Zur Definition von Memes

In einer Diskussion mit Philipp Meier und Valentin Abgottspon ging es um die Frage, was ein Meme ist. Die beiden bezeichneten ihre beiden folgenden Bild/Text-Kombination als Memes:

1174588_576777625690991_787972397_n tumblr_inline_mrf31lISnl1qz4rgpDabei verwenden sie den Begriff Meme als Bezeichnung eines Stils: Wenn Bilder mit (weißer) Schrift – oft auf zwei Teile aufgeteilt – verbunden werden, handelt es sich dabei um ein »Meme«.

Diese Definition halte ich für wenig sinnvoll, weil dadurch das Besondere an der Memetik verloren geht. In der Folge von Richards Dawkins Theorie sind Memes Informationseinheiten, die sich ähnlich verhalten wie Gene. Was man bei Christopher von Bülow genauer nachlesen kann, fasse ich hier kurz zusammen:

  1. Informationen werden kopiert und erzeugen so Varianten von sich selbst (z.B. werden immer neue Bilder mit immer neuen Texten kombiniert).
  2. Diese Varianten unterliegen Selektionsprozessen, indem sie unterschiedlich viel Aufmerksamkeit erhalten (sie werden von anderen Teilnehmenden in sozialen Netzwerken verbreitet, verwendet, wiederum variiert etc.).
  3. So ergibt sich ein evolutionärer Vorgang, der erklärt, wie neue Information entsteht und unter welchen Bedingungen sie sich etablieren kann.

Memes wären letztlich die Informationen, die sich in der Selektion durchsetzen können. Beispiele wie das Bildforum 4chan zeigen, dass das unabhängig von der Identität der Urhebenden und vom Stil oder der Art der Information ist. Memes können Bruchstücke von Melodien sein, Redewendungen, kurze Szenen, Zitate aus Filmen, Bildern, Büchern; Mode, Tanzstile, Youtube-Videos etc. Niemand kann bestimmen, ob und wie etwas zum Meme wird, oft wird eine Variante von einer Information das, was sich durchsetzt, oft finden viele unkontrollierbare Veränderungen statt und vieles geht schnell wieder vergessen. (Hier eine spannende Maturarbeit, die einer meiner Schüler vor einer Weile dazu geschrieben hat.)

Ich lege nicht Wert auf die Unterscheidung zwischen Stil und Informationsgenese, weil ich ein Pedant oder Besserwisser wäre, sondern weil für mich der Begriff auf eine wichtige Eigenschaft der Informationsverbreitung hinweist, die in der europäischen Kultur oft vergessen geht, weil sie stark auf den Status der Kulturschaffenden abzielt. Das Internet funktioniert als Modell ähnlich wie die Informationsvermittlung und -verbreitung im Großen: Wir können miterleben, wie sich Informationen durchsetzen und wie nicht. Der Reiz der Memetik ist letztlich auch der, dass sie zeigen könnte, dass die Evolution von Informationen gleich wichtig oder wichtiger ist als die biologische Evolution (weil ja auch die letztlich Informationen kopiert und verbreitet).

Sind Memes nur noch Bilder mit weißen Texten, droht das vergessen zu gehen. Und das wäre dann natürlich einfach der Lauf der memetischen Evolution…

9 Kommentare

  1. Felix sagt:

    OMG. Das ist Deutschland. Gründet doch einen Verein zum Zwecke der richtigen Definition von Wörtern.

    1. das ist noch viel schlimmer, lieber felix. das ist die schweiz ;)))

      du erinnerst mich jedoch an einen meiner lieblingssätze der letzten monate: «in der schweiz hat jemand einen schreibfehler entdeckt» ist das neue «in china ist ein sack reis umgefallen» 

      in diesem sinne: wort!

  2. hier gibts übrigens (gelegentlich) hintergrundinfos zu einzelnen memes: http://gefaelltmir.sueddeutsche.de/

    ich finde die definition der «informationseinheit meme» sehr interessant (deshalb: vielen dank für diesen blogeintrag)

    gleichzeitig würde ich entgegnen, dass sich gerade das «phänomeme» einer solchen definition entziehen würde; denn wir wissen nicht, wann, wo und wie welche memeform neu erfunden wird.
    wenn wir im blog der süddeutschen die hintergrundinfos zu den einzelnen memes analysieren, dann liegt ihnen schon lange nicht mehr nur noch 4chan & co. zu grunde. sie können längst einen (mehr oder weniger) erkennbaren ursprung haben und z.b. auch in einer sehr kleinen (z.b. lokalen) nische ihre verbreitung entfalten.

    worldwideweb-typisch ist somit die unterscheidung zwischen stil und phänomen längst verflossen (sie hilft uns höchstens noch bei der orientierung durch dieses wilde gewusel…;)

    1. Natürlich ist der Ursprung der Memes meist sehr unklar. Aber gerade deshalb nicht mit dem Stil verbunden: Der Stil bietet ein Muster an, das wir imitieren können oder das wird unterlaufen können. Das nächste Meme wird keinem Stil folgen (oder vielleicht doch): Wir wissen es nicht. Ein Stil kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein Meme entsteht, oder sie senken. Aber darum geht es mir nicht: Es geht mir um die Illusion der Kontrolle. Zu meinen, ein Künstler oder eine Künstlerin oder 4chan oder irgendwer könnte bestimmen, wann ein Meme entsteht, ist eine Illusion. Selbst wenn eine Nische ausreichen würde.

      1. ich würde behaupten, dass es in etwa gleich berechenbar ist, einen artikel in den (klassischen) massenmedien zu kriegen, wie ein meme zu lancieren (wenn du den schwierigkeitsgrad erhöhen möchtest, dann von mir aus halt mehrere artikel in unterschiedlichen massenmedien; oder z.b. ein musikstück in die hitparade zu bringen;))

        vielleicht meinen wir unter meme nicht dasselbe? (oke, jetzt bringe ich die diskussion in ein etwas anderes fahrwasser)
        das ist meines erachtens auch ein meme: https://www.facebook.com/photo.php?fbid=505264096215859&set=gm.156628717874852&type=1&theater
        hier gibt es ganz klar einen urheber und ich finde es (rückblickend!;) ziemlich einleuchtend, dass daraus ein meme wurde.
        wenn du die einträge bei phänomeme anschaust, dann definiert auch dirk von gehlen den begriff meme sehr offen; darunter ist z.b. ein schräger musikclip auf youtube, der in einer deutschen stadt (und darüber hinaus) die runde machte, weil er sehr frech und unkonventionell die besetzung(?) eines hauses im besonderen und gentrification im allgemeinen thematisierte.

  3. avongunten sagt:

    Interessant, dass das Mem vom Mem als Informationseinheit selbst soviel Schwierigkeiten hat, sich gegen das Mem vom Mem als lustiges Internetbildchen oder -filmchen durchzusetzen 🙂

    Auch empfehlenswert zu diesem Thema ist das Buch von Susan Blackmore „Die Macht der Meme“, http://www.amazon.de/Die-Macht-Meme-Evolution-Vorwort/dp/3827410029 bzw. original „The Meme Machine“, http://www.amazon.de/The-Meme-Machine-Popular-Science/dp/019286212X

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