Wie verändern sich Schulen? Oder: Warum verändern sich viele Schulen nur schwerfällig?
Die Antworten auf diese Fragen müssen systemisch oder systemtheoretisch ausfallen. Was heißt das? Lisa Rosa beschreibt, dass Schule häufig so funktioniert:
- Ergebniserwartung (zufriedene, lernende Schüler*innen)
- »Unterrichten«
- Enttäuschte Erwartungen
- Bestrafung der Schüler*innen oder optimiertes »Unterrichten«
Kurz: Grundsätzlich sind viele Lehrkräfte nicht zufrieden damit, wie es läuft, und geben dann wahlweise sich selber oder den Schüler*innen die Schuld dafür. Damit verändern sie aber nicht wirklich etwas, weil sie die systemischen Ursachen des Problems nicht sehen.
Lisa Rosa plädiert mit Verweis auf Helmut Willke dafür, den Rahmen anzusehen, die systemischen Bedingungen. Aus dieser Perspektive sieht Veränderung dann anders aus:
»Die Bedingung für Änderung (Lernen) ist also: Das System muss sich ändern und gleichzeitig identisch bleiben. Dieses Paradox lässt sich nur auflösen durch Temporalisierung, d.h. in einem stufenweisen Prozess. Etwas bleibt gleich, etwas wird verändert.« (Lisa Rosa)
Gestern habe ich an einer Session von digitalitaet20.de mit anderen Teilgebenden darüber nachgedacht, wie agile Methoden in die Schule kommen (den Input dazu haben Uta Eichborn und Petra Walenciak formuliert). Meine These:
Agile Methoden kommen in die Schulen, wenn Lehrkräfte nach 5 Jahren eine Schule verlassen und in neuen Teams eine neue Schule übernehmen.
Nun muss ich vielleicht zuerst erklären, was agile Methoden sind. Gemeint sind Entwicklungsprozesse, die
- Konzepte durch Prototypen ersetzen, also Neues erproben, bevor es abschließend diskutiert und festgelegt ist.
- Von den Betroffenen aus denken – im Falle der Schule also von den Schüler*innen aus.
- Unterschiedliche Perspektiven zusammenbringen und auch unerwartete Lösungsvorschläge ernst nehmen.
- Veränderungen schnell umsetzen können.
(Lesetipp dazu: Förtsch/Stöffler: Die agile Schule, 2019).
Das – wie das Uta und Petra vorschlagen – auf den Unterricht zu beschränken, geht für mich nicht: Wenn ein Verfahren überzeugend ist, muss es immer auch unter Lehrkräften eingesetzt werden. Faustregel: Sobald etwas nur für den Unterricht geeignet ist, ist es eigentlich nicht geeignet.
Nun stelle man sich vor, Lehrer*innen würden alle fünf Jahr die Schule wechseln und gleichzeitig eine völlig neue Schule übernehmen, an denen es keine bestehenden Prozesse, feststehende Abläufe, etablierte Statusgefälle etc. gibt. Agiles Handeln wäre – so denke ich – in vielen Fällen alternativlos: Die Schüler*innen wären die einzigen, welche die Schule schon kennen – sie müssten einbezogen werden. Da die Zeit fehlt, lange Konzepte zu schreiben, müsste Neues ausprobiert werden.
Interessant ist nun, wie die Reaktion auf meinen Vorschlag ausgefallen ist. Beobachten kann man das im agilsten Medium: Twitter. (Einfach mal die Antworten lesen.)
(Zugegeben: Zwei Jahre sind viel zu kurz – das wurde schnell bemerkt und das sehe ich auch ein.)
Die Reaktionen lassen sich in folgende Kategorien unterteilen:
- Spannend, lass uns zusätzlich noch über… nachdenken.
- Vielleicht einfach die Schulleitung nach ein paar Jahren wechseln.
- Vielleicht einfach ein Sabbatical für Lehrkräfte im Ausland oder in der Privatwirtschaft.
- »Ich soll alle paar Jahre an eine neue Schule? Geht gar nicht.«
- Die Schüler*innen brauchen uns länger an einem Ort.
Ja: Agile Methoden haben einen Preis. Es gibt Gründe, weshalb Startups fast ausschließlich damit arbeiten und Schulen kaum. Weil Menschen den Beruf auch deshalb wählen, weil sie sich ihr Leben um den Beruf herum organisieren. Nun meint aber digitale Transformation einen Wandel der Gesellschaft, bei dem auch Arbeit, Mobilität und Wohnen neu gedacht wird – was sich dann auch auf den Lehrberuf auswirkt.
(Ich würde Lehrkräfte nicht entfristen, sondern eine sichere Anstellung mit guten Gehältern anbieten – unter der Bedingung einer agilen Arbeitsweise.)
Aber: Die These zeigt gut, wie limitiert die Bereitschaft ist, Schule neu zu denken. Wer nicht wirklich bereit ist, systemische Veränderungen zuzulassen oder zumindest zu erwägen, sollte #schuleneudenken nicht zum Thema machen. Vielleicht fehlt ja der Wille, Schule neu zu denken. Aber wenn er da ist, würde ich einen radikalen Schritt wagen (und zuerst Noten und Prüfungen abschaffen).
Zum Schluss ein Test, den ich bei Axel bzw. Basti gefunden habe. Seymour Sarason fragt:
»In what ways do our recommendations differ from those made by comparable groups twenty or even fifty years ago? How do we account for what seems to be the universal conclusion that there has been a marked deterioration in the climate and accomplishments of our schools? Why should the solutions we offer make a difference?«
Heißt für mich: Wir können #schuleneudenken. Aber wenn wir das so machen, wie es seit 50 Jahren (ohne sichtbare Veränderung gemacht wurde), passiert wohl nichts.
Ich glaube, dass wir einen „Allmählichkeitsabbruch“ bekommen können, wenn wir die Geschwindigkeit startk erhöhen, mit der alternative Schulen „an den Markt“ gehen können. Und das können wir, wenn wir eine gute offene Organisation finden, die dies ermöglicht.
Wir arbeiten mit SELFSCRUM intensiv an einem Open Source Lern-, Organistions- und Betriebskonzept, um diese Entwicklung nicht kommerziellen Anbietern zu überlassen.
Für gute Bildung teuer zu bezahlen, wird unausweichlich kommen, wenn wir dem nicht eine starke Community entgegenstellen.
Umschlag von Quantität in Qualität bzw. die Emergenz einer neuen Entwicklungsstufe kann man m.E. nicht durch eine Maßnahme planend herbeiführen. Die Anzahl der Privatschulen (Alternativschulen) hat sich in den letzten 10 Jahren in Deutschland verdreifacht – wenn ich mich recht erinnere. Das ist ein Zeichen für die Unzufriedenheit der Eltern mit dem Regelschulsystem. Mehr aber auch nicht. Aber selbst wenn die Erhöhung der Anzahl oder gar deren Beschleunigung etwas qualitatives im System bewirken würden: Alternativschulen sind sehr verschieden. Man kann sie gar nicht über einen Kamm scheren. Es sind auch nicht alles „Reformschulen“. Und die Gründungen sind jeweils einzelne Organisationsgründungen. Wer ist „wir“, die wir die Geschwindigkeit solcher Schulgründungen erhöhen könnten? Wodurch, durch das bloße Wünschen? Da ist niemand der das plant. Es ergibt sich durch die Tätigkeit Einzelner in einem systemisch gegebenen Rahmen, der solche Gründungen ermöglicht. Und jede einzelne Neugründung – ja selbst eine Umgründung – ist enorm viel Arbeit. Oft Arbeit einer Handvoll Leute, die dieser Gründung ihr Leben widmen, Arbeit, die keiner wirklich bezahlt bekommt.
Wenn die einzelnen Schulen jede für sich ein eigenes System Schule (aka Erziehungssystem oder Bildungssystem) wären, dann ginge das so, wie beschrieben: Es könnte jeweils „neu gedacht“, neu erfunden werden. Aber so ist es nicht. Die einzelnen Schulen sind Organisationen, die in struktureller Kopplung mit dem Subsystem Bildung (der Gesellschaft) leben, oder anders: in denen sich jedes Mal das Subsystem als ganzes ausdrückt, in denen es operiert, wie das Subsystem Wirtschaft (der Gesellschaft) in den Businesses operiert, oder das Politiksystem (der Gesellschaft) in den Verwaltungen. Das bedeutet, dass dieses „neu Denken“ jeweils nur neue Varianten desselben schneller zirkulieren lässt. Auch die Alternativschulen sind Teil des Bildungssystems, sie halten diese speziellen Varianten aus der Regelschule fern. Was man also beim vermeintlichen „Neudenken“ durch Rotation des Personals erreicht, wäre bestenfalls, dass auch Alternativschulvarianten mehr im Regelwesen zirkulieren. Aber der wirkliche qualitative Sprung in eine neue Emergenz des (Gesamt-)Bildungssstems kann so nicht passieren. Er würde tatsächlich eine Revolution erfordern, ein „Allmählichkeitsabbruch“, wie H. H. Holz es nennt, einen Umschlag in ein neues System.