Medienkompetenz als Fach – erweiterte Überlegungen

Im Sommer 2012 habe ich die Argumente sortiert, die für oder gegen ein Fach »Medienkompetenz« sprechen. Mein damaliges Fazit war optimistisch und lehnte ein Fach ab:

Medienbildung und Informatikausbildung gehören in den Fachunterricht integriert. In der Expertise steht, diese Integration erfolge »zufällig« und es mangle ihr an »Zuverlässigkeit« im Vermitteln von Kompetenzen, im Anbieten von Reflexionsmöglichkeiten. Damit bin ich einverstanden. Diese Probleme lassen sich aber in einem integrierten Ansatz lösen.

Am Fachforum Jugendmedienschutz hatte ich letzte Woche Gelegenheit, mit Fachleuten noch einmal über die Idee eines Faches nachzudenken, zudem hat Christian Spannagel in einem Kommentar die Frage neu aufgerollt – und Beat Döbeli hat in einer Präsentation die Frage aufgeworfen, wie die Schule auf den Leitmedienwechsel reagieren soll, und dabei die wesentliche Argumente in eine Übersicht verpackt (das ist nur die letzte Folie):

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Gehen wir von der Übersicht Döbelis aus, dann können wir in Bezug auf realistische bildungspolitische Forderungen die Optionen 4-6 momentan weglassen. Damit ist nicht gesagt, dass sie nicht ganz entscheidende Fragen beinhalten – aber Schule ohne Fächer ist momentan nicht denkbar. Für mich bleiben die Alternativen: Integration ohne Fach (1) oder Integration mit Fach (3).

Entscheidend scheinen mir nun drei Aspekte, denen ich bisher zu wenig Gewicht beigemessen habe:

  1. die Einführung eines Faches ist die einzige Möglichkeit, in der Schule Verschiebungen vorzunehmen
  2. nur Fächer schaffen Ressourcen (in der Ausbildung von Lehrenden, in der Herstellung von Lehrmitteln, in der Anstellung von Fachpersonen etc.)
  3. nur Fächer führen dazu, dass einige Lehrpersonen Expertenwissen in Bezug auf Medienkompetenz aufbauen müssen.

Mir leuchtet die Forderung deshalb ein und ich werde sie fortan auch vertreten. Allerdings würde ich dafür plädieren, dass das Fach an ein anderes Fach angebunden wird. Um das etwas auszubauen, möchte ich auf den Kommentar von Christian Spannagel zurückkommen:

Informatik in der Schule muss eigenes Fach sein und kann nicht integriert vermittelt werden: Wenn es um Algorithmen, Informatiksysteme und informatische Modellbildung geht, braucht man Informatiklehrer. Medienbildung – auf der anderen Seite – ist Querschnittsangelegenheit, die in allen Fächern integriert vermittelt werden muss (einfach weil man sowieso in allen Fächern Medien verwendet). “In der Mitte” dazwischen liegt die informationstechnische Grundbildung, in die ich neben der Benutzung von Standardsoftware (Textverarbeitung, Tabellenkalkulation usw.) auch die Nutzung des Webs mit allen Facetten einsortieren würde.

Ein Fach Medienkompetenz muss Medienbildung mit Medienpraxis und -reflexion koppeln. Die Praxis kann gut mit der informationstechnischen Grundausbildung verschmolzen werden – darüber hinaus aber auch mit einem weiteren Fach. Ideal schiene mir die Primärsprache, aber auch Geschichte oder Geografie böten sich an.

Gerade aber Informatik wird wohl eine gewisse Spannung in diese Debatte bringen. Die Forderungen für ein eigenständiges Fach Information – wie hier von Jürg Kohlas vorgebracht – haben dieselbe Berechtigung wie die Forderungen nach einem Fach Medienkompetenz. Die politische Gefahr ist offensichtlich: Die beiden Fächer werden als ein Fach angeboten, das nun weder Informatikkompetenz noch Medienkompetenz vermitteln könnte, sondern dann eben wieder informationstechnische (oder medientechnische) Grundausbildung. Damit wäre es wohl wieder nutzlos.

8 Kommentare

  1. simon sagt:

    medienbildung als fach fände ich enorm wichtig. aus schulpolitischer sicht dauert es mindestens eine halbe ewigkeit, bis stundentalfeln angepasst sind, andere fächer gekürzt oder gestrichen… bis nur schon die diskussion in diese richtung zielt – bei bildungspolitikern, sind wir schon in pension. daher sehe ich es als enorm wichtig, dies in den unterricht zu integrieren und auch wenn die plattform noch nicht vorliegt, tu ich es einfach. verstehe aber die argumentation nur zu gut.

  2. helga witt sagt:

    Die diskussion erinnert mich sehr an die einführung des faches „sozialkompetenz“ (soziales lernen etc.). Natürlich muss medienkompetenz ein unterrichtsprinzip sein (wie sozialkompetenz), aber seit wir zumindest in der skeundarstufe 2 in den ersten beiden jahren AUCH ein fach dazu haben, passiert das was in den pro argumenten angeführt wurde: ressourcen für lehrerfortbildung, qualifizierung von experten, raum und zeit um medienkopetenzen extra zu trainieren………Vielleicht ist diese mischung (1-2 jahre ein fach,danach unterrichtsprinzip) ein kompromiss und es geht dann besonders ums definieren der fachkernidee, die im namen zum ausdruck kommen könnte, z.B „angewandte medienkompetenz und lernmanagement“ ……………

  3. Integration in ein Fach ist nachhaltiger fürs erlernen der Medienkompetenz. Wir hatten vor 35 Jahren einen Geschichtslehrer, der bei jeder Geschichtsprobe eine Frage zu einem aktuellen politischen Thema in den Medien stellte. Ich habe so gelernt, verschiedenen Zeitungen (damals, AZ, NZZ und Tagesanzeiger) zu lesen und mit der Zeit festgestellt, dass die alle anders über ein- und dasselbe Thema berichteten.
    Dass wir in Gruppen eingeteilt wurden und je nach Gruppe (Konservativ, liberal, sozial und kommunistisch) zu einem aktuellen Thema debattieren mussten, hat zumindest aus mir einen Menschen gemacht, der Medien differenziert konsumieren kann. Wäre das ein eigenes Fach gewesen, hätten wir ausgerechnet, wie wichtig das für den Gesamtnotendurchschnitt ist und ihm entsprechend wenig Bedeutung beigemessen oder es vernächlässigt wie ander Randfächer wie Singen oder Turnen.
    Danach habe ich mich als junge Erwachsene in anderen Kantonen lebend gewundert, dass nicht alle über so eine breite Allgemeinbildung verfügten wie wir, die in die Bezirkschule Brugg gewesen waren. Im Gegensatz zu Algebra ist es etwas, das ich nach der Schule nicht verlernt habe.

  4. Lisa Rosa sagt:

    Noch mehr Fächer, noch mehr Schulstunden, noch mehr organisierte Oberflächlichkeit statt deep thinking – oder welches Fach soll dafür gestrichen werden?
    Ich finds grade falsch, wenn man die letzten Optionen (wer spricht von Fächern? etc) aus pragmatischen Gründen beiseiteschiebt. Wenn eir in einer Umbruchzeit leben, und das tun wir, können wir nicht alles beim alten lassen und trotzdem alles neu haben. Fächer sind in der Buchdruckgesellschaft ausdifferenziert entstanden für die Schule als Abklatsch der wissenschaftl Fachdisziplinen. Sie „bilden“ schon lange nicht mehr „Realität“ ab, und in der Forschung hat man längst angefangen über die Disziplinen hinweg an Problemen gemeinsam zu arbeiten. Auch in der Schule kennt man fächerüvergreifendes problemorientiertes Lernen in Projekten. Ich glaub, da gehts lang. Und da man Computer u Internet zum Lernen braucht wie das Atmen zum Leben, es sich davei sowieso nicht um Fachdisziplin, sondern um ein Medium handelt wie Muttersprache u d Schrift, finde ich die Fachidee rückwärtsgewandt.

    1. Danke für diese wichtige Sicht. Ich bin weit davon entfernt, Fachgrenzen für sinnvoll oder förderlich zu halten. Aber sich am Rahmen des politisch Forderbaren zu orientieren, halte ich zuweilen nicht für falsch. Dabei besteht dann die Gefahr, dass ein Schritt vorwärts und zwei zurück getan werden…

      1. Lisa Rosa sagt:

        genau, mit drei vor, zwei zurück gehts schon langsam genug 😉
        ich bin immer erstaunt, wie verführerisch der Pragmatistische Ansatz ist: gar nicht mehr erst zu denken, geschweige zu sagen, was man eigentlich für richtig hält, sondern gleich nur das (oft ja nur vermeintlich) beschränkte „forderbare“, oder politisch erreichbare zu formulieren. Und dann dauert es nicht lange, und man glaubt selbst an die „Alternativlosigkeit der bestehenden Praxis“, weil alles andere ja sowieso nicht durchsetzbar ist. Ja, wie denn auch, wenn es noch nicht einmal mehr ins Auge gefasst wird vor lauter „Realitätsanpassung“? 😉

  5. Sigi Jakob sagt:

    Man muss in der Tat Informatik ( das durchaus ein Fach ist) und Medienbildung auseinander halten. Medienbildung als eigenes Fach scheint mir dann wieder dazu zu führen, dass es auf einzelne „Experten“ abgeschoben wird und Fragen, die während des Lernens mit Medien und Internet auftauchen, dann wieder an diese „Experten“ abgeschoben werden. Da bin ich ganz bei Christians Argumentation!

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