Die Zukunft von Social Media: temporäre Kommunikation

In loser Folge möchte ich als Vorbereitung auf einen Input am Weiterbildungszentrum der Fachhochschule St. Gallen über die Zukunft von Social Media nachdenken. Einen ersten Gedankengang habe ich hier bereits festgehalten; dieser Post wird als Inhaltsverzeichnis dienen: 

  1. Vom sozialen zum mobilen Web.
  2. Temporäre Kommunikation.
  3. Social Media werden selbstverständlich.
  4. Social Media und die Veränderung der Privatsphäre.

Die Teile i. und ii. erschienen auch als zusammenhängender Text bei netzpiloten.de.

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Unsere Wahrnehmung ist gelöst von unserer Erinnerung. Wir sehen, wir hören, wir riechen und fühlen – aber nur einmal dasselbe. Begegnen wir uns direkt, dann kommunizieren wir in vergänglichen Medien: Wir sprechen miteinander, verwenden Gesten, Gesichtsausdrücke, berühren einander – immer so, dass unsere Kommunikation nur im Augenblick existiert und dann verschwindet.

Die Schrift, die Fotographie und ihre Weiterentwicklungen zeichnen sich durch Permanenz aus. Sie speichern, was ohne sie nicht festhaltbar wäre. Baudrillard hat diesen Prozess als »Museumifizierung« bezeichnet: Eine Wahrnehmung wird zum Objekt und erhält so eine Zukunft, die sie nie gehabt hätte – obwohl sie immer als Vergangenheit betrachtet wird. In ihrem Essay über Photographie hat Susan Sontag diesen Akt als eine Form von Gewalt bezeichnet:

There is something predatory in the act of taking a picture. To photograph people is to violate them, by seeing them as they never see themselves, by having knowledge of them they can never have; it turns people into objects that can be symbolically possessed.

Dieses Wissen, das man von Personen hat, betrifft nicht nur Bilder, sondern auch Texte und Gesprochenes: Wer digital kommuniziert – und wer tut das nicht – muss damit rechnen, dass alles gespeichert wird. Unsere Anrufe auf diverse Hotlines werden aufgezeichnet, Facebook speichert jeden unserer Klicks, unsere Emails sind auf verschiedenen Servern archiviert. Was im Moment entstand, wird dauerhaft.

So verändert sich unser Bezug zur Realität: Nur was als Datensatz archiviert ist, ist wirklich passiert. Wenn wir etwas Außergewöhnliches erleben, sind unsere Kameras immer dabei, wir berichten darüber und wollen unserem Erlebnis Dauer geben. Wie Nathan Jurgenson festgestellt hat: Erfahrung für sich und Erfahrung für Dokumentation geraten durch Social Media durcheinander. Die Filter, die wir auf Instagram nutzen, laden uns ein, die Gegenwart schon als Vergangenheit, als ein Archiv für einen späteren Zugriff durch andere zu betrachten.

Flickr, NPF.1
Flickr, NPF.1

Dadurch verliert die Erfahrung ihren Wert, aber gleichzeitig auch die Dokumentation: Wer durch die alten Fotoalben seiner Großeltern blättert, sieht wenige Ausschnitte aus vielen Jahren, die so bedeutsam werden. Unsere Enkel werden sich durch Ordner klicken und sich in unseren digitalen Bildern verlieren, die durch ihre schiere Zahl ihren Wert eingebüsst haben werden.

Damit wir uns erinnern können, müssen wir vergessen. Damit wir erleben können, muss etwas vergehen. Die Forderung nach einem »Recht auf Vergessenwerden« ist dabei hilflos und ein juristisches Konstrukt: Datenschutz ist nicht das Problem, wenn wir jeden wichtigen Moment unseres Lebens digital dokumentieren.

Was helfen kann, ist die Einführung der temporären Kommunikation in der digitalen Sphäre: Kommunikationsmittel, die nichts speichern, sondern im Gegenteil alles löschen, was wir eingeben. Ein Beispiel dafür wäre Snapchat: Die damit gemachten Bilder gehen nach 10 Sekunden verloren. Schon allein die Möglichkeit, im Internet vergänglich und nicht-vergänglich kommunizieren zu können, könnte eine Differenz beleben, die für das Funktionieren unserer Erinnerung, für den Wert von Bildern und anderen Medien und für unser Erleben der Realität entscheidend ist.

8 Kommentare

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  2. Wie Du selber schreibst, kann bei digitaler Kommunikation niemand sicher sein dass seine Postings, Bilder etc. nicht auch Jahre später noch mehr oder weniger öffentlich verfügbar sind. Dasselbe gilt prinzipbedingt auch bei Services wie Snapchat: Bildschirm kann abfotografiert werden, Daten während der Übermittlung abgefangen oder vom Server des Anbieters geklaut werden oder wegen bewussten oder unbewussten (Programm-Fehler) des Anbieters länger als versprochen digital gespeichert sein. Natürlich ist das Risiko dabei vordergründig kleiner, aber es besteht weiterhin und ist vor allem bei gezielten Angriffen auf Deinen Ruf wohl grösser als Dein Ruf.

    Der Hinweis „Stell nichts in Internet was Du nicht auch Deiner Mutter/Deinem Partner/Deinen Kindern zeigen würdest“ behält da wohl weiter seine Gültigkeit.

    1. Danke für den Kommentar. Ich habe diesen Einwand auch schon gehört – er wurde schon bei der Lancierung von Snapchat vorgebracht. Meiner Meinung kann man darauf mit einem Vergleich entgegnen: Wir wissen auch außerhalb des Internets nicht, ob jemand unsere Gespräche abhört, uns filmt oder fotografiert. Aber wir wissen, dass unsere Mitmenschen das aus Anstand unterlassen und wir nicht routinemäßig überwacht werden. Produkte von Google und Facebook registrieren unsere Daten automatisch und speichern sie lange. Snapchat verspricht, das nicht zu tun, und es präsentiert die Daten auch so, dass unsere Freunde einen großen Aufwand betreiben müssen, um sie zu sichern; zumindest ähnlich viel wie bei nicht digitalen Daten. Deshalb denke ich nicht, dass die Vorsichtsregel da gilt – wir können auch erwarten, dass unsere Mitmenschen anständig sind, wie wir das außerhalb des Internets auch tun.

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