Rezension: Hannes Grassegger – Das Kapital bin ich

Vorbemerkung: Diese Rezension erschien bereits Mitte Juni. Auf Wunsch des Verlags kein & aber, der eine Sperrfrist für Besprechungen verfügt hatte, wurde sie depubliziert.

»Schluss mit der digitalen Leibeigenschaft!« Diese Forderung führt Hannes Grassegger, Journalist und Ökonom, in seinem schmalen Essay aus, der im Juli bei Kein & Aber erscheint. Im Wesentlich gliedert der Autor sein Argument in drei Teile:

  1. Wir sind unsere Daten.
  2. Mit unseren Daten verdienen Unternehmen Geld – ohne uns Mitsprache zu gewähren.
  3. Wir können etwas tun: Unsere Daten verkaufen.

Grassegger schafft in seinem unterhaltsamen Text ein Geflecht aus Zitaten, Verweisen und Bildern. Daten sind ein Rohstoff, sind Erdöl, sind das Ackerland, das nur durch die Arbeit vieler Menschen einen Wert erhält. Die Unternehmen im Silicon Valley sind Cowboys, Kidnapper, Overlords, Sklaventreiber – und Hippies. Diese Form der sprachlichen Annäherung an die wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen der Digitalisierung ist symptomatisch: Phantasien aus Science-Fiction-Filmen vermengen sich schnell mit wirtschaftlichen Ängsten, luziden Analysen und Verschwörungstheorien, wenn Menschen über den Cyberspace nachdenken. Es ist dem Essay zugute zu halten, dass er die Unschärfe der Bilder in den Text reinnimmt, mit denen Menschen über Datenverarbeitung sprechen. So zeichnet der die Funktionsweise einer Wirtschaft nach, in der allein der Glaube an den Wert von Daten mächtige Unternehmen entstehen lassen kann, die nicht in der Lage sind, ein Produkt zu verkaufen.

Gegen das zentrale Argument Grasseggers müssen so zwei Einwände vorgebracht werden: Erstens vertraut er dem Versprechen des Silicon Valley, dass Big-Data-Anwendungen tatsächlich einen wirtschaftlichen Wert jenseits des Verkaufs von Werbung und der Kontrolle von Menschen haben. Zweitens analysiert er Daten, als wären sie Eigentum. Das sie sind aber nicht, wie Jürgen Geuter unlängst ausgeführt hat. Das Konzept des Eigentums hat sich durchgesetzt, um das Problem der Knappheit von Gütern pragmatisch in den Griff zu bekommen. Es ist ein einfaches und recht klares Konzept, was es in praktischer, nicht aber in ethischer Hinsicht auszeichnet. Daten funktionieren nicht so. Geuter unterscheidet fünf Datentypen:

  1. Daten, die ich bewusst selbst verbreite.
  2. Daten, die ich eintrage, weil ich eine Dienstleistung nutzen will oder mich ans Gesetz halte.
  3. Daten, die ich als Spuren hinterlasse (weil ich Webseiten besuche oder aus dem Haus gehe etc.)
  4. Daten, die andere über mich verbreiten (Bilder, auf denen ich zu sehen bin).
  5. Daten, die durch meine Beziehungen zu anderen Menschen entstehen.

Daraus nun abzuleiten, dass bestimmte Daten mit gehören, erfordert absurde Entscheidungen. Ist ein Bild, das eine Fotografin anfertigt, als Datensatz ihr Besitz (weil er auf ihrem Chip gespeichert ist) oder der der abgebildeten Personen? Wie regelt man Konflikte, wenn einige der abgelichteten Menschen das Bild für sehr wichtig und bewahrenswert halten, andere es jedoch löschen möchten?

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Solche Fragen zeigen, wie kompliziert die Forderung »meine Daten gehören mir« letztlich ist. Sie verweist auf die feministische Forderung nach der Selbstbestimmung über den eigenen Körper – und bezieht sie auf ein Konzept, das schon immer unkontrollierbar war: Was andere über mich denken, woran sie sich erinnern, was sie erzählen, unterstand noch nie meiner Verfügung.

Es war allerdings – um zu Grasseggers Text zurückzukehren – auch noch nie maschinell aus- und verwertbar. Grassegger, ganz Ökonom, will die Verwertung mit einem Markt regeln. Entscheidungen der Individuen, die ihre Daten mit einer »undurchdringbaren Rüstung« (S. 69) schützen, sollen letztlich über die bezahlte Nutzung der Daten entscheiden. 250 Dollar im Monat sollen meine Daten wert sein, rechnet Grassegger vor. Er fordert, dass wir als Individuen unsere Daten von Zwischenhändler verkaufen lassen und den Profit einstreichen. Die Macht der Unternehmen, per AGB festzulegen, was mit den Daten geschieht, soll so gebrochen werden.

Kann ein Markt ein Problem lösen, dass er selbst geschaffen hat? Entscheiden sich nicht viele Menschen heute schon dafür, ihre Daten für ein paar Cumulus-Rabattgutscheine zu verkaufen? Warum sollten sie in Zukunft mehr verlangen, wenn sie das heute nicht tun?

Screenshot: Thomas Hutter.
Screenshot: Thomas Hutter.

Wie ein Gespenst geistert eine andere Lösung durch Grasseggers Essay: Genossenschaften regeln die Verwertung von Daten. Voraussetzung dafür ist, dass Menschen nachvollziehen können, welche Unternehmen welche ihrer Daten wie nutzen. Praktisches Beispiel: Zeigt mir Facebook eine Anzeige, so kann ich mit einem Klick nachvollziehen, aufgrund welcher Daten diese Anzeige ausgeliefert würde – und festlegen, ob diese Daten weiterhin so genutzt werden können. Je nach Entscheidung muss ich dann auf bestimmte Dienstleistungen verzichten.

»Transparenz ist Terror«, zitiert Grassegger Byung-Chul Han knapp und verkürzt (S. 67). »Es gehört zur Demokratie, dass die Menschen nicht alles wissen können«, sagt Byung-Chul Han. Und lässt dabei weg, dass zur Demokratie auch gehört, dass Menschen bestimmte Informationen jederzeit einsehen und über ihre Verwendung bestimmen können. Der solidarische und demokratische Umgang mit Daten erfordert politische Vorstösse, die ökonomische Lösungen nicht ersetzen können.

In dieser Hinsicht unterläuft Grassegger ein Denkfehler, der dem Netzdiskurs heute eigen ist: Die Unternehmen des Silicon Valley werden von Kritikern wie Jaron Lanier und Evgeny Morozov zu einem Gegner aufgebaut, der zu viel Aufmerksamkeit bekommt. Problematisch ist, dass politische Institutionen im Netz Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats über Bord werfen, der als einziger in der Lage wäre, die Unternehmen in die Schranken zu weisen. So droht ein durch Scheindemokratien komplett überwachtes Netz, das auch die analogen Aspekte unsere Lebens erfasst – und sich paradoxerweise durch den Kampf gegen Google, Facebook und Co. legitimiert.

4 Kommentare

  1. Walter sagt:

    Das Thema scheint immer mehr Auftrieb zu erhalten. Allenthalben liest man darüber und Startups wie Leaflad, DataCoup oder Handshake positionieren sich, um uns an unseren Daten (mit)verdienen zu lassen (und selber eine Provision einzustreichen, versteht sich). Verizon steigt in den USA als erster Carrier in dieses Gebiet ein, in der Schweiz sind Coop und Migros bereits Profis darin. Interessanterweise scheint sich bei Cumulus und Co praktisch niemand zu sorgen.

    Und eigentlich stimmt es ja, weshalb sollte ich nicht mitverdienen, wenn andere anhand meines Nutzerprofils Werbeeinnahmen generieren oder wie bei Coop und Migros ihr Warensortiment effizienter ausrichten und damit Ersparnisse und Mehreinnahmen erzielen?

  2. Michael sagt:

    Ich begreife diesen Vorwurf gegen Lanier nicht: er schreibt explizit in seinen Büchern, dass es staatliche Regelungen braucht, und ja, dass das kompliziert und fehleranfällig ist, letztlich aber (soweit er es beurteilt) die einzige (oder wahrscheinlich beste) Lösung.

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