»change the school« vs. »run the school« – wie Schulen zu multimodalen Organisationen werden

IT-Abteilungen von Banken haben zwei unterschiedliche Aufgaben: Sie müssen einerseits das laufende Geschäft sicher betreiben (»run the bank«), andererseits neue, innovative Lösungen für die Bank der Zukunft schaffen (»change the bank«).

Die unterschiedlichen Ziele führen zu unterschiedlichen Arbeits- und Denkstrukturen in den entsprechenden Teams. Wer sich damit beschäftigt, eine Organisation zu verändern, setzt andere Prioritäten als die Kolleg*innen, die den Fokus auf das Tagesgeschäft legen.

Das gilt auch für Schulen. Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler beschreiben in einem Instagram-Post die daraus resultierenden Konflikte wie folgt:

Die Friktion zwischen den beiden rührt daher, dass die Changer häufig Entscheide fällen, die die Runner dann ausbaden müssen. Oder dass die Changer kühne Ideen haben, aber sich nicht darum scheren, wie sie umgesetzt werden. Umgekehrt erleben die Changer die Runner oft als chronische Bremser und Nein-Sager, die sich an Säulen klammern, die bereits ins Wanken geraten sind. Changer geniessen meistens ein höheres Ansehen als Runner. Wer eine neue Art des Abwaschens vorschlägt, erhält erstmal mehr Beachtung, als derjenige, der den Abwasch täglich macht.

Krogerus/Tschäppeler: https://www.instagram.com/p/CXq5HvjoVyi

Diese Reibungen entstehen auch in Schulen. Wahrscheinlich gab es sie schon immer, die Beschleunigung des technologischen und gesellschaftlichen Wandels dürfte sie aber intensiviert haben. Im Folgenden ein paar Gedanken dazu. Als Vorbemerkung ist mir wichtig, dass beide Gruppen – wenn sie ihre Anliegen wirklich ernst meinen – Gutes für die Organisation wollen. Joël Luc Cachelin beschreibt die beiden Modi in einem ausführlichen Beitrag:

Im Change-Modus steht die Beschleunigung im Vordergrund. Unternehmen versuchen nicht nur auf die Disruption ihrer Märkte zu reagieren, sondern diese selbst auszulösen. Dazu werden kleine unabhängige Einheiten mit dezentraler Entscheidungskompetenz gebildet. Die Ziele dieser Projekte, Startups, Hubs und Labs verändern sich genauso wie deren Zusammensetzung. Wenn es darum geht, das Neue zu denken, kann man dieses im Voraus nur schwer strukturieren. […] Die Projekte werden so zusammengestellt, dass sie die nötigen Kompetenzen vereinen – unabhängig davon, ob sich diese intern befinden oder von extern stammen. Der Change Modus ist geprägt von ausgeprägter Informationsflut, starker Vernetzung und hoher Betriebsgeschwindigkeit.

Im Gegensatz dazu zeichnet sich der Run-Modus durch eine grössere Stabilität aus. Die über die Jahre gewachsenen Strukturen bilden quasi das Skelett des Unternehmen. In diesem werden in erster Linie die Prozesse des Tagesgeschäfts abgewickelt oder anders ausgedrückt die Bedürfnisse von intern und externen Kundinnen befriedigt. Auch in diesen Einheiten wird an kleinen Verbesserungen gearbeitet. Aber vielmehr als radikale Veränderungen werden hier Qualitätsverbesserungen von Produkten und Dienstleistungen sowie eine effizientere Verwendung der Ressourcen angestrebt. Entsprechend ist die Zusammenarbeit geprägt von klaren Arbeitszuteilungen, stabil zusammengesetzten Teams und langfristigen Zielen.

https://www.wissensfabrik.ch/neuerollen/

Beide Gruppierungen können die andere als Bedrohung oder Belastung für ihr Kerngeschäft sehen: Letztlich sind ihre Arbeitsweisen aber wertungsfrei zu sehen.

Pionier oder »Veränderungsturbo« – meine Arbeitsbiografie

Kürzlich wurde ich in einem Gespräch – durchaus wertschätzend – als »Veränderungsturbo« bezeichnet. So sehe ich mich selbst auch: Ich bin ein Changer. Gerne würde ich permanent Schulentwicklung betreiben, Projekte anstoßen, Neues ausprobieren und agil entfalten. Diese Rolle kann man unterschiedliche Namen geben: »Pionier« hieß das lange.

In meiner Arbeitsbiografie war ich lange einer der jüngsten Lehrer im Kollegium. Ich hatte eine gewisse Narrenfreiheit und habe mir Dinge zugetraut, bei denen andere vorsichtiger waren. Seit ich nicht mehr jung bin, probiere ich vieles aus – die Narrenfreiheit erhalte ich mir dadurch, dass ich innovativ arbeite und unerwartete Perspektiven einnehme.

Das führt immer wieder zu Konflikten, gerade wenn Entscheidungen gefällt werden müssen, wie der Change- und der Run-Modus einer Schule verzahnt werden können. Wer an Stellschrauben dreht, löst Veränderungen aus, die nicht alle intendiert waren. Das ist mir bewusst geworden. Mittlerweile versuche ich mich konsequent rauszuhalten, wenn es um Fragen von »run the school« geht. Ich bin diesbezüglich weder Experte noch Pionier, ich bin einfach Teil eines Kollegiums, sage meine Meinung und stimme ab, wenn das möglich ist. Aber ich will in der traditionellen Schulhierarchie keine übergeordnete Position einnehmen, sondern im Rahmen von Projekten über Schulentwicklung nachdenken.

An den Schulen, an denen ich gearbeitet habe, wurde das nicht immer geschätzt. Meine Wahrnehmung im Kollegium erfolgte nicht so, wie ich mir das gewünscht habe: Das Nachdenken über Changes ist für wenige ansteckend und für viele eine Bedrohung, weil es zu Unsicherheiten führt, was das für den Running-Modus bedeutet, wie sich das Tagesgeschäft verändert.

Mittlerweile ist mir das völlig klar. Nur kann ich wenig ändern: Ich brenne für Entwicklung und Veränderung (und halte sie auch für gesellschaftlich und bildungspolitisch für absolut zentral). Gleichzeitig weiß ich, dass Innovation zu Reibungen führt.

Runner und Changer im Schullalltag

Gute Schulteams brauchen Lehrpersonen, die sich als Runner verstehen und Schulen stabilisieren – und sie brauchen Changer, die darüber nachdenken, wo sich die Schule entwickeln könnte.

Das bedeutet, dass Schulen multimodale Organisationen sind. Sie wickeln Schulentwicklungsprojekte in Teams ab, die informelle und flache Hierarchien bilden und mit digitalen, agilen Arbeitsformen operieren – gleichzeitig funktionieren sie in einem gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen, der klassische Rollen und Machtstrukturen voraussetzt.

Das Verhältnis von »change the school« und »run the school« ist fragil und braucht eine Balance. Der Imperativ, dass sich Schulen verändern müssen, um in einer Kultur der Digitalität relevant zu bleiben, erschwert es, diese Balance zu finden. Er ist gleichzeitig diffus und dringlich, er zwingt die Runner dazu, sich mit dem Change-Modus zu beschäftigen, was als Belastung empfunden wird – und gibt den Changern den Eindruck, besonders wichtig zu sein, was dazu führen kann, dass einzelne Perspektiven auf den Change (z.B. Implementierung von technischen Lösungen) zu viele Ressourcen beanspruchen.

Gleichzeitig bieten die Modi auch immer Entschuldigungen an, mit denen wichtige Aspekte des Berufs ausgeblendet und zurückgestuft werden können. So kann eine gewisse Angst vor einer Veränderung dahinter versteckt werden, dass man sich besonders gut ums Tagesgeschäft kümmern will – und eine gewisse Langweile oder Faulheit beim Bearbeiten von Routineaufgaben kann als Change-Mentalität verkauft werden.

»you build it, you run it«

Eine in IT-Unternehmen verwendete Lösung besteht darin, den Change-Teams die Aufgabe zu geben, ihre Vorschläge auch zu implementieren und zu betreiben. Würde in der Schule heißen: Wer bei einer Versuchsklasse »flipped classroom« einführen will, kann das machen – muss aber selber den Unterricht vorbereiten, gestalten und auswerten. Die Frage wäre dann, wie der Übergang von Versuchsphasen zu allgemeiner Praxis gestaltet würde.

Gerade in Bezug auf BYOD erleben viele Schulen einen zweiten Wendepunkt in der Organisationsentwicklung: Die Implementierung betrifft in einer ersten Phase oft nur Changer, die dann »you build it, you run it« betreiben und das Projekt agil weiterentwickeln. In einer zweiten Phase erstreckt es sich dann plötzlich über die ganze Schule und betrifft Runner, die weder mit Building oder Running von BYOD betraut waren.

Führung multimodaler Organisationen

In Bezug auf die Führung von Organisation, die Evolution denken und Tagesgeschäft sichern müssen, spricht man von Ambidextrie. Was das bedeutet, führen Foelsing und Schmitz recht klar aus:

So ist es durchaus möglich, dass zeitgleich radikale Innovationen vorangetrieben werden müssen (Exploration) und das angestammte Kerngeschäft weitergeführt und kontinuierlich verbessert werden muss (Exploitation). Die Fähigkeit diese beiden Ansätze und ihre unterschiedlichen Erfordernisse in den Strukturen, Prozessen und Kulturen der Organisation simultan zu verfolgen wird als organisationale Ambidextrie bezeichnet. […]
Kotter [schlägt| im Ansatz des Dual Operating Systems vor, neben der Hierarchie ein agiles Netzwerk als zweites, organisationales »Betriebssystem« zu etablieren, das sich explizit der Exploration zuwendet.

Foelsing/Schmitz: New Work braucht New Learning, S. 84

Schulleitung müssen also darauf achten, dass die etablierte Hierarchie gepflegt und erhalten wird – und sich gleichzeitig ein Netzwerk etablieren kann, das eine Change-Kultur ermöglicht und begünstigt. Das ist eine massive Herausforderung.

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