Digitale Selbstverteidigung

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Steffan Heuer spricht in einem Interview im heutigen Tages-Anzeiger über »digitale Selbstverteidigung«. Damit meint er folgenden Zusammenhang:

Entscheidend ist, wie viel ich von meinem Privatlaben im Netz sehen möchte. Da kommt die digitale Selbstverteidigung ins Spiel. […] Alles, was ich einmal ins Web stelle, kann gegen mich verwendet werden. Man hat im Internet das Recht, jemand anderes zu sein. Es ist meine Identität und Freiheit. Denn: Wollen wir ständig unter der Lupe von Unternehmen sein, wenn wir uns im Web bewegen? Ehrlichkeit rächt sich am längsten, weil das Internet nicht vergisst.

Er steht im Zentrum des Buches von Steffan Heuer, das er zusammen mit Pernille Tranberg geschrieben hat: »Fake it!« heißt es auf Englisch, auf Deutsch: »Mich kriegt ihr nicht! Gebrauchsanweisung zur digitalen Selbstverteidigung«.

Bildschirmfoto 2013-03-18 um 10.01.04Digitale Selbstverteidigung wird deshalb nötig, weil digitale Grundrechte verletzt würden. Heuer und Tranberg beziehen die sechs Rechte aus einem Katalog. Die Präambel hält fest, dass das digitale Ich wie das physische Ich geschützt werden muss. Konkret geht es um folgende Rechte.

  1. Das Recht auf Transparenz: Zu wissen, wer persönliche Daten sammelt und wie sie verwendet werden. 
  2. Das Recht auf Privatsphäre.
  3. Recht auf Auswahl und Kontrolle der Daten.
  4. Recht auf Datensicherheit.
  5. Recht auf Identität und Anonymität.
  6. Recht auf minimale Verwendung der Daten.

Aus dem Recht auf Anonymität leiten Heuer und Tranberg die Forderung ab, Social Media mit Pseudonymen zu verwenden – daher der Slogan »Fake it!«

Sie geben konkrete Tipps, wie digitale Selbstverteidigung praktiziert werden könnte:

Bildschirmfoto 2013-03-18 um 10.10.25Im Interview wird Heuer gebeten, ein konkretes Problem zu schildern:

Ich lege bei Amazon eine Wunschliste an, die Bücher über gesunde Ernährung enthält. Ich lese regelmässig auf Websites Artikel über Bluthochdruck und Diabetes. Ich kaufe im Supermarkt mit einer Bonuskarte Lebensmittel und Naturheilprodukte. Ich benutze Apps, die meine körperlichen Aktivitäten protokollieren. Vielleicht fotografiere ich sogar, was ich esse. Daraus fügt sich beim Datensammler ein wunderbares Bild. Facebook etwa arbeitet mit einem Unternehmen zusammen, das die Einkäufe der Mehrzahl der Amerikaner auswertet und mit einem Facebook-Profil verknüpfen kann. Fast alle Dienstleister geben an, persönliche Daten nicht weiterzuverkaufen. Aber kaum ein Unternehmen sagt, es werde keine Daten über Sie hinzukaufen. Das sollte zu denken geben.

Das klingt zwar nicht besonders dramatisch, kann aber mit beliebigen Problemen gekoppelt werden: Mit Versicherungen, die Risiken ausschließen wollen, mit Staaten, die sich um die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger Gedanken (und Gesetze) machen etc.

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Heuer und Tanbergs Gedanken gehören zu dem, was sich heute jeder Mensch überlegen muss. Sie sind jedoch aus zwei Gründen gefährlich:

  1. Es gibt nicht digital präsente Menschen und solche, die das nicht sind. Wir alle sind auf Social Media – vielleicht direkt, vielleicht indirekt. Wir werden fotografiert, beschrieben, gefilmt und zwar oft so, dass wir es nicht erfahren und nicht merken. Vorsicht – oder Selbstverteidigung – im Zusammenhang mit unseren eigenen Aktivitäten hilft nicht gegen die Aktivitäten anderer Menschen. 
  2. Das Versprechen, mit einigen Tipps und Tools sich digital sicher bewegen zu können, ist trügerisch. Der Aufwand ist schlicht zu groß. Wenn Google meine Suchdaten verkauft, dann wissen die Käufer, dass ich eine Sechszimmerwohnung in Zürich für unter 1200.- Miete suche. Und wenn meine Pseudonyme mit meiner echten Identität verbunden werden, dann merkt man auch, dass ich meine Zehennägel regelmäßig lackiere und die Bilder auf Instagram poste. Hinter den Kontrollverlust kann man nicht zurück.

Einfache Beobachtungen zeigen, wie leicht Menschen der Versuchung nachgeben, ihre Daten zu verkaufen: Sie klicken auf Angeboten, die ihnen Gratisiphones versprechen und auf Links, hinter denen sich persönliche Bilder von ihnen verbergen sollen – und geben so nicht nur Unternehmen, sondern einfachen Betrügerinnen und Betrügern das, was sie ihnen nicht geben wollen. Es hilft, sich zu informieren. Aber zu denken, Information könne einen im Internet schützen, ist naiv.

4 Kommentare

  1. Ich bin einverstanden, dass es wohl schwieriger ist, sich zu schützen im Netz, als Heuer dies verspricht. Und wichtig finde ich, dass wir wissen, wie wir uns schützen vor Betrügern und Spammern und all dem Zeugs.
    Mir macht aber etwas anderes ein mulmiges Gefühl im Bauch, und ich gebe gerne zu, dass ich vielleicht einfach (auch) naiv bin. Ich finde es problematisch, wenn quasi zum Fake aufgerufen wird. Irgendwo muss ich mich doch auf die Authentizität der Menschen verlassen können, denen ich im Netz und sonstwo begegne. Wo bleibt die, wenn nun Fakes das Mittel zum Selbstschutz sind? Ich khabe irgendwie keine Lust mit mmpi3394 zu diskutieren, ehrlich gesagt, wenn ich nicht weiss, wer das ist.
    Ich sehe schon, dass hier vor allem die Grossen gemeint sind Google Apple Facebook und Amazon (und alle anderen Grossen) und all die Banken und sonstigen Business-Sites. Aber: Wie soll es möglich sein, ein Business-Ich und ein Social-Ich so scharf auseinander zu halten? Ich finde auch: Der Aufwand ist zu gross. Oder?
    Miriam

  2. Tobias sagt:

    Hallo Philippe, darf ich die Quintessenz Deines Artikels so verstehen: Schutz (der Privatsphäre) ist im Internet schlicht unmöglich?
    Dann würde ich Dir zustimmen. Trotzdem kann ich Heuer/Tranberg gut verstehen und bin auch der Auffassung, dass jeder der kann, es Datensammlern so schwer wie möglich machen sollte. Wenn ich eine Mail „meiner“ Bank erhalte und gebeten werde, Kontonummer und TANs anzugeben, so mache ich das natürlich. Die können von mir so viele TANs haben, wie sie wollen – selbstverständlich stimmt keine einzige. Machten das alle informierten Internetnutzer so, wäre das Geschäftsmodell vielleicht bald ausgestorben, weil der Aufwand echte von unechten Daten zu unterscheiden zu hoch würde. Oder bin ich da zu naiv?
    Gleiches Prinzip gilt für Kundenkarten, wie Payback: einen Monat nehme ich die Karte, im nächsten Kumpel A und im übernächsten Kumpel B …
    Das sind einfach weitere Formen der „Selbstverteidigung“. Das es evtl. den Nutzungsrichtlinien widerspricht ist mir bewusst.

    Einzig unsere Faulheit hindert uns, den Datensammlern was entgegenzusetzen – oder?!

    Tobias

    1. Ich kann Heuer/Tranberg auch gut verstehen, finde es aber ehrlicher dazu zu stehen, dass wir die Kontrolle verloren haben und viel von unserem Aufwand darin besteht, gegen Windmühlen zu kämpfen. Natürlich ist bewusste Täuschung oft sinnvoll, ich nutze auch zwei Amazon-Konten und habe mehrere Kundenkarten; zudem lade ich Daten sehr selektiv ins Internet hoch, pflege aber meine Präsenz bewusst, weil das auch eine Art Schutz ist.
      Ein anderes Fazit vielleicht: Schützend wirken eher gemischte Strategien, nicht reine. Keine Daten machen angreifbar, viele auch.

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