Die Jugend Japans als Beispiel

Japan ist sowohl demografisch wie auch in Bezug auf die digitale Kommunikation ein extremes Beispiel – aber auch ein lehrreiches. Es zeigt eine junge Generation, die in schwierigen Bedingungen aufwächst, von Medien und älteren Menschen aber gleichzeitig wenig Respekt erfährt, sondern als moralisch verkommen und faul abgewertet wird.

Neben so genannten NEETs (Not in Education, Employment or Training), also Jugendlichen, die sich nicht in die Arbeits- oder Bildungswelt integrieren, geben besonders Hikikomori Anlass zur Sorge. Dabei handelt es sich um Jugendliche, die ihr eigenes Zimmer nicht mehr verlassen und sich dabei oft auch in medialen Welten verlieren oder orientieren.

Die Kluft zwischen einer immer größer werdenden Generation von Senioren und einer schrumpfenden Generation Jugendlicher, kann in Japan an der erstaunlichen Tatsache festgemacht werden, dass 2012 erstmals mehr Windeln für inkontinente Erwachsene verkauft wurden als für Babys. Die Geburtenrate von 1.4 Kindern pro Frau steigt zwar in Japan leicht an, reicht aber bei weitem nicht aus, um die Bevölkerung von 120 Millionen zu halten. Prognosen gehen davon aus, dass sie sich bis 2060 um einen Drittel reduzieren wird.

Anteil der Digital Natives 18-34 an der Gesamtbevölkerung, Quelle
Anteil der Digital Natives 18-34 an der Gesamtbevölkerung, Quelle

Der große Abstand zwischen den Generationen schlägt sich auch digital nieder: Während in Japan 99.5 Prozent der Jugendlichen als »Digital Natives« bezeichnet werden können, womit das Land weltweit die Spitzenposition einnimmt, ist der Anteil dieser Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung mit 9.6 Prozent vergleichsweise klein, was durch die Demografie Japans zu erklären ist.

Demografie und die starke Präsenz digitaler Medien im Leben Jugendlicher führt nun nach Ansicht von Expertinnen und Experten dazu, dass diese immer stärker darauf verzichten, romantische und sexuelle Beziehungen einzugehen. 50 Prozent der erwachsenen Frauen und 60 Prozent der erwachsenen Männer unter 34 befinden sich nicht in einer Beziehung – ein Wert, der sich in den letzten fünf Jahren um 10 Prozent erhöht hat. 45 Prozent der jungen Frauen und 25 Prozent der jungen Männer geben an, kein Interesse an Sex zu haben.

Eri Tomita ist eine 32-jährige Japanerin, die in der Personalabteilung einer Bank arbeitet. Sie sagt:

»Mein Leben ist großartig. Ich gehe mit Freundinnen aus, alles Karrierefrauen wie ich. Wir essen in französischen und italienischen Restaurants. Ich kaufe stilvolle Kleider und kann mir schöne Ferien leisten. Ich liebe meine Unabhängigkeit. […] Oft werde ich von verheirateten Männern im Büro angesprochen, die gerne eine Affäre hätten. Sie nehmen an, ich sei verzweifelt, weil ich Single bin. Mendokusai

Quelle

Mendokusai heißt übersetzt, dass etwas zu anstrengend oder mühsam für einen sei. Es ist ein Ausdruck, den die Gesprächspartnerinnen und –partner von Abigail Haworth, welche die sexuelle Enthaltsamkeit der jungen Erwachsenen in Japan untersucht hat, immer wieder bemühen, um zu erklären, weshalb sie weder erotische noch romantische Kontakte besuchen. Die Gründe dafür sind in verschiedenen Bereichen zu suchen: Obwohl die japanische Kultur praktisch keine religiösen gesellschaftlichen Normen kennt, ist es für Frauen praktisch unmöglich, eine anspruchsvolle Arbeit mit dem Leben als Mutter zu verbinden. Viele Berufe sind so anspruchsvoll, dass sie sich nicht  mit einem Privatleben kombinieren lassen. Digitale Welten, die oft in mobilen Computerspielen erkundet werden, enthalten oft breite Möglichkeiten für soziale Kontakte. Eine 22-jährige Studentin erklärte Haworth, sie habe nun zwei Jahre damit verbracht, ein virtuelles Süssigkeitengeschäft zu betreiben, ohne dass sie das als Verlust empfindet.

Auf Jugendlichen lastet ein großer wirtschaftlicher Druck, der von Eltern oft auch digital ausgeübt wird:

Die Angst um die Kinder und vor ihnen erfasst vor allem die Eltern. Dies kann mitunter zu grotesken Reaktionen führen, etwa wenn sich Mütter die Überwachungstechnik zunutze machen, um ihren Kindern auf dem Schulweg virtuell zu folgen. Dafür kann zum Beispiel die elektronische Bahnkarte so aufgerüstet werden, dass sie bei der Entwertung ein Signal auf Mamas Handy sendet und ihr dadurch den Standort ihres Kindes verrät.

Die Krise der japanischen Jugend, deren Symptome die Hikikomori sind, hat wirtschaftliche und soziale Ursachen. Dass Eskapismus verbreitet ist, wenn es keine klare gesellschaftliche Orientierung an Werten gibt und auch harte Arbeit keinen wirtschaftlichen Erfolg garantiert, erstaunt nicht.

Die japanische Gesellschaft unterscheidet sich in vielen Belangen von denen in Europa. Und doch sind einige Tendenzen vergleichbar: Immer mehr ältere Menschen setzen jüngere unter Druck, ohne ihnen aber eine klare Vision von einem erfüllten Leben anbieten zu können. Gleichzeitig beurteilen und verurteilen sie Jugendliche aber recht schnell, wenn sie versuchen, eigene Wege zu finden um mit den Schwierigkeiten in ihrem Leben umgehen zu können.

Zusatz: Hier noch der humoristische Kommentar von Bill Maher und seinen Gästen (FB-Link).

2 Kommentare

  1. Remo Maßat sagt:

    Zitat: „Die japanische Gesellschaft unterscheidet sich in vielen Belangen von denen in Europa. Und doch sind einige Tendenzen vergleichbar: Immer mehr ältere Menschen setzen jüngere unter Druck, ohne ihnen aber eine klare Vision von einem erfüllten Leben anbieten zu können. Gleichzeitig beurteilen und verurteilen sie Jugendliche aber recht schnell, wenn sie versuchen, eigene Wege zu finden um mit den Schwierigkeiten in ihrem Leben umgehen zu können.“

    Und ein Beleg dafür, daß sowas in der Schweiz stattfindet? Den gibt es wohl nur in der Phatasie?

    Ob es in Japan so ist, wie beschrieben, kann ich nicht beurteilen, aber in der Schweiz?

    Gerade liest man vom GfS: „Sparsam, ordnungsliebend und abstinent. Das neue CS-Jugendbarometer zeigt: Die Jungen sind keine Rebellen mehr. Nicht mehr wild und planlos, sondern sparsam und vernünftig: Die heutige Jugend hat ihr Rebellen-Image abgelegt. Vielmehr setzen die 16- bis 25-Jährigen laut dem neusten CS-Jugendbarometer auf traditionelle Werte: «Der gutbürgerliche Lebensentwurf erlebt ein Revival. Jugendliche sind heute wieder gerne bünzlig», so Lukas Golder, Sprecher vom Forschungsinstitut Gfs.Bern, welches im Rahmen der Studie 1000 Jugendliche untersucht hat.

    Also ausgerechnet hier eine Parallele? Wohl eher das Gegenteil (wenn die Schilderungen zu Japan überhaupt stimmen. Quellen, die das wirklich fundiert so belegen?)

    1. Danke für diesen Kommentar. Natürlich basiert das hier rausgepflückte Zitat auf einer stark subjektiven Wahrnehmung, welche die Ausbildungs- und Berufseinstiegsphase betrifft. Damit ist nicht gemeint, dass die Jugendlichen sich nicht konform verhalten würden – was ja der GfS-Bericht sagt -, sondern, dass viele der Werte und Vorstellungen, die ältere Menschen vom Leben haben, einen Druck erzeugen, dem Jugendliche kaum genügen können.

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