In loser Folge möchte ich als Vorbereitung auf einen Input am Weiterbildungszentrum der Fachhochschule St. Gallen über die Zukunft von Social Media nachdenken. Ein Inhaltsverzeichnis gibts hier.
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Privatsphäre kann verschiedene Dinge bedeuten:
- Ein juristisches Konzept in Bezug auf den Umgang mit Informationen.
- Die Trennung einer häuslichen von einer öffentlichen Sphäre.
- Kontrolle des Informationsflusses bzw. Kontrolle über die Situation, in denen Informationen genutzt werden können.
Wir können das an einem Beispiel betrachten: Ein Arbeitnehmer geht nicht zur Arbeit, weil er verkatert ist. Bei seiner Chefin entschuldigt er sich unter dem Vorwand, an einer Grippe zu leiden. Er veröffentlicht aus Versehen eine private direkte Mitteilung an eine Mitarbeiterin auf seinem öffentlich einsehbaren Twitter-Kanal: »Bin nicht krank, nur verkatert. Danke trotzdem ;)«.
Informationen über unsere Gesundheit sind juristisch recht klar geregelt: Der Arbeitgeber hat Anrecht auf bestimmte Informationen (z.B. ein Arztzeugnis bei längerer Abwesenheit), auf andere nicht (er darf keinen Schwangerschaftstest bei der Anstellung verlangen). Der Arbeitnehmer im Beispiel geht davon aus, dass seine Privatsphäre geschützt sei, wenn er sich zuhause aufhält, niemand weiß, ob er tatsächlich krank ist oder nicht und niemand kann ihn unangekündigt besuchen und seine Symptome überprüfen. Er wäre also aus der Perspektive von i. und ii. in seinem Betrug geschützt und könnte kaum belangt werden, würde er nicht die Kontrolle über den Informationsfluss verlieren.
Kurz: Weder der Schutz durch das Recht noch durch die eigene Wohnung schützt die Privatsphäre, wenn der Fluss der Informationen nicht kontrolliert werden kann. Social Media und mobile Kommunikation auf Smartphones scheinen gerade das zu verhindern: Eine Untersuchung des Wall Street Journals zeigt z.B., welche Apps welche Informationen weitergeben – ohne dass Benutzerinnen und Benutzer das wissen. Viele Menschen nutzen Apps, um Informationen über ihren Gesundheitszustand (Schlaf, Gewicht, Bewegung, Ernährung, Medikamente, Menstruation etc.) zu sammeln und zu speichern. Zudem sind viele elektronischen Geräte heute in der Lage, die geografische Position zu ermitteln – der Zusammenhang muss nicht weiter ausgeführt werden: Es ist schwierig, digitale Werkzeuge zu nutzen, ohne zumindest teilweise die Kontrolle über den Informationsfluss und die Verwendung von persönlichen Informationen zu verlieren.

Was hat das für Konsequenzen für unseren Umgang mit privaten Informationen? Jugendliche, so hat Danah Boyd herausgefunden, sind mit der Situation vertraut, viele Informationen nicht kontrollieren zu können, weil ihre Eltern und Lehrpersonen aus pädagogischen Gründen diese Informationen ermitteln und nutzen (meine Zusammenfassung von Boyds Arbeiten findet sich hier). Deshalb kommunizieren sie häufig so, dass ihre Kommunikation grundsätzlich öffentlich ist, sie aber wichtige Informationen verbergen. Das heißt: Sie verwenden viel Aufwand dafür, bestimmte Informationen privat oder geheim zu halten, während die meisten Erwachsenen viel Aufwand dafür verwenden, Informationen zu veröffentlichen. Dieser Wandel dürfte mit Social Media für mehr Menschen bedeutsam werden. Die Verfügbarkeit von Informationen wird auch zu viel »noise« führen: Daten, die Menschen nicht klar zugeordnet werden können, weil die Menge an Informationen und Identitäten schlicht zu groß ist. Kürzlich hat ein Artikel bei Quartz gezeigt, wie einfach es ist, falsche Personen in sozialen Netzwerken real werden zu lassen.
Das heißt: Die Öffentlichkeit von Informationen schadet unserer Privatsphäre weniger, als wir denken können. Und wir werden lernen, die Informationen zu schützen, die für uns bedeutsam sind, während wir weniger wichtige automatisch publik machen.
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