Unterrichtsidee: Memes verstehen, Memes gestalten

Im Moment lese ich mit einer Klasse Gespräche von Konfuzius. Als Einstieg habe ich das »Wise-Confucius«-Meme (oder »Confucius-says«-Meme) besprochen – und möchte davon ausgehend eine Unterrichtseinheit skizzieren.  Die konkrete Unterrichtsmethodik lege ich dabei bewusst nicht fest; ich bin der Ansicht, dass sich hier selbstorientierendes Lernen sehr gut eignen würde und werde das abschließend kurz begründen. Mittelfristig arbeite ich diesen Vorschlag zu einem kleinen Aufsatz aus.

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(1) Die Kernidee

Dieses Meme folgt bestimmten Regeln, die es offenbar so attraktiv gemacht haben, dass sich diese spezifische Kombination von Bild (hier das Originalbild, Quelle konnte ich nicht ermitteln), Hintergrund und Text durchgesetzt hat. Der Text folgt dabei in der Regel folgenden Vorgaben:

  1. Er ist in Engrish abgefasst, einer humoristisch/rassistischen Bezeichnung für das fehlerhafte Englisch von Menschen mit asiatischer Muttersprache.
  2. Der erste Teil klingt nach einer Weisheit (»Man wird müde, wenn man vor dem Bus rennt, (statt bequem mitzufahren o.Ä.«) –
  3. während der zweite Teil klar macht, dass es sich um ein Wortspiel handelt. (Oft ein anzügliches.)

(2) Konkreter Auftrag

Diese Regeln können für andere Memes von Schülerinnen und Schülern erarbeitet werden (etwa in einer Pecha-Kucha-Präsentation mit Beispielen), denkbar wären unter anderen:

Eine Herausforderung ist das Thema deshalb, weil grammatikalische Sonderregeln mit inhaltlichen Vorgaben und dem Bild zusammen zusammengebracht werden müssen.

(3) Emblematik als Vergleich

Gleichzeitig bietet sich ein Vergleich mit der emblematischen Kommunikation der Renaissance bzw. des Barock an: inscriptio, pictura und subscriptio führen da »bimedial« zu einer »Gesamtaussage« – ganz analog wie bei diesen Memes.

(4) Entstehung von Memes: 4chan

Die oben verlinkte Seite Knowyourmeme recherchiert, ob es sich bei Vorschlägen tatsächlich um Memes handelt. Während die Definitionsfrage unten noch besprochen wird, ist dabei oft auch die Entstehung von Memes ein entscheidender Faktor. Viele Memes lassen sich auf das Bilderforum 4chan zurückführen (es ist nicht jugendfrei, hier müssen jüngere Schülerinnen und Schüler eng begleitet werden und unter Umständen mit moderiertem Material arbeiten, weil eine eigenständige Recherche auf 4chan auch für viele Erwachsene kaum erträglich ist).

4chan zeichnet sich einerseits dadurch aus, dass Bilder Ausgangspunkt jeder Diskussion sind, andererseits gibt es keine Möglichkeit, sich eine Identität anzueignen: Jeder Akteur ist »Anonymous« oder in der deutschsprachigen Version »Krautchan« »Bernd«. Dadurch entsteht ein enthemmtes Kommunikationsklima, in dem Regeln dazu dienen, sicherzustellen, dass nur Eingeweihte mitreden.

Dadurch entstehen viele Memes. So ist das Konfuzius-Meme vermutlich zum ersten Mal in diesem Forum aufgetaucht:

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Gleichzeitig zeigen sich aber Ideologie der 4chan-Szene (eine gute Hintergrundlektüre ist dieser Artikel) darin, dass viele Memes sexistische oder rassistische Botschaften transportieren – was in der Einheit ebenfalls Thema sein müsste.

(5) Was ist ein Meme? Vier Definitionen.

Christopher von Bülow hat in einem dichten Lexikoneintrag für die Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie die philosophischen Hintergründe des Meme-Begriffs dargelegt und sie auch kritisiert (vgl. auch dieses Buchkapitel von Davison). Der Begriff geht auf Dawkins zurück, wird aber oft in einem engeren Sinne benutzt. Unterscheiden lassen sich:

  1. Weiter Meme-Begriff: Memes sind Informationen, die vervielfältig werden können und so einen Evolutionsprozess durchlaufen: Sie werden durch die Replikation verändert, danach erfolgt eine Selektion. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Witz: Er wird mit jedem Erzählen verändert, aber nur dann bleibt er bestehen, wenn er als lustig und erzählenswert empfunden wird.
    In diesem Sinne sind alle Arten von Idee oder Informationen Memes, die sich haben durchsetzen können: Ackerbau, Buchdruck, Seitennummerierung in Büchern, Personalausweise – alles Memes.
  2. Netz-Meme: Im digitalen Sinne sind Memes Informationskombinationen, die im Netz wiedererkannt werden. Dabei können das bestimmte Bilder sein (der Facebook-Daumen, der Twitter-Fail-Whale) oder auch Texte (»aus Gründen«, WTF) – oder die Kombination mehrere Elemente in multimedialen oder interaktiven Zusammenhängen.
    Vom weiten Meme-Begriff wird übernommen, dass ein Meme erst dann vorhanden ist, wenn eine kritische Menge es als solches erkennt.
  3. Regelgesteuertes Text-Bild-Meme: Das Konfuzius-Meme entspricht einem engeren Meme-Begriff, weil es eine bestimmte Kombination von Text und Bild enthält.
  4. Ästhetisches Text-Bild-Meme: In einem unspezifischen Sinne ist seit einiger Zeit auch die Rede von Memes, wenn ein bestimmtes Bild mit einem bestimmten Text kombiniert wird, ohne dass es dafür bestehende Regeln gibt. Der Wiedererkennungseffekt wird nicht vorausgesetzt, es geht nur noch um eine rein formale Form der Gestaltung.

Eine Diskussion dieser Begriffsgeschichte und eine Kritik der Begriffsverwendung sind dankbare Unterrichtsthemen.

(6) Mit Memes kreativ umgehen: »Gefühlte Wahrheit«

Das Magazin der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht ein Meme, das »Gefühlte Wahrheit« heißt. Dabei werden oft Venn-Diagramme verwendet, um eine humorvolle Analyse zu präsentieren (warum finden wir das lustig?).

Hier können Schülerinnen und Schüler schnell aktiv werden und eigene Versionen ausdenken – damit können viele Themengebiete, die im Unterricht behandelt werden, in Verbindung gebracht und dargestellt werden.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

(7) Selbstorganisiertes Lernen: Kompetenzraster

Die Einheit bietet sich meines Erachtens an, um mit Kompetenzraster zu arbeiten. Dabei legt die Lehrperson fest, welche Kompetenzen Schülerinnen und Schüler nachweisen müssen – und lassen sie selbstorganisiert lernen. Sie müssen danach nachweisen, dass und wie sie diese Kompetenzen erworben haben.

Beispiele für Kompetenzen:

  1. Ich kann bei zwei Beispielen erklären, wie Text-Bild-Memes funktionieren.
  2. Ich kann zu bestehenden Meme-Regeln eigene Memes gestalten und ins Netz hochladen.
  3. Ich verstehe, unter welchen Bedingungen Informationen sich verändern und replizieren können.

8 Kommentare

  1. Vielen Dank für den interessanten Artikel.

    Ich möchte Sie aber gern auf die Tiefe des Memes hinweisen:
    Auf den ersten Blick wirken beide Sätze, wie Sie richtig schreiben, wie eine gehaltvolle Lebensweisheit, der im Grunde nicht widersprochen werden kann: Wer vor einem Bus davonläuft, wird müde; wer hinter einem Bus herläuft, erschöpft.“
    Durch die Verknüpfung mit dem Wise-Confucius-Bild entsteht jedoch ein offensichtlicher Widerspruch, da die Worte natürlich nicht von Konfuzius selber stammen können (Stichwort: Entwicklung des Automobils/ Autobusses). Für den Leser wird offensichtlich, dass die Worte in einem anderen Kontext gedacht werden müssen, nicht in dem eines alle Zeiten überdauernden chinesischen Sprichworts.

    Dies regt wiederum zum Schritt an: das nochmalige Lesen.
    Hierbei wird offensichtlich, dass es sich um ein raffiniertes Wortspiel handelt, welches durch die Worte „tired“ und „exhausted“ entsteht. So bedeutet „tire“ im Deutschen „Reifen“, „to get tired“ kann somit als „überfahren werden“ interpretiert werden. „Man who run in front of bus get tired“ kann somit sowohl als „[Ein] Mann, der vor einem Bus wegläuft, wird müde“, als auch als „[Ein] Mann, der vor einem Bus läuft, wird überfahren“ gelesen werden.
    Das gleiche Prinzip greift bei dem zweiten Hauptsatz. „Exhausted“ bedeutet im Grunde „ermüdet“ oder „erschöpft“, „exhaust“ ist aber auch der englische Begriff für den Auspuff. Somit kann dieser Satz gelesen werden als „[Ein] Mann, der hinter einem Bus herläuft, ermüdet“, oder aber als „[Ein] Mann, der hinter einem Bus herläuft, bekommt Auspuffgase ins Gesicht.“
    Nimmt man von beiden Hauptsätzen die wortspielerische Bedeutung, ergibt sich die Aussage: „[Ein] Mann, der vor einem Bus läuft, wird überfahren; [ein] Mann, der hinter einem Bus herläuft, bekommt Auspuffgase ins Gesicht.“ Dies trifft vom Grundtenor die im ersten Kontext gelesene Aussage, wirkt jedoch ungleich launiger, und passt zudem auch zum etwas verschrobenen Gesichtsausdruck auf dem Bild.

  2. Susanne sagt:

    Das Beispiel ist aber nicht Engrish. Nur ein Satz in asiatischem Englisch.

    Engrish, für mich eher
    „Unwittingly poor translations e.g from online language translation tools are used while ignoring (or without even asking for) the advice of a properly trained or experienced English editor.
    The use of English for „decorative“ or „design“ rather than functional purposes; i.e., for Japanese consumption, not for English speakers….“

  3. „Was haben memes mit der Bildersprache der Renaissance zu tun?“… verblüffend. Darauf wäre ich nie gekommen.

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