Ich arbeite seit rund 20 Jahren an Schulen. Schulentwicklung habe ich bisher primär in einer Form kennen gelernt:
- Jemand hat eine Idee oder ein Problem wird wahrgenommen.
- Eine kleine Gruppe erarbeitet ein Konzept.
- Sie stellt das Konzept der Schulleitung oder allen Lehrkräften vor.
- Es wird beschlossen, das Konzept umzusetzen.
- Das Konzept wird umgesetzt.
Das ist jetzt eine neutrale Beschreibung. Eine wertende würde sagen: Bei 5. wird das Konzept oft halb oder gar nicht umgesetzt, es entstehen unerwartete Nebenwirkungen; bald vergessen viele, dass es das Konzept jemals gab und finden andere Wege, um Ideen umzusetzen oder Probleme zu lösen.
Ein Beispiel: Die Schulleitung einer Schule hat wahrgenommen, dass die Schülerinnen und Schüler in den Pausen kaum über den Unterricht oder miteinander reden, sondern digitale Geräte bedienen. Konzept: Die Lernenden dürfen Geräte nur außerhalb des Schulzimmers benutzen. Das Konzept wird von einigen Lehrkräften nicht umgesetzt, bei den anderen führt es dazu, dass die meisten Schülerinnen und Schüler das Zimmer wenn immer möglich verlassen, so dass noch weniger Gespräche über den Unterricht stattfinden.
Das Vorgehen, Organisations- oder Schulentwicklung über Konzepte zu gestalten, ist in mehrerer Hinsicht paradox. Konzepte erschweren Entwicklungen. Das hat mehrere Gründe:
- Durch die Konzept-Phase wird die Entwicklung aufgeschoben. Sie erscheint also als nicht-dringlich, optional.
- Durch das Konzept wird die Entwicklung auf einer idealen und theoretischen Ebene angesiedelt – statt auf einer realen und praktischen.
- Die Arbeit am Konzept forciert eine Diskussion über Differenzen und Unklarheiten: Die Entwicklung erscheint als umstritten und vage.
- Die Sprache im Konzept muss wieder interpretiert und in praktische Konsequenzen umgesetzt werden.
- Der Moment der Umsetzung wird von der Entscheidung getrennt. Bis zur Umsetzung hat sich die Organisation schon entwickelt, der Entscheid wirkt überholt, fremd und unpassend.
- Konzepte sind mit Hierarchien verbunden: Wer schreibt sie, wer bewilligt sie, wer tut was zu ihrer Umsetzung? Echte Entwicklungen hingegen sind partizipativ: Alle tragen sie mit.
Was wären Alternativen, um das Problem, das sich in Konzepten manifestiert zu umgehen?
- Elementare Formen von Design Thinking. Grundsätzlich zunächst umkehren: Zuerst umsetzen, dann reflektieren und dokumentieren.
- Kleine, konkrete und verbindliche Entwicklungsschritte im Konsens festlegen – statt große, abstrakte und letztlich unverbindliche Konzepte hierarchisch verabschieden.
- Allen die Freiheit geben, die nötige Entwicklung in ihrem Wirkungsbereich direkt umzusetzen.

Ich bin absolut einverstanden mit den Ausführungen von Philippe. Konzepte werden oft zu einem Zeitpunkt erstellt, zu welchem man noch wenig Bezug zum praktischen Alltag der Umsetzung hat. Die Konzepte fallen dann oft recht abstrakt und realitätsfremd aus. Und vor allem bringen Konzepte Starrheit ins System. Einmal bei der Umsetzung angelangt, werden jene Mitarbeiter als Rebell angesehen, welche sich nicht an das Konzept halten. Der Spielraum für Innovation wird so begrenzt.
Nehmen wir als Beispiel den Einsatz von Stiftcomputern im Unterricht. Ich kenne etliche Schulen, welche sich in ihren Konzepten der BYOD Einführung für herkömmliche Laptops und gegen Stiftcomputer entschieden haben. Solche Entscheide sind mit dem Blick in die Vergangenheit entstanden. Die am Entscheid beteiligten Personen haben ja meist schlicht keine Erfahrungen mit Stiftcomputern. Diese Schulen sind nun an ihre Konzepte gebunden, obwohl z.B. an der Uni die „Abstimmung mit den Füssen“ zeigt, dass je nach Fach heute bereits bis zu 85% der Studierenden einen Stiftcomputer oder ein iPad mit Stift verwendet.
Agiles Projektmanagement heisst natürlich nicht, dass man Projekte nicht steuert. Die Steuerung passiert einfach anders. Die Erfahrungen zeigen, dass agile Projekte oft besser auf die Bedürfnisse der Nutzer eingehen und weniger Kosten verursachen.
Ich bin durchaus ein Freund von Konzepten, wenn diese sorgfältig geplant und dann bei der Umsetzung auch begleitet werden. Was passiert, wenn man einfach mal macht, sieht man ja zum Beispiel in den Schulen, welche einfach mal Hardware anschaffen und dann erstaunt sind, dass weder Lehrpersonen, noch Schüler noch Eltern darauf vorbereitet sind und der Unterricht sich kaum ändert, viel Widerstand entsteht, etc.
Meine Erfahrung zeigt auch, dass ein Konzept von möglichst allen Beteiligten im grossen Ganzen mitgetragen werden muss. In der Schule scheitert es dann aber oft daran, dass neben der fehlenden Gesamtsicht und dem Einbezug der Beteiligten zu wenig Führung da ist, welche dafür sorgt, dass die beschlossenen Schritte auch umgesetzt werden bzw. dass den Beteiligten eher zu viel Freiheit gegeben wird, ob sie etwas umsetzen wollen.
Grosse Veränderungen, wie zum Beispiel Digitalisierungsinitiativen sind sehr komplex und vielschichtig. Sie brauchen einen langen Zeithorizont bei der Umsetzung welche Weiterbildung, Budget, Unterrichts-, Team und Personalentwicklung, Hardwareplanung, und und und umfasst. Das geht nur mit einem guten Konzept und einer Planung, die selbstverständlich flexibel sein muss.
Das Fazit in dieser Strenge wäre fatal, würde es das planende Voraussehen des Menschen negieren. Wer nicht plant, würde ja impulsgesteuert mit vor-gelernten Massnahmen reagieren.
Dass die Problemanalyse korrekt ist, will ich nicht bezweifeln. In Unternehmen wird ebenfalls mit Konzepten gearbeitet, wenn es darum geht, Probleme zu lösen oder Projekte zu lancieren. Wichtig – und daran werden alle, die Projekte leiten, gemessen – ist das Monitoring. Man definiert verschiedene Meilensteine, Termine, Lieferobjekte, die es erlauben, den Fortschritt in Projekten zu messen und zu steuern. Und klar auch: Bis zum Abschluss des Projektes und meist darüber hinaus.
Lehrpersonen haben wenig Projekt-Erfahrung. Und die Zeit, Projekte von der Idee, über das Konzept bis zum Abschluss zu begleiten, finden Lp meist nicht.
Kann gut sein, dass es an der Erfahrung bzw. Kompetenz liegt, oder vielleicht daran, dass Lehrpersonen das nebenher machen und hauptsächlich mit Unterricht beschäftigt sind. Aber es geht weniger um Projektmanagement, das geplant sein soll – geplante Projekte laufen an Schulen auch ganz okay. Es geht mehr darum, eine Entwicklung einer Organisation über Konzepte zu veranlassen. Das Äquivalent bei Unternehmen wäre die Entwicklung des Unternehmens.