nicht mehr als 30 Minuten für ein Video aufwenden, bei dem man fachlich schon eingearbeitet ist.
  4. Im Netz die Erfahrungen festhalten und Kolleginnen und Kollegen davon erzählen.

 

6 Kommentare

  1. TobiRaue sagt:

    Das betrifft nicht nur den Deutschunterricht. Ich habe grade heute nach einem passenden Video als zusätzliche Unterstützung meines Unterrichts gesucht und bin trotz kaufmännischen Spezialthemas auf eine Fülle von Lehrvideos mit einer Gesamtlänge von mehr als 2,5 Stunden gekommen. Lost in Hyperspace hätte man in den 90ern gesagt. Die kann ich unmöglich alle selber anschauen, um sie dann weiterzuempfehlen. Ich fühlte mich erinnert an mein Ref, als ich stundenlang im Netz nach passenden Reihen und Materialen forschte. Am Ende passte nix so richtig und das „Selbstgemachte“ war dann situationsadäquat und für mich deutlich zufriedenstellender. Und das Video? Das erstelle ich morgen früh ganz allein mit der App Clips in 15 Minuten – mit Text, Bewegtbildern, meiner Stimme, den bekannten Materialien, leichter Fahrstuhlmusik und nur für die Telegramgruppe meiner Klasse – dafür ganz ohne Fame der Netz-Community.

  2. Jonny Rabe sagt:

    Das Ergebnis von Aufträgen als Video zu präsentieren, ist ja gerade enorm beliebt. Ich werde den Artikel weiterleiten, da er sehr nachvollziehbar aufzeigt, das dies auch seine Berechtigung hat.

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