Versucht man den Begriff »Social Media« wörtlich zu übersetzen, so wirkt »soziale Medien« sofort schief. Handelt es sich um »soziale« Medien – also solche, die sich auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt beziehen, ihn fördern, auf ihn einwirken? Das stimmt alles nicht ganz.
In seiner Social Media-Kritik »Networks Without a Cause« hielt Geert Lovink 2011 fest, »the social« sei heute nur noch ein Feature, während lange Zeit undenkbar gewesen sei, »social« ohne moralische Konnotation zu verwenden: Das Soziale war ein Problem oder ein Ideal. Heute könne man aber Gemeinschaft (»community«) und »the social« problemlos trennen: »social« sei, so Lovink, heute nur noch eine Eigenschaft technologischer Prozesse, ein Teil von Programmen, die Menschen auf Plattformen festhielten, welche ihre Zeit in Anspruch nehmen, ohne gesellschaftliche Strukturen auszubilden oder Gemeinschaften herzustellen.
Diese Kritik am Begriff »social« präzisieren Nathan Jurgenson und Withney Erin Boessel in einem kurzen Essay. Sie unterscheiden zwei Begriffe: »social« und »Social«.
- social
Der erste Begriff, der Alltagssprache entnommen, bedeutet so viel wie gesellschafts- oder gemeinschaftsbezogen. Es betrifft alles, was sich zwischen Menschen abspielt: direkt oder indirekt, on- oder offline. - Social
Der zweite Begriff hat eine viel engere Bedeutung: Er meint Interaktionen, die messbar, quantifizierbar, protokollierbar und benutzbar sind. Menschliches Verhalten, das in Datenbanken abgebildet werden kann, ist »Social«. Das hat im deutschsprachigen Raum auch Christoph Kappes schon so formuliert: »’Social‘ meint, dass menschliche Beziehungen maschinell abgebildet werden (zur Zeit noch naiv) und zur Informationsselektion und -verbreitung genutzt werden.«

Die Autorin und der Autor verwenden für ihre Unterscheidung ein Bild. »social« ist wie der Wasserkreislauf: Es regnet, es bilden sich Bäche, Flüsse; die wiederum bilden Seen und Meere – und von dort verdunstet das Wasser und bildet Wolken. »Social« ist nun ein Stausee: Eine Wassermasse, die eine spezifische Funktion hat (Energie herzustellen) und – ohne das selber zu merken – künstlich gebildet worden ist.
Die spezifische Funktion von »Social« und damit von Social Media ist den Autoren zufolge Arbeit gratis verfügbar zu machen. Das Geschäftsmodell des Web 2.0 sei es, Plattformen durch die von Usern generierten Inhalte attraktiv zu machen – also durch Gratisarbeit. Entsprechend bedrohlich wirkten nicht messbare Aspekte des »sozialen« Internets, die dann – wie das kürzlich Alexis Madrigal getan hat – »dark social« genannt werden.
Geht man noch einen Schritt weiter, so kann man mit Bert te Wildt konstatieren, dass sich »[d]as Mediale vom Individuellen zum Kollektiven hin entwickelt«: War das erste Medium die Stimme des Menschen, gebunden an seinen Körper und seine Individualität, so ist das Medium Internet heute völlig unabhängig von Körpern und Individuen – und damit auch von ihren Beziehungen. Es braucht keine Individuen mehr, um soziale Netzwerke herzustellen – die sozialen Netzwerke schaffen vielmehr Individuen. So ist es z.B. bei gewissen WGs in den USA üblich, dass an einem Zimmer Interessierte mit einem Facebook-Profil beweisen müssen, dass es sie tatsächlich gibt.